81

Mecho wechselte den Reifen des Tahoe und stopfte das Loch im Tank, während Carson und Diaz Pullers Wunden verarzteten.

»Du brauchst trotzdem ärztliche Behandlung, Puller«, sagte Carson.

»Sie hat recht«, pflichtete Diaz ihr bei.

Puller zog das Hemd wieder an. »Zuerst schnappen wir uns die bösen Jungs, dann lasse ich mich zusammenflicken. Einverstanden?« Er warf Mecho einen Blick zu. »Sind Sie endlich fertig?«

Mecho zog noch einmal an der letzten Schraube und richtete sich dann auf, den Montierhebel in der Hand. »Fertig. Ich fahre.«

»Nein, ich«, sagte Puller. »Zeigen Sie mir die Richtung.«

Die Frauen setzten sich nach hinten, reinigten ihre Waffen und luden sie nach.

Mecho setzte sich neben Puller und beschrieb ihm die Route zum Lagerhaus.

»Können Sie mit Ihrer Wunde kämpfen?«, fragte Mecho dann, ohne einen Blick für ihn übrigzuhaben.

In der Frage lag kein Mitgefühl. Aber Puller erwartete und wollte auch keins. Mecho wollte lediglich über den körperlichen Zustand seiner Waffenbrüder Bescheid wissen. Er wollte wissen, ob er sich auf Puller verlassen konnte oder seine Schwächen kompensieren musste. Puller hätte im umgekehrten Fall das Gleiche wissen wollen.

»Ich habe ein Schmerzmittel genommen, das ich dabeihatte. Ich kann schießen, ich kann kämpfen, und ich kann Schmerzen ertragen. Also machen Sie sich wegen mir keine Sorgen. Ich leiste meinen Beitrag. Sie leisten den Ihren.«

»Was ist mit Ihrer Frau?«, fragte Mecho. »Kann sie kämpfen?«

»Was ist mit Ihrer Frau?«, fragte Puller. »Kann sie es?«

»Diaz wird das schon schaffen.«

»Carson auch.«

Die nächste Minute fuhren sie schweigend. Die einzigen Geräusche kamen von den Frauen, die die Waffen bereit machten.

Schließlich sagte Mecho: »Mein Name ist Gavril. Das ist mein Vorname. Mein Nachname würde Ihnen nichts sagen. Aber man nennt mich Mecho.«

»Sie sind Bulgare«, sagte Puller.

Mecho warf ihm einen Blick zu. »Woher wissen Sie das?«

»Damals im Irak habe ich zusammen mit einigen von ihnen gekämpft. Sie waren großartige Kämpfer und konnten jede andere Nationalität unter den Tisch trinken. Sogar die Russen.«

Mecho lächelte. »Die Russen halten Wodka für Gold. Aber das ist bloß parfümiertes Wasser. Das lässt einem nicht mal Haare auf der Brust wachsen.«

»Waren Sie beim Militär?«

Mechos Lächeln verblasste. »Früher mal. Dann haben die Dinge sich verändert.«

»Welche Dinge?«

Die Männer bemerkten nicht, dass Carson und Diaz mit ihrer Arbeit fertig waren und aufmerksam dem Gespräch lauschten.

»Natürlich gehörte Bulgarien nicht mehr dem Warschauer Pakt an. Aber manche Dinge verändern sich nie. Ich liebe mein Land. Es ist wunderschön, auch wenn die Menschen hart arbeiten müssen. Aber sie lieben ihre Freiheit, und sie sind gut. Leider bedeutet das nicht, dass auch jeder unserer Anführer gut ist und den Respekt des Volkes verdient. Und manchmal, wenn man ihnen nicht blindlings folgt, passiert einem was.«

»Waren Sie im Gefängnis?«

Mecho warf ihm einen scharfen Blick zu. »Wie kommen Sie darauf?«

»Weil die Sowjets gern so verfuhren. Und Bulgarien war lange Zeit Teil dieser Welt.«

»Ja«, sagte Mecho. »Länger, als ich wissen will.«

»Wie kommt es, dass Sie jetzt hinter Menschenhändlern her sind?«

»Ich komme aus einem kleinen Dorf im Südwesten meines Landes. Im Rila-Gebirge. Meine Familie lebt noch da. Es ist sehr abgelegen. Die Menschen müssen schwer arbeiten, und es verschlägt nur selten Fremde dorthin.«

»Aber es sind Fremde gekommen?«

Mecho nickte und schaute aus dem Fenster, damit man die Tränen nicht sehen konnte, die in seinen Augen schimmerten.

