Geheimnisse

Eines Tages hat es mich gepackt und ich wollte den Kamin in einem der Zimmer im Haus erneuern. Kurz zuvor hatte ich drei Säcke Zement nach Hause gebracht, die vermutlich von irgendeiner Baustelle stammten. Man hatte sie »in den Graben« geworfen, das war eine Art wilder Müllkippe. Nicht selten landeten dort auch Sachen, die man noch gut gebrauchen konnte. Ich war oft dort.

Mit diesen noch völlig unberührten drei Säcken Zement machte ich mich dann zu Hause an die Arbeit.

Bevor man neuen Putz aufbringt, muss man – wie vor der Aussaat – den Grund herrichten, damit er gut hält. Also habe ich den alten Mörtel abgeschlagen und den Kamin gesäubert. Im bûlin, einer Vertiefung am Kamin, in der wir normalerweise Salz und Zündhölzer aufbewahren, damit sie schön trocken bleiben, bemerkte ich plötzlich einen Hohlraum. Ich stocherte ein wenig darin herum, wie ich es auch in meinen Hummerlöchern mache, und plötzlich löst sich ein Stein.

Er wäre mir fast auf den Kopf gefallen.

Mir stockte der Atem, denn in Auderville redet man schon seit Ewigkeiten davon, dass irgendwo im Dorf ein Schatz versteckt sein soll. Ich dachte kühn: »Das ist der Schatz! Der Schatz aus Merquetot ist nach siebzig Jahren endlich aufgetaucht. Und ich habe ihn gefunden!«

Ich war völlig aus dem Häuschen. Mir kribbelte es regelrecht in den Fingern, als ich meine großen Pfoten in das Loch schob. Ich untersuchte es eingehend, tastete Höhe und Seiten ab. Eine Öllampe stand darin. Sie war ganz schön heruntergekommen, bestimmt war sie uralt. Roststückchen bröselten mir auf die Finger. Ich hatte schon Angst, die Schwestern würden mich ausschimpfen, wenn sie sahen, wie ich da allerhand Schweinereien aus dem Loch herausholte.

Bei jedem Stück Schmutz, das herausbröckelte, drehte ich mich um und sah über die Schulter, ob nicht etwa eine ins Zimmer kam. Den herausgefallenen Schutt schob ich mit dem Fuß weg. Aber schließlich fand ich doch noch etwas drin. Ich sage nicht, was es war … vielleicht ein Schatz, vielleicht auch nicht 

Dann überlegte ich kurz. Wenn jemand früher schon etwas in diesem Loch versteckt hatte, konnte ich das doch auch tun. Ich strengte meine Gehirnzellen an, dann holte ich ein Heft. Ich kramte mein Zeug hervor und schrieb eine Seite an den Knaben, der das Loch später einmal entdecken und ausräumen würde. Der konnte sich dann sagen: »Der Kerl, der das geschrieben hat, hat sicher keine Karies mehr.« (Was bedeuten soll: Der ist tot.) Vielleicht wird es wieder ein Bedel sein, vielleicht auch nicht … Ich klaute Marie-Jeanne eine Plastikdose mit Deckel, verstaute alles und legte es ins Loch zurück. Dann verschloss ich es wieder. Wie oft mochten meine Vorfahren wohl etwas darin versteckt haben?

Irgendwie hat mir das Ganze keine Ruhe gelassen. Ich habe meine Plastikdose für den Nächsten eingemauert und selbst allerhand Staubiges, aber auch Kostbares gefunden. Ich habe auf dem Blatt erklärt, wieso ich es dort gelassen habe. Bestimmte Dinge müssen dort bleiben, wo man sie findet. Ob sie nun wertvoll sind oder nicht.

Ohne Bedauern.

Dann wollte ich das natürlich noch ein wenig verschönern. Ich strich die Wand weiß und hatte die Idee, bevor der Zement trocknete, Ähren hineinzudrücken, erst eine Ähre, dann noch eine und noch eine. Natürlich von meinen Feldern. Das Symbol des Brotes, der Nahrung und des Sämannes. Für mich sind das die Symbole des Lebens schlechthin. Eine Art Abendmahl, das die Dinge, Tiere und Menschen vereint, und auch die Schönheiten der Natur.

Danach habe ich noch lange an die vielen Nachtwachen gedacht, bei denen man so gerne über Schätze redet, die im Garten vergraben, im Haus eingemauert oder auf dem Speicher versteckt sind. Ich kann mich an einen sehr alten Mann erinnern, der vergessen hatte, wo er seinen Spargroschen versteckt hatte. Nach seinem Tod ging eine anständige Frau aus dem Dorf zu seiner Tochter, um ihr zu sagen, wo sie das Geld finden würde. Sie wusste das seit ihrer Kindheit, damals hatte sie es irgendwo aufgeschnappt.

