Früher hielten wir normannische Kühe, sie hatten ein weißes Fell mit roten Flecken. Sie fraßen nur Blumen, deshalb waren sie so schön. Man konnte sie als Fleisch- oder Milchvieh halten. Siebenhundert bis achthundert Kilo Intelligenz. Ihre Augen waren dunkelbraun umrandet, das sah aus, als hätten sie Sonnenbrillen auf. Die gebogenen Hörner konnten einem schon gefährlich werden, daher habe ich sie etwas abgesägt und zugefeilt. Man kannte sie seit Generationen, und jede hatte ihren eigenen Charakter. Dabei fühlten Fell und Euter sich bei Mutter und Tochter immer gleich an.
Wenn man den Kälberstall reinigte und den Mist hinausschaffte, der da schon etwa siebzig Zentimeter hoch lag, kamen die Kälber zum ersten Mal nach draußen. Die Aprilkälber blieben bis zum April des folgenden Jahres im Stall, die Septemberkälber nur sechs oder sieben Monate. Man legte ihnen ein Halfter an und lärmte mit dem Milcheimer, damit sie einem nachliefen. Sie sollten uns ja auch wiedererkennen.
Natürlich hatten sie zunächst einmal Angst. Ja, sogar vor uns. Sie mussten sich an uns in der freien Natur erst gewöhnen. Schließlich kamen sie an und beschnupperten uns wie Hunde. Wir hatten sie jeden Morgen und Abend im Stall gefüttert, hatten allmählich ein oder zwei Handvoll Heu zugefüttert, bis sie selbst zu fressen begannen. Jetzt machten sie sich zögerlich ans Grasen.
Wenn wir die Kälber zum ersten Mal aus dem Stall holten, verbanden wir ihnen die Augen, sonst sprangen sie wie verrückt herum. Eines ist mal in den Garten der Nachbarin gelaufen und hat dort die Johannisbeeren kaputt gemacht. Sobald sie verstanden, dass ich da war, folgten sie mir. Vorher hatten sie Angst vor dem freien Feld.
Eines Tages habe ich einer Kuh beim Kalben geholfen. Das Kälbchen brachte ich in den Stall zu den Mastkälbern. Aber nach acht Tagen kam Françoise und meinte, ich müsse mich getäuscht haben, es hebe nämlich den Schwanz beim Pissen. Ich hatte nicht nachgeguckt, ob es »Eier« hatte!
Wenn so ein Tier zur Welt kommt, verlasse ich mich mehr oder weniger drauf, wie es dreinschaut. Und das sah eben aus wie ein Stierkalb …
Wenn du zu deinen Kühen gehst, musst du nur ein wenig husten und schon erkennen sie dich. Die Kühe kommen abends in den Stall im Gegensatz zu den Kälbern, die viele Monate draußen bleiben. Am Morgen mistest du den Stall aus und schaffst den Mist auf den Misthaufen. Du reinigst ihren Schlafplatz. Wenn ihnen dann in den Sinn kommt, fressen zu wollen, finden sie im Stall ihren Platz, immer denselben, sauber vor. Die »Schlimme« haben wir an die Mauer gestellt, denn wenn es ihr einfiel, ihre Nachbarin auf die Hörner zu nehmen, konnte sie nur eine Kuh verletzen, nicht zwei. Wenn eine am falschen Platz steht und der anderen das Futter wegfrisst, dann kabbeln sie sich. Aber sonst halten sie wirklich zusammen. Die »Chefin« marschiert dem Trupp gewöhnlich voraus. Wird sie von einer Kuh überholt, stößt sie mit den Hörnern wütend gegen die Stalltür und wird richtig zornig. Die Chefin ist meistens die älteste, die Kuh mit der größten Erfahrung.
Die Kühe kalben allein, aber manchmal helfe ich ihnen dabei. Doch ich wollte nicht, dass das im Film über meine Arbeit gezeigt wird. Ich kenne meine Kühe. Wenn ein Fremder beim Kalben in den Stall kommt, hätte die Kuh sich zurückgehalten, bis es nicht mehr geht, und hätte sicher dementsprechend gelitten. Sie hätte das Kalb so lange wie möglich sicher in sich behalten und dadurch beide in Lebensgefahr gebracht. Eine kalbende Kuh braucht vor allem Ruhe. Da hätte eine Kamera wirklich nur gestört. Es gibt einfach Dinge, die filmt man nicht.
Beim Kalben ist es mir schon passiert, dass sich das Fruchtwasser über mich ergossen hat. Ich bin nicht immer picobello sauber aus dem Stall gekommen. Die meiste Zeit aber sitzt man nur da und wartet und lässt die Dinge geschehen. Zumindest, wenn man die Füße mit den Afterklauen unten liegen sieht. Zeigen sie jedoch nach oben, dann aufgepasst, denn dann liegt das Kalb mit dem Hinterteil zur Geburtsöffnung, und das kann eine harte Nacht werden! Dann musst du in die Kuh hineinlangen und versuchen, den Schwanz des Kalbes zwischen seine Beine zu stecken. Dann dreht es sich und die Hinterbacken liegen wieder richtig. Sonst reißt es dir die Kuh auf. Das ist schlimm für das Tier, denn wenn das Kalb mit dem Hintern zur Geburtsöffnung hin liegt, dann kommt es sozusagen gegen den Strich heraus und das Fell bremst die Geburt.
