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Peter Lampert lehnte sich im Ledersessel zurück, der in seinem Büro auf der Lady Lucky stand. Hier umgab ihn nur das Beste vom Besten: das beste Boot, die beste Ausrüstung, die beste Mannschaft, der beste Wein, der beste Ausblick und der beste Hintern, der sich für Geld kaufen ließ.
Aber es war ein langer Weg für ihn gewesen. South Beach war ein schwieriges Pflaster, wenn man überleben wollte, und erst recht, wenn es darum ging, ein erfolgreiches Geschäft aufzubauen. Lampert hatte es lange Zeit auf legale Weise versucht. Aber am Ende hatte er die vielen Regeln und Bestimmungen und Gesetze, die einen zu Fall bringen konnten, als zu einschränkend empfunden. Es gefiel ihm nicht, wenn Regulierungsbehörden einem über die Schulter blickten. Er kannte keinen Geschäftsmann, dem das gefiel.
Nachdem sein Hedgefond implodiert war, hatte er sich nach reiflicher Überlegung für ein anderes Geschäftsmodell entschieden. Und so hatte er seine Talente einem anderen Tätigkeitsfeld gewidmet. Er hatte bewährte Geschäftsmethoden auf einem Markt eingeführt, der sich oft nur auf brutale Gewalt und oberflächliche Buchführung stützte.
Und er hatte ein unglaublich profitables Imperium geschaffen, indem er Gebühren in Rechnung stellte, die sich am Gewinn orientierten. Wie Tantiemen bei Buchverkäufen. Er berechnete ein Standardhonorar im Voraus, um die Ware zu finden und zum Endverbraucher zu befördern. Erreichte die Ware bei ihrem Einsatz gewisse Richtwerte, strömte zusätzlicher Gewinn in seine Kasse.
Erzielte eine Prostituierte sechsstellige Einkünfte, bekam er Geld. Absolvierte ein Drogenmuli zehn erfolgreiche Missionen, bekam er Geld. Die einfachste Ware, der gemeine Arbeiter, musste normalerweise einen bescheideneren Richtwert erreichen, weil seine Grundkosten am niedrigsten waren. Aber die von den Arbeitern erbrachten Gewinne summierten sich, weil so viele im Einsatz waren. Und Umsatz war Umsatz.
Sklavenarbeit war in zivilisierten Ländern eines der am schnellsten wachsenden Marktsegmente der Verbrechenswelt. Nicht dass Lampert daran irgendetwas kriminell fand. Seiner Meinung nach tat er diesen armen Leuten einen Gefallen. Als Sklaven bekamen sie zu essen, eine Unterkunft und führten ein anständiges Leben, auch wenn sie nicht frei waren.
Er hatte diese Menschen oft aus Gegenden holen lassen, in denen es nie genug Nahrung gab und wo sie niemals ein Dach über dem Kopf hatten. Und von bezahlter Arbeit konnten sie nicht einmal träumen.
Lampert war der Meinung, dass Freiheit hoffnungslos überbewertet wurde.
An strategischen Punkten hatte er Buchhalter platziert, die vollen Zugang zu den Büchern seiner Partner hatten. Diese Partner, die häufig keine besonders kooperativen Leute waren, hatten sich mit Lamperts Forderungen nur deshalb einverstanden erklärt, weil er das Geschäft bedeutend lukrativer und stabiler gemacht hatte, als es je gewesen war. Und er garantierte einen nicht abreißenden Warenfluss in sämtlichen Kategorien. Was der kritischste Faktor seines Geschäfts war. Denn dazu war ein ununterbrochener Warennachschub aus einigen der abgelegensten Gegenden der Welt erforderlich. Dieser Teil des Geschäfts erlaubte nicht den geringsten Spielraum für Fehler.
Genau aus diesem Grund hielt jedes Boot, das die Ware zu spät brachte, sich nicht mehr lange auf dem Wasser. Ebenso wenig der Captain und dessen Mannschaft.
Lampert schaute aus dem Steuerbordfenster und warf einen Blick auf die Uhr. Dann konzentrierte er sich wieder auf den Computerbildschirm, auf dem ein Strom von Geschäftsdaten über sichere Netzwerke floss.
Seine Vergnügungen waren grenzenlos, aber er schuftete auch schwer. Es war nicht einfach, das aufzubauen, was er geschaffen hatte. Die meisten Menschen hätten dazu weder die Nerven noch den Magen gehabt. Er war an den Ufern des Lake Michigan mit einem Silberlöffel im Mund geboren worden. Sein Vater war Vorstandsvorsitzender eines Fortune-500-Unternehmens gewesen, seine Mutter ein wunderschöne Angehörige der feinen Gesellschaft, die in ihren vielen Häusern oft und großzügig Gäste bewirtet hatte. Seine Eltern hatten das Leben geführt, von dem die meisten Amerikaner träumten.
