24. November: Ein hübsches Gesicht beim Vögeln

Implantation + 15 Tage

 

Als Colding in die Lounge ging, wusste er, dass er dasselbe sehen würde wie in den letzten drei Tagen – nämlich Magnus und Andy, die sich volllaufen ließen. Und da waren sie auch schon.

Magnus saß entspannt in einem der braunen Ledersessel. In seiner linken Hand hielt er ein Glas, das mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit und Eis gefüllt war. Eine halbleere Flasche Yukon Jack stand auf dem Mahagonitisch vor ihm. Neben der Flasche lag die Fernbedienung für den Flachbildfernseher der Lounge.

Auf dem Sessel rechts neben Magnus saß Andy »Das Arschloch« Crosthwaite. Er hatte die Schuhe ausgezogen, und seine Füße in den weißen Socken lagen auf dem Couchtisch. In der Hand hielt er ein Rolling-Rock-Bier, den Mund hatte er zu einem höhnischen Grinsen verzogen.

»Colding«, sagte Magnus. »Sind Sie bereit, mir Ihren Bericht zu geben?«

Colding spürte, wie sein Gesicht heiß wurde. Jeden Tag musste er vor Magnus antreten und ihm Bericht erstatten. Colding hatte den Verdacht, dass diese tägliche Scharade Andys Idee war – ein Teil seiner Rache, weil Colding die Waffe auf ihn gerichtet hatte.

»Keine besonderen Vorkommnisse bei der Überwachung während meiner Schicht«, sagte Colding. »Sonst noch etwas?«

Magnus nahm einen langsamen, wohlüberlegten Schluck. »Ja. Zwei Dinge. Wie läuft es im Labor?«

»Es könnte nicht besser gehen. Tim schätzt, dass die Föten über hundert Pfund wiegen. Ich habe vor wenigen Minuten mit Rhumkorrf gesprochen. Er meinte, er könne in etwa einer Woche versuchen, einen Kaiserschnitt durchzuführen.«

Magnus hob die Augenbrauen. Er sah zu Andy, der mit den Schultern zuckte und an seinem Bier nippte. Magnus drehte sich wieder zu Colding um. »Nur dass ich das richtig verstehe. Ein Kaiserschnitt bedeutet, dass man das Junge aus dem Muttertier holt und es dann alleine gehen kann?«

»Hoffentlich, ja.«

»Dann ist das alles jetzt nicht mehr nur eine Hypothese. Sie sagen also, dass wir es geschafft haben?«

»Wenn die Föten die kommende Woche überleben – dann ja. Dann haben wir es geschafft. Wenn nicht, müssen Jian und Rhumkorrf das Genom überarbeiten. Aber wir sind schon so weit gekommen, dass die Frage nicht mehr ist, ob wir Erfolg haben werden, sondern wann.«

Magnus nahm noch einen Schluck. Dann lächelte er. »Mein Bruder hat es geschafft.« Er leerte sein Glas in einem Zug, hob die Flasche und füllte es wieder.

»Sie meinten, es gäbe zwei Dinge«, fragte Colding. »Was ist das andere?«

»Wie geht es Jian, Colding? Wie kommt sie zurecht?«

Colding spürte, wie es ihm kalt den Rücken runterlief. »Es geht ihr gut.«

Andys Lächeln wurde noch breiter.

»Andy hat mir etwas ganz anderes gesagt«, erwiderte Magnus. »Er sagte, sie sei … wie war nochmal dieser reizende umgangssprachliche Ausdruck, den du benutzt hast, Andy?«

»Verrückter als Ungezieferscheiße auf einem verbrannten Toast.«

Magnus’ Finger formten eine Pistole. Er deutete auf Andy und drückte ab. »Genau das ist es. Verrückter als Ungezieferscheiße auf einem verbrannten Toast. Merkwürdig. Ich bin jetzt schon fast vier Tage hier, Colding, und Sie haben mir nichts darüber gesagt. Ich habe Ihnen genügend Zeit gegeben. Ich habe sogar dafür gesorgt, dass Sie mir täglich Bericht erstatten, und Ihnen damit die Möglichkeit gegeben, alles auf den Tisch zu bringen, doch es sieht so aus, als verhielten Sie sich gegenüber Ihrem Vorgesetzten nicht besonders mitteilsam. Warum ist das so, Bubbah?«

