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Schweiß rann ihm über den Nacken.
Um acht Uhr morgens arbeitete er bereits seit einer Stunde. Es waren jetzt schon siebenundzwanzig Grad; im Laufe des Tages sollte es noch zehn Grad heißer werden.
Er war wieder auf demselben Anwesen. Man hatte ihm gesagt, das Gelände sei so groß, dass man jeden Tag einen Gärtner brauchte. Er hatte dafür gesorgt, den Auftrag zu bekommen. Dafür hatte Geld den Besitzer gewechselt, und es waren Versprechungen an Leute gemacht worden, denen es völlig egal war, warum er gerade dorthin wollte. Für sie war es nur ein Austausch. Und wenn man mit Leuten zu tun hatte, die wenig Geld besaßen, wurden Tauschgeschäfte zu einer Lebensart. Soweit es diese Leute betraf, wollte er das Haus ausspionieren, um es später berauben zu können. Und Männer, die die Reichen bestahlen, waren ihnen egal. Die Reichen hatten sowieso alles. Sie würden einfach mehr Geld drucken.
Er war bloß ein Arbeiter, der für andere schuftete. Man zahlte ihm einen Lohn, der ihn kaum über Wasser hielt. Und er war nur einen Arbeitsunfall davon entfernt, obdachlos zu werden.
Aber damit beschrieb er mehr die Lebensumstände seiner Kollegen, nicht die seinen. Für ihn hatte Geld keine Bedeutung. Er war hier, um seine eigenen Ziele zu verfolgen, und nichts weiter. Wenn er fertig war, würde er gehen.
Es sei denn, er war tot. Dann würde er für alle Ewigkeit im Paradies bleiben.
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und stutzte die Hecke weiter. Der Besitzer verlangte präzise gestutzte Sträucher und Hecken. Doch bei der Arbeit konzentrierte er sich auch auf das, was er in der vergangenen Nacht am Strand gesehen hatte.
Diese Menschen waren verloren. Für immer. Von dem Augenblick an, als man sie gefangen genommen hatte. Das Boot, der Lastwagen – nichts davon spielte eine Rolle. Nichts konnte die Kette des Besitzes zerbrechen. Um nichts anderes ging es hier.
Hab und Gut.
Ob man das sechzehnte oder einundzwanzigste Jahrhundert schrieb, spielte letztlich keine Rolle. Leute mit Geld, Macht und Einfluss würden immer diejenigen ausnutzen, die nichts von alledem hatten.
Er schnitt weiter und dachte über seinen nächsten Zug nach. Während er den oberen Heckenrand prüfte, ließ er den Blick über die Umgebung des Hauses schweifen. Auf der gepflasterten Auffahrt parkte noch immer der Maserati. Vermutlich war das junge Pärchen über Nacht geblieben. Warum diesen Ort verlassen, wenn man es nicht musste? Er hatte einer Hausangestellten, die die Post geholt hatte, ein paar unverfängliche Fragen gestellt und erfahren, dass das Personal insgesamt zehn Leute umfasste: Dienstmädchen, ein Koch, jemand, der die Rolle des Butlers übernommen hatte, und andere, die für wenig Geld arbeiteten und in den Dienstbotenquartieren des prachtvollsten Hauses an der Emerald Coast wohnen durften.
Es war eine vierköpfige Familie, die hier zu Hause war.
Der Ehemann, die Geldmaschine.
Die verwöhnte zweite Ehefrau.
Der noch verwöhntere Sohn.
Die Schwiegermutter.
Die Geldmaschine war Mitte vierzig, also noch relativ jung, um schon einen solch immensen Reichtum angehäuft zu haben.
Der Hüne hatte das Dienstmädchen nicht gefragt, wie die Geldmaschine an dieses Vermögen gelangt war.
Er wusste es bereits.
Die zweite Frau war Laufsteg-Model gewesen und inzwischen Anfang dreißig. Sie verbrachte den größten Teil ihrer Zeit mit Shopping.
Der Sohn der Geldmaschine – Stiefsohn der zweiten Frau – war siebzehn und besuchte eine Privatschule in Connecticut. Dass ihm jetzt schon der Studienplatz an einer Elitehochschule sicher war, hatte mehr mit der Großzügigkeit des Vaters gegenüber der Universität zu tun als mit den akademischen Leistungen des Sprösslings. Den Sommer über war er zu Hause, um Polo zu spielen, seinen Porsche zu fahren und die zur Verfügung stehenden jungen Frauen aus der Gegend zu vögeln, die unverfroren darum konkurrierten, in prächtigen Villen mit Dienerschaft und allem Drum und Dran leben zu können. Auch das hatte der Hüne herausgefunden, bevor er hergekommen war.
Die Mutter der zweiten Frau lebte in dem großzügig ausgestatteten Gästehaus und war den meisten Berichten zufolge ein Miststück sondergleichen.
