14. November: Geschmack
Implantation + 5 Tage
Die beiden sich entwickelnden Kreaturen schwebten in der Fruchtblase, wobei sie wie schläfrige Liebende ihre Gesichter aneinanderdrückten. Das flüssige Milieu trug ihr zunehmendes Gewicht. Millionen chemischer Verbindungen trieben frei in der Flüssigkeit dahin. Einige dieser Verbindungen waren so mächtig, dass man sie als Geruch wahrnehmen konnte. Und andere waren so mächtig, dass sie als Geschmack wahrnehmbar waren.
In den beiden winzigen Mündern landeten diese Geschmacks-Verbindungen auf winzigen Zungen. Eben erst entstandene Dendriten setzten chemische Botschaften frei, Botschaften, die den winzigen synaptischen Spalt überwanden und so die Axone der nächsten Nervenzellen erreichten. Dieser Prozess wiederholte sich mehrfach und lief innerhalb von Sekundenbruchteilen wie über eine Kette von den winzigen Zungen zu den winzigen Gehirnen.
Die Geschmackssignale aktivierten ein noch sehr primitives Areal in den sich entwickelnden Gehirnen. Der Geschmack schaltete die Gehirne gewissermaßen überhaupt erst ein.
Es gab noch keine Gedanken und keine Entscheidungen, obwohl es zu diesen schon sehr bald kommen würde. Es gab nur einen kurzen, intensiven Wettlauf gegen die Zeit.
Denn der Geschmack aktivierte einen Instinkt, der diese Kreaturen in jedem wachen Augenblick ihres Lebens antreiben würde.
Hunger.