Colding zuckte mit den Schultern und sah aus dem großen Fenster hinaus über die weite Fläche des Lake Superior. Was wusste Andy noch? Wusste er, dass Jian möglicherweise wieder unter Halluzinationen leiden würde? »Jian hat einige Probleme, aber das ist der Preis, den man dafür bezahlen muss, dass man mit einem Genie zusammenarbeiten darf.«

Magnus nickte. »Richtig. Ein Genie. Aber ist sie auch zuverlässig? Könnte sie nicht plötzlich einen Anfall von Heimweh bekommen und versuchen, aufs Festland zu gelangen?«

Jetzt verstand er, warum Magnus so besorgt war. Eine verrückte Jian war unberechenbar und in der Lage, alles Mögliche zu tun. Dazu gehörte auch der Versuch, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen.

»Es geht ihr gut«, sagte Colding. »Vertrauen Sie mir.«

Magnus starrte ihn an, sagte aber nichts. Colding musste all seine Kraft aufbieten, um sich nicht abzuwenden, und dem Blick dieser kalten violetten Augen standzuhalten.

»Okay, Bubbah. Ich nehme Sie beim Wort.« Magnus sah aus dem Panoramafenster. Colding schloss daraus, dass der Rapport beendet war, und wollte die Lounge gerade verlassen, als Magnus ihn noch einmal aufhielt.

»Oh Bubbah, da ist noch etwas.«

Colding blieb stehen und drehte sich um. »Ja?«

»Sie arbeiten in einer leitenden Position für Genada. Halten Sie es da für sinnvoll, wenn Sie eine Hilfskraft vögeln?«

Magnus wusste Bescheid. Colding sah zu Andy, der immer weiter grinste.

»Ich habe ja gedacht, Sara wäre ’ne Lesbe«, sagte Andy. »Aber Mann, die Schlampe liebt Schwänze, eh, Colding?«

Magnus griff nach der Fernbedienung. Der dunkle Fernsehschirm erwachte zum Leben, und es erschien eine grünstichige Nachtsichtaufnahme. Colding lag auf dem Rücken in Saras Bett, und Sara saß in reitender Position auf ihm.

Colding ballte die Fäuste.

Magnus hob sein Glas und prostete dem Fernseher zu. »Beeindruckend. Wie kann man den Ausdruck Zu viel des Guten nur so ernst nehmen?«

Colding knirschte mit den Zähnen. »Ich hatte angeordnet, dass die Kameras in den Privatzimmern ausgeschaltet bleiben.«

»Ach, tatsächlich?«, sagte Andy. »Wahrscheinlich habe ich das Memo nicht bekommen. Mann, ich liebe die Titten dieser Schlampe.«

Colding kochte vor Wut. Er konnte sich fast nicht mehr beherrschen. Bisher hatte er nur ein einziges Mal im Leben einen Menschen töten wollen – nämlich an jenem Tag, als er Paul Fischer angegriffen hatte. Er musste klar denken, musste ruhig bleiben. Die Dreiecksbeziehung von Erika, Claus und Galina hatte das Projekt beinahe scheitern lassen, weshalb Magnus von einer Liebesaffäre zwischen Colding und Sara nicht gerade begeistert wäre. Wenn Magnus Erika Hoel ermordet hatte, würde er wohl kaum Probleme damit haben, Sara Purinam umzubringen.

Magnus drückte auf den Pausenknopf. Das Bild zeigte Sara, die sich weit zurücklehnte. Ihre Hände lagen hinter ihr auf dem Bett, ihre Brüste ragten steil nach oben. Schräg unter ihrer Schulter erkannte Colding seine eigenen, in Ekstase zusammengekniffenen Augen. Sein Mund schien eine Mischung zwischen Lächeln und Knurren auszudrücken.

