Unsere Ställe tragen Namen. Da gibt es einmal den tchu d’étoupe, die »geflickte Hose«. So hieß ein Mann aus Auderville, ein großer Schmuggler und Gauner. In diesem Stall standen die Kälber, die gemästet wurden, um sie später zu verkaufen.
Der Stall der p’tits viâos hingegen beherbergte die jungen Milchkühe.
In der Ecke steht der Hasenstall.
Da gibt es noch den Misthaufen und den »Stall ganz hinten«.
Mein Vater hatte dort während des Krieges hohe Gatter errichtet und den Verschlag abgedeckt, damit niemand das arme Schwein sah, das er knebeln musste, um es schlachten zu können!
Meine Mutter und die anderen Frauen wuschen die Gedärme im Waschhaus und im Meer. Sie haben sie immer wieder gewendet, um sie auch wirklich sauber zu bekommen. Dann haben wir sie mit ein wenig Salz gebraten.
Wir hatten zwar keine Genehmigung, ein Schwein zu schlachten, aber getan haben wir es natürlich trotzdem.
Eines Tages, als ich meinem Vetter geholfen habe, eines zu schlachten … Das sollte ich vielleicht nicht erzählen, sonst rückt uns Brigitte Bardot mit ihrem Tierschutz auf die Pelle. Lebt die überhaupt noch? Keine Ahnung. Nun, jedenfalls steht das Schwein plötzlich wieder auf! Tot, ohne tot zu sein. Ich habe mich nicht mal getraut, das Stroh anzuzünden, mit dem man die Borsten von der Haut brennt. Es blieb ein paar Sekunden lang auf allen Vieren stehen, dann hat es endgültig sein Leben ausgehaucht.
Armes Schwein! Das war schon etwas, wie es sich ans Leben klammerte.
Von da an mochte ich keine Schweine mehr töten. Ich hatte zu viele Schuldgefühle.
Ein Mann schlitzte dem Tier dann mit einem Bajonett, das von einem deutschen Gewehr stammte, den Bauch auf. Das war unglaublich scharf, und so ging alles recht schnell. Da gibt es nichts, die Deutschen waren schon stark, wenn es darum ging, etwas in zwei Teile zu schneiden. Echte Aufschlitzer! Ihr Bajonett ist uns heute noch dienlich.
Natürlich haben wir uns mittlerweile versöhnt, aber so manches vergisst man nicht.
Als ich am 14. Juli 2007 von Nicolas [Sarkozy] eingeladen wurde und während der Parade in Paris auf der offiziellen Tribüne sozusagen als »Staatsgast« saß, behielt ich meine Bauernkappe auf. Ich vertrat dort schließlich die Kleinbauern des Landes.
Nun ja, die Parade war beeindruckend. Man feierte das Vereinigte Europa, das Europa des Friedens, und das finde ich gut.
Das Europa der Landwirtschaft, damit kann ich schon weniger anfangen. Schließlich kamen die deutschen Soldaten, und da verging mir das Lachen, als ich ihre Marschmusik hörte und ihre Stiefel. Mir lief richtig ein Schauer über den Rücken. Das wirkte, als hätten sich ihre Haltung, ihr Schritt nicht verändert.
Da war plötzlich die Vergangenheit wieder da, als sie in unserem Land waren und uns mit ihren Bombardements Angst machten.
Heute allerdings helfe ich ihnen gerne. Die Kinder sind ja nicht verantwortlich für die Taten ihrer Eltern. Aber damals, bei der Parade, als ich das »Tap, tap« ihrer Stiefel hörte, erinnerte ich mich wieder an meine Freunde, die damals sangen: »Halli, hallo, auf euch wartet das Iâo!« (das Wasser).
Und man sieht die Kinder wieder vor sich, wie sie auf dem Schulhof die deutschen Soldaten nachahmten und dabei den Rücken durchdrückten und den Pürzel rausstreckten wie die Enten.
Die alten Leute hier, die das lesen, werden sich sagen: »Aber dieser Bedel hat doch einen Knall.« Das ist doch mittlerweile alles Schnee von gestern. Und tatsächlich bin ich zu denen, die heute zu mir kommen, sehr nett. Das sind Deutsche, keine Boches, wie wir die Besatzer damals nannten.
Aber manchmal schmerzen Erinnerungen auch.
Ich sehe lieber die Schwalben über den Semaphor fliegen als noch mal die schwarze Fahne, die im Wind flatterte wie ein Schreckgespenst.
Ich spaziere so durch meine Natur und trage meine Geschichte mit mir, meine Gedanken, meine Tage, meine Tiere, meine Felder.
Das Mesner-Sein ist durchaus ähnlich, auch da hat man mit Liebe und Hass zu tun.
An den Erinnerungen, die mit den Orten verbunden sind, an denen man lebt, trägt man schwer.
Es war auch nicht leicht, die Felder nicht so zu bestellen, wie alle Welt das tat, dem Fortschritt immer hinterherzulaufen.
Man mustert dich gleichsam aus und stellt dich in eine Ecke.
Und kurz bevor du stirbst, holt man dich wieder hervor.
Wie es mir gerade passiert.
Vorher hatte ich mich fast selbst vergessen.
Und in wenigen Tagen, Stunden oder Monaten wird die Welt mich auch vergessen haben.