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Die Tür war nicht verschlossen. Drinnen war es dunkel. Puller leuchtete mit seiner Stiftlampe, um zu sehen, wohin er trat.
Technisch gesehen durfte er sich hier vermutlich gar nicht aufhalten, und er wollte auch keine Aufmerksamkeit darauf lenken, dass er es tat. Er überlegte, zu welchem Raum das Fenster gehörte, durch das jemand spioniert hatte.
Augenblicke später betrat er das Zimmer.
Jetzt hatte er die Bestätigung, dass es tatsächlich ein Schlafzimmer war. Wäre es ein Hotelzimmer gewesen, hätte er es sich niemals leisten können.
Er betrachtete das Bett. Es war gemacht, doch Puller war an die militärische Präzision rechter Winkel gewöhnt und an so straff gespannte Laken, dass ein daraufgeworfenes Geldstück hochfederte. So perfekt war dieses Bett nicht gemacht.
Und es hatte einen deutlich erkennbaren Makel.
In der Nähe des Fußteils zeichnete sich eine kleine Beule ab. Im spärlichen Licht war sie schwer auszumachen, in der Dunkelheit fast unsichtbar. Aber nicht für Puller.
Behutsam hob er die Bettdecke und leuchtete darunter.
Es war ein Damenslip. Er schoss ein Foto mit der Handykamera. Jemand hatte das Bett hastig gemacht und den Slip vergessen.
Puller zog die Bettdecke wieder zurecht und schaute zum Fenster. Die perfekte Sichtlinie.
Auf dem Nachttisch fielen ihm zwei Glasabdrücke auf, und er roch daran. Ein wenig Flüssigkeit war verschüttet worden. Puller war kein großer Trinker; trotzdem verriet ihm der Geruch, worum es sich handelte.
Scotch.
Das Lieblingsgetränk seines alten Herrn.
Als Nächstes sah er sich die Bettpfosten genauer an und entdeckte bei einem mehrere Kratzer. Fingernägel?
Er ging ins benachbarte Badezimmer und schaute sich Mülleimer, Toilettenartikel, Dusche und WC an. Im Zusammenspiel verrieten sie Puller eine Menge über das, was sich hier abgespielt hatte.
Als er das Haus verließ, entdeckte er es im vorderen Zimmer. Er richtete die Stiftlampe darauf.
Jemand hatte mit Filzstift auf die Wand geschrieben.
Deine Zeit läuft ab, Pete.
Puller blickte zurück zur Schlafzimmertür, dann wieder auf die Schrift. Er machte ein weiteres Foto mit der Handykamera.
Es war eine Botschaft, die noch direkter war, als ein sündhaft teures Auto in die Luft zu jagen.
Puller hatte nicht den geringsten Zweifel, dass diese Botschaft gesehen worden war. Und er war fest davon überzeugt, dass man sie entfernen würde. Bullock hatte sie nicht erwähnt, also hatte Lampert – falls er sich hier aufgehalten hatte – offensichtlich nicht gewollt, dass die Polizei davon erfuhr. Und es gab keinen Grund für die Polizei, das Gästehaus zu betreten.
Das hatte sie ja auch nicht getan.
Nur Puller.
Unauffällig verließ er das Haus und ging zurück zum Wrack des Bentley, wo Landry sich mit Bullock unterhielt.
Puller ging weiter zu dem forensischen Techniker, der in den Trümmern des Autos stocherte.
»Haben Sie schon die Quelle der Explosion gefunden?«
»Ein paar Teile.« Der Mann hielt eine Beweismitteltüte mit verbogenen Bruchstücken verbrannten Metalls in die Höhe. »Ich glaube, das hier war der Zünder. Genauer gesagt, Teile davon.«
Puller nahm die Tüte entgegen und betrachtete sie. Solche Fragmente hatte er schon mal gesehen, im Nahen Osten. Er hatte dort so viele selbst gemachte Bomben zu Gesicht bekommen, dass es ihm für alle Zeiten reichte. Außerdem hatte er die Überreste vieler explodierter Sprengsätze untersucht. Die meisten Bomben bestanden aus den gleichen Komponenten: Explosivstoffe, Zünder, Timer und Stromquelle. Aber verschiedene Bombenbauer hatten verschiedene Techniken – die Bombensignatur, wie man es nannte. Zum Schluss hatte Puller auf einen Blick feststellen können, welcher örtliche Bombenbauer einen bestimmten Sprengsatz konstruiert hatte.
Diese Zünderreste aber stammten nicht aus dem Nahen Osten. Zumindest entdeckte Puller hier nichts Bekanntes, und er war ziemlich sicher, dass er es erkannt hätte. Also stammte der Bomber nicht aus diesem Teil der Welt. Es wäre ohnehin schwer vorstellbar gewesen. Ein Dschihadist in Paradise, Florida? Das war ein bisschen zu viel Ironie.
Bullock und Landry gesellten sich zu ihm. Bullock zeigte auf die Beweistüte. »Fällt Ihnen etwas zu diesen Bombenresten ein?«
»Ich bin kein Experte, aber ich habe viele Bomben aus dem Nahen Osten gesehen, und die hier gehört nicht dazu. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, sie kommt eher aus Russland.«
»Russland!« Bullock wirkte entsetzt. »Russen, die im Panhandle Floridas Nobelkarossen in die Luft jagen?«
»Nicht unbedingt. Die Bombe mag von Russen gebaut worden sein, aber daraus folgert nicht, dass ein Russe sie gezündet hat. Die Russen verkaufen sie an jeden, der zu zahlen bereit ist.«
Er gab dem Techniker die Tüte zurück und betrachtete das Haupthaus. Es war der größte private Wohnsitz, den er je gesehen hatte. Allein das Gästehaus hatte ungefähr dreihundertsiebzig Quadratmeter. Wie viele hier insgesamt zusammenkamen, vermochte er nicht einmal zu schätzen. Vielleicht maßen sie es ja nicht in Quadratmetern, sondern in Hektar.
Peter Lampert musste wirklich sehr erfolgreich sein.
Aber seine Zeit lief ab, zumindest, wenn man der Botschaft im Gästehaus glauben wollte. Puller hatte sich bereits entschieden, Bullock und Landry nichts davon zu sagen. Er hätte das Gästehaus nicht betreten dürfen; hätte er ihnen von der Botschaft erzählt, hätte er sein Verhalten erklären müssen.
Puller zeigte auf das Haus. »Haben Sie die Leute schon befragt?«
»Das wollte ich gerade«, erwiderte Bullock. »Möchten Sie dabei sein?«
Puller musterte den Chief einen Augenblick lang. Weshalb war Bullock mit einem Mal so entgegenkommend, ja freundlich? Es erfüllte Puller mit Unbehagen. Bullocks Angebot ließ sogar Landry die Stirn runzeln.
»Okay, aber ich halte mich im Hintergrund«, sagte Puller schließlich.
»Wie Sie wollen. Aber wenn Ihnen etwas auffällt, sagen Sie’s. Bei dem ganzen Scheiß, der hier passiert, brauche ich sämtliche Hilfe, die ich kriegen kann. Sonst bin ich bald der ehemalige Polizeichef von Paradise.«
Sie gingen ins Haus, um Peter J. Lampert und sein Gefolge zu befragen.