Paul und seine Kühe

Die Kühe auf dem Hof der Bedels hatten immer einen Namen, der in den amtlichen Papieren stand, und einen anderen, den ich in meine Hefte eingetragen habe. Diesen habe ich ihnen nach ihrem Charakter gegeben. Heute muss man ihnen ja mit der Zange so einen hässlichen Plastikohrring mit einer Nummer darauf verpassen.

Cornette droite (die Flügelhaube): Sie hatte ein Horn, das wie die Flügelhaube einer Schwester zur Seite gebogen war, allerdings nur auf der rechten Seite.

La Biche (die Hindin): Sie ging wie eine große Dame und hatte sehr sanfte Augen.

Danseuse (die Tänzerin): Sie tänzelte, statt zu gehen. Und sie hasste die Bremsen, die sie öfter stachen als jede andere Kuh.

Crampon (die Klette): Sie folgte mir überall hin.

Fesse blanche (weiße Hinterbacke): Sie hatte einen weißen Fleck auf einer Hinterbacke.

Cigarette (die Zigarette): Darauf bin ich nun nicht gerade stolz. Ich habe heimlich geraucht und sie hat eine ganze Schachtel Zigaretten gefressen, die mir aus der Tasche gefallen war, Gauloises ohne Filter!

Copine (die Kameradin): Immer nett zu allen, die Schwestern mochten sie gerne.

Blanche (die Weiße): Sie hatte kein geflecktes Fell, nur einen winzigen Fleck auf dem Maul und dunkle Ringe um die Augen.

Julie: Wir haben bald aufgehört, unseren Kühen Mädchennamen zu geben. Julie ist uns nämlich einmal abgehauen, als wir sie zum Stier bringen wollten. Wir sind durchs Dorf gelaufen, haben gerufen und die alte Julie glaubte, wir suchen sie. Das war uns ganz schön peinlich.

Molasse (Melasse): Sie hatte wirklich ein schönes Leben, die kleine Simulantin.

La Noire (die Schwarze): Ihr Fell war von dunklen, fast schwarzen Flecken übersät.

Citron (Zitrone): Ihr Fell war von so hellem Rot, dass es fast gelb aussah.

Long pied (Langbein): Sie hatte lange Afterzehen, die ich regelmäßig mit der Heckenschere kürzen musste. Ich nahm die längste, die ich hatte, und zack! Ich schnitt, dann zog ich mich sofort zurück, um keinen Huftritt abzubekommen.

Balafrée (Narbengesicht): Sie hatte eine Narbe im Gesicht, aber Milch hat sie trotzdem gegeben.

Aveugle (die Blinde): Eines Tages verfing sie sich auf der Heide in einem Ginstergebüsch. Bald waren ihre Hörner von Zweigen gekrönt. Das sah aus wie ein Hut, der ihr über die Augen hing. Sie konnte nichts mehr sehen und lief laut muhend im Kreis. Meine Stimme beruhigte sie und so konnte ich näher kommen, um ihr das Gestrüpp wieder abzunehmen.

Chien (Hund): Sie folgte uns wie ein kleiner Hund, eine echte Klette. Sie wäre am liebsten mit uns ins Haus gegangen. Manchmal frass sie uns sogar aus der Tasche.

Morue (Kabeljau): Sie war richtig fett, und wenn sie so dahinmarschierte, schaukelte ihr Hintern kräftig. Als ich meine Wetterfahne gebastelt habe, die heute auf dem Stall thront, habe ich Morue als Modell genommen. Ich dachte mir: Wenn ihr Abbild da oben auf dem Dach sitzt und Nordwind anzeigt, dann steht sie doch hübsch warm im Stall.

Cul sale (schmutziger Arsch): Ich bürstete sie jeden Tag, aber da war nichts zu machen. Sie hat sich schon als Kälbchen immer dreckig gemacht, hat sich in den Kuhfladen gewälzt. Man konnte sie einfach nicht lange sauber halten.

Échalote (Schalotte): Sie roch immer nach Zwiebeln.

Désirée (die Ersehnte): In einem Jahr hatten wir schon ein Dutzend Stierkälber, aber immer noch kein Kuhkalb. Daher haben wir sie Désirée getauft, als sie zur Welt kam.

Sirène (die Sirene): Sie frass doch tatsächlich Tang auf den Feldern!

Tête blanche (Weißköpfchen): Sie hatte die typischen braunen Augenringe, die die normanischen Kühe haben, aber ansonsten keinerlei Flecken oder Zeichnung am Kopf.

Les Deux Jaunes (die zwei Gelben): Zwei Kühe, deren Fell einen Gelbstich hatte. Sie waren Zwillinge.

La Pluche (die Plüschige): Ihr Fell war wollig wie das eines Schafes.

Rigolote (Scherzkeks), auch Petit Chien (kleiner Hund) genannt: Sie war die Tochter von Chien und ein echter Witzbold.

Morue: Sie war die Tochter von Morue und genauso fett wie diese.

Rustique (die Urige): Sie war wie die Kühe früher, ruhig, aber mutig.

Rosace (die Rosette): Sie hatte eine rosettenförmige Zeichnung.

Chicorée (Zichorie): Sie war dunkler als die anderen.

Bichette (kleine Hindin): Sie war die Tochter von Biche. Poilue (die Haarige): Sie hatte ein so kräftiges Fell, dass wir sie viel öfter bürsten mussten als die anderen.