»Es kamen Männer. Sie versprachen ein besseres Leben für unsere jungen Leute. Und Bildung, Jobs. Alle möglichen guten Dinge. Sie nahmen ungefähr dreißig von ihnen mit.« Er hielt inne. »Meine jüngste Schwester war dabei. Wir sind eine große Familie. Sie ist viel jünger als ich. Sie war erst sechzehn, als sie ging.« Wieder hielt er inne. »Nein, nicht als sie ging. Als man sie verschleppt hat.«

»Es waren Menschenhändler«, sagte Puller.

Mecho nickte. »Sie glaubten, ein kleines Dorf in den bulgarischen Bergen würde nicht zurückschlagen. Ich hätte es niemals zugelassen, aber ich war nicht da, als es passierte. Ich habe viel von der Welt gesehen, die Leute in meinem Dorf aber nicht. Sie sind vertrauensselig. Nachdem ich zurückgekehrt war und herausgefunden hatte, was passiert war, habe ich meine Schwester und die anderen gesucht.«

»Wie heißt Ihre Schwester?«, fragte Carson, die eine Hand auf Mechos große Schulter gelegt hatte.

»Rada. Hier, das ist sie.«

Er brachte ein Foto zum Vorschein und hielt es Carson hin. Sie betrachtete es aufmerksam.

»Sie ist sehr schön«, sagte sie schließlich, und Diaz nickte beipflichtend.

»Ja. Gar nicht wie der Rest der Familie«, sagte Mecho. »Die anderen sehen mehr wie ich aus. Groß und hässlich.«

»Du bist nicht hässlich, Mecho«, sagte Diaz. »Du bist ein Mann, der versucht, das Richtige zu tun. Es gibt nichts Attraktiveres.«

»Und Sie haben die Leute aus dem Dorf bis zu Lampert verfolgt?«, fragte Puller.

Diaz antwortete, während Mecho das Foto von Rada wieder in Empfang nahm und stumm darauf blickte. »Wir haben uns unterhalten«, sagte sie. »Tatsächlich hat er die Sache von der anderen Seite aufgerollt. Durch Stiven Rojas.«

»Rojas«, rief Carson aus. »Er steht ganz oben auf unserer Liste der meistgesuchten Verbrecher. Er wurde sogar als nationales Sicherheitsrisiko eingestuft. Ist er in die Sache verwickelt?«

»Er sammelt die Ware ein – die Leute, die dann in dieses Land geschafft werden«, sagte Diaz. »Lampert übernimmt sie hier. Er hat überall Käufer und bringt die Menschen zu ihnen. Man sortiert sie in drei Hauptkategorien. Prostituierte sind die wertvollsten. Dann kommen die Drogenkuriere. Dann die gewöhnlichen Arbeiter.«

»Sie tragen unterschiedliche Farben, mit denen ihre Kategorie bezeichnet wird«, fügte Mecho hinzu. »Ich habe es beobachtet.«

Diaz nickte.

Puller sagte: »Wir haben es heute Nacht gesehen.«

»Und Sie sagen, er hat Käufer in den Vereinigten Staaten? Für Sklaven?«, sagte Carson.

»Sklavenhandel war noch nie lukrativer«, sagte Diaz. »Da Regierungen härter gegen Drogen und Waffen vorgehen, wird das immer populärer. Man braucht Menschen, um Drogen zu befördern. Man braucht Huren, um Geld zu verdienen. Und man braucht Leute für die Feldarbeit und die Fabriken. Wenn man ihnen nichts oder nur sehr wenig bezahlt, steigert das den Nettogewinn.«

»Aber man kann solche Leute doch nicht eingesperrt halten. Prostituierte, Drogenkuriere, Arbeiter. Warum hauen sie nicht einfach ab? Amerika ist ein großes Land«, meinte Puller. »Und es ist immer ein Polizist in der Nähe.«

»Weil man ihnen sagt, dass man bei einem Fluchtversuch oder dem Versuch, die Behörden zu informieren, ihre Familien umbringt«, erklärte Mecho.

Diaz musterte ihn neugierig. »Woher weißt du das?«

»Ich habe mich mit zwei von Lamperts Männern unterhalten. Sie haben es mir erzählt. Und sein Dienstmädchen … das wenige, was sie mir erzählt hat, hat mir klargemacht, dass sie eine Sklavin ist. Sie hat Angst um ihre Familie. Und Lampert hatte Sex mit ihr.«

Während er das sagte, schaute Mecho zu Diaz, aber sie wurde rot und sah schnell weg.

