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Eine Lagerhalle in einem hoch gelegenen Teil der Bohrinsel.
Der Zugang zu dem geschlossenen Raum würde gesichert sein. Puller interessierte sich sehr dafür.
Schon unter normalen Umständen war eine Beobachtung schwierig, unter solchen Umständen war sie beinahe ein Ding der Unmöglichkeit.
Aber Puller fand eine Lücke. Ein stählerner Fensterladen war nicht richtig geschlossen. Er winkte Mecho heran.
Diaz, Carson und Landry hatten Stellungen um die Halle eingenommen.
Es goss in Strömen. Der Wind wehte so heftig, dass man kaum aufrecht stehen konnte.
Puller spähte in die rechte Seite des Fensterladens, Mecho nahm sich die linke Seite vor.
Ihnen bot sich der Blick in einen großen, offenen Raum. Dann sahen sie die Käfige, die in der Mitte dieses Raumes standen und voller Menschen waren.
Das war problematisch, kam aber nicht unerwartet.
Es gab aber auch Positives.
Die Wächter standen in regelmäßigen Abständen in Gruppen zusammen. Sie wirkten nicht besonders aufmerksam und hielten die Waffen locker in der Hand. Ein paar von ihnen rauchten, tranken aus großen Wasserkanistern und Bierdosen, während andere auf dem Boden saßen, die Waffen in den Halftern, und vor sich hin starrten.
Verstecke gab es nur wenige. Aber immerhin ein paar diskrete Schusspositionen. Wenn sie auf die in Gruppen zusammenstehenden Wächter feuerten, konnten sie in sehr kurzer Zeit sehr viel Schaden anrichten, ohne sich offen dem Gegenfeuer aussetzen zu müssen.
Puller sah Mecho an, dass er die gleiche Analyse vorgenommen hatte und zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen war.
»Glauben Sie, dass Lampert oder Rojas hier sind?«, fragte Puller.
Mecho schüttelte den Kopf. »Große Fische schwimmen nicht zusammen mit den kleinen.«
»Das glaube ich auch. Also angenommen, wir kommen am Perimeter vorbei …?«
»Die Wächter werden den Befehl haben, die Gefangenen zu töten.«
»Als würden sie Beweise vernichten?«
»Ja. Möglicherweise war das die ganze Zeit ihr Plan. Die Gefangenen töten, ihre Leichen versenken und die Haie ihre Arbeit machen lassen.«
»Aber dann ist ihnen der Sturm dazwischengekommen.«
Mecho nickte.
Puller warf einen Blick zu den Frauen hinüber. Carson und Landry wirkten entschlossen und konzentriert, Diaz jedoch nervös und unsicher.
»Ihre Partnerin sieht nicht gut aus«, sagte Puller.
»Sie wird es schaffen.«
»Kennen Sie sie gut?«
»Ich kenne sie gar nicht.«
»Woher wollen Sie es dann wissen?«
»Man lernt eine Menge über einen Menschen, wenn dieser Mensch einem das Leben rettet.«
Puller nickte. »Stimmt.« Er spähte wieder durch die Lücke. »Wir könnten von hier oben schießen. Es sind zwanzig Wächter. Wir haben acht Waffen, einschließlich einer MP5.«
»Einige von denen werden wir verfehlen.«
»Ich will ihre Zahl so schnell wie möglich verringern.«
Puller entdeckte etwas, was ihm zuvor entgangen war. Diego und Mateo hockten in der Ecke eines der überfüllten Käfige. Direkt vor ihnen stand ein Wächter.
Puller nahm sich vor, diesen Mann als Ersten auszuschalten.
»Schießen wir durch die Lücke, oder versuchen wir reinzukommen?«, fragte er.
Mecho zuckte mit den Schultern. »Hätten wir mehr als eine Fensterlücke mit mehreren Schusslinien, wäre ich mit dem Fenster einverstanden, aber das haben wir nun mal nicht.«
»Und wenn wir durchs Fenster schießen und gleichzeitig die Halle stürmen?«
Mecho nickte. »Der Plan gefällt mir besser.«
»Ich schlage vor, das Zugriffsteam besteht aus mir, Ihnen und Landry. Diaz und Carson können von hier oben Deckung geben. Wir dringen durch die Tür da drüben ein, so leise wie möglich.« Puller zeigte nach links. »Sobald wir drin sind, bilden wir ein Angriffsdreieck. Ich übernehme die Spitze, Sie links, Landry rechts. Wir räumen jede Sektion und bleiben ständig in Bewegung. Wächter, die auf die Gefangenen in den Käfigen schießen, haben höchste Feuerpriorität. Sie müssen sofort eliminiert werden.«
Wieder nickte Mecho. »Gut. Das wird funktionieren. Und nachdem wir alle Wachen ausgeschaltet haben?«
»Nicht alle. Wir brauchen ein paar, die aussagen.«
»Die Mistkerle wissen bestimmt nichts über Lampert oder Rojas.«
»Vielleicht doch. Deshalb dürfen wir kein Risiko eingehen.«
»Und die Gefangenen?«
»Die holen wir raus wie besprochen.«
Mecho überprüfte seine Waffe. Puller gab ihm seine M11.
»Hier. Die ist verlässlich.«
»Ich nehme Sie beim Wort«, sagte Mecho.
Puller hob die MP5 und stellte sie auf Zwei-Schuss-Feuerstöße. Dauerfeuer kam nicht infrage. Er musste seine Munition sorgfältig einteilen. Es wäre gefährlich, sich in einer Situation, die zweifellos im Chaos endete, die Zeit für einen Magazinwechsel zu nehmen.
Damit das Glück ihm beistand – und weil es ein Kampfritual war –, tippte er dreimal auf das Ranger KA-BAR-Messer in seiner Lederscheide. Das Messer fühlte sich seltsam fremd und berauschend zugleich an.
Er sah, dass auch Mecho ein Messer im Hosenbund stecken hatte. Dieser Mann wusste bestimmt, wie man die Klinge mit größtmöglicher Effizienz einsetzte.
Puller rief die Frauen zu sich und erklärte ihnen den Plan.
»Ich wäre lieber bei dir, beim Zugriffsteam«, sagte Carson.
»Nein. Du hast ein Scharfschützengewehr. Ich verlasse mich darauf, dass du es erfolgreich einsetzt.«
»Okay«, erwiderte Carson.
Puller musterte Diaz. Sie sah noch immer nervös aus. »Kommen Sie klar?«
»Ja«, erwiderte sie, aber ihr Gesichtsausdruck besagte etwas anderes. »Ich bin aber immer noch seekrank«, fügte sie tonlos hinzu.
Mecho legte ihr seine große Hand auf die Schulter und blickte ihr in die Augen. »Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um krank zu sein. Jetzt müssen wir kämpfen.«
Sie nickte.
Puller ließ den Blick in die Runde schweifen. Möglicherweise war es das letzte Mal, dass sie sich sahen.
»Viel Glück, Leute«, sagte er und wandte sich Landry zu. »Eine Kugel im Lauf?«
»Immer.«
Er nickte Mecho zu. »Dann los.«
Zu dritt eilten sie die Stahltreppe zu ihrem Durchbruchspunkt hinunter.