Epilog

Er stand auf der Kuppe der Düne, hatte die linke Pfote gegen seine Brust gedrückt und sah zu, wie die Beute in einem dieser lärmenden Dinger davonschwamm. Der Wind blies ihm ins Gesicht, trug ihre Witterung an ihn heran. Er wollte diese Beute haben, er wollte sie in Stücke reißen, und das aus einem Grund, den er zuvor noch nicht gekannt hatte.

Der Grund? Baby Muhtviel wollte töten. Er wollte Rache. Die Beute hatte seine Geschwister und die Anführerin seines Rudels umgebracht. Doch er wollte die Beute nicht fressen, denn zum ersten Mal in seinem kurzen, nur vier Tage umfassenden Leben war er nicht mehr hungrig.

Eines dieser mageren Dinger hatte ihm mit dem Stock in den Mund gestochen. Er schob seine dicke Zunge an die schmerzende Stelle und spürte, dass ihm dort ein Zahn fehlte. Der Stock hatte ihn auch in die Pfote gestochen – und das so heftig, dass ihm das Gehen schwerfiel. Baby Muhtviel war nicht in der Lage gewesen, mit den anderen Schritt zu halten. Er war erst in dem Moment eingetroffen, als seine Anführerin ins Wasser stürzte. Als sie in die Tiefe sank und nicht wieder auftauchte.

Hass. Hass auf die magere Beute, und dieses Gefühl war viel, viel stärker als die schlimmsten Schmerzen, die ihm der Hunger bereitet hatte.

Ein Geräusch hinter ihm. Er wirbelte herum, riss sein Maul auf und machte sich bereit für einen Angriff auf drei Beinen.

Doch es war keines dieser mageren Dinger. Es war ein Wesen wie er. Schwarze, verbrannte Haut bedeckte die rechte Gesichtshälfte des anderen. Das rechte Auge war nur noch eine leere, von Nässe umgebene Höhle. Weitere Brandwunden zogen sich über die rechte Schulter und die Flanke.

Da der Wind von der anderen Seite kam, hatte er seinen Gefährten bisher nicht riechen können. Doch jetzt war ihm der andere so nahe, dass ihm der Gestank nach verkohltem Fell und verbranntem Fleisch in die verletzte Nase stieg. Außerdem nahm er dessen individuelles Geruchssignal wahr: Kein anderes Wesen seiner Art würde genau denselben Geruch ausströmen. Wenn es überhaupt noch andere Wesen seiner Art gab.

Und er nahm noch etwas wahr. Einen Duft, der sich auf eine aufregend neue Art bemerkbar machte.

Es war der Geruch eines … Weibchens.

 

Das rote Eichhörnchen blieb stehen und starrte die vor ihm ausgebreiteten Schätze an.

Ein Haufen Kiefernzapfen.

Es roch die Samen darin. So verführerisch. Und es hatte Hunger.

Da waren auch noch andere Gerüche. Der Geruch eines toten Tieres. Der Geruch nach einem anderen Eichhörnchen – schwach und irgendwie merkwürdig, doch eindeutig vorhanden.

Das Eichhörnchen hob den Kopf und suchte die Umgebung nach den Umrissen ab, die ihm sein Instinkt vorgab: kleiner Kopf, dicht umsäumt von Flügeln, lange, breite Schwanzfedern – die Umrisse von Falken und Eulen. Nichts. Schnell huschte das Eichhörnchen ein paar Schritte näher, blieb dann jedoch wieder stehen.

Jetzt nahm es einen neuen Geruch auf, einen wirklich seltsamen Geruch. Er stammte von einem Tier, aber von einer Art Tier, die das nicht kannte. Bei allem Neuen wäre es am liebsten davongerannt. Aber ein ganzer Haufen Kiefernzapfen! So viel Futter!

Das Eichhörnchen kam näher. Die Kiefernzapfen befanden sich unweit eines Erdlochs, in dessen Nähe ein kleiner weißer Baum stand. Ein Loch, wie es von Kaninchen gegraben wurde. Und neben dem Loch befand sich ein schimmerndes Ding, das nur ein klein wenig größer war als das Eichhörnchen selbst. Es sah aus wie ein Stück Ast, nur war es dicker und glatter. Die runden Seiten waren rot und trugen Flecken, die weiß schimmerten wie Schnee. Die Sonne brachte die Oberfläche dieses Dinges zum Funkeln. Der Anblick machte das Eichhörnchen nur noch hungriger, denn üblicherweise befanden sich in der Nähe so eines schimmernden Dinges zerknüllte Sachen, in denen sich salziges Futter befand.

Etwas bewegte sich.

Das Eichhörnchen huschte davon, blieb jedoch gleich darauf wieder stehen und drehte sich um. Eine Bewegung hinter den Kiefernzapfen. Der buschige Schwanz eines Eichhörnchens. Ein Wesen seiner Art, das von den Kiefernzapfen naschte! Aber das waren doch seine Kiefernzapfen!

Es stürmte heran und stürzte sich auf die andere Seite des Haufens, um den Konkurrenten zu vertreiben.

Ein Bild des Grauens – ein Eichhörnchenschwanz und sonst nichts! Gefahr! Es wirbelte herum, um zu fliehen und spürte plötzlich einen stechenden Schmerz in seinem Rücken. Es kreischte auf und wollte wegrennen, doch etwas hob es hoch in die Luft. Seine kleinen Füße traten ins Leere. Es drehte den Kopf nach hinten, um sich gegen das zur Wehr zu setzen, was ihm in seinem Rücken solche Schmerzen bereitete, und biss auf etwas Hartes.

Trotz seiner Panik erkannte es den Geschmack.

Ein Knochen.

Ein Knochen, der so lang und so dünn war wie ein Stock. Am anderen Ende befand sich das unbekannte Tier, das diesen neuen, seltsamen Geruch ausströmte. Das Eichhörnchen schaffte es nicht, sich ganz umzudrehen, doch es erhaschte einen kurzen Blick auf weiße Haut und einen Kopf, der mit langem, dichtem schwarzen Fell bedeckt war.

Die Kreatur, die den Knochen hielt, zog das Eichhörnchen in das Loch. Plötzlich war es von Dunkelheit umgeben, nur ein schmaler Lichtfleck leuchtete noch von oben herab. Seine kleinen Füße gruben sich in die Erde, scharrten, drückten und versuchten, sich festzukrallen, doch es war sinnlos. Das Ding an seinem Rücken zog das Eichhörnchen weiter und weiter hinab, und der Geruch nach Kadavern wurde immer intensiver.

Das Eichhörnchen sah große gebogene weiße Knochen, die mit Zahnabdrücken übersät waren. Das Eichhörnchen war in etwas Totem. Diese Schmerzen!

Der Lichtfleck schien so weit entfernt. Das Eichhörnchen spürte, wie es gepackt und festgehalten wurde. Es kreischte immer wieder. Es warf seinen kleinen Kopf hin und her, biss die Zähne aufeinander, tat alles, um zu entkommen, zu überleben.

Ein gewaltiger Druck in seinem Nacken. Sein Körper erstarrte, dann wurde er schlaff. Es spürte, wie ihm ein großes Stück Fleisch aus dem Leib gerissen wurde. Seine kleine Schnauze öffnete und schloss sich, die schwachen Atemzüge wurden immer langsamer. Schließlich bewegte es sich nicht mehr und sah, wo es sich befand.

Es sah die zerfetzten, abgenagten Kadaver seiner Artgenossen, aufgehäuft zu einem fein säuberlichen Stapel aus Fell und Knochen.

Implantiert
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