Es gibt ja nicht nur Hummer!

Natürlich beschränkt sich die Fischerei bei uns nicht nur auf Hummer und Krebse. Es wird auch mit der Leine gefischt, die man bei Niedrigwasser auf einem kleinen Kiesstrand auslegt.

Zu diesem Zweck breche ich schon nachts mit dem Moped auf. Allerdings lasse ich das gute Stück erst weiter weg vom Haus an, damit ich die Schwestern und unsere Nachbarn nicht aufwecke. Als junger Mann schlief ich sowieso kaum, ich stürzte mich in die Arbeit, um nicht über mein Leben nachdenken zu müssen. Ich war immer noch nicht darüber hinweg, dass ich die junge Frau nicht geheiratet hatte, die so weit weg wohnte. Oder die andere, die ich nicht gefragt habe, weil ich dachte, mein Vater würde seine Einwilligung nicht geben, und dann hat ein anderer sie mir weggeschnappt. Also holte ich aus Meer und Erde alles heraus, was ich nur konnte, und das wog alles auf.

Aber man hat nur ein Leben, und so wenig zu schlafen war nicht gut. Eines Tages wäre ich fast ertrunken, weil ich plötzlich ohnmächtig wurde, und ein anderes Mal, weil es so neblig war. Der Leuchtturm blökte seit dem Morgen, und als ich am Ufersaum ankam, wurde ich unruhig. Ich war wohl hundert Meter zu weit gegangen und war längst über den Platz hinaus, wo ich die Leine mit zwei Schwimmern ausgelegt hatte. Einen Schritt weiter und, verdammt noch mal, ich wäre mitten im Ozean gelandet! Ich hatte mich getäuscht. Hätte ich noch einen Schritt gemacht, hätte ich das Gleichgewicht verloren und wäre dringelegen. Besonders klug ist es nicht, mitten in der Nacht fischen zu gehen. Fast wäre ich dort geblieben! Hinter dem Tümpel wäre ich abgesoffen und der Raz Blanchard hätte mich mitgerissen, denn die Tiefenströmung ist dort stark, und wenn die Stiefel erst mal vollgelaufen sind!

Kaum hatte ich mich wieder einigermaßen unter Kontrolle, sah ich mich nach Augustes Laterne um. Wir waren zwar gemeinsam losgefahren, aber mein Bruder war in seiner Ecke. Ich brüllte laut seinen Namen, um herauszufinden, wo er denn steckte, der Hornochse. Nach der Panik um mein Leben packte mich die Angst um ihn. Schließlich hörten wir uns, aber der Schreck war uns ganz schön in die Glieder gefahren. Wenn du selbst fast abgesoffen wärst, hast du das Gefühl, deinen Lieben könnte noch was Schlimmeres zugestoßen sein.

Als ich bei ihm war, zitterte ich wie Espenlaub.

Ich fische also nicht nur selbst vom Felsen aus, sondern lege auch Leinen aus, die man bei uns bêlaée nennt. Drei zu je fünfzig Metern nebeneinander bringen das beste Ergebnis. Dann sammle ich glluettes, kleine Fische von höchstens einem Zentimeter Länge, die einen kleinen Saugnapf am Bauch haben. Damit saugen sie sich an Felsen und Steinen fest, aber längst nicht an allen. Als ich zum ersten Mal meine Leinen ausgelegt habe, habe ich zweiunddreißig Angelhaken daran befestigt und neunundzwanzig Seelachse gefangen.

Mein Vater hat das noch anders gemacht. Er befestigte seine bêlaées an einer Art selbstgebasteltem Floß. Es war ein dreieckiges Stück Holz von etwa fünfzig Zentimetern Seitenlänge mit einem Mast und einem rechteckigen Segel. Wenn er es unter den Arm nahm, glaubte ich immer, er wolle endlich einmal mit mir spielen.

