Prévert
Zu uns kamen häufig zwei Gestalten im Sonntagsanzug und kauften Butter bei uns, den Einfältigen, wie man hätte meinen können. Sie redeten wenig und schienen immer ganz in ihre Arbeit versunken. Wenn die beiden bei uns vorbeischauten, trafen sich zwei Welten, eine so seltsam wie die andere.
Ich und meine Schwestern waren, was den Fortschritt angeht, Jahre zurück. Wir waren noch so sehr »alter Schlag«, dass wir den Leuten wahrscheinlich wie Dinosaurier vorkamen.
Jacques Prévert, der in Omonville-la-Petite, also ganz in der Nähe, wohnte, hielten viele hier für einen seltsamen Menschen. Er kam mit seinem Freund, einem Szenenbildner beim Film, oder manchmal auch allein und rauchte eine nach der anderen. Außerdem rasierte er sich nicht jeden Tag. Er ging sehr langsam und träumte dabei vor sich hin, war mit dem Kopf ganz woanders. Meine Schwestern mochten ihn sehr, weil er wenig redete und sich nie über den Preis beschwerte.
Dann erzählte man sich beim Abendessen:
»Heute war Prévert da.«
Bei uns armen Hanseln kamen »die aus Paris, die Studierten« nur hin und wieder vorbei.
Auguste und ich taten dann noch hinterwäldlerischer, als wir ihnen ohnehin schon erscheinen mussten. Wir schlenderten mit einfältiger Miene über den Hof, sodass die Schwestern uns, nachdem die beiden Herren gegangen waren, ausschimpften:
»Was habt ihr bloß wieder getrieben. Bestimmt wart ihr nicht höflich zu den beiden!«
Wir waren weder besonders aufmerksam noch besonders unfreundlich. Wir haben einfach weiter unsere Arbeit gemacht. Wir wussten ja auch so, ohne sie richtig zu kennen, was sie für eine Sorte waren. Mit den »Studierten« konnten wir einfach nichts anfangen.
Wenn man auf unseren Hof kam, merkte man natürlich sofort, dass unser Traktor nicht gerade das neueste Modell war. Unsere geflickten, altmodischen Jacken rochen nicht nach Stadt oder Fabrik, sondern nach Kuhstall. Glücklicherweise waren die Schwestern für den Verkauf der Butter zuständig. Damals war ich viel griesgrämiger als heute. Und Geschäftssinn hatte ich auch keinen.
Aber heute möchte ich gern von meinem Abenteuer mit Prévert erzählen. Ich frage mich, ob er uns, die Schwestern und mich, nicht vielleicht in einem Gedicht dargestellt hat. Das müsste dann heißen: »Ein Bauer nach Ortszeit«. Die zwei Stunden nachging, was fast zwei Jahrhunderten gleichkam. Ich gehöre zu einer aussterbenden Art. Heute mache ich darüber Witze, aber ich glaube schon, dass ich damals recht hatte: Die waren total baff, als sie uns sahen, so »unterentwickelt«, dem Anschein nach ebenso wie in Wirklichkeit.
Ich kann mich täuschen, nur Didier Decoin, der andere Schriftsteller hier, redet darüber mit mir. Und der ist einer aus Paris, ein »Studierter«. Wie Prévert weiß er unsere Ecke mehr zu schätzen als so mancher, der hier geboren wurde. Im Grunde sind wir uns alle ziemlich ähnlich. Man nährt sich von Erinnerungen.
Wir, die Bedels, waren tatsächlich »in unserem Leben« und nicht in ihrem. Kurz gesagt, wir mochten unseren Prévert. Er versuchte vielleicht, sich mit uns hier anzufreunden, und als er gestorben ist, hat mir das sehr leid getan.
Man hat immer so viel Angst vor den Leuten, die nicht sind wie wir, aber wovor fürchten wir uns eigentlich? Ein Dichter hat die Milch der Bedels getrunken, hat die Arbeit der Bedels verspeist. Das hat uns Freude gemacht, aber so alles in allem war uns nicht klar, wozu ein Dichter gut sein soll.
Ich habe nie gelesen, was er geschrieben hat. Daher habe ich mir die Frage, ob ich doof bin oder nicht, erst gar nicht gestellt!
Uns war das nicht bewusst, dabei waren wir schon ein wenig merkwürdig, wie wir uns hier in unserer Ecke gegen alle Hilfen und allen Fortschritt wehrten. Aber für mich und meine Geschwister waren es diese Leute aus der Stadt, die einen Sprung in der Schüssel hatten!
1977 begrub man Prévert in Omonville-la-Petite. Sein Freund Trauner kaufte auch weiterhin bei uns ein. Jetzt, wo ich so viele Abenteuer hinter mir habe, würde ich Prévert auf einen Kaffee einladen, wenn er wiederkäme. Ich würde mich nicht mehr anders oder unterlegen fühlen. Ich würde auf den Dichter zugehen, so wie ich es heute mit den Menschen mache, die mich besuchen.
Das mag einem merkwürdig vorkommen, aber jetzt, wo ich mich dank meiner Besucher, dank der Briefe, Leser und Zuschauer nicht mehr so unterlegen fühle, denke ich viel über Prévert nach. Wir waren vielleicht gar nicht so verschieden. »Poesie« ist zwar kein Wort, das ein Bedel benutzt, aber die Natur lieben wir wie er. Er träumte immer viel vor sich hin, und da kenne ich noch jemanden.
Der Blick seines Freundes Trauner auf uns ist in seinen letzten Lebensjahren jedenfalls viel milder geworden. Vielleicht aber hat sich auch mein Blick geändert und ist offener geworden.