Der Felsengarten
Ich gehöre zu den Landfischern, nicht zu jenen, die gern auf Boote gehen, die Meeresfischer, die Meeresluft schnuppern, und allmählich nehmen ihre Hände und ihre Kleidung den Geruch ihrer Boote an. Zu Fuß fischen hat meine Tante Fernande dazu gesagt, die ich sehr mochte. Sie war Schneiderin und hat mir meinen ersten Anzug gemacht, ich sollte »ein hübscher Junge« sein, wenn ich zur Schule ging. Natürlich fühlte ich mich darin regelrecht eingeschnürt.
Schon als kleinen Jungen nahm sie mich mit, damit ich auf den Felsen herumklettern und den Tang absuchen konnte. Durch meine Großmutter habe ich ebenfalls Bekanntschaft mit dem Wasser gemacht, aber mehr beim Waschen. Ich marschierte über den grünen Algenteppich, während sie die Wäsche machte, und natürlich fiel ich rein. Sie erwischte mich gerade noch an den Beinchen, ich konnte ja nicht schwimmen …
Die Geschicklichkeit der alten Damen – die damals lange nicht so alt waren, wie sie aussahen – beeindruckte mich unglaublich, vor allem, wenn wir große Felsen hinaufkletterten. Sie fischten nicht wie die Männer, sie sammelten Strandschnecken und Garnelen, manchmal die bretonischen Abalonen. Auch die Krebse sind in unserer Familie Frauensache.
Wenn du die kleinen, runden Seespinnen nimmst und ihnen den Kopf abtrennst, kommt alles auf einmal heraus. Sie schmecken stark nach Schlick, gleichzeitig ist ihr Fleisch sehr fein. Man saugt ihnen die Füße aus. So vergeht bei Tisch die Zeit, und das Gebiss wird auch gestärkt.
Meine Tante aß Garnelen manchmal noch roh, gerade wie sie aus dem Wasser kamen. Sie schnitt ihnen nur den Kopf ab. Mir gab sie Napfschnecken zum Auslutschen, die sie mit einer geschickten Bewegung mit dem Messer vom Felsen löste. Und ich machte es ihr nach. Das ist ähnlich wie beim Brombeerpflücken, da steckst du dir auch zwischendrin eine in den Mund.
Und die Frauen mischten sich nie in Männerangelegenheiten.
Mit dem Meer haben uns trotzdem die Frauen vertraut gemacht. Wie mit der Erde auch. Bis ich etwa zehn Jahre alt war, bin ich den Frauen unserer Familie immer an der Schürze gehangen. Sie haben mir beigebracht, wie man melkt, harkt und das Getreide zu Garben bindet. Als ich dann älter wurde, übernahm mein Onkel meine Erziehung. Er hat mir gezeigt, wie man mit Angelhaken umgeht und all das. Er hat mir sein Territorium vermacht. Aber der Geschmack am iâo, am Meerwasser, der kommt von meiner Tante und meiner Großmutter. Die ihr Territorium im Übrigen an die Schwestern übergeben haben.
Die Ebbe macht mich ganz kribbelig. Sobald das Wasser sich zurückzieht, lasse ich das Ufer nicht mehr aus den Augen, wenn ich auf meinen Feldern da oben arbeite. Ich habe schon aus alter Gewohnheit einen Blick für die Felsen, die dann sichtbar sind, und habe mir daraus so eine Art Landkarte gemacht.
Diese Landkarte, die alle alten Leute haben, werde ich früher oder später an die Jungen weitergeben. Dann werde ich ihnen erzählen, wie ich im Abstand von zehn Jahren zwei Frachtschiffe über die Greunes habe schrammen sehen. Die Greunes sind mehrere Felsen unter Wasser, einer hübsch hinter dem anderen. Die Spitzen sind selten sichtbar, meistens verdeckt sie die Gischt des Raz mit ein paar Handbreit Wasser. Man könnte fast sagen, dass sie sich unter der Flut verstecken. Niemand kann sie sehen, man muss raten, wo sie sind.
Ich war beide Male auf meinen côtis, auf den hoch über dem Meer gelegenen Feldern, als die Frachtschiffe um die nordwestliche Spitze von La Hague kamen. Aufgrund des hohen Wellengangs war ihr Schiffsbug danach wohl ziemlich sauber. Obwohl so viele Jahre dazwischen lagen, sah alles total gleich aus. Ich hatte fast das Gefühl, die ganze Zeit dort gestanden zu sein. Wie in einem Film, der immer wieder von vorn anfängt. Die beiden Schiffe haben sich aber gut aus der Gefahrenzone hinausmanövriert und sind dann doch noch an den Felsen vorbeigekommen.
Die Greunes geben einem manches zu lachen, wenn man so als einfacher Bauer auf seiner Scholle sitzt!
Was die Namen der einzelnen Felsen angeht, hat man mir immer erzählt, dass der Alizée-Fels nach einem Segelboot benannt ist, das sich an ihm die Schnauze gestoßen hat.
Die Felsen können einem genauso viel erzählen wie die Bücher, die man liest. Oder zumindest wie das, was man dir erzählt, denn meist verändert der Schreiber die Geschichte ja irgendwie.