Casquette (Mütze): Ihre Flecken am Kopf sahen aus, als trüge sie eine Mütze.

Déhanchée (die Hüftlahme): Sie hinkte, wie viele Leute hier, die ein Problem mit den Hüften haben. Bei Menschen kann man das heute operieren, bei Tieren weiß ich es nicht.

Cabochue (der Dickkopf): Ein echtes Luder, aber ich mag Kühe mit Charakter.

Bibiche (hübsche Hindin): die Tochter von Biche.

Perte de vue (So weit das Auge reicht): Dieses Kalb sah man immer nur am Horizont, es lief stets so weit weg wie möglich.

Dingue (die Versponnene): Sie hatte richtige Nervenkrisen.

Rescapée (die Überlebende): Sieben Nachbarn haben uns geholfen, dieses Kalb auf die Welt zu bringen. Wir zogen an allen Ecken und Enden, ein paar Leute an den Hörnern der Kuh, die anderen an den Hufen des Kalbs. Einer meinte: »Die Kuh ist hin!« Ein anderer: »Das Kalb ist hinüber.« Es dauerte Stunden. Die Kuh nahm es uns nicht einmal mehr übel. Das Kalb war ganz schwarz, als es zur Welt kam. Wir haben es an den Beinen aufgehängt, damit es alles ausspucken konnte, was es womöglich in sich hineingefressen hatte. Dann habe ich die Kuh gegen ein paar Fuder Heu gelehnt und sie damit abgewischt. Wir sind alle miteinander zum Essen gegangen. Obwohl ich dachte, dass schon alles gut gehen würde, hatte ich keinen Appetit. Die Freunde sind dann gegangen, und als ich vor dem Schlafengehen im Stall nach dem Rechten sah, lagen sie beide da und atmeten kaum.

Nachts schoss ich dann plötzlich hoch und lief in den Stall, aber da stand meine Kuh und fraß in aller Seelenruhe ein wenig Heu. Im Halbdunkel sah es so aus, als lächle sie mir zu.

Da habe ich mich dann zufrieden wieder hingelegt und mir mit meinen großen Händen ungelenk die Tränen aus den Augen gewischt.

Das Kälbchen hat uns später viel Milch gegeben. Wir haben sie »die Überlebende« genannt.

Saucisse (das Würstchen): Sie war mager wie ein Würstchen. Eines Tages musste ich ihr eine Spritze geben. Wir gingen auf die Weide hinaus, meine Schwestern hielten sie, die eine bei den Hörnern, die andere am Maul. Ich stach ihr mit der Nadel unters Fell, und sie ging los wie eine Rakete. Die Schwestern rannten ihr über die ganze Weide nach, weil sie dachten, ich hätte noch keine Gelegenheit gehabt, sie zu spritzen. Ich lachte mir eins, als ich sie da hinter der wütenden Kuh herlaufen sah.

Mauvaise (die Schlimme): Ach, was die mir an Tritten verpasst hat! Ihre Kolleginnen hat sie immer mit den Hörnern gestoßen. Aber als sie weg war, hat sie mir wirklich sehr gefehlt.

La Vigie (der Ausguck): Ihre Mutter hatte sie in der Nähe des Semaphor zur Welt gebracht, ohne Hilfe, ohne alles. Sie war meine Lieblingskuh, ein mieser Charakter, aber treu. Sie hat viel Milch gegeben. Und man hatte immer den Eindruck, als würde sie mit einem reden. Ich hätte sie behalten sollen. Dann hätte sie hin und wieder ein Kälbchen bekommen können.

Petit Bouc (kleiner Bock), Petits-Sabots (die Kleinhufige), Vieille Blanche (alte Weiße), Rouge (die Rote) 

Das waren alles meine Kühe, doch am 9. Oktober 2004 war Schluss.

Am 2. November 2003 habe ich zwei Kälber sowie die Copine und die Biche verkauft, für 1204 Euro und 35 Cent.

Petit Bouc und Petits-Sabots kamen 2004 dran.

Die drei letzten, die Blanche, die Vigie und die, die der Crampon so ähnelte, sind dann am 9. Oktober 2004 weggegangen. Ich habe nicht um den Preis gefeilscht und wollte nicht wissen, um wie viel der Händler sie weiterverkaufte. Deshalb habe ich auch keine Ahnung, ob sie zu einem anderen Bauern oder in den Schlachthof gekommen sind. Ein paar Tage vor dem Verkauf habe ich ihnen aus meinen letzten Schnüren noch schöne Stricke gedreht. Das war mein letztes Geschenk.

Als sie den Lastwagen sahen, sind sie ans andere Ende der Weide geflüchtet. Ich musste sie selbst holen. Dann habe ich mich im Haus versteckt, weil mir die Tränen über die Wangen liefen. Die Vigie hat noch so lange gemuht. Das werde ich nie vergessen.

Ich habe mich danach lange in meinem Zimmer zurückgezogen. So kannte ich mich gar nicht. Ein paar Monate lang hat es mich schier verrückt gemacht, wenn ich die Tiere der anderen sah, wenn ich über das Fell der Kälber strich. Ich bedaure jetzt, dass ich die Vigie nicht behalten habe. Sie fehlt mir. Dann hätten wir heute noch ein bisschen eigene Butter und Sahne. Seitdem ich die Kühe verkauft habe, mag ich keine Sahne mehr.