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Mason und Ryon befanden sich im Gewahrsam der Polizei von Paradise. Puller hatte Chief Bullock, der immer noch am Schreibtisch saß, einen genauen Bericht erstattet. Es hatte Stunden gedauert, ihm alle Einzelheiten zu erklären, und noch ein paar weitere Stunden, um den Papierkram zu erledigen. Die Justiz war von Formularen besessen.
Bullock war nicht besonders erfreut darüber, noch einen Fall aufgeladen zu bekommen, aber er ließ seine Leute die nötigen Formulare ausfüllen und Mason und Ryon in Zellen verfrachten. Mason schrie herum, die Stadt zu verklagen, aber Ryon hatte ein Geständnis unterschrieben, und es wurde bestätigt, dass Isabel erst vierzehn Jahre alt war. Die Anklage wegen Unzucht mit Minderjährigen stand auf einem soliden Fundament.
Isabel wurde in die Obhut ihrer Großmutter entlassen, nachdem sie eine schriftliche Aussage über die Geschehnisse gemacht hatte.
Puller hatte außerdem Vermisstenmeldungen für Diego und Mateo eingereicht und Bullock von der Behauptung erzählt, ein Mann habe tausend Dollar für die beiden gezahlt.
Bullocks Gesicht war dunkel angelaufen, als er davon hörte.
Carson, die sich im Hintergrund gehalten hatte, sagte: »Haben Sie mit solchen Dingen ein Problem in Paradise?«
Bullock blickte sie scharf an. »Was meinen Sie damit?«
»Dass man Menschen auf diese Weise kauft«, sagte Puller.
Bullock runzelte die Stirn. »Hören Sie, wir haben hier im Süden eine große Zahl von Leuten ohne Papiere, und das auch ohne die umgekehrte Immigration wegen der schlechten Wirtschaft. Bei den Illegalen erfährt man kaum, wenn jemand verschwindet. Leute kommen und gehen.«
»Hier geht es um zwei Kinder«, hielt Puller dagegen. »Sie lebten bei ihrer Großmutter.«
»Das habe ich schon begriffen, Puller. Aber mir fehlt das Personal, um jeden Vermisstenfall zu bearbeiten. Das kann nicht einmal mehr die Polizei in den großen Städten. So sind die Dinge nun mal.«
»Dann laufen die Dinge verkehrt«, erwiderte Puller.
»Okay, sie laufen verkehrt. Und was soll ich Ihrer Meinung nach tun?«
»Sie haben dem Fall Lampert viel Personal zugeteilt.«
»Bei denen ist eine Bombe hochgegangen, verdammt!«
»Aber niemand wurde verletzt.«
»Darum geht es nicht.«
»Nein, es geht darum, dass Lampert das größte Haus in Paradise besitzt.«
Bullock blätterte in Papieren und erwiderte nichts.
»Irgendwelche Hinweise auf den Bombenbauer?«, fragte Carson.
»Nein«, erwiderte Bullock, der noch immer in den Papieren blätterte.
»Was ist mit Cookie?«, wollte Puller wissen.
»Das ist kein Mordfall. Ein geplatztes Aneurysma. Falls Sie glauben, dass in der Orion Street ein mörderischer Irrer sein Unwesen treibt und auch Ihre Tante umgebracht hat … vergessen Sie’s.«
»Nur weil Cookie eines natürlichen Todes gestorben ist, heißt das noch lange nicht, dass meine Tante nicht ermordet wurde.«
»Puller, ich weiß zu schätzen, dass Sie Mason und Ryon erwischt haben. Sollte ihre Schuld sich erweisen, sind sie Abschaum, der es verdient hat, in den Knast zu gehen. Aber ich will nicht, dass Sie in der Stadt herumrennen und Detektiv spielen.«
»Ich habe Ihnen meine Dienste schon einmal angeboten. Sie sagten, Sie kommen darauf zurück.«
»Ich sagte vielleicht. Und ich habe mich dagegen entschieden. Sie gehören diesem Revier nicht an. Sie sind beim Militär. Sie haben hier keinerlei Amtsgewalt, und ich habe keine Autorität über Sie. Das könnte sehr schnell sehr kompliziert werden.«
»Gut, das kann ich verstehen.«
»Danke. Und wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich muss mich um den Papierkram wegen Mason und Ryon kümmern.«
Puller und Carson verließen das Revier und traten hinaus in einen neuen Tag, an dem die Sonne bereits hoch am Himmel stand. Die Hitze und Luftfeuchtigkeit fühlten sich an, als hätte man einen warmen Bierkrug über sie ausgeschüttet.
