68

»Jane? Was tust du hier, verdammt?«

Griffin Mason blickte Ryon an, die auf der Vordertreppe seines Ferienhauses an der Choctawhatchee Bay stand. Er hatte einen Morgenmantel übergeworfen, und sein Haar war zerzaust.

»Tatsächlich ist es ein Dreier«, verkündete Puller und baute sich rechts von Ryon auf, während Carson von links aus der Dunkelheit erschien.

Masons Gesicht verlor alle Farbe.

»Wir müssen uns drinnen unterhalten«, sagte Puller.

Der Anwalt blickte nervös über die Schulter. »Das ist jetzt kein guter Zeitpunkt …«

Bevor er den Kopf wieder nach vorn genommen hatte, schleuderte ein harter Stoß Pullers ihn ins Haus. Der Morgenmantel klaffte auf und enthüllte seinen nackten Körper.

»Das war keine Bitte.« Puller baute sich über Mason auf, der rücklings zu Boden gefallen war. »Wo sind sie?«

»Wo ist wer?«, keuchte Mason.

Puller packte ihn bei der Schulter und riss ihn auf die Füße. »Die Kinder.«

»Welche Kinder?«

»Diego und Mateo.«

Carson warf Puller einen fragenden Blick zu.

»Das ist mir unterwegs klar geworden«, sagte er. »Dieser Schweinepriester kann sich tausend Dollar leisten, um sich ein Kind zu kaufen.«

Im Nebenzimmer ertönte ein Laut. Puller eilte zur Tür, stieß sie auf.

»He, Mann«, brüllte Mason. »Sie dürfen da nicht rein.«

»Das wollen wir mal sehen«, erwiderte Puller. An der Schwelle blieb er wie angewurzelt stehen. Die anderen gesellten sich zu ihm.

Alle starrten ins Zimmer.

Ein Schlafzimmer.

Jemand lag auf dem Bett.

Es war nicht Diego. Oder Mateo.

Es war Isabel.

Und sie war nackt.

Hastig zog sie sich eine Decke über den Körper.

»Isabel …«, sagte Puller.

Sie starrte ihn an. Ihr Gesicht war wutverzerrt. »Scheiße, was geht hier vor, Grif?«, rief sie aus und blickte Mason an.

Der Anwalt packte Pullers Arm und versuchte ihn herumzureißen, aber Puller war so groß und schwer, dass Mason das Gleichgewicht verlor und erneut zu Boden stürzte. Hastig rappelte er sich auf. »Ich verklage Sie!«, rief er mit überkippender Stimme.

Puller wandte sich ihm zu. »Was hat sie hier zu suchen?«

»Das geht Sie nichts an, verdammt!«, kreischte der Anwalt, rasend vor Zorn.

»Das geht mich sehr wohl etwas an.« Puller wandte sich Isabel zu. »Bist du freiwillig hier?«

»Natürlich.«

»Sie haben es gehört. Und jetzt schaffen Sie Ihren Arsch hier raus«, brüllte Mason. »Sie sollten sich einen Anwalt suchen. Denn mir wird Ihre Militärpension und alles andere gehören, was Sie sonst noch haben, auch das Haus Ihrer Tante.«

»Was ist mit den Kinderfotos in Ihrer Brieftasche?«, fragte Puller. »Das schwarze und das asiatische Kind?«

»Woher wissen Sie davon?«

»Was sind das für Kinder?«

»Es sind meine Kinder«, explodierte Mason.

»Was?«

»Meine Ex und ich haben sie vor Jahren adoptiert. Sie sind jetzt beide erwachsen. Aber ich habe ihre Kinderbilder immer in meiner Brieftasche dabei. Nicht, dass Sie das irgendwas angeht …«

Carson räusperte sich. »Isabel, wie alt bist du?«

»Sechzehn«, erwiderte sie.

»Sag die Wahrheit, Isabel. Wir können es ganz leicht herausfinden. Aber es ist besser, du sagst es uns.«

Isabel zögerte. »Ich bin fast sechzehn. In anderthalb Jahren.«

Puller warf dem Anwalt einen angewiderten Blick zu. »Sie gehen mit einer Vierzehnjährigen ins Bett?«

»Sie hat mir gesagt, sie ist sechzehn! Schauen Sie sich doch ihre Titten an. Sie sieht aus wie achtzehn.«

»Wie viel bezahlt er dir?«, fragte Puller das Mädchen.

»Ich bezahle ihr gar nichts«, brüllte Mason. »Das hat nichts mit Prostitution zu tun.«

»Natürlich nicht. Sie ist nur hier, um einen alten fetten Sack zu vögeln, weil es viel cooler ist, als es mit den jungen Kerlen zu treiben.«

»Er schenkt mir was«, sagte Isabel.

»Zum Beispiel?«, wollte Carson wissen.

