EL CAPITÁN

Oben

El Capitán hat die Hände auf dem Kopf, genau wie Bradwell, der ein Stück weiter unten am Hang steht. Sie befehlen Helmud, ebenfalls die Hände auf den Kopf zu legen, doch El Capitán sagt ihnen, es wäre sinnlos, weil Helmud ein Schwachkopf ist.

»Er hat nicht einen einzigen klaren Gedanken in seinem dummen Schädel«, sagt er.

»Dummen Schädel«, sagt Helmud.

Die Soldaten sollten es wissen. Sie haben ihn und Helmud in den Wäldern beobachtet, wo sie so stark und elegant und eigenartig friedlich aussahen. El Capitán entdeckt den einen, der ihm das gerupfte Huhn und die Eier überlassen hat. Er ist sicher, dass es der Gleiche ist, der mit dem Mädchen in Weiß auf dem Rücken ankam – dem Mädchen, das so frisch aus dem Kapitol ist, dass ihre Kleidung weißer ist als alles, was El Capitán seit den Bomben zu Gesicht bekommen hat. Es ist zugleich der Soldat, der ihn manchmal beinahe menschlich anzusehen scheint. Ursprünglich hat El Capitán ihnen allen vertraut, doch das war ein Fehler. Sie werden ihn und Helmud wohl umbringen, und El Capitáns Kameraden gleich mit. Und das wäre das Ende der Geschichte.

Man hat ihnen sämtliche Waffen abgenommen. Sie sitzen auf einem Haufen wie Kleinholz. Das Mädchen ist ruhig geworden. So ruhig, dass sich El Capitán fragt, ob sie unter Schock steht. Sie ist hübsch, gefährlich hübsch. Haben die Spezialkräfte einen Geschlechtstrieb? Muss sich das Mädchen Sorgen machen? Oder sind sie kastriert wie Hunde?

Der Soldat, der mit dem Mädchen auf dem Rücken aufgetaucht ist, scheint so was wie der Anführer zu sein. Er lässt das Mädchen los, tritt zu El Capitán und drückt ihm den Lauf seiner Waffe zwischen die Rippen, an der Stelle, wo El Capitán und Helmud verschmolzen sind. »Diesem hier traue ich nicht über den Weg«, sagt er zu seinen Kameraden.

El Capitán fragt sich für einen Moment, ob er jetzt erschossen wird. Er wappnet sich, doch es passiert zunächst nichts.

Stattdessen wendet sich der Anführer an die anderen. »Geräusche im Umkreis. Los, geht nachsehen. Ich will alles unter Kontrolle haben.«

Die fünf anderen tun ohne Widerspruch wie geheißen und entfernen sich lautlos in verschiedene Richtungen.

Der Anführer beugt sich zu El Capitán vor. »Wenn sie zurückkommen, beschütz das Mädchen. Geht in Deckung.« Er sagt es so laut, dass das Mädchen es hören kann.

El Capitán wundert sich, was das nun wieder bedeuten soll. Ist der Anführer etwa auf ihrer Seite?

»Wirst du es tun?«

Hat er vielleicht vor, sich gegen die anderen zu wenden? Kommt es zu einer tödlichen Auseinandersetzung?

»Jawohl, Sir«, sagt El Capitán.

»Jawohl, Sir«, sagt Helmud. Manchmal, wenn Helmud Worte von El Capitán wiederholt, fühlt es sich an wie ein Zucken in El Capitáns eigenem Gehirn. Helmud ist mehr als nur sein Bruder. Sie sind ein und dieselbe Person. El Capitán sieht das Mädchen erneut an, und diesmal bemerkt er eine Wildheit in ihren Augen, die vorher nicht da war. Falls dies ihre einzige Chance ist, dann scheint sie bereit, dafür ihr Leben zu riskieren.

Und Bradwell, der mit auf dem Kopf verschränkten Fingern dasteht, strahlt eine hitzige Energie aus. Er schäumt innerlich. Er ist zu allem bereit. El Capitán hebt die Augenbrauen, versucht Bradwells Aufmerksamkeit zu erlangen, ihn vorzubereiten, doch Bradwell sieht ihn nur an und formuliert mit den Lippen: Was?