Er, Lampert, hatte die elitärsten Universitäten besucht und zusammen mit vielen seiner Kommilitonen seine Zelte in der Wall Street aufgeschlagen. Viele waren mittlerweile Industriegiganten und zogen es vor, das Geld und den Einfluss, den dies mit sich brachte, in überschaubaren und bestens kontrollierten gesellschaftlichen Kreisen zu halten, also bei Leuten, die genauso waren wie sie selbst. Es war in Ordnung, wenn die breite Masse von der Möglichkeit sozialen Aufstiegs redete, aber Menschen von Lamperts gesellschaftlichem Status nahmen dieses Gefasel gar nicht ernst. Der Kuchen hatte nun mal eine begrenzte Größe. Warum ihn mit Leuten teilen, die nicht die gleichen Werte teilten?
Die gleiche Vision der Zukunft?
Die gleiche Studentenverbindung?
Die meisten Menschen verstanden einfach nicht, dass es die Risikofreudigen gewesen waren, die Amerika groß gemacht hatten. Angeblich hatten die Reichen sich fast das gesamte Einkommen und damit den gesamten Reichtum angeeignet, der im letzten Jahrzehnt erwirtschaftet worden war. Nun, dachte Lampert, das sollten sie auch. Es war richtig und gerecht. An der Einkommensungleichheit stimmte nur eines nicht: Sie war nicht ungleich genug.
»Wir sind die 99 Prozent«, nannte sich die Besetzt-die-Wall-Street-Bewegung. Nun, diese 99 Prozent waren Schafe und genau dort, wo sie hingehörten. Sie waren die Spieler, die zuletzt in die Mannschaft gewählt wurden. Von ihnen gab es Abermilliarden, und sie sahen alle genau gleich aus. Das eine verbleibende Prozent verdiente alles, weil sie die Elite waren. Sie waren etwas Besonderes. Sie führten die Welt zu neuen Höhen.
Es kümmerte Lampert nicht im Mindesten, dass er auf der falschen Seite des Gesetzes agierte. Die Leute wollten Huren, Drogen und Sklavenarbeiter. Also gab es eine Nachfrage. Und er befriedigte diese Nachfrage. Nicht mehr, nicht weniger. So wie die Tabakindustrie, die Pornobranche, die Fast-Food-Filialen und die Spielkasinos das Verlangen und die Süchte der Menschen befriedigten. Dieses einfache Modell funktionierte seit Beginn der dokumentierten Geschichte.
Befriedige die Bedürfnisse deiner Mitmenschen, so energisch du kannst.
Zehn Minuten später überprüfte er wieder die Zeit und schaute aus dem Fenster. Es wurde dunkel. Gut.
Eine Stunde später hörte er das Dröhnen.
Er stand auf, blickte wieder aus dem Fenster. Die Positionslichter des Hubschraubers näherten sich. Er kam vom Golf, wo ein noch größeres Schiff als Lamperts vor Anker lag.
Ein paar Minuten später fühlte er, wie die Kufen des Hubschraubers den Helikopterlandeplatz am Heck der Jacht berührten. Der Pilot nahm Gas zurück. Auch wenn der Lärm der Motoren alles übertönte, konnte Lampert sich vorstellen, wie sich die Luke des Fluggeräts öffnete und wieder schloss.
Er setzte sich, legte die Finger aneinander und wartete, zählte im Geist die Sekunden.
Die Bürotür öffnete sich, und ein Mann trat ein, eskortiert von einem der Sicherheitsleute Lamperts.
Mit einem knappen Nicken entließ Lampert den Wächter, der die Tür hinter sich schloss.
Der Besucher war ungefähr eins siebzig groß und kompakt gebaut. Sein Kopf erschien selbst für seine muskulöse Gestalt zu groß.
Lampert wusste, dass eine Menge in diesem Kopf steckte.
Der Mann war ganz in Schwarz gekleidet. Seine Schuhe hatten dicke Absätze, damit er größer wirkte, als er war. Es war eine aufschlussreiche Beobachtung, dass ein so mächtiger Mann sich bemüßigt fühlte, seine Größe künstlich zu erhöhen.
Der Mann nickte Lampert zu und nahm ihm gegenüber Platz.
»Hatten Sie eine gute Reise?«, fragte Lampert.
Der Mann zog eine Zigarette aus der Hemdentasche und entzündete sie, ohne zu fragen, ob es gestattet war. Doch Lampert hätte den Entschluss des Mannes, in seinem schwimmenden Palast zu rauchen, ohnehin niemals infrage gestellt.