»Hey, Colding«, sagte Andy. »Mann, du hast wirklich ein beeindruckendes Gesicht beim Vögeln. Hübsch.«

Magnus schüttelte den Kopf. »Und ich habe Sie immer für ganz furchtbar korrekt gehalten, Bubbah. Fraternisieren mit einer Untergebenen ist verboten.«

»Oh Gott, bekomme ich jetzt einen Eintrag in meiner Akte?« Colding sah zur Wand und versuchte den Eindruck zu erwecken, als langweile ihn die ganze Angelegenheit. »Was wollen Sie, Magnus?«

»Ich will wissen, ob Sara Purinam Ihre Freundin ist.«

»Ich vögle sie. Na und?« Die Worte klangen sogar in seinen eigenen Ohren krank.

»Das ist schon alles, Bubbah? Sie vögeln sie nur?«

Colding zuckte mit den Schultern. »Verstößt das gegen die Firmenregeln?«

Magnus lachte. »Streng genommen nicht, aber Sie sind ihr Vorgesetzter.«

Colding musste als typisch männliches Schwein auftreten, um Magnus davon zu überzeugen, dass ihm nichts an Sara lag. »Geben Sie mir die Anweisung, sie nicht mehr zu vögeln?«

»Immer schön locker, Bubbah. Ich will nur sicher sein, dass Sie sich nicht in sie verlieben, denn das könnte Ihr Urteilsvermögen beeinträchtigen.«

»In der Hinsicht gibt es nichts zu befürchten«, sagte Colding.

»Dann«, sagte Magnus, »ist Sara also nur eine Nutte für Sie?«

»Zweifellos vögelt sie wie eine Nutte«, sagte Andy. »Wo sie das wohl gelernt hat, was meinst du?«

»Ja, wo denn nur?«, fragte Magnus. »Bietet sie ihre Muschi jedem an?«

Andy lachte. »Nicht jedem. Mir hat sie sie nicht angeboten.«

»Das überrascht mich kaum«, sagte Colding. »Dein infinitesimaler Schwanz dürfte ihr nicht genügen, kleiner Mann.«

Andy blieb das Lachen im Hals stecken.

Magnus kicherte. »Infinitesimaler Schwanz. Falls das nicht zu deinem Vokabular gehört, Andy, das war eine Beleidigung. Willst du das etwa einfach so hinnehmen?«

Andy stand auf und schleuderte das Bier beiseite. Es fiel zu Boden und ergoss sich auf Claytons makellosen Teppich. »Scheiße, Colding, ich werde dir in den Arsch treten, und zwar jetzt gleich.«

»Setz dich, Andy.«

Andy sah zu Magnus und dann wieder zu Colding. »Aber du hast doch gesagt – «

»Setzen!« Magnus schrie das Wort so laut, dass sogar Colding zusammenzuckte. Andy setzte sich.

Magnus hob das Glas zu einem spöttischen Gruß in Richtung Colding. »Vögeln Sie, wen Sie wollen, Bubbah, aber erledigen Sie Ihren Job. Und vergessen Sie nie: Die einen tötet Amor mit Pfeilen, die anderen mit Fallen.«

Die Art, wie Magnus das sagte, ließ Colding fast das Blut in den Adern gefrieren.

»Amor? Magnus, bei allem gebotenen Respekt, wovon reden Sie eigentlich?«

Wieder dieses angedeutete Lächeln. »Bringen sie euch in Amerika denn überhaupt nichts über Shakespeare bei?«

»Ehrlich gesagt, nein. Den Literaturunterricht fand ich nie besonders interessant.«

Magnus nickte leicht, als beantworte diese Bemerkung eine Frage, die er sich schon lange gestellt hatte. »Na, dann ziehen Sie schon ab, Mann. Ich bin sicher, dass Sie noch jede Menge zu besorgen haben. Vielleicht besorgen sie es ja auch jemandem.«

Colding verließ die Lounge. Jetzt hatte er nicht nur größere persönliche Probleme, er hatte auch seine Hauptaufgabe vernachlässigt – Jian. Magnus beobachtete sie. Colding musste dafür sorgen, dass diese Frau alle Hilfe bekam, die sie brauchte.

Rhumkorrf musste Jians Medikamente neu dosieren. Und zwar sofort.

Implantiert
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