Die Schwestern sind ja recht verschwiegen, aber sie kennen alle Geschichten aus dem Dorf, vor allem die von den Schiffbrüchen. Jeder hat schon einmal nach einem Sturm kleine Treibgut-Schätze am Strand eingesammelt. Einige der Alten – damit meine ich die, die damals so alt waren wie ich jetzt – holten ihre Butter, die wir bis 2004 auf dem Hof verkauft haben, auf Tellerchen mit der Aufschrift Prince Line ab, die bei einem Schiffbruch angeschwemmt worden waren.
Hier wird alles aufgehoben. Die Geschichte unseres Landstrichs ist den Dingen eingeschrieben. So bestehen beispielsweise die Fensterläden an meinem Haus oder ein paar von den Einzäunungen aus Fundholz. Welches Schiff gekentert ist, kann man an den Buttertellern ablesen. Man glaubt das heute ja nicht mehr, aber wir sind mit dem Meer und der Erde verbunden. Da ist der Mensch nur eine kleine Marionette.
Wie gesagt: niemand, wirklich niemand wird je meine Hummerlöcher zu sehen bekommen. Ich werde von meinen Löchern erzählen, aber sie niemals herzeigen. Ich habe euch zwar beschrieben, wie man hinkommt, aber ich habe ein ganzes Leben gebraucht, um sie wirklich kennenzulernen, und wenn ich jetzt verrate, wo sie sind, habe ich das Gefühl, mit mir ist Schluss. Vielleicht könnte ich ja jemanden mitnehmen, wenn der Mond tief steht und der Nebel so dicht ist, dass man ihn mit einem Messer schneiden könnte. Derjenige hätte dann so viel Angst, sich zu verirren, dass er nicht mehr darauf achten würde, wo er den Fuß hinsetzt. Denn ich, und da übertreibe ich nicht, ich erkenne die Steine mit den Füßen. Ich würde mich nie verlaufen, andere schon! Ich warte und esse das Meer und die Erde. Vielleicht halten manche mich für einen seltsamen Vogel. Aber wenn jemand meine Löcher freilegt, dann nur, weil er etwas im Schilde führt. Und trotzdem müsste er höllisch aufpassen, dass die Wellen ihn nicht wegreißen. Dann hätte mein Hummer was zu fressen. Der Hummer, den ich verloren hätte, den ein anderer hätte fangen wollen, nur leider ist er dabei ertrunken.
Meine Löcher sind Schweigen, ein bisschen Privatleben sozusagen. Mein Morgen im Angesicht der Gezeiten, meine Nächte unter dem Auge des Mondes.
Dennoch wird der Tag kommen, an dem ich es halten werde wie mein Vater und mein Onkel. Ich werde meinen Neffen mitnehmen oder eine andere Person meiner Wahl, einen nur, nicht etwa zwei, und ich werde ihm mein Territorium zeigen, ich werde das Geheimnis weitergeben. Das heißt dann auch, dass ich mich matt fühle, dass es nicht mehr lange dauert, bis ich das letzte Mal hier die Gezeiten sehe.
Ich müsste vielleicht auf allen Vieren krabbeln, aber ich würde noch mal ans Meer gehen. Sicher!
Aber irgendwann wird einer in meine Fußstapfen treten. Was meine Löcher angeht, aber auch bei anderen Dingen. Man muss einfach abtreten können. Darum kommt man nicht herum.
Mein Vater, mein Onkel und ich – das sind mehr als zweihundert Jahre Erfahrung im Fischen, die Urgroßeltern nicht eingerechnet!