Ein Mann kam zu mir nach Hause, nicht im Sonntagsgewand, sondern ganz normal gekleidet. Seine Frau und Michel Laurent, unser Bezirksrat, der diese Zusammenkunft organisiert hatte, begleiteten ihn.
Wir haben Kaffee getrunken und mindestens zwei Stunden lang geplaudert. Schließlich schlug der Mann, der sich als Monsieur Eudier, Direktor der Wiederaufbereitungsanlage von La Hague, vorgestellt hatte, meinen Schwestern und mir vor, doch mal das Kraftwerk zu besuchen.
Ich hatte schon hin und wieder ein Schreiben des Unternehmens mit der Einladung zu einer Gruppenbesichtigung erhalten. Aber diese Briefe habe ich immer meiner so überaus effektiven Sekretärin anvertraut …
Wir haben über La Hague geredet. Monsieur Eudier lebt seit Langem hier und liebt unseren Landstrich sehr. Das hat mir gefallen, denn ich mag es, wenn andere Leute mir von ihrem Leben erzählen und von unserem Land hier. Ich fand ihn sehr sympathisch.
So kam ich ins Nachdenken, aber ich denke über das Ganze ohnehin schon eine Weile nach. Ich habe mir immer gesagt, dass ich nie einen Fuß dort hineinsetzen werde. Aber es ist wirklich schwierig, sich ein Bild von etwas zu machen, das man nicht kennt. Und so nahm ich seinen Vorschlag an, allerdings nur unter einer Bedingung:
»Wissen Sie, ich bin ein neugieriger Mensch – ich werde mir Ihr Kraftwerk ansehen. Aber nur, wenn ich mit all meinen Haaren zurückkomme!«
Mit diesen Worten habe ich die Mütze abgenommen und bin mir mit den Fingern durch den Haarschopf gefahren, wie ich es mache, wenn Besucher kommen und fragen, ob ich denn glaube, dass die Atomanlage gefährlich sei. Denen sage ich dann immer:
»Nun, meine Haare habe ich noch, wie ihr seht!«
Das gibt dann immer was zu lachen.
Doch um die Wiederaufbereitungsanlage zu besuchen, würde ich einen Ausweis brauchen.
»Ohne Ausweis können Sie nicht hinein, Paul. Man hat mir gesagt, dass Sie immer noch keinen Pass haben!«
Da hatte er natürlich recht. Jetzt musste ich Farbe bekennen! Trotzdem versuchte ich, mich aus der Affäre zu ziehen:
»Aber meine Schwestern haben einen. Und ich habe meinen Führerschein!«
»Nein, der Führerschein gilt nicht. Sie brauchen einen Ausweis. Den müssen Sie im Rathaus beantragen.«
Was denn noch alles!
Ich hatte keine Lust, zu den amtlich Gemeldeten zu gehören. Ich war Ende siebzig und stolz darauf, dass ich bis dahin ohne Ausweis zurechtgekommen war. Es war ganz schön kompliziert, in die Wiederaufbereitungsanlage zu kommen. Beim Präsidenten der Republik vorgelassen zu werden ist einfacher als beim Direktor der Areva, des Betreibers der Wiederaufbereitungsanlage von La Hague! Aus der Rückschau kann ich allerdings sagen, dass es einfacher war, an den Direktor heranzukommen als an den Präsidenten. Allerdings waren im Elysée-Palast auch mehr als zweitausend Leute zugegen! Man kann schließlich nicht jedem die Flosse drücken. Nicolas (der noch mit Cécilia zusammen war) ist in etwa zwanzig Metern Entfernung an mir vorbeispaziert, aber er hat mich nicht bemerkt. Sein Gehilfe allerdings (Premierminister Fillon) hat mich gegrüßt.
An jenem Tag vereinbarten wir mit dem Direktor einen Termin für unseren Besuch. Dummerweise war drei Tage davor mein Ausweis immer noch nicht da. Doch ein kleiner Telefonanruf seitens eines Politikers im Rathaus und hopp! (Bei diesen Leuten geht es immer schnell.) Am Tag vor dem Besuch holte ich den Ausweis im winzigen Rathaus von Auderville ab. Was für ein Ereignis!
Seitdem bin ich amtlich gemeldet. Jetzt trage ich mein Konterfei in Plastik eingeschweißt in der Brieftasche herum.
Evelyne Laurent, die Frau des Bezirksrates, der an diesem Tag verhindert war, sollte uns bei unserem Ausflug begleiten. Sie kam in den Achtzigerjahren als Sekretärin des Bürgermeisters in unsere kleine Gemeinde. Damals war sie dreißig. Wahrscheinlich erinnert sie sich noch an die erste Gemeinderatssitzung. Da saß sie zwei geschlagene Stunden da, hörte uns beim Debattieren zu und machte sich nicht ein einziges Mal Notizen. Wir sagten uns, dass sie wohl ein phänomenales Gedächtnis haben müsse. Von wegen! Nur redeten wir die ganze Zeit Dialekt: Sie verstand schlichtweg kein Wort! Bei der nächsten Sitzung bat der Bürgermeister uns, doch bitte Französisch zu sprechen. Wir haben sie trotzdem behalten, und mit der Zeit hat man sich aneinander gewöhnt. Jetzt spricht sie Dialekt wie wir.
Ich hatte also meinen Ausweis in der Tasche und war bereit für den großen Tag.
Ich sagte mir: Wenn ich nach dem Besuch mit der Regierung nicht einverstanden bin, kann ich das Dokument ja immer noch zurückschicken.
Der Umschlag liegt schon bereit.