16. November: Der russische Bericht

Implantation + 7 Tage

 

Paul Fischer starrte den versiegelten Umschlag auf seinem Schreibtisch an. Fast hatte er Angst davor, ihn zu öffnen. Sollte der Umschlag nicht die Informationen enthalten, die ihm von Nutzen sein konnten, blieben ihm nur noch wenige Optionen.

Vom Inhalt des Umschlags abgesehen hatte ihm einzig Interpol eine Spur geliefert. Die Behörde hatte Hinweise auf eine Verbindung zwischen Genada und einer britischen Firma namens F. N. Wallace, Inc. entdeckt, die Einzelteile einer ausgeschlachteten C-5 Galaxy erworben hatte. Für Paul war das Puzzle damit komplett. Ein so großes Flugzeug konnte Rhumkorrfs Projekt an jeden Ort der Welt transportieren. Doch zu wissen, dass Genada über eine C-5 verfügte, half ihm nur dann, wenn das Flugzeug irgendwo gut sichtbar im Freien stand – oder wenn es wieder flog. Paul war überzeugt, Colding würde dafür sorgen, dass beides nicht passieren würde. Nein, Pauls größte Chance bestand im Augenblick darin, Galina Poriskova zu finden.

Und deshalb zögerte er, den vor ihm liegenden Umschlag zu öffnen. Der Hinweis zu Poriskovas Aufenthaltsort könnte sich darin verbergen. Ein von zwei Militärpolizisten eskortierter russischer Leutnant hatte ihm den Bericht erst wenige Minuten zuvor persönlich überreicht. Der Russe hatte doch tatsächlich Paul nach seinem Ausweis gefragt und das Dokument sorgfältig studiert, bevor er Paul bat, den Empfang des Berichts zu quittieren. Galinas Rolle in dieser ganzen Angelegenheit könnte so bedeutend sein, dass die Schweiz, die Caymans und China möglicherweise bereit waren, Genadas Konten einzufrieren. Sollte Paul damit keinen Erfolg haben, gäbe es keine Möglichkeit, Colding aufzuhalten.

Paul konnte es nicht länger aufschieben. Er öffnete den versiegelten Umschlag und sah, dass sich darin zwei weitere Umschläge befanden. Der eine war dick, der andere dünn. Der dicke lag oben, also begann er mit diesem. Er enthielt seitenweise finanzielle Unterlagen, die zu bestätigen schienen, dass Galina sich in Russland und in Osteuropa einen luxuriösen Lebensstil gönnte. Doch nach diesen Berichten über ihre Finanzen kam etwas weitaus Interessanteres. Anscheinend hatten die Russen die Flugzeugtickets und die Hotelbuchungen, die auf Galinas Namen liefen, genau überprüft. Doch an den fraglichen Orten, so fanden sie heraus, war häufig überhaupt niemand aufgetaucht. Gelegentlich erwarb eine große Blondine teuere Kunstobjekte oder Schmuck, aber Galina war eine eins zweiundsechzig kleine Brünette. Schlussfolgerung? Galina war, kurz nachdem sie sich vor zwei Jahren mit Paul getroffen hatte, weder in Russland noch an irgendeinem anderen Ort jemals mehr gesehen worden.

Was bedeutete, dass der zweite Umschlag nur eine einzige Sache enthalten konnte.

Paul öffnete ihn. Die Worte auf den vier Seiten hatten ihn bereits frösteln lassen, aber die Fotos jagten ihm eisige Schauer über den Rücken.

Er griff nach seinem Telefon und drückte die Verbindung zum Anschluss seines Assistenten.

»Ja, Sir?«

»Verbinden Sie mich bitte unverzüglich mit Longworth.«

»Ja, Sir.«

Paul legte auf und wartete auf den Rückruf. Der zweite Bericht änderte alles. So grässlich er auch war, er lieferte ihm den so verzweifelt gesuchten Punkt, an dem er den Hebel ansetzen konnte. Wenn die Spur mit der C-5 zu einem Erfolg führte, konnte er das mit dem Bericht kombinieren und beantragen, dass Genadas Konten weltweit eingefroren wurden. Doch so etwas brauchte Zeit. Und weil Genada in einer wichtigen amerikanischen Sicherheitsbehörde einen Maulwurf platziert hatte, würde Danté ihnen vielleicht immer noch einen Schritt voraus sein.

Es sei denn, Paul würde dafür sorgen, dass der Maulwurf überhaupt nichts davon mitbekam.

Er sah auf den russischen Bericht. Nicht auf den Inhalt, sondern auf den Umschlag selbst. Papier. Ein Bote. So musste er es machen. Keine E-Mails, keine Datenbanken, keine Anrufe – nichts Elektronisches.

Das Telefon klingelte.

»Hier Colonel Fischer.«

»Was haben Sie für mich, Paul?«, fragte Longworth. »Haben Sie sie gefunden?«

»Ich habe eine interessante Spur. Wenn Sie einverstanden sind, würde ich gerne etwas anderes ausprobieren. Wir müssen sie überraschen und ein solches Tempo entwickeln, dass wir das für unseren Angriff ausnutzen können.«

»So etwas höre ich gerne«, sagte Longworth. »Was stellen Sie sich vor?«

»Das möchte ich im Augenblick lieber nicht sagen, Sir. Ich werde einen Kurier mit einem Memo zu Ihnen schicken.«

»Einen Kurier? Schicken Sie mir doch einfach eine E-Mail.«

»Nein«, sagte Paul. »Das kann ich nicht.«

Longworth schwieg einen Augenblick lang. »Verstehe. Gut, Colonel. Und wenn Sie schon dabei sind, dann schicken Sie Memos an jeden, dessen Hilfe Sie benötigen. Ich werde dafür sorgen, dass Ihnen so viele Kuriere wie nötig zur Verfügung gestellt werden.«

»Danke, Sir.«

Paul legte auf und begann zu rechnen. Um diese Angelegenheit ordentlich über die Bühne zu bringen, würden sie drei, vielleicht vier Tage brauchen. Wenn alles gutging, würde er schon bald wieder eine Einrichtung Genadas besuchen.

Und diesmal würde er viel mehr vorfinden als ein leeres Gebäude.

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