»Sag nichts, Isabel«, verlangte Mason. »Die wollen dich reinlegen. Ich rufe jetzt meinen Anwalt an.«

»Unzucht mit Minderjährigen ist Unzucht mit Minderjährigen«, bemerkte Puller. »Da gibt es keine Verteidigung.«

Mason trat einen Schritt zurück. »Hören Sie, wir können das klären. Das alles ist ein Missverständnis.«

»Das spielt keine Rolle. Sie wandern in den Knast, auch ohne die Unzucht mit Minderjährigen.«

»Was?« Mason sah verwirrt aus.

»Wir haben Ihren Betrug aufgedeckt.«

»Welchen Betrug?«

Puller blickte Ryon an, die wiederum Mason ansah.

»Ich habe sie mit dem Diebesgut aus den Häusern der alten Leute erwischt, die Ihnen vertraut haben«, erklärte Puller. »Sie hat Sie verpfiffen. Jetzt wissen wir, wie ein Nachlassanwalt sich einen Aston Martin leisten kann. Also sollten Sie sich lieber einen Anwalt nehmen.«

Mason starrte Puller ein paar Sekunden an, dann stürzte er sich auf Ryon. »Du dämliches Miststück!« Seine Hände fuhren an ihren Hals, und er drückte mit aller Kraft zu.

Puller riss ihn von Ryon los und schleuderte ihn gegen die Wand.

Nach Atem ringend, sank Ryon zu Boden. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich Todesangst.

Puller zerrte Mason die Hände auf den Rücken und legte ihm Plastikhandschellen an.

»Prima, jetzt kriegen wir Sie auch noch wegen Körperverletzung und versuchtem Mord dran. Danke für den Gefallen.«

»Du dämliche Schlampe!«, schrie Mason die schluchzende Ryon an.

»Ja, ja, wir haben es schon beim ersten Mal kapiert«, sagte Carson.

Puller packte den Anwalt am Hals. »Und vielleicht helfen Sie Ihren Opfern ein bisschen schneller ins Grab, damit Sie abkassieren können, Grif?«

Mason blickte ihn ausdruckslos an. »Was?«

»Cookie schwamm in seiner Badewanne. Sie waren da. Sie haben Ryon befohlen, seine kostbarsten Uhren zu holen. Das konnte nur funktionieren, wenn Cookie bereits tot war.«

»Ich habe ihn nicht umgebracht!«

»Ja, ist klar. Und meine Tante? Haben Sie ihr zu einem Kopfsprung in den Brunnen verholfen? Sie unter Wasser gedrückt?«

»Nein, verdammt, ich schwör’s bei Gott!«

»Wir wissen, dass Sie in Cookies Haus waren.«

»Okay, okay, ich war da. Zu einer Besprechung. Ich fand ihn tot vor.«

»Scheißdreck.«

»Nein. Er war wirklich tot. Deshalb habe ich Jane ja gesagt, sie soll ihren Hintern bewegen. Ich wollte die Uhren dort rausschaffen, bevor jemand das Haus betritt. Haben Sie eine Ahnung, was die wert sind?«

»Sparen Sie sich das für Ihre Verhandlung.« Puller wandte sich wieder Isabel zu. »Zieh dich an. Ich bringe dich nach Hause. Übrigens ist deine abuela ganz krank vor Sorge.«

»Ich habe mein eigenes Leben.«

»Wo sind Diego und Mateo?«

»Weiß ich nicht.«

»Hast du gewusst, dass sie vermisst werden?«

Trotzig starrte sie ihn an; dann zuckte sie mit den Schultern. »Die kommen schon wieder.«

»Zieh dich an«, sagte Puller leise und schloss die Tür.

Als sie Mason und Ryon nach draußen zerrten, summte Pullers Handy. Er las die SMS, die gerade eingetroffen war. Ihm klappte der Kiefer herunter.

»Verdammter Mist.«

»Was ist?«, wollte Carson wissen, während sie Ryon und Mason auf die Rückbank des Tahoe luden und die Türen zuschlugen.

Puller blickte sie über das Wagendach hinweg an.

»Die Gerichtsmedizinerin ist mit Cookies Autopsie fertig. Er wurde nicht ermordet. Er starb an einem geplatzten Aneurysma.«

»Also ist Mason gar kein Killer?«, sagte Carson.

»Und kein Pädophiler. Er ist nur Abschaum, der alte Menschen beklaut und minderjährige Mädchen ins Bett zerrt.« Puller seufzte und lehnte sich an das Autodach. »Also sind wir wieder ganz am Anfang.«

»Das gilt dann auch für Diego und Mateo.«

»Es gilt für alles«, sagte Puller leise und blickte auf die Uhr. Es war Viertel nach eins.

In diesem Augenblick wurde ihm schlagartig etwas klar. Vermutlich war dieses Wissen immer schon da gewesen, nur hatte er ihm bis zu diesem Augenblick keine Beachtung geschenkt.

»Was ist?«, fragte Carson.

Doch Puller hörte sie gar nicht. Ein Teil von ihm konnte es einfach nicht glauben. Ein anderer Teil schon. Aber er musste sichergehen. Er würde ein paar Anrufe machen müssen. Er würde graben müssen, wieder Ermittler sein müssen.

Wurde auch Zeit, dachte er. Höchste Zeit.

 

Am Limit
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