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Als Puller das Gebäude verließ, betrat es ein anderer Mann. Als ihre Wege sich kreuzten, tat Puller etwas, das er so gut wie nie tun musste, wenn er anderen Menschen begegnete.

Er schaute nach oben.

Es war derselbe Mann, den er bei seiner Mahlzeit an der Strandpromenade auf der Ladefläche des Lastwagens der Landschaftsgärtnerei gesehen hatte.

Aus unmittelbarer Nähe sah der Mann noch größer und einschüchternder aus. Nie zuvor hatte Puller einen so perfekt proportionierten Körper gesehen. Der Bursche hätte als Modell für ein Rekrutierungsposter für Superhelden dienen können. Als die beiden Männer aneinander vorbeigingen, musterten sie den jeweils anderen von der Seite. Geübt und unauffällig hielten sie nach Details Ausschau, die für Nichteingeweihte – also fast jeden auf dem Planeten – nicht offensichtlich waren.

Puller beeindruckte nicht nur der Körperbau des anderen, auch die Präzision seiner Beobachtungen, die in seinen Augen abzulesen war. Es war offensichtlich, dass der Mann ihn wiedererkannte, obwohl ihre Blicke sich zuvor nur sekundenlang getroffen hatten. Um diese Art des Wiedererkennens zustande zu bringen, musste man entsprechend ausgebildet sein.

Puller musterte den Mann von oben bis unten. Er trug die Uniform einer Landschaftsgärtnerei. Dunkelgrünes, schweißgetränktes T-Shirt und dunkelblaue Hose. Neu aussehende Arbeitsschuhe, geschätzte Größe einundfünfzig.

Also hatte der Riese entweder ein neues Paar Schuhe bekommen, was unwahrscheinlich schien, oder er hatte gerade erst bei der Firma angefangen. Das T-Shirt spannte sich viel zu eng um seinen Oberkörper. Der dünne Stoff enthüllte jeden Muskel. Er sah aus wie eine dieser Anatomietafeln, die in Arztpraxen an der Wand hingen.

Puller schloss daraus, dass man vermutlich kein passendes T-Shirt für diesen Mann gehabt hatte. Nur wenige Firmen hatten passende Uniformen für über zwei Meter große Arbeiter.

Als sie aneinander vorbei waren, blickte Puller instinktiv zurück. Es überraschte ihn nicht besonders, dass der andere das Gleiche tat. Sein Blick war nicht drohend, nur wachsam, neugierig, abschätzend.

Puller ging zur Garage, holte seinen Wagen und fuhr los.

Planquadrat für Planquadrat fuhr er Paradise ab und prägte sich so viele Einzelheiten ein, wie er konnte. Schließlich fuhr er auf einen Parkplatz, stellte den Motor ab, lehnte sich zurück und dachte über den Brief seiner Tante nach.

Leute, die nicht waren, was sie zu sein schienen.

Mysteriöse Geschehnisse in der Nacht.

Etwas stimmte nicht.

Puller zerlegte die Dinge mithilfe der Logik in ihre Einzelteile, wie das Militär es ihn jahrelang gedrillt hatte. Auf diese Weise ging er mittlerweile alles im Leben an, selbst Dinge, die nicht unbedingt logisch waren.

Familie, zum Beispiel.

Gefühle.

Beziehungen.

Mit Logik an so etwas heranzugehen war ein sicheres Rezept für lebenslangen Kummer.

Eigentlich die Geschichte seines Lebens.

Puller dachte über die erste Beobachtung seiner Tante nach.

Leute, die nicht waren, was sie zu sein schienen.

Abgesehen von Cookie kannte er keinen von Tante Betsys Bekannten, und Cookie war allem Anschein nach harmlos; er war genau als das erschienen, was er zu sein schien.

Aber es konnte andere Nachbarn geben, auf die Betsy sich mit ihrer Bemerkung bezogen hatte. Puller würde sie alle überprüfen müssen. Da war Jane Ryon, die Pflegerin. Sie würde er sich auf jeden Fall genauer anschauen müssen. Auch Mason, den Anwalt. Möglicherweise noch andere.

Er konzentrierte sich auf die zweite Beobachtung in dem Brief.

Mysteriöse Geschehnisse in der Nacht.

Geschehnisse, Plural. In der Nacht. Meinte sie mysteriöse Geschehnisse in ihrer Nachbarschaft? Falls ja, war einer ihrer Nachbarn in diese Geschehnisse verwickelt? Puller war die Gegend wie ein ganz normales Viertel erschienen, in dem mysteriöse Geschehnisse eher selten vorkamen. Aber seine Tante war tot, und das warf offensichtlich ein neues Licht auf die Dinge.

Schließlich dachte er über die dritte Beobachtung Tante Betsys nach.

Etwas stimmte nicht.

Dafür gab es viele Interpretationen. Puller konnte da auf seine Erfahrungen mit seiner Tante zurückgreifen. Sie war einer der nüchternsten Menschen gewesen, die er gekannt hatte; wenn sie so etwas sagte oder schrieb, glaubte sie es auch. Sie hatte nie voreilige Schlüsse gezogen. Natürlich bestand die Möglichkeit, dass das Alter diese Charakterzüge verändert hatte, aber irgendwie konnte Puller sich das nicht vorstellen. Sie waren viel zu tief in den Genen seiner Familie verwurzelt.

Er musste davon ausgehen, dass alles, was in dem Brief stand, den Tatsachen entsprach. Und wenn Betsy auf irgendetwas gestoßen war – und die Leute, die damit zu tun hatten, hatten es herausgefunden –, war dies ein hervorragendes Motiv, Betsy aus dieser Welt zu entfernen. Falls es so gelaufen war, würde Puller es den Verantwortlichen heimzahlen. Er würde entweder für eine lange Gefängnisstrafe oder ein verfrühtes Ableben sorgen.

Da Puller die Möglichkeiten ausgeschöpft hatte, die sich auf seine bisherigen begrenzten Ermittlungen stützten, stieg er aus dem Wagen und ging über die Uferpromenade zum Strand. Es war fast halb sieben. Das Café, in dem er sich mit Timmins treffen wollte, befand sich in der Nähe. Er beschloss, ein paar Schritte durch den Sand zu gehen, um noch ein wenig nachzudenken, während die Wellen ans Ufer spülten.

Ein paar Leute waren am Strand. Einige machten Powerwalking mit den typischen übertriebenen Arm- und Beinbewegungen, andere spazierten Arm in Arm, wieder andere hatten ihre Hunde dabei und warfen Tennisbälle und Frisbees, die ihre vierbeinigen Gefährten holen sollten.

Puller ließ den Blick vom Meer zur Uferpromenade und darüber hinaus schweifen. Es gab Teile von Paradise, die diesem Namen alle Ehre machten, während andere Ecken der Stadt kein bisschen zu dem Namen passten; das hatte Puller schon in der relativ kurzen Zeit seines Aufenthalts erkannt.

Ein interessanter Ort, ging es ihm durch den Kopf.

Als er sah, was sich ein Stück vor ihm abspielte, schritt er schneller aus. Er wusste nicht, ob es etwas mit dem Tod seiner Tante zu tun hatte, aber im Augenblick interessierte ihn alles, was in Paradise ungewöhnlich erschien.