Slawisches Wurmzeug und fränkisches Gottesvolk
Die Slawen waren Heiden und selbst in christlichen Ländern wie Thüringen, Hessen, den ostfränkischen Gauen länger »Ungläubige« geblieben als die sonstigen Bewohner. Ihre Kultur stand nachgewiesenermaßen höher als zeitweise und gelegentlich noch heute angenommen. Wir haben – und nicht nur hierbei – zu bedenken, daß die fränkisch-deutschen Berichte über die Slawen lange Zeit hindurch, vom 7. bis zum 11. Jahrhundert, fast ausnahmslos von christlichen Priestern stammen, die zudem oft selbst nicht Augenzeugen waren, sondern häufig aus zweiter oder dritter Hand schöpften. Und befand man sich, wie meist, mit den Slawen im Krieg, beschimpfte man sie. War man aber mit ihnen verbündet, wurden sie plötzlich gelobt, wobei man zuweilen noch betonte, daß sie dies »in bewunderswerter Weise verdienten«.
Differieren auch karolingische und ottonische Historiographie in ihrer Beurteilung, herrscht doch seit langem ein gewisser Volkshaß vor, falls nicht gar Erbfeindschaft besteht, nicht zuletzt aus religiösen Gründen, aus dem Gegensatz von Heiden und Christen, und das schon seit der Merowingerzeit. Später verdammt man die Slawen gern pauschal. Je christlicher die Welt wird, desto böser werden die andern. Sind ja überhaupt alle »Bösen«, das heißt von Gott abgewandten Menschen, alle »Ungläubigen« also, nach mittelalterlicher, von Augustin (I 503 u. 514 ff.) und von Papst Gregor »dem Großen« (IV 171 ff.) beeinflußter Ansicht, gentiles, infideles, pagani, kurz »Teufelsgenossen, die man mit allen Mitteln zu vernichten hat, wenn sie sich nicht zur Gottessache bekehren« (Lubenow).
Slawen schienen den Christen nur als »Sklaven« tauglich – ein ja von »slavus« abgeleitetes Wort – oder reine Mordobjekte zu sein, Leute, die von frommen Katholiken etwa als »Wurmzeug« verhöhnt und »wie das Gras auf der Wiese gemäht« worden sind, Untermenschen eben, Tiere. »Was wollt ihr mir mit diesen Kröten?«, läßt Mönch Notker von St. Gallen einen christlichen Recken bramarbasieren. »Sieben oder acht und sogar neun von ihnen pflegte ich auf meine Lanze aufgespießt und irgend etwas brummend mit mir herumzuschleppen.« Die Slawen waren auch grundfalsch, heimtückisch. »Die Wenden«, so nicht nur die »Jahrbücher von St. Bertin«, »wurden in ihrer gewöhnlichen Treulosigkeit gegen Ludwig wortbrüchig.« Hatte sie doch schon der hl. Bonifatius, der »Apostel der Deutschen«, »das abscheulichste und schlechteste Geschlecht der Menschen« (foedissimum et deterrimum genus hominum) geschimpft und sie so sehr verachtet, daß er in all seinen vom Missionierungswahn geprägten Briefen nie davon spricht, auch den Slawen zu predigen.41
Dagegen fühlten sich die Franken – die als Christen doch hätten »von Herzen demütig« sein sollen, wie es Mt. 11,29 und analog an ungezählten Bibelstellen heißt – als »erhabenes Volk«, als etwas ganz Besonderes. Schon der Prolog der bereits auf Chlodwig I. zurückgehenden »Lex Salica« (das älteste westgermanische Volksrecht) zeigt dies drastisch: »Der berühmte Stamm der Franken, der von Gott selbst geschaffen wurde, mutig im Krieg und ausdauernd im Frieden, [...] von edler Gestalt und makellosem Glanz und außergewöhnlicher Schönheit, wagemutig, schnell und draufgängerisch, zum katholischen Glauben bekehrt und gegen jede Häresie gefeit [...]. Es lebe Christus, der die Franken liebt.«
Und nach Otfrid von Weißenburg (gest. nach 870), dem ersten namentlich bekannten deutschsprachigen Dichter, einem puer oblatus und Theologen, gelegentlich vielleicht an Ludwigs des Deutschen Hofkapelle tätig, sind die Franken ein gottesfürchtiges Volk, ist Gott überall mit ihnen; alles, was sie denken und tun, denken und tun sie mit Gott, nichts unternehmen sie ohne seinen Rat, und sie wollen sein Wort nicht nur lernen, singen, sondern auch erfüllen. Otfrids Ziel aber war es, wie er einem Mainzer Metropoliten bekennt, die mündliche heidnische Dichtung seiner Zeit zu verdrängen.42
Nach kirchlicher Anschauung mußte jeder christliche Fürst die Heiden bekämpfen, im Lande und an den Grenzen. Ja, nach der herrschenden augustinischen Lehre von der Ausbreitung des Reiches Gottes auf Erden hatte man den slawischen Osten überhaupt zu gewinnen, zu »bekehren«. Nicht zufällig war Augustins magnum opus »Vom Gottesstaat« eine Lieblingslektüre Karls »des Großen« (vgl. I 503 ff.). Und Karl, die Karolinger, die fränkische Aristokratie nebst der übrigen grundbesitzenden Schicht, sie alle waren desto mehr an »Ausgriffen«, Raub, an Tributen im Osten interessiert, als die landwirtschaftliche Produktivität kärglich und die Aussicht auf Zuwachs an Grund und Boden im Landesinnern unbeträchtlich gewesen ist. Auch bildeten die Gebiete der Slawen stets ein Reservoir für Hilfstruppen und Sklaven.