»Sie haben sich mit zwei von Lamperts Männern unterhalten?«, fragte Puller. »Waren das die beiden, die im Plaza wohnten?«

Mecho antwortete nicht, was Puller als Antwort reichte.

»Also haben Sie die beiden einfach umgebracht?«

»Das waren keine Menschen. Nicht mehr.«

»Sie haben sie trotzdem ermordet.«

»Haben Sie noch nie getötet?«

»Ich habe noch nie jemanden ermordet

»Das können wir später klären«, meinte Diaz.

Puller schwieg einen Moment. Dann fragte er: »Wissen Sie etwas über den Tod einer alten Dame und eines alten Ehepaares, Mecho?«

»Als ich hierhergekommen bin, habe ich beobachtet, wie ein altes Paar am Strand getötet wurde.«

Puller warf ihm einen scharfen Blick zu. »Am Strand? Haben Sie den Mörder erkannt?«

Mecho schüttelte den Kopf. »Nein. Aber es war nur einer. Er hat die Leute durch Kopfschüsse getötet und die Leichen einfach ins Wasser geworfen. Die Ebbe hat sie dann ins Meer gezogen.«

»Und Sie haben das einfach zugelassen?«, fragte Puller.

»Ich konnte nichts tun. Es ging zu schnell.«

»Die Leichen wurden also ins Meer gespült«, nahm Carson den Faden wieder auf. »Und der Mörder? War er ein Mann? Groß oder klein? Weiß oder schwarz?«

»Nicht besonders groß. Und die Hautfarbe konnte ich nicht deutlich erkennen, aber ich glaube, er war weiß. Und schlank, aber offensichtlich sehr kräftig.«

»Und Sie haben Lamperts Bentley in die Luft gejagt«, sagte Puller.

Verblüfft sah ihn Mecho an. »Woher wissen Sie das?«

»Sie haben große Füße.«

»Das kann doch alles warten«, sagte Diaz. »Wir müssen uns auf das vorbereiten, was in den nächsten Minuten auf uns zukommt.«

Mecho nickte. »Das Lagerhaus. Dort halten sie die Sklaven gefangen. Da fahren die Lastwagen hin.«

»Dann sollten wir die Polizei rufen«, sagte Carson.

»Nein«, widersprach Diaz. »Lampert und Rojas haben überall ihre Leute. Wir können der Polizei nicht vertrauen.«

»Dann das Militär. Eglin liegt gleich um die Ecke.«

»Bis die jemanden schicken können, ist es zu spät«, beharrte Diaz.

Puller kam ein Gedanke. »Sie sagten, das sei eine gemeinsame Aktion mit den USA. Haben Sie vielleicht mit Männern zusammengearbeitet, die nach Militärangehörigen aussahen und einen Chrysler fuhren?«

»Ja«, antwortete Diaz. »Sie haben mir von ihrem Zusammenstoß mit einem Amerikaner berichtet. Ich schätze, damit waren Sie gemeint.«

»Vermutlich. Haben diese Männer mich oder meine Tante beschattet?«

»Eines Nachts war ihnen in der Nähe des Übergabeorts ein Wagen aufgefallen, der Ihrer Tante gehörte. Sie haben ihn bis zu ihr zurückverfolgt. Dann wurde sie ermordet. Und die Männer nahmen ihre Beobachtungen auf.«

»Wo sind sie jetzt?«, fragte Puller.

»Nach ihrem Zusammenstoß mit Ihnen wurden sie versetzt. Es sind noch keine neuen Leute eingetroffen.«

»Toll«, murmelte Puller.

»Okay, beschreiben Sie uns das Lagerhaus, Mecho«, sagte Carson. »Falls sie noch da sind, müssen wir schnell und hart zuschlagen.«

»Wir werden schnell und hart zuschlagen«, sagte Mecho. »Und wir werden töten, wenn es sein muss.« Er sah Puller an. »Es sei denn, Sie haben ein Problem damit, Menschenhändler zu eliminieren.«

»Nein«, erwiderte Puller. »Nicht wenn sie versuchen, mich zu ermorden.«

»Darauf können Sie sich verlassen«, sagte Mecho.