Peter Lampert fürchtete nicht viele Menschen.
Doch den Mann, der ihm gegenübersaß, fürchtete er.
»Eine Reise, bei der man das Ziel sicher erreicht, ist de facto eine gute Reise«, erwiderte der Mann mit einem Akzent, der erkennen ließ, dass Englisch nicht seine Muttersprache war.
»Die Dinge laufen bestens«, sagte Lampert.
»Sie könnten besser laufen«, erwiderte der Mann, blies Rauch aus und beobachtete, wie er zu der Decke mit den aufwendigen Schnitzereien trieb.
»Die Dinge könnten immer besser laufen«, meinte Lampert und lehnte sich ein Stück nach vorn.
Der Mann klopfte seine Zigarettenasche an der Stuhllehne ab und ließ sie achtlos zu Boden fallen.
Lampert reagierte nicht darauf.
»Die Dinge könnten besser laufen«, wiederholte der Mann. »In Paradise, zum Beispiel, gab es einige Morde. Die Polizei untersucht sie. Ihr Wagen wurde in die Luft gejagt. Die Polizei untersucht auch das.« Er verstummte, starrte Lampert über den breiten Schreibtisch hinweg an.
Lampert verzog keine Miene. »Es mussten Schritte eingeleitet werden. Die Auswirkungen sind nun mal unvermeidlich. Die Ermittlungen werden in einer Sackgasse enden.« Er mochte sich vor dem Mann fürchten, aber er konnte sich diese Furcht unmöglich anmerken lassen. Und bei Diskussionen hatte er noch nie klein beigegeben.
»Es ist Ihre Meinung, dass die Untersuchung in eine Sackgasse führt.« Der Mann ließ ihn keine Sekunde aus den Augen, während er das benutzte Streichholz zwischen zwei Fingern verbog.
»Meine durch Fakten gestützte Meinung, die auf den Verhältnissen vor Ort beruht.«
»Und wenn Sie sich irren?«
»Das glaube ich nicht.«
»Und wenn doch?«
»Dann wird es Konsequenzen haben.«
»Ja. Für Sie.«
»Dann bin ich ja ausreichend motiviert, dafür zu sorgen, dass ich recht habe.«
Der Mann lehnte sich ein Stück nach links, wobei das kostbare Leder ächzte. »Gut. Kommen wir zu etwas anderem. Es wird schwieriger, die Ware zu besorgen. Der Preis muss steigen. Sie werden das allen mitteilen.«
»Um wie viel?«
»Zehn Prozent. Vorerst. Und dann legen Sie bei jeder Kategorie weitere fünf Prozent drauf.«
»Für die oberste Kategorie wäre das also eine Erhöhung um zwanzig Prozent?«
»Korrekt.«
»Das ist eine Menge.«
»Es könnte mehr sein. Aber ich bin ein vernünftiger Mann.«
»Das wird mich einiges kosten.«
Der Mann betrachtete die luxuriöse Einrichtung der Jacht. »Sie werden es überstehen.«
»Vermutlich.«
»Solange Ihre durch Fakten gestützte Meinung sich als richtig erweist. Geld ist nicht alles.«
Lampert lächelte. »Da würde ich Ihnen widersprechen. Geld ist alles, denn es öffnet die Tür zu allen anderen Dingen, die für einen persönlich von Wert sind.«
»Möchten Sie mein Schiff sehen? Ich habe ein neues U-Boot. Es kann mehr als dreißig Personen aufnehmen. Die hiesige Unterwasserwelt ist faszinierend.«
»Ich würde Ihr Angebot gern annehmen, aber habe hier einfach zu viel um die Ohren.« In Gedanken fügte er hinzu: Und ich habe keine Lust, Teil der Unterwasserwelt zu werden.
Der Mann stand auf. »Jemand, der Bentleys in die Luft jagt und dann wie eine Rauchwolke verschwindet, flößt Respekt ein. Das war eine Botschaft.«
»Ja, allerdings. Vielleicht war sie sogar direkter, als Sie wissen.«
»Und haben Sie die Antwort?«
»Die ist in diesem Augenblick in Arbeit.«
»Darf ich Ihnen einen Rat geben?«
Lampert blickte ihn erwartungsvoll an. »Den würde ich zu gern hören.«
»Rauch deutet häufig auf ein großes Feuer hin, das zu einem Flächenbrand werden kann.« Er hielt inne und drückte die Zigarette auf der Oberfläche von Lamperts Schreibtisch aus, dessen spezielle Anfertigung vierzigtausend Dollar gekostet hatte. »Also arbeiten Sie schneller.«
Im nächsten Augenblick war er verschwunden.
Wie eine Rauchfahne, die aufs Meer getrieben wurde.