Als er in die Richtung blickte, schlenderte die Frau, die er am Vortag am Pool gesehen hatte, aus der hinteren Glastür des großen Hauses. Sie trug einen weißen Rock, der ihre nackten, gebräunten Beine zeigte, ein hellblaues Hemd und riemenlose Stöckelschuhe. Das Haar fiel ihr auf die Schultern. Für eine so frühe Stunde war sie ziemlich aufgedonnert. Vielleicht hatte sie eine Verabredung.
Er beobachtete, wie sie das Gästehaus betrat. Vielleicht wollte sie der dort residierenden Schwiegermutter ihre Aufwartung machen.
Wieder öffnete sich die Hintertür des Haupthauses, und ein Mann trat heraus.
Eins achtzig groß, schlank und fit. Er trug weiße Shorts, die seine gebräunten, muskulösen Waden betonten. Seine Lederslipper sahen teuer aus und waren es zweifellos auch. Hinzu kam ein langärmeliges, hellblau gemustertes Hemd von Bugatchi. Das Hemd war nicht in die Hose gesteckt, zweifellos um zu zeigen, dass er trotz seines immensen Reichtums ein lässiger, hipper Typ war. Sein Haar war braun und gewellt und nur an den Schläfen ein wenig angegraut.
Der Mann schlenderte über das Anwesen und betrat ebenfalls das Gästehaus.
Der Hüne wusste, wer der Mann war. Die Geldmaschine. Dieser Mann besaß das Anwesen und alles, was dazugehörte.
Er hieß Peter J. Lampert.
Als Hedgefonds-Manager hatte er ein Milliardenvermögen gemacht und wieder verloren, zusammen mit dem größten Teil des Geldes, das seine Kunden ihm anvertraut hatten. Dann hatte er ein weiteres gewaltiges Vermögen gemacht, sodass er dieses Anwesen und diverse andere Spielzeuge der Reichen bezahlen konnte.
Aber er hatte sich nicht die Mühe gemacht, das Geld seiner Kunden wieder hereinzuholen. Dafür sei ein Bankrott schließlich da, hatte er erwidert, als jemand ihn gefragt hatte, ob er Reue empfände, weil er die Existenz so vieler Menschen zerstört hatte.
Lampert besaß einen Privatjet, eine Dassault Falcon 900 LX, die auf einem Privatflugplatz ungefähr eine halbe Stunde von hier stand. Die maximale Kabinenhöhe der Maschine betrug eins achtundachtzig, was bedeutete, dass Lampert dort aufrecht stehen konnte, der Hüne aber nicht. Er rechnete aber auch nicht damit, den Jet jemals zu betreten. Privatjets waren nicht für das Hilfspersonal bestimmt.
Am Ende des Anlegeplatzes vor dem Anwesen, dreißig Meter vor der Küste, im tiefen Wasser, lag Lamperts Megajacht, die den Namen Lady Lucky trug. Lampert hatte sie nach seiner zweiten Frau benannt, Lucille, die aber jeder nur Lucky nannte, weil sie als zweite Frau Lamperts offensichtlich viel Glück gehabt hatte.
Lucky war im Moment nicht da, wie die Hausangestellte dem Hünen verraten hatte. Eine Einkaufsreise nach Paris und London. Nun ja, für irgendetwas mussten die Reichen ihr Geld ja ausgeben.
Wenn er so darüber nachdachte … es war ziemlich wahrscheinlich, dass Lucky von ihrer Mutter begleitet wurde.
Falls dem so war, gab es eigentlich keinen Grund, warum jemand das Gästehaus besuchen sollte.
Ausgenommen einen.
Der Hüne arbeitete sich an die linke Seite des Gästehauses heran. Dort standen Sträucher, die ebenfalls gestutzt werden mussten. Es sah so aus, als würde er arbeiten, aber er machte mit seinem Werkzeug keinerlei Geräusche. Er schob sich näher an das Fenster heran. Die Jalousie war ein Stück in die Höhe gezogen.
Er hörte es, bevor er sie sah.
Stöhnen und Keuchen.
Der Hüne hielt nach den Sicherheitsleuten Ausschau. Anscheinend befanden sie sich nicht in diesem Bereich. Er näherte sich noch mehr dem Fenster und ging in die Hocke, um auf diese Weise seine ungewöhnliche Größe zu verringern.
Er warf einen Blick ins Innere.
Die Frau trug nur noch ihr Hemd. Der Rock lag zusammen mit ihren Schuhen auf dem Bett. Ihr Höschen hing um ihre nackten Knöchel. Auf den Zehenspitzen stehend hielt sie sich an einem der vier Bettpfosten fest und beugte den Körper im Winkel von fünfundvierzig Grad vor.
Lampert stand hinter ihr. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich auszuziehen. Anscheinend war ihm das alles nicht mehr wert, als den Reißverschluss zu öffnen. Die Frau beugte den Kopf zurück und gab die passenden Geräusche von sich, um ihren Liebhaber anzufeuern.