 

Am Limit
cover.html
978-3-641-13974-2.xhtml
978-3-641-13974-2-1.xhtml
978-3-641-13974-2-2.xhtml
978-3-641-13974-2-3.xhtml
978-3-641-13974-2-4.xhtml
978-3-641-13974-2-5.xhtml
978-3-641-13974-2-6.xhtml
978-3-641-13974-2-7.xhtml
978-3-641-13974-2-8.xhtml
978-3-641-13974-2-9.xhtml
978-3-641-13974-2-10.xhtml
978-3-641-13974-2-11.xhtml
978-3-641-13974-2-12.xhtml
978-3-641-13974-2-13.xhtml
978-3-641-13974-2-14.xhtml
978-3-641-13974-2-15.xhtml
978-3-641-13974-2-16.xhtml
978-3-641-13974-2-17.xhtml
978-3-641-13974-2-18.xhtml
978-3-641-13974-2-19.xhtml
978-3-641-13974-2-20.xhtml
978-3-641-13974-2-21.xhtml
978-3-641-13974-2-22.xhtml
978-3-641-13974-2-23.xhtml
978-3-641-13974-2-24.xhtml
978-3-641-13974-2-25.xhtml
978-3-641-13974-2-26.xhtml
978-3-641-13974-2-27.xhtml
978-3-641-13974-2-28.xhtml
978-3-641-13974-2-29.xhtml
978-3-641-13974-2-30.xhtml
978-3-641-13974-2-31.xhtml
978-3-641-13974-2-32.xhtml
978-3-641-13974-2-33.xhtml
978-3-641-13974-2-34.xhtml
978-3-641-13974-2-35.xhtml
978-3-641-13974-2-36.xhtml
978-3-641-13974-2-37.xhtml
978-3-641-13974-2-38.xhtml
978-3-641-13974-2-39.xhtml
978-3-641-13974-2-40.xhtml
978-3-641-13974-2-41.xhtml
978-3-641-13974-2-42.xhtml
978-3-641-13974-2-43.xhtml
978-3-641-13974-2-44.xhtml
978-3-641-13974-2-45.xhtml
978-3-641-13974-2-46.xhtml
978-3-641-13974-2-47.xhtml
978-3-641-13974-2-48.xhtml
978-3-641-13974-2-49.xhtml
978-3-641-13974-2-50.xhtml
978-3-641-13974-2-51.xhtml
978-3-641-13974-2-52.xhtml
978-3-641-13974-2-53.xhtml
978-3-641-13974-2-54.xhtml
978-3-641-13974-2-55.xhtml
978-3-641-13974-2-56.xhtml
978-3-641-13974-2-57.xhtml
978-3-641-13974-2-58.xhtml
978-3-641-13974-2-59.xhtml
978-3-641-13974-2-60.xhtml
978-3-641-13974-2-61.xhtml
978-3-641-13974-2-62.xhtml
978-3-641-13974-2-63.xhtml
978-3-641-13974-2-64.xhtml
978-3-641-13974-2-65.xhtml
978-3-641-13974-2-66.xhtml
978-3-641-13974-2-67.xhtml
978-3-641-13974-2-68.xhtml
978-3-641-13974-2-69.xhtml
978-3-641-13974-2-70.xhtml
978-3-641-13974-2-71.xhtml
978-3-641-13974-2-72.xhtml
978-3-641-13974-2-73.xhtml
978-3-641-13974-2-74.xhtml
978-3-641-13974-2-75.xhtml
978-3-641-13974-2-76.xhtml
978-3-641-13974-2-77.xhtml
978-3-641-13974-2-78.xhtml
978-3-641-13974-2-79.xhtml
978-3-641-13974-2-80.xhtml
978-3-641-13974-2-81.xhtml
978-3-641-13974-2-82.xhtml
978-3-641-13974-2-83.xhtml
978-3-641-13974-2-84.xhtml
978-3-641-13974-2-85.xhtml
978-3-641-13974-2-86.xhtml
978-3-641-13974-2-87.xhtml
978-3-641-13974-2-88.xhtml
978-3-641-13974-2-89.xhtml
978-3-641-13974-2-90.xhtml
978-3-641-13974-2-91.xhtml
978-3-641-13974-2-92.xhtml
978-3-641-13974-2-93.xhtml
978-3-641-13974-2-94.xhtml
978-3-641-13974-2-95.xhtml
978-3-641-13974-2-96.xhtml
978-3-641-13974-2-97.xhtml
978-3-641-13974-2-98.xhtml
978-3-641-13974-2-99.xhtml
978-3-641-13974-2-100.xhtml
978-3-641-13974-2-101.xhtml