Am Ende wird das ganze Geld eines Mannes, alles, was er sich erarbeitet hat, irgendwo eingeschlossen, in einem kleinen Raum in einer alten Mauer.

In Auderville finden sich immer wieder »Schätze« in den Häusern. Die Leute entdecken sie, und das geht dann herum. Jeder redet darüber. Meist sind es alte Geldscheine, die keinen Wert mehr haben. Das ist wirklich zum Lachen.

Im Kohlenkeller oder Holzschuppen hat man dagegen immer die guten Weine versteckt. Das ist der »Weinkeller« der Männer, die sich vor ihren Frauen verbergen, um einen Schluck mehr zu trinken als nötig.

Manchmal aber handelt es sich um Edelmetalle 

Wenn man Gold oder Silber findet, ist das natürlich alles andere als lachhaft. Das erzählt man auch nicht herum. Mein Großvater hat uns mal von einem Schatz berichtet, der auf der Heide auf einen neuen Besitzer wartet, nur drei Kilometer von uns entfernt. Eine Frau, die ein Verbrechen begangen hatte, wurde von den Gendarmen abgeführt. Sie wusste, dass man sie ins Gefängnis stecken würde, und so hatte sie ihren Schatz in einen Sack gepackt und trug ihn unter den Röcken mit sich. Der Schatz musste schwer sein, denn sie ging sehr langsam. Man erzählt, dass sie an einem bestimmten Punkt auf der Heide die Gendarmen plötzlich bat, »austreten« zu dürfen. Die Polizisten ließen sie längere Zeit allein. Und offensichtlich entledigte sie sich dabei ihres Schatzes, denn hinterher ging sie leichten Schrittes vor den beiden her.

Wenn jemand diesen Schatz tatsächlich gefunden haben sollte, so redet er darüber nicht. Ich habe ihn nicht. Jedenfalls sieht man in der Gegend immer wieder tiefe Löcher, die mit der Hacke gegraben wurden.

Als man überall ägyptische Gräber öffnete und dort massenhaft Gold fand, ließ ein Monsieur Duchevreuille in der Gegend von Auderville ein Hügelgrab öffnen, das vier im Rechteck angeordnete Steine flankierten. Als es so weit war, versammelten sich alle Würden- und Krawattenträger der Gegend. Die Aufregung war groß. Das haben die Alten uns erzählt. Alles hielt den Atem an, als man den Tumulus öffnete. Was für Herrlichkeiten würde man darin wohl entdecken? Man stieß erst nach einigen Tagen auf die Grabkammer, aber statt Gold fand man nur Asche und versteinerte Knochen.

Die horsains, die uns besuchen, also die »Auswärtigen«, wie wir sie nennen, geraten oft in Verzückung, wenn sie die »Deutschen-Pfähle« finden. Das sind ein paar Pfosten in der Bucht von Écalgrain, auf denen die Deutschen während des Kriegs einen Beobachtungsposten errichtet hatten, eine Holzhütte. Da man dort, vor allem Richtung Jobourg, auch behauene Feuersteine findet, bilden sich die Leute immer ein, die Pfähle seien eine Art Carnac der Normandie, und wir widersprechen ihnen nicht. Wenn sie es so wollen.

Was man auf unseren Feldern öfter mal findet, sind kleine Pfeilspitzen aus Feuerstein aus der Wikingerzeit. Zumindest nehme ich das an. Es heißt, sie sollen das Haus vor Unglück bewahren.

Und dann haben wir noch die Kuhkratzer. Das sind auch Steine und zwar große Granitblöcke mitten im Feld, an denen die Kühe sich die Schwarte reiben können, wenn Fliegen und Bremsen über sie herfallen. Da haben wir schon Tränen gelacht. Es gab Schatzsucher, die mit einer Art Bratpfanne zum Graben angerückt sind, um dort das Gold der Kelten zu suchen.

In einer Nachbargemeinde kam jedes Jahr so ein Typ mit seiner ganzen Schatzsucherausrüstung an. Wir haben über ihn gelacht, weil er jeden Sommer da war, und ihn recht respektlos »Schürfpfannengesicht« getauft. Und dann hat er tatsächlich einen Schatz ausgegraben, und zwar genau am Fuß eines Kuhkratzers. Der war den ganzen Aufwand wert. Wir waren sprachlos! Seinen Fund hat er sogar mit dem Besitzer des Feldes geteilt.

Mir hingegen ist einmal Folgendes passiert: Ich war auf dem Feld, und aus irgendeinem Grund wurde mein Blick plötzlich von einem kleinen Erdklumpen angezogen (mit schönen Steinen für meine Mäuerchen geht mir das genauso). Ich weiß heute noch nicht, wieso, aber ich fing an, mit dem Daumen die Erde abzukratzen und dann halte ich auf einmal ein kleines Kreuz mit einem Christus aus Elfenbein in Händen.