Zwar sah der christliche Adel die Slawenmission nicht immer mit ungemischter Freude, und natürlich aus einem höchst egoistischen Grund. Entfiel doch, zumal für die unmittelbar angrenzende, etwa für die benachbarte sächsische Edelklasse mit der Annahme des Christentums durch die Heiden ein Vorwand, sie zu überfallen, zu unterjochen und zu berauben. »Wenn die Christianisierung der Slawen den kriegerischen sächsischen Feudaladligen auch nicht das völlige Versiegen einer wichtigen Einnahmequelle brachte ..., so wurde den Sachsen die Ausplünderung ihrer Nachbarn zumindest erschwert« (Donnert). Und selbstverständlich war deren Schröpfen den Christen allemal wichtiger als das Evangelium; ging es den katholischen Fürsten zuerst um Macht, Habsucht, um Mehrung ihres Grundbesitzes und ihrer Feudalrente – »wie denn«, sagt Abt Regino, »die Herzen der Könige gierig und stets unersättlich sind«. Erzbischof Wilhelm von Mainz nannte Otto »des Großen«, seines Vaters Behauptung, es gehe um Ausbreitung des Christentums, eine Beschönigung. Und ganz unverblümt heißt es dann in Helmholds Slawenchronik im Hinblick auf Heinrich den Löwen: »Niemals war vom Christentum die Rede, sondern nur vom Gelde ...«
Doch geht es nicht bloß darum, »daß das Christentum jenseits von Elbe und Saale zuerst im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen Fuß gefaßt hat« (Fleckenstein). Nein, die christliche Kirche, und zwar natürlich die deutsche Kirche, war auch eine »treibende Kraft« für diese ganze hochaggressive Ostexpansion, eine Kraft, der gleichfalls der Glaube vor allem ein Mittel zum Zweck war, eine Kraft, schreibt Kosminski, die »auf den Zehnten, auf Güter und Leibeigene Jagd machte und in der ›Bekehrung der Heiden‹ eine höchst einträgliche Beschäftigung erblickte. Dabei half ihr auf energischste Weise das Papsttum, das einer der Hauptorganisatoren der Feldzüge nach dem Osten Europas war, da es hoffte, seine Einflußsphäre ausdehnen und seine Einkünfte erhöhen zu können.«
Aber gerade das ließ sich eben hervorragend mit Hilfe der christlichen Missionspropaganda, mit dauerndem Pallaver über »das Höhere« tarnen, den »Herrn« – zumal die Herren, die Bischöfe, die Äbte, ja nicht minder an diesen bereits als Kreuzzüge erscheinenden Raub- und Eroberungsaktionen beteiligt waren, von den Karolingern, wenn nicht schon Merowingern an über die Heerfahrten der sächsischen, salischen Kaiser bis in die Zeit der eigentlichen Kreuzzüge hinein.43
Es gab zwei Formen, die Slawen zu gewinnen.
Einmal die selbständige kirchliche Mission, etwa die von Bischof Ansgar, der in Dänemark und Schweden Knaben kaufte, um christliche Geistliche aus ihnen zu machen; die Mission des Bischofs Adalbert von Prag bei den Prussen im ausgehenden 10. oder die des Günther von Magdeburg bei den Liutizen im frühen 11. Jahrhundert.
Da diese individuellen Bekehrungsversuche so gut wie erfolglos waren, zog es die Kirche vor, die Frohe Botschaft mittels der staatlichen Heere zu verbreiten, mit Feuer und Schwert oder auch durch Bestechung. Die Annahme des Christentums jedenfalls war für die Slawen »gleichbedeutend mit Sklaverei« (Herrmann) und um so eher vorauszusetzen, um so leichter möglich, je wirksamer die Waffen die Macht des Christengottes und die Ohnmacht der alten Götter erwiesen.44