So leise, wie sie verschwunden sind, tauchen die Soldaten wenige Augenblicke später einer nach dem anderen wieder auf. Sie haben nichts zu berichten. Keine OSR, keine Unglückseligen. Keine Dusts und keine Bestien. Alles ist ruhig.

»Kontrolliert die Bewegungsmelder«, sagt der Anführer. »Keine Fehler. Keine Irrtümer.«

Als sie alle auf die Instrumente an ihren Armen sehen, stößt der Anführer das Mädchen in El Capitáns Arme. El Capitán packt sie an der Taille, hebt sie hoch und rennt drei oder vier Schritte mit ihr. Dann wirft er sich in Deckung. Die Brust des am nächsten stehenden Soldaten zerplatzt. Er wirbelt herum und schießt wild aus allen Waffen in die Büsche.

Der Anführer zielt mit beiden Waffen in den Unterarmen und feuert. Läufe fahren aus seinen Schultern und feuern abwechselnd, einer nach dem anderen. Der Rückstoß lässt ihn zucken, als würde er tanzen.

Ein weiterer Soldat feuert in Richtung von El Capitán. Die Schüsse fallen beinahe gleichzeitig, und ein Soldat gerät ins Kreuzfeuer. Ein Schuss trifft ihn in den Kopf.

Zwei erledigt, denkt El Capitán. Er will zu seinem Gewehr kriechen, das auf dem Waffenstapel am Boden liegt, doch Lyda packt ihn und hält ihn zurück.

»Warte«, sagt sie.

Bradwell ist schon bei den Waffen angekommen und packt El Capitáns Gewehr mit dem Magazin. Er wirbelt herum und feuert auf die drei verbliebenen Soldaten. Einer wird am Hals getroffen und taumelt seitwärts hinter ein paar Felsen. Der Anführer erledigt einen anderen mit zwei oder drei Schüssen in den Bauch.

Der Soldat scheint zu begreifen, während er in den Dreck fällt. Irgendetwas stimmt nicht, und er muss auf seinen Anführer schießen, seine Programmierung überwinden. Er lädt seine Waffe durch und feuert, trifft den Anführer in den Oberschenkel. Der Anführer taumelt, doch er geht nicht zu Boden. Der Soldat mit der Bauchwunde zieht sich hinter einen Baum zurück.

In diesem Moment sieht El Capitán, wie der Soldat, den Bradwell getroffen hat, hinter einem großen knorrigen Baumstumpf nachlädt. Auch er hat seine Programmierung außer Kraft gesetzt und zielt nun auf den Anführer. Aus seiner Deckung heraus kann El Capitán erkennen, dass der Soldat schwer verwundet ist, aber nicht tödlich. Der unverletzte Soldat ist entkommen. El Capitán hat eine dunkle Ahnung, dass er kein Deserteur ist. Er wird zurückkehren.

»Gib mir ein Messer«, sagt Lyda.

El Capitán kriecht zu dem Waffenhaufen. Er zieht ein Messer heraus und wirft es Lyda zu, die es am Griff auffängt. Er sieht, wie Bradwell auf den Soldaten zielt, den er verwundet hat, um ihm den Rest zu geben, bevor er auf den Anführer schießen kann. Bradwell trifft ihn in den Oberarm, und Blut glitzert feucht, wo der Bizeps in der Uniform verschwindet. Kämpft er etwa immer noch?

El Capitán greift nach einem weiteren Messer und nach einem Fleischerhaken. In diesem Moment bekommt er einen Tritt von dem Soldaten mit der Bauchwunde. Er trifft El Capitán so hart, dass er förmlich von den Beinen gerissen wird. Für einen Moment bekommt er keine Luft mehr.

Bradwell eilt ihm zu Hilfe, doch der Soldat versetzt ihm einen Schlag, der Bradwell zu Boden gehen lässt. Er will ihn am Hemd hochreißen, doch der Stoff ist so morsch, dass er zerreißt und der Soldat nichts außer einem Fetzen in den Händen hält. Bradwell versetzt ihm einen Tritt gegen das Knie, den sein Gegner kaum zu spüren scheint. Beinahe gelassen hebt er die in seinen linken Arm eingelassene Waffe, lädt nach und richtet die Mündung auf Bradwell, der sich am Boden zusammenkrümmt. Die Vögel auf seinem Rücken sind still geworden.