Carson streckte sich und ließ den Kopf kreisen, um die Muskelverspannungen im Nacken zu lösen. »Tja, ich bin offiziell müde.«
»Das passiert, wenn man nachts nicht schläft.« Puller blickte auf die Uhr. »Es ist bereits Zehnhundert.«
»Wir sollten uns ein wenig Pritschenzeit gönnen, John. Sonst sind wir zu nichts gut.«
Während Sadie es sich auf einem großen Strandhandtuch in der Ecke bequem machte, duschte Puller. Er trocknete sich ab, schlüpfte in seine Boxershorts und ließ sich aufs Bett fallen. Er wollte schlafen, konnte aber nicht. Noch nicht. Er stand wieder auf und verbrachte die nächsten beiden Stunden damit, seine Handyminuten zu verbrauchen. Dabei sammelte er eine Menge interessanter Informationen. Und alles passte wunderbar zu dem, was er sich bereits gedacht hatte. Hätte er in der Nacht nicht auf die Uhr geschaut, wäre er nie darauf gekommen. Manchmal arbeitete der Verstand auf wundersame Weise. Er musste noch tiefer graben und weitere Anrufe tätigen, doch erst einmal legte er sich aufs Bett und schlief sofort ein.
Stunden später überraschte ihn ein Klopfen an der Tür. Er stand auf und zog die M11 aus dem Halfter.
»Ja«, sagte er von links neben der Tür.
»Sie können sich entspannen. Hier ist nur Ihre nette Nachbarin mit dem Stern. Sind Sie vorzeigbar?«
Puller öffnete die Tür. Carson trug ein eng anliegendes, ärmelloses blaues Kleid mit V-Ausschnitt und Schuhe mit fünf Zentimeter hohen Absätzen.
»Wie spät ist es?«, wollte Puller wissen, der bei ihrem Anblick von schlaftrunken auf hellwach geschaltet hatte.
»Siebzehnhundert.«
»Verdammt. Ich muss wirklich tief geschlafen haben. Es kommt mir vor, als wäre es nur eine Stunde gewesen.«
»Darf ich reinkommen?«
Er trat zurück und ließ sie durch. Sie roch nach Ingwer und Flieder. Ihre Haut glühte. Ihr Haar war zurückgekämmt. Das Kleid endete ungefähr in der Mitte des Oberschenkels.
Sie setzte sich aufs Bett und schlug die langen Beine übereinander, während Puller die Tür schloss.
»Ich dachte, wir könnten über den Fall sprechen und dann übers Abendessen nachdenken. Es sei denn, Sie wollen sich mit Officer Landry treffen.«
Sie blickte ihm nicht ins Gesicht, sondern ein gutes Stück tiefer.
Puller folgte ihrem Blick und wurde sich bewusst, dass er noch immer nur seine Boxershorts trug.
»Sie müssen wirklich eine andere Definition von präsentabel haben als ich, Puller.«
»Ich will mich nicht mit Officer Landry treffen«, sagte er knapp.
»Mehr muss ich nicht wissen.«
Sie stand auf, schlüpfte aus den Schuhen, öffnete den Verschluss auf dem Rücken ihres Kleides und ließ es zu Boden fallen.
Sie trug nichts darunter.
