39
Puller stoppte den Tahoe Zentimeter vor der Beifahrertür des anderen Wagens. Der Mann, der dort saß, starrte ihn überrascht an und versuchte, den Wagen zurückzusetzen, doch Puller fuhr weiter, bis der Kühler die Beifahrertür berührte. Sollte der Fahrer weiter zurücksetzen, würde er den Wagen beschädigen.
Puller hielt bei beiden Männern nach plötzlichen Bewegungen Ausschau. Er hob die Waffe, sodass sie deutlich zu sehen war, ließ das Fenster herunter und bedeutete den Männern im anderen Wagen, es ihm gleichzutun.
Der Bursche gehorchte, rief aber wütend: »Was soll der Schwachsinn?«
»Das wollte ich nicht hören.« Puller stieg aus dem Tahoe und trat an den anderen Wagen heran. Die M11 hielt er so, dass er binnen einer Millisekunde auf sein Ziel schießen konnte, ohne es zu verfehlen. »Ich wollte hören, wer Sie sind und warum Sie mich beschatten. Also?«
Die drei Männer wandten den Kopf, als Bremsen quietschten und eine Polizeisirene losheulte. Ein Streifenwagen war auf die Straße eingebogen und kam auf sie zu.
Puller erkannte den Fahrer und stöhnte innerlich auf.
Hooper.
Neben ihm saß Landry.
Hooper sah aufgeregt aus.
Landry wirkte unsicher.
Puller schob die M11 ins Gürtelhalfter, als die beiden Cops ausstiegen. Hooper hatte die Waffe gezogen.
Natürlich, was sonst, dachte Puller.
Landrys Waffe steckte noch im Halfter, aber sie hatte die Hand auf dem Griff.
Hooper kam heran und schwenkte die Pistole hin und her, bis er sie schließlich auf Puller richtete. »Sie können es einfach nicht lassen, Schwierigkeiten zu machen, was?«
»Ich wusste noch gar nicht, dass ich in Schwierigkeiten stecke«, erwiderte Puller.
Hooper warf einen Blick auf den Abstand zwischen dem Tahoe und dem anderen Wagen. »Parken Sie immer so nahe an anderen Autos?«
»Wenn ich mit jemandem sprechen will, ja«, sagte Puller.
Landry schnaubte, während Hooper die Stirn runzelte.
»Machen Sie nur weiter mit dieser Scheiße, dann schmoren so schnell in einer Zelle, dass Sie Nasenbluten kriegen«, fauchte der Cop.
Puller kommentierte diese dumme Bemerkung nicht, weil es dazu nichts zu sagen gab. Selbst die Typen im Auto sahen aus, als hätten sie am liebsten gelacht. Vermutlich hätten sie es getan, nur dass Hooper jetzt die Waffe auf sie richtete.
»Könnten Sie Ihren Partner bitten, die Waffe wegzustecken?«, wandte Puller sich an Landry. »Sein Finger befindet sich innerhalb des Abzugsbügels. Für mich bedeutet das, dass er gleich abdrückt.«
»Hoop«, sagte Landry in einem mahnenden Ton. »Keine Unfälle mehr, okay?«
Keine Unfälle mehr?, dachte Puller.
»Wir wissen, dass er bewaffnet ist«, sagte Hooper und zeigte auf Puller.
»Ich bin bewaffnet, weil die Regierung der Vereinigten Staaten es von mir verlangt«, erklärte Puller. »Wenn Sie wollen, können Sie sich ja ans Pentagon wenden, aber ich glaube, dass Bundesrecht vor Landesrecht geht, zumindest in dieser Sache.« Er zeigte auf die beiden Männer im Auto. »Die da könnten ebenfalls bewaffnet sein. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen.«
Landrys Blick glitt zu den Männern im Wagen. Sie trat vor, die Hand noch immer auf dem Pistolengriff. »Würden Sie bitte aussteigen und die Hände so halten, dass wir sie sehen können?«
»Ich krieg die Tür nicht auf«, sagte der Mann auf dem Beifahrersitz. »Der Wagen von dem Typen blockiert sie.«
»Dann rutschen Sie rüber und nehmen Sie die Fahrerseite«, sagte Landry schroff.
Während Hooper auf sie zielte und Puller für den Augenblick ignorierte, stiegen die beiden Männer aus dem Wagen und hielten die Hände ausgestreckt.
»Sind Sie bewaffnet?«, fragte Landry noch einmal.
Die Männer blickten einander an.
»Nein«, sagte der Fahrer.
»Machen Sie Ihre Jacken auf«, verlangte Landry.
Die Männer gehorchten. Außer Hemden und Gürteln war nichts zu sehen.
»Warum sind Sie mir gefolgt?«, fragte Puller.
Der Fahrer sah ihn an. Er war ungefähr eins achtzig groß, mit breiten Schultern und schlanker Taille. Sein Kumpan war ähnlich gebaut. Ihr kurz geschorenes Haar ähnelte sich ebenfalls. Aus der Nähe sahen sie noch mehr nach Militär aus.