El Capitán hört einen Knall und glaubt im ersten Moment, dass Bradwell tot ist, doch es ist der Soldat, der fällt. El Capitán sieht, dass der Anführer sich trotz seines verletzten Beins in Schussposition gebracht hat. Bradwells Angriff hat ihm Zeit verschafft. Jetzt ist nur noch ein Gegner übrig. Er ragt drohend über El Capitán auf, der seine Waffen fallen lässt und rückwärts davonzukriechen versucht.

Der Anführer feuert. Er trifft die Hände des Soldaten und zerstört dessen eingebaute Waffen. Der Soldat heult auf. Die Waffen auf seinen Schultern zucken, während er sich umdreht, um sich zu wehren. Ein Projektil erwischt Bradwell in der Schulter – der unverwundeten – und schlägt ihm die Waffe aus der Hand. Bradwell presst die Hand auf die Wunde. Er scheint benommen vom Schmerz und dem Knall. Er stolpert mit zugekniffenen Augen hinter einen Felsen in Deckung.

Der Anführer feuert erneut, obwohl er auf dem Boden in einer großen Blutlache liegt, außerstande aufzustehen. Seine Kugeln perforieren die Brust des Soldaten und die Waffen auf seinen Schultern. Der Soldat versucht zurückzuschießen, doch all seine Waffen sind nutzlos geworden. Er stolpert geschwächt im Kreis, bis sein Blick auf Lyda fällt. Er stürzt auf sie zu. El Capitán springt ihm auf den Rücken, nimmt ihm das Gleichgewicht, und er geht in die Knie. Es verschafft Lyda Zeit zum Wegrennen, doch ansonsten nützt es nichts. Der Soldat ist so stark, dass er wieder auf die Beine kommt. El Capitán klammert sich verzweifelt an ihm fest, versucht ihn zu würgen.

Und dann plötzlich erscheinen Helmuds dürre Arme. Er hält ein Stück hauchdünnen Fadens, anscheinend aus Wolle und menschlichem Haar gesponnen. Er wirft es über den Kopf des Soldaten und zieht die Schlinge um seinen Hals. El Capitán packt den dünnen Faden, und mit vereinten Kräften reißen er und Helmud an beiden Enden. Der Faden schneidet in den Hals des Soldaten. Der Soldat taumelt rückwärts und versucht den Faden mit seinen Stummeln zu packen.

Mit einem Mal ist Lyda vor ihm. Sie rammt ihm das Messer in den Unterbauch und reißt die Klinge mit all ihrer Kraft nach oben.

Der Soldat taumelt. Lyda zieht das Messer heraus, wischt es an ihrem weißen Overall ab und ist bereit, ein weiteres Mal zuzustoßen. Doch das muss sie nicht. Der Soldat kippt mit Helmud und El Capitán auf dem Rücken vornüber in den Dreck.

El Capitán zieht die Schlinge mit einer Hand unter dem Toten hervor – ein blutiges Etwas, an dem Fleisch und Hautreste haften. Er erinnert sich, wie oft er über Helmud geschimpft und ihm gesagt hat, er solle endlich aufhören mit der nervösen Zappelei, den aufgeregten Bewegungen hinter seinem Rücken. »Helmud«, sagt er. »Hast du diese Schlinge gemacht, um mich damit umzubringen?«

Diesmal wiederholt Helmud die letzten Worte seines Bruders nicht. Sein Schweigen bedeutet Ja.

Zum ersten Mal, seit El Capitán denken kann, ist er stolz auf seinen Bruder. »Verdammt, Helmud! Scheiße! Du hast geplant, mich umzubringen!«

Plötzlich hören sie Geräusche. Sie erstarren, wappnen sich. Vielleicht ist es der Soldat, der unverletzt entkommen konnte.

Aber nein. Die Geräusche kommen von dem sichelförmigen Fenster im Boden.

Zwei Hände packen die Seiten des Rahmens, und dann zieht sich Partridge nach oben, als stiege er aus einem Grab.