»Das muss sehr aufdringlich von mir erscheinen.«
»Nun ja … nicht, dass es mich stört.«
Sie fuhr sanft über seine Wange. »Die Army hat mir etwas beigebracht. Will man eine Position erobern, tut man es einfach. Zögern ist für Verlierer.«
Sie legte sich aufs Bett und schlug die Decke zurück. »Ich weiß, dass du lange geschlafen hast, aber willst du nicht wieder ins Bett kommen? Du wirst nicht wieder einschlafen, das garantiere ich.«
Zuerst küssten sie sich behutsam, dann leidenschaftlicher, während ihre Hände einander erkundeten. Als sie sich voneinander lösten, sah Carson unsicher und verletzlich aus; ihr Haar war durcheinander, ihre Lippen leicht geöffnet. Sie war eine taffe Frau und trug einen Generalsstern, aber jetzt war sie nackt, hilflos und buchstäblich in Pullers Händen. Mit dem Finger fuhr er die Konturen ihrer Lippen nach.
Worte waren unnötig.
Er hob sie hoch, und ihre langen Beine schlangen sich sofort um seine Taille. Er legte sie behutsam zurück aufs Bett. Ihr Rücken war schweißbedeckt, und Puller griff kräftiger zu. Zielstrebig schwang er sich auf sie. Seine Hände glitten zu ihrem Po, hoben ihr Becken an.
Sie stieß einen spitzen Schrei aus, als er in sie eindrang. Ihr Stöhnen wurde lauter, schneller, je kräftiger er zustieß. Sie krallte die Finger in seine breiten Schultern und drängte sich ihm voller Gier entgegen.
Kurz darauf erschauderte Puller bei einem überwältigenden Höhepunkt, während Carson aufschrie und sich wild unter ihm aufbäumte.
Langsam lösten sie sich voneinander und streckten sich Seite an Seite auf dem Bett aus.
Carson versuchte, ihren Atem unter Kontrolle zu bringen.
»Das war unglaublich«, stieß sie hervor.
Das war es tatsächlich, dachte Puller und sagte es ihr auch.
Sie drehte sich zu ihm um und küsste ihn, zuerst auf die Wange, dann auf die Lippen, und streichelte dabei sein Gesicht.
Für Puller war es eine Weile her gewesen. Er hatte sich sogar ein wenig Sorgen gemacht, ob er die nötige Lust und Leidenschaft aufbringen würde. Aber wie es aussah, war es ihm gelungen, voll und ganz, und das erfüllte ihn mit Zufriedenheit und Erleichterung, als er nun neben ihr lag. Auch er atmete noch immer schwer, als hätte er soeben den Zwei-Meilen-Lauf der Army in Rekordzeit absolviert.
»Ich mache so etwas nicht einfach so, nur damit du es weißt«, sagte Carson.
»Dafür bist du auch nicht der Typ.«
»Stimmt genau«, sagte sie, stemmte sich auf einen Ellbogen und schaute ihn an.
»Ich auch nicht«, sagte Puller.
»Ich weiß.«
»Woher? Hast du mich überprüft?«
»Deine Personalakte spricht für sich. Da ist nicht viel Platz für Privates drin.«
»Bei dir auch nicht.«
»Klar, wenn man den Sternen hinterherjagt.« Sie rieb mit der flachen Hand über seine Brust. »Und? Wie geht es jetzt mit uns weiter, Großer?«
Ruckartig setzte Puller sich auf und blickte sie an.
Carson lachte. »Keine Bange, ich erwarte weder einen Verlobungsring noch ein Hochzeitsdatum. Ich rede vom Essen. Ich bin halb verhungert.«
Puller lächelte erleichtert. »Dann lass uns gehen.«
Sie küsste ihn erneut und strich mit einem Finger über einen Teil seiner Anatomie. Er schauderte.
»Ist das ein Befehl, Soldat?«, raunte sie ihm ins Ohr.
»Bei allem Respekt, Ma’am, ja.«