Lampert stieß wild in sie, grunzte ein letztes Mal heftig, beugte sich vor und stützte sich erschöpft auf ihrem Rücken ab. Keuchend löste er sich von ihr und zog den Reißverschluss wieder hoch. Sie drehte sich um, küsste ihn. Er tätschelte ihren nackten Hintern und versetzte ihm dann einen Klaps.
Lampert sagte etwas, das der Hüne nicht verstehen konnte, aber die Frau lachte. Augenblicke später war Lampert verschwunden. Anscheinend hatte er weitere Termine.
Die Frau legte sich aufs Bett, nahm ein Pillenfläschchen aus der Hemdtasche, legte eine Kapsel auf die Zunge und schluckte sie. Dann zog sie das Hemd aus, schlenderte nackt ins Badezimmer und kam eine Minute später wieder heraus. Ihr Gesicht sah frisch gewaschen aus.
Der Hüne beobachtete, wie sie sich ankleidete, das Hemd glättete und den Reißverschluss des Rocks hochzog, bevor sie in die Schuhe stieg. Als sie das Zimmer verließ, eilte er um die Ecke des Gebäudes, bückte sich tief und machte sich daran, den Rasen vom Unkraut zu befreien.
Sie verließ das Gästehaus, blickte nach rechts und entdeckte ihn.
Ihre Miene hellte sich auf, als sie ihn sah. Sie lächelte. Ihrem Körper haftete der Geruch von Sex an. Der Hüne fragte sich, ob es ihr bewusst war, obwohl sie sich frisch gemacht hatte. Er fragte sich überdies, was der junge Mann, der sie im Maserati hierhergebracht hatte, wohl sagen würde, wenn er Hinweise auf dieses morgendliche Stelldichein entdeckte.
»Hallo«, sagte sie.
Er nickte ihr zu und schaute zu Boden, beobachtete sie aber aus dem Augenwinkel.
»Du warst gestern schon hier. Wie heißt du?«, fragte sie.
»Mecho.«
»Mecho? Diesen Namen habe ich noch nie gehört.«
»In mein Land bedeutet das ›Bär‹. Ich bin so groß wie ein Bär, Sie verstehen? Ich war schon als Baby riesig, wissen Sie, da hat mein Vater beschlossen, diesen Name offiziell zu machen.« Er stellte die Arbeit ein und lächelte schüchtern.
Sein Englisch war bedeutend besser, und er war von Natur aus kein schüchterner Mann, aber das sollte sie nicht wissen. Sein Name war auch nicht Mecho, aber es war sein Spitzname gewesen, und tatsächlich wegen seiner Größe.
»Wo kommst du her?«
»Weit weg von hier. Aber mir gefällt dieser Ort. Mein Land ist oft zu kalt.«
Sie lächelte und verscheuchte mit der Hand eine Fliege. Ihr Lächeln war strahlend, ihre Wangen leicht gerötet.
Sex bekommt ihr gut, dachte er.
»Im Paradies ist es immer warm«, sagte sie.
»He!«
Beide wandten den Kopf. Ein stämmiger Sicherheitsmann kam auf sie zu. Mecho richtete sich hastig auf und bewegte sich von ihr weg.
»He!«, wiederholte der Wächter, als er Mecho erreichte. Es war derselbe Wächter wie gestern. »Du strapazierst meine Geduld, Bursche.«
»Ich habe ihn angesprochen«, sagte die Frau. »Er hat seine Arbeit getan. Ich habe ihn nur etwas gefragt.«
Der Wachmann schaute sie an, als stünde sie unter Drogen. »Sie haben ihn etwas gefragt. Warum?«
»Weil ich seine Antwort hören wollte«, erwiderte sie spitz. »Lassen Sie ihn gefälligst in Ruhe.«
Der Mann wollte etwas sagen, schien es sich dann aber anders zu überlegen. »In Ordnung, Miss Murdoch. Ich wollte mich bloß vergewissern, dass alles okay ist. Ich tue nur meinen Job.«
»Es ist alles okay«, sagte sie streng.
Der Wächter zog ab. Die Frau richtete den Blick wieder auf Mecho. »Ich heiße Christina«, sagte sie. »Meine Freunde nennen mich Chrissy. War nett, mit dir zu plaudern.«
Er schaute ihr nach. Sie blickte einmal kurz zurück und lächelte wieder, winkte sogar flüchtig.
Dieses wissende Lächeln verriet ihm etwas Interessantes. Sie wusste, dass er Lampert und sie beim Sex beobachtet hatte, da war er sich fast sicher. Und es schien sie nicht im Mindesten zu stören. Im Gegenteil, es schien sie anzuturnen.
Eine wirklich erstaunliche Frau von großer Schönheit.
Ein Teil von ihm hoffte, er würde sie nicht töten müssen.