Ich hab’s in die Tasche gesteckt.

Und dort habe ich es seitdem gelassen. Ich habe meinen Fund als Zeichen genommen und habe das Kreuz in ein Stück Papier gewickelt und in eine winzige Dose mit Reklame für Kakaopulver gesteckt. In dieser Dose führe ich auch meine Herztabletten mit – man weiß ja nie! – und eine Medaille mit der heiligen Therese, die mir ein junger Mann mal geschenkt hat.

Hier in unserer Gegend redet man nicht gerne über Geld. In Saint-Germain-des-Vaux wurde im Jahr 1900 eine Frau erstochen, die ein hübsches Vermögen hatte. Die Mörder sind durchs Fenster verschwunden. Nach der Tat blieb eine große Blutlache auf dem Boden zurück. Den Fleck soll man heute noch sehen. Damals wurden verschiedene Personen beschuldigt, deren Nachkommen hatten noch lange unter der Schande zu leiden. Sie haben sie gleichsam von Generation zu Generation weitervererbt bekommen. Im Dorf wusste man immer, wer das Ganze angezettelt hatte. Der, den man für schuldig hielt, war ein Mann mit einem Zylinder. Man hatte ihn an jenem Tag gesehen, wie er sich mit seinem Pferdewagen auf den Wegen ums Haus herumtrieb. Vielleicht hat er da auf die von ihm gedungenen Mörder gewartet.

Da die Schuldigen nie gefasst wurden, hielt sich während meiner Jugend und sogar noch nach dem Krieg bei uns ein Klima des Argwohns. In den abgelegenen Weilern ließ man die Kinder nicht gerne draußen spielen, und über Geld redete man schon gar nicht. Irgendwie hat diese Geschichte den Geist der Gegend geprägt. Die Alten reden heute noch darüber! Dabei kann der Kerl, der den Mord begangen hat, heute niemandem mehr schaden.

Ich habe auch Verbrechen begangen, Sünden, auf die ich alles andere als stolz bin. In meinen wilden Jahren ging ich noch mit dem Karabiner auf die Jagd, einem Gewehr, das ich schwarz gegen irgendetwas eingetauscht hatte. Ich zog so über die Felder, als es plötzlich in einer Hecke zu rascheln begann. Die Zweige zitterten, ich hielt den Atem an und: »päng«. Meinen Kopf hättest du sehen müssen, als ich begriff, dass der vermeintliche Hase ein großer, brauner Kater war. Einen Moment lang glaubte ich, auf ein Gespenst gestoßen zu sein, das mir einen üblen Streich spielte, eines von denen, die in La Hague herumgeistern.

Kurz darauf traf ich eine alte Frau, die so des Weges kam. Sie hielt mich an, ich konnte ihr nicht gut ausweichen:

»Ach, die Jagd ist also schon eröffnet. Mein großer Kater ist weg. Ich finde ihn nicht mehr. Hast du ihn zufällig irgendwo gesehen, Paul?«

Und ich stand da mit rotem Gesicht und stotterte:

»Vielleicht hat er ja eine hübsche Katze getroffen, wer weiß?«

Die arme Alte 

Im Jahr darauf ging ich mit Mirza, unserer treuen Hündin, auf die Heide hinaus. Dieses Mal aber jagte sie nicht wie üblich. Sie hatte es auf einen Busch abgesehen und umkreiste ihn aufgeregt springend. Aber natürlich wollte ich nicht wieder eine Katze erschießen. Ich würde nicht blind auf den Busch zielen. Und so wartete ich, bis Seine Majestät, der Hase, aus dem Versteck kam. Päng, das Tier fällt. Und wieder dasselbe! Ich hatte keinen Hasen erlegt, sondern ein großes, fettes Kaninchen. Später erfuhr ich, dass es offensichtlich aus seinem Stall ausgebüxt war. Sein Besitzer war schon seit Jahren stolz darauf, die größten Stallhasen von La Hague zu züchten. Ich habe mich kaum getraut, es zu Hause zu erzählen, so habe ich mich geschämt. Aber das Tier war so groß, das wäre jedem aufgefallen. Nun ja, gegessen haben wir es trotzdem 

Ich habe halt auch Sachen gemacht, die einfach nicht besonders nett waren. Und als ein Nachbar mir erzählte, dass er gesehen habe, wie eine Frau meine Weste an sich drückte, die ich auf der Einfassung hatte liegen lassen, dachte ich mir: »Also nein, das geht doch nicht.«

Seitdem lasse ich meine Sachen nicht mehr so herumliegen. Die Dame hatte wohl einen Sprung in der Schüssel. Ich bin gewiss kein Heiliger. Ich habe im Leben auch Fehler gemacht. Denn ich bin einfach nur Paul, mit all meinen guten und schlechten Seiten. Ich halte mich nicht für besser als andere Menschen, eher im Gegenteil.