Der Typus des nur in seinen Kreisen bekannten Künstlers ist für Frankfurter Verhältnisse charakteristisch. Das mangelnde Selbstbewusstsein hängt damit zusammen, dass sich Frankfurt selbst als unterwertig eingeschätzt fühlt (im Vergleich zu München, Hamburg, Berlin) und in der Wahrnehmung der anderen gerne »aufrücken« möchte. Diese Aufgabe erfüllen auch die Frankfurter Groß-Preise, also Goethe-Preis, Adorno-Preis, Beckmann-Preis. Schon die Namen der Preise weisen den Weg zur Bedeutungsauffüllung: Schaut her, das sind unsere Hausgötter. Dass sich die Jurys der Preise zuweilen vertan haben, ist dabei nicht so wichtig. Hauptsache, der Anspruch wird deutlich. Fast selbstverständlich ist, dass ein örtlich tätiger Künstler in diesem Marketing kaum etwas zu suchen hat.

Obwohl sich die Statur von Robert Gernhardt als Dichter, Maler und Zeichner schon zu seinen Lebzeiten herumgesprochen hatte, war ein Goethe-Preis für ihn nicht möglich. Gernhardt ist seit etlichen Jahren tot; heute tut es vielen leid, dass der Preis an ihm vorbeigegangen ist. Natürlich hätte die Jury in einem zweifachen Sinn über ihren Schatten springen müssen. Denn Gernhardt war einerseits keine sogenannte repräsentative Erscheinung, er machte außerdem auch noch komische Gedichte. Und komische Gedichte waren im Horizont der Preisverleiher nicht gesellschaftsfähig, jedenfalls nicht in den siebziger, achtziger und auch noch nicht in den neunziger Jahren. In der den Faschismus aufarbeitenden Atmosphäre der sich ewig hinziehenden Nachkriegsjahre war ein komischer Dichter nicht unterzubringen. Als gäbe es in Deutschland in jeder Generation einen Dichter vom Rang eines Wilhelm Busch oder eines Christian Morgenstern! Dass heute das komische Gedicht im Literaturverständnis reintegriert ist, darf man Robert Gernhardt als Verdienst anrechnen. Wer will, kann in einem Gedicht von Gernhardt eine kaum verhüllte Selbstreflektion seiner Lage thematisiert finden. Das Gedicht heißt »Abendgebet«:

Lieber Gott, nimm es hin,

dass ich was Besond’res bin.

Und gib ruhig einmal zu,

dass ich klüger bin als du.

Drum preise künftig meinen Namen,

sonst setzt es etwas. Amen.