»Wer sagt denn, dass wir Ihnen folgen?«
»Ich«, erwiderte Puller. »Das ist jetzt das vierte Mal, dass ich Sie sehe. Zweimal in dieser Straße.«
»Es ist eine kleine Stadt«, sagte der Mann.
»Ich möchte Ihre Ausweise sehen«, verlangte Landry.
Die Männer zogen ihre Brieftaschen und reichten Landry die Führerscheine. Landry schrieb die Informationen in ihr Notizbuch, während Puller vergeblich versuchte, einen Blick auf die Namen und Adressen zu werfen.
Landry gab den Männern die Papiere zurück.
»Wenn Sie keinen Grund haben, uns festzuhalten, können wir jetzt wohl gehen«, sagte der erste Mann.
Landry schaute Puller an, dann wieder die Männer. »Können Sie mir sagen, was Sie in Paradise machen?«
»Urlaub.«
»Sind Sie diesem Gentleman hier gefolgt?«
»Nein, wieso? Ich wollte in dieser Straße ein Haus kaufen. Ich habe mich deswegen sogar an eine Maklerin gewandt.« Der Mann zückte eine Visitenkarte. »Hier steht ihr Name und ihre Nummer. Sie wird für mich bürgen. Wir haben nur hier gesessen und überlegt, welche Häuser wir uns anschauen sollten, als der Typ auf uns zuraste. Statt uns zu befragen, sollten Sie lieber ihn verhaften. Ich dachte, er wollte uns mit seinem Riesenschlitten rammen.«
Landry warf einen Blick auf die Karte; dann schaute sie Puller stirnrunzelnd an. Der Blick verriet Puller ihre Zweifel.
Sie gab dem Mann die Visitenkarte zurück. »Danke für Ihre Kooperation. Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten.«
»Wollen Sie ihn anzeigen?«, fragte Hooper und zeigte auf Puller.
Der Mann musterte Puller, als wollte er sich jede Einzelheit seines Gesichts genau einprägen.
»Nein. Er scheint den Ärger nicht wert zu sein.« Er lächelte Puller an, während sein Freund schnaubend lachte. »Fahren Sie einfach Ihren Wagen weg, dann können wir los.« Er trat näher an Puller heran. »Aber wenn Sie so was noch einmal versuchen, werde ich nicht mehr so zuvorkommend sein.«
Landry stellte sich zwischen die beiden Männer. Vielleicht hatte sie Pullers Gesichtsausdruck gesehen, der zu besagen schien, dass er eine Millisekunde davon entfernt war, den Kerl zu halbieren.
»Das reicht«, sagte sie und stieß beide zurück. »Puller, fahren Sie Ihren Wagen weg. Gentlemen, einen schönen Tag noch.«
Puller stieg in seinen SUV und setzte gerade weit genug zurück, dass der andere Wagen langsam an ihm vorbeirollen konnte. Dann gab der Fahrer Gas, bog um die Ecke und war verschwunden.
Puller stieg wieder aus. »Wie heißen die Kerle?«
»Das geht Sie verdammt noch mal überhaupt nichts an«, fauchte Hooper.
Puller warf Landry einen fragenden Blick zu.
Sie schüttelte den Kopf. »Das geht Sie wirklich nichts an, Puller. Und seien Sie froh, dass der Mann Sie nicht angezeigt hat. Halten Sie sich von jetzt an von diesen Leuten fern.«
»Es geht nicht darum, dass ich mich von ihnen fernhalte. Sie folgen mir.«
»Behaupten Sie«, stieß Hooper hervor. »Das heißt aber nicht, dass es die Wahrheit ist.«
»Was diese Männer gesagt haben, klingt logisch. Gut möglich, dass sie in dieser Straße nach einem Haus suchen.« Landry schaute sich um. »Ich sehe drei Zu-verkaufen-Schilder.«
Puller wusste, das alles war Schwachsinn. Die Kerle hatten ihre Tarngeschichte. Aber Diego hatte sie in der Nähe des Sierra gesehen. Puller konnte sich nicht vorstellen, dass die beiden Typen dort nach Grundstücken gesucht hatten. Aber das behielt er für sich.
»Okay«, sagte er. »Vermutlich haben Sie recht.«
Landry glaubte ihm offensichtlich nicht, und Hooper brannte noch immer darauf, ihn zu verhaften.
Puller wandte sich ab, um wieder in den Tahoe zu steigen.
»He! Woher wissen Sie, dass wir mit Ihnen fertig sind?«, fragte Hooper.
Puller drehte sich um und starrte ihn erwartungsvoll an. »Okay. Sind Sie mit mir fertig?«
Die Frage schien Hooper zu überraschen. Er schaute zu Landry.
»Hoop«, sagte sie, »beende die Patrouille in dieser Straße, okay? Ich will mit Mr. Puller sprechen.«
Hooper stieg in den Streifenwagen, schaltete die Signalleiste ein und tippte auf die Lautsprecheranlage. Das krachende Geräusch erwischte Landry unvorbereitet und ließ sie heftig zusammenzucken.
»Verdammt, Hoop, fahr einfach!«, fauchte sie.
