Die Rente

Vor der Rente tat einem immer alles weh. Man legte sich abends nieder und am Morgen wachte man auf und der Körper verfiel wieder in den alten Trott. Wenn man aufhört, Bauer zu sein, hat man zum ersten Mal große Ferien. Es gibt zwar noch das ein oder andere zu tun, aber man verliert den Rhythmus. Und dann spürt man die Erde auf der Schaufel umso stärker. Sie misst dir die Zeit ab und sagt dir Dinge, die du nicht unbedingt hören magst: Zum Beispiel, dass irgendwann ein anderer auf dem Feld Kartoffeln klauben wird, aber die Kartoffeln, das bist dann du!

Aber du stichst weiter um, auch wenn der Spaten in der Hand immer schwerer wird. Denn schließlich bist du es, der die Erde bewegt, nicht umgekehrt. Wenn du aufhörst, wird dir erst klar, wie sehr deine Arbeit dein Leben war, wie sie deine Tage und Nächte geprägt hat, Stunde um Stunde. Du hast ihr ganz gehört. Und das Schlimme ist, dass ich zufrieden war und es heute noch bin. Die Schwestern auch. Das Leben, das wir führten, hat ihnen gefallen.

Ich hoffe, dass sie auch mal die landwirtschaftliche Verdienstmedaille bekommen. Sie haben sie genauso verdient wie ich.

Ich habe sie verliehen bekommen und sie den beiden gewidmet.

Allerdings musste ich wieder allerlei Papierkram auf mich nehmen, damit ich sie in Empfang nehmen konnte. Den damit befassten Bürohengsten sei hiermit herzlich gedankt!

Ich hatte keine Lust, in Rente zu gehen. Ich habe nicht einmal daran gedacht. Zwar habe ich sie schon vor Jahren beantragt, aber ich lange immer noch hin, wo eine helfende Hand gebraucht wird. Offiziell gehört das Ganze nun seit fünfzehn Jahren den Schwestern. Das ruhige Leben interessiert mich nicht, es zieht mich nicht an. Ich brauche das nicht, noch nicht.

Das ist keine Frage des Geldes. Selbst wenn man mir mehr angeboten hätte, damit ich aufhöre, hätte das nichts an meiner Haltung geändert. Ich mag meine Arbeit so sehr. Wenn man sieht, »wie der Salat wächst und alles andere, was man isst«, wie Françoise sagt, ist das mit Geld nicht aufzuwiegen. Aufhören, um »meine Ruhe zu haben«? Wozu brauche ich denn Ruhe?

Ich habe nicht ans Rentenalter gedacht, gekommen ist es trotzdem. Man denkt nicht ans Altern, aber alt wird man doch. Ich dachte nicht, dass meine Freunde und die Menschen, die ich liebte, je sterben würden und es ist trotzdem so gekommen. Ich muss meine Fensterläden erst noch erneuern. Das Holz habe ich schon in meiner Werkstatt. Dafür braucht man nämlich Zeit und Stille. Wenn du damit anfängst, vergeht dir der Hunger. Du wirst nicht müde, nichts tut dir weh. Du machst schön gemächlich deinen Fensterladen oder dein Gatter. Holz redet nicht, aber es beruhigt einen.

Früher kam der Schreiner mit seinem Handwagen und brachte den Sarg. Dazu musste er durchs ganze Dorf, und man sah ihm nach, weil man wissen wollte, wer gestorben war.

Wenn ich in meiner Schreinerei arbeite, muss ich unwillkürlich schmunzeln. Meine vier Bretter sind es noch nicht, die ich da zurechthoble, aber das kommt auch noch. Schließlich will ich Geld sparen. Wie viele Leute haben sich schon ihren Sarg zurechtgezimmert, wenn die Zeit gekommen war? Gar nicht so wenige, würde ich meinen. Es gab sogar welche, die sich während der Bombardements im Krieg darin versteckten!

Nun, das kommt auch noch. Ich werde am Ufer nach Holz suchen. Das kostet nichts außer ein paar Schweißtropfen, denn natürlich muss man es heraufbringen. Ich tue das schon aus Leidenschaft. Holz kann man nie genug haben, und so bringe ich alle möglichen angeschwemmten Stücke hierher. Manchmal habe ich meinen Schatz sogar auf der Heide versteckt, um keinen Ärger mit der »Obrigkeit« zu haben, denn die Kontrollen waren recht streng. Ob es nun unter den Farnbüschen auf der Heide trocknete oder in meinem Garten, war ja egal. Die Schiffe fangen an zu schlingern, sobald sie über den Raz müssen. Dann kappen die Matrosen die Leinen und opfern einen Teil der Ladung, damit das Schiff sich wieder aufrichtet. Ich habe das mehr als einmal beobachtet. Das Schiff fährt weiter, und ich weiß schon, wo ich am nächsten Tag suchen muss, um das über Bord geworfene Holz zu bergen.

Im Juli habe ich meine Handwasserpumpe auf dem Hof repariert. An mir ist ein Herzspezialist verloren gegangen, sage ich euch. Ich habe sie abmontiert und werde ihr eine Ledermanschette verpassen. Das Leder schneide ich von der Anhängerkupplung ab. Meine Adern sind verstopft, für die Pumpe gilt dasselbe. Die Ventile funktionieren nicht mehr richtig. Das Kopfteil habe ich schon auf der Hobelbank, den Kolben auch. Ich hatte ihn schon mal repariert, und einen Kolben aus Hartholz eingesetzt. Offensichtlich muss ich etwas anderes finden.

Guste macht sich Sorgen, schließlich ist die Pumpe etwa so alt wie wir. Er hofft, dass sie noch durchhält. Das Kopfteil hatte anfangs eine lange Spitze wie diese Pickelhaube der Deutschen. Und tatsächlich haben die Deutschen sie während des Krieges abgebrochen, als sie einen großen Wassertank anbrachten. Wir haben die Spitze nicht mehr gefunden.

Diesen Sommer habe ich diese Spitze, die vor fünfundsechzig Jahren abgebrochen ist, im Hof wiedergefunden. Das ist ein Zeichen. Unsere Pumpe wird durchhalten. Wenn sie die Deutschen überstanden hat, wird sie auch den Alltag überstehen. Ich dachte nie, dass ich und die Pumpe so alt werden würden. Aber das Korn muss auch absterben, damit es neue Frucht tragen kann. Wenn ich gestorben bin, heißt es dann: »Das war sein Leben.« Der eine wird sagen, ich hab’s gut gemacht, der nächste ist anderer Meinung.