Von wegen! Er befestigte die Leine an einer Seite und wenn der Wind konstant aus einer Richtung blies, ließ er das »Boot« los, sodass es auf dem Meer tanzte. Auf der anderen Seite wurde es an einem Felsen festgebunden, einem tchu. Zwei Stunden später holte man es wieder ein. Der Seelachs beißt vorzugsweise nachts, daher war es stockfinster, wenn wir die Leine wieder einholten.

Mein Vater und mein Onkel hatten beide so ein »Boot« mit einem »Großsegel«.

Mit den bêlaées zu fischen ist nicht schwer. Trotzdem ist es eine Kunst für sich. Man muss dafür sorgen, dass die Leine an der Meeresoberfläche schwimmt und nur ganz wenig absinkt. Der Seelachs folgt nämlich verschiedenen »Straßen«, er nimmt zum Auf- und Abtauchen nie denselben Weg zwischen den Felsen. Und wenn du die Leine dort auslegst, wo er abtaucht, hast du Pech, denn dann hat er keinen Hunger und deine Köderfischchen interessieren ihn nicht. Erwischst du ihn aber, wenn er noch Hunger hat, dann fängst du den Vielfraß mit Leichtigkeit.

Ist die Dünung zu stark, steigt der Fisch nicht auf, sondern bleibt am Grund. Der »steigende Wind«, der aus dem Norden kommt, schließt den Fischen das Maul. Dann beißen sie nicht. Kommt er aus dem Süden, dann beruhigt er sie. Dann ist alles gut. Der Wind öffnet den Fischen ebenso das Maul wie den Leuten! Und das Barometer steht auf »schön«.

Für die Würmer habe ich natürlich auch so meine Ecken unter ganz bestimmten Steinen. Die kratze ich mit einem flachen Stück Altmetall ab, das ich mir selbst zu einem Haken gebogen habe. Unter den Steinen suche ich die gelbe Spur der Würmer, das Sekret des Tauwurms. Der Tauwurm ist so halbweich. Aber der stabilste Köder, der beste und der seltenste, ist der sandao. Das sind große Würmer, die ich hier unter dem Kies ausgrabe, und diese Stelle verrate ich keinem. Die Rotwürmer sind da gar nichts dagegen, sie sind viel zu weich. Um den sandao auszugraben, gehe ich bei Ebbe an den Strand, wenn das Wasser zurückfließt. Aber ich vergesse nicht mehr, rechtzeitig zu verschwinden, Teufel noch mal! Kaum drehst du dich um, ist das Meer wieder da. Gerade wenn der Tidenhub hoch ist, dann zieht sich das Wasser viel weiter zurück als sonst, aber ebenso schnell ist es auch wieder da. Wenn das Meer Niedrigwasser hat, schnappst du dir die großen Lippfische, die beißen nur am Grund. Du hast ein Tangloch zwischen zwei Felsen, um deine Leinen festzumachen. Wenn die Leine zu hoch sitzt, hast du verspielt, denn dann hat sie keinen Schutz von den Felsen und du kannst sie verlieren. Im Meer sind die Felsen wie Hecken. Sie schützen vor der Strömung.

Regenwürmer habe ich zum Angeln noch nie genommen, aber ich habe mir geschworen, es eines Tages zu versuchen.

Um den Seebarsch zu fangen, brauchst du Meeräschen. Ernsthaft. Die findest du in den Tümpeln zwischen den Felsen. Oder Sandaale. Bei uns muss der Wind von Westen kommen, damit man Seebarsche fangen kann. Der Ostwind ist, wie ich schon gesagt habe, gut fürs Meer, aber nicht fürs Land. Bei Ostwind brodelt das Meer, die Fische beißen eher, und man erwischt sie leichter, weil sie den Haken und die Leine nicht sehen. Der Ostwind wühlt den Meeresboden auf. Das merkt man auch bei den Brunnen. Das steht ja alles in Verbindung. Ich weiß immer, ob Ostwind kommt, da brauche ich nur in meinen Brunnen zu horchen. Das grummelt dann da drinnen, als säße dort ein Ungeheuer, das unbedingt raus will.