Er fuhr schneller, als er es in einer Wohnstraße hätte tun sollen.
»Wie halten Sie es aus, mit diesem Idioten arbeiten zu müssen?«, fragte Puller.
Landry ignorierte die Bemerkung. »Was ist los mit Ihnen?«
»Bitte?«
»Werden Sie jetzt paranoid?«
»Ich bin nicht paranoid. Diese Kerle verfolgen mich.«
»Haben Sie Beweise?«
»Die besorge ich mir.«
»Lassen Sie es auf sich beruhen, Puller. Die Typen sahen nicht so aus, als sollte man sich mit ihnen anlegen.«
»Aber ich schon?«
Sie schaute auf einen Punkt über seiner Schulter, die Arme vor der Brust verschränkt.
»Ich weiß, ich muss aufs Revier und gegen die Männer von letzter Nacht Anzeige erstatten«, sagte er.
»Vielleicht sollten Sie darauf verzichten.«
»Wieso?«
»Die Männer wollen Sie anzeigen.«
»Wiederholen Sie das.«
»Sie behaupten, Sie hätten sie angegriffen.«
»Habe ich auch. Bevor sie mich angreifen konnten.«
»Das sollten Sie vielleicht nicht so laut sagen.«
»Diese Komiker waren in meinem Zimmer und haben darauf gewartet, sich auf mich zu stürzen. Ziemlich schwer, das anders darzustellen.«
»Die Männer wurden bereits freigelassen mit der Zusage, vor Gericht zu erscheinen.«
»So schnell geht das in Paradise?«
»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.«
»Ich auch nicht. Ich dachte, die Penner hätten keine Verbindungen zu irgendwelchen Gangs. Dann hat da wohl jemand im Hintergrund ein paar Strippen gezogen.«
»Puller, ich bin nur ein einfacher Cop. Ich habe keinen Einblick in so etwas.«
»Dann sind die Typen bald wieder auf der Straße und lauern auf ihre Chance, mich erneut zu erwischen.«
»Ich glaube nicht, dass Sie sich deswegen Sorgen machen müssen.«
»Warum nicht?«
»Weil ich den Männern gesagt habe, dass Sie ein mörderischer Irrer von einem Spezialkommando sind, der tausend verschiedene Möglichkeiten kennt, sie zu töten. Ich habe ihnen gesagt, Sie würden sie beim nächsten Mal umbringen und dann Ihre Kumpel von der Army holen, die Ihnen helfen, auch noch ihre Familien auszulöschen.«
Puller musste lächeln. »Das haben Sie denen gesagt?«
»So ungefähr. Für die Latinos habe ich es sogar auf Spanisch wiederholt, damit sie es ohne Übersetzung verstehen. Ich habe den Typen Sicherheit garantiert, falls sie Sie in Ruhe lassen. Als sie gegangen sind, haben sie sich vor Angst beinahe in die Hose gemacht. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass diese Kerle Anzeige erstatten. Die haben viel zu viel Angst vor Ihnen.«
Puller nickte. »Danke für die Hilfe.«
»Keine Ursache. Jetzt können Sie sich auf die Frage konzentrieren, was mit Ihrer Tante passiert ist.«
»Ich wünschte, jeder Cop, mit dem ich bisher gearbeitet habe, wäre so kooperativ gewesen wie Sie«, sagte Puller lächelnd.
»Sie begegnen mir mit Respekt, ich Ihnen auch. Tun Sie das nicht mehr, ist auch bei mir Schluss damit.«
»Damit habe ich kein Problem.« Puller verstummte. Er fragte sich, ob er sich auf dieses gefährliche Terrain wagen sollte. Aber es würde eine gute Möglichkeit bieten, weitere Fragen zu stellen. Außerdem gefiel ihm Landrys Gesellschaft. Falls sich herausstellte, dass der Tod seiner Tante kein Unfall war, würde sie ihm bei diesem Fall eine große Hilfe sein. Also fragte er: »Wollen Sie heute Abend mit mir essen?«
Sie sah überrascht, aber auch erfreut aus, wie Puller fand.
»Sie haben mich kostenlos bei sich übernachten lassen«, fügte er hinzu. »Dafür würde ich mich gern erkenntlich zeigen.«
Sie dachte ein paar Sekunden darüber nach. Puller rechnete schon damit, dass sie ablehnte.
»In zwei Stunden habe ich Dienstschluss. Wo wollen Sie hin?«
»Es ist Ihre Stadt. Ich überlasse es Ihnen.«
»An der Hauptstraße gibt es einen Laden namens Darby’s.«
»Okay. Ich bin daran vorbeigekommen.«
»Sagen wir, um acht?«
»Gut.«
Puller stieg in seinen Wagen und fuhr los. Aber seine Gedanken waren schon nicht mehr bei dem Abendessen mit Landry.
Er dachte an Ernie und Bert in der Limousine. Er musste wissen, wer die beiden waren und ob sie irgendwie mit dem Tod von Tante Betsy zu tun hatten.
Vielleicht gab es da eine Möglichkeit.
Er griff nach dem Handy.