Manchmal verkeilt sich der Kopf. Auch da musst du eingreifen, sonst kommt das Kalb nicht mehr heraus. Damit es nicht im Bauch erstickt, musst du es so schnell wie möglich rausholen. Und achthundert Kilo lassen sich nicht so schnell bewegen wie eine menschliche Mutter, die vielleicht nur fünfzig auf die Waage bringt!
Eines Tages hat eine Färse auf einem der unteren Felder ihr Kalb verloren. Ich habe sie sofort in den Stall gebracht und hatte richtig Angst um sie. Sie hätte ja Maul- und Klauenseuche oder die Viehseuche haben können. Also habe ich sofort den Tierarzt angerufen, aber wir mussten trotzdem acht Tage auf die Untersuchungsergebnisse warten. Er befahl mir, sie nicht aus dem Stall zu lassen. Ich wollte sie nicht melken, weil die jungen Kühe beim Melken im Stall oft ausschlagen. Und natürlich wollte ich mir bei dieser Gelegenheit keinen Tritt einfangen.
In dieser Zeit wurde das Euter riesig und schwoll immer weiter an. Schließlich bekam ich den Brief des Tierarztes: »normaler Abgang, kein Seuchenbefund«. Da bin ich überglücklich sofort zu meiner Kuh gerannt und habe sie gemolken. Sie hat mich ordentlich getreten! Aber ich war trotzdem froh, dass ich meine Herde nicht verloren habe.
Niemand würde mir meine Kühe wegnehmen, die wiederum von Kühen abstammten, die auch schon in unserer Familie waren.
Eben diese Kuh muhte einmal lange im Stall, und ich habe sie, aus welchem Grund weiß ich nicht mehr, mit dem Kassettenrecorder aufgenommen. Dann habe ich ihr die Kassette vorgespielt. Ich hatte es schon geahnt, sie drehte richtig durch, als sie ihre eigene Stimme vom Band hörte. Natürlich habe ich sofort ausgeschaltet, aber weil ich schon dabei war, habe ich das Muh-Konzert im Haus den Schwestern vorgespielt. Meine Mutter und meine Tante hatten sich oben schon schlafen gelegt. Da riefen sie herunter:
»Paul, deine Kühe laufen auf der Straße herum. Paul, schnell, geh raus.«
Wir haben herzlich gelacht.
Wenn man Kühe hält, muss man sich auf ihren Charakter einstellen. Natürlich gibt es sanftmütige Engel, aber die Dickschädel mag man genauso gern. Freilich: Wenn sie dir üble Streiche spielen, dann bist du froh, wenn du sie verkaufen kannst. Aber häufig fehlt dir hinterher gerade das Biest am meisten.
Die Kühe kennen den Wind genau. Wenn er Regen bringt, legen sie sich hin. Mehr als einmal habe ich beobachtet, wie sie auf der anderen Seite des Feldes Schutz suchten. Hätte ich versucht, sie hinüberzutreiben, wären sie nicht mitgegangen. Oft habe ich gesehen, wie sie vor einem Wetterwechsel irgendwo Schutz suchten. Sie wechseln den Platz und du sagst dir: »Der Wind wird Regen bringen.« Und dann weißt du, dass du am nächsten Tag besser irgendwo auf dem Hof herumwerkelst.
Unsere Kühe hatten eine Geschichte. Meine Schwestern und ich kannten sie schon als Kälber. Man stellte sich auf ihren Charakter ein, damit sie es gut hatten. Im Grunde so, wie man es mit Kindern macht. Bei Tagesanbruch und bevor es dunkel wurde, molken wir sie mit der Hand.
Alle drei Wochen etwa werden die Kühe »stierig«. Im Dorf hatten wir uns zusammengeschlossen, wir waren etwa zwölf Landwirte, die sich gegenseitig einen Stier ausliehen und ihn jeweils für zwei Jahre auf die eigene Weide ließen. Jeder führte Buch, wann er welche Kuh auf die Weide brachte und wann der Stier aufgestiegen ist.
Wir waren immer sehr vorsichtig, denn Stiere sind Mistviecher! Man hat schon gesehen, dass sie Leute töteten.
Eines Tages brachte ich die Färse Oville zum Stier. Sie hat sich schrecklich aufgeführt. Sie jammerte, weil sie nicht vom Feld wollte. Dann ließ sie sich besteigen, aber gleich danach zog sie mich am Strick davon wie einen alten Schuh. Ich versuchte Schritt zu halten, aber nichts zu machen, sie rannte wie verrückt. Auf dem Feld hat sie mich so genervt, dass ich sie in die Tränke bugsierte. Das ist ein Trick, damit man sie wieder in den Griff bekommt. Nachdem sie sich dort wieder abgekühlt hatte, war sie lammfromm.
Eine andere Färse hätte mich bei Einbruch der Nacht fast drangekriegt. Ich habe versucht, sie heimzubringen, aber keine Chance. Sie ließ sich nicht führen. Sie rieb sich wie verrückt an einem kleinen Mäuerchen und zog mich mit sich. Glücklicherweise war das Feld gerade gepflügt worden, denn bald fand ich mich unter ihr in einer Ackerfurche wieder. Ich war platt, aber glücklicherweise nicht tot. Ich habe abgewartet, bis ich mich wieder bewegen konnte und sie dann angeleint. Schließlich trotteten wir beide voller Erde nach Hause wie gute Kameraden.
Mit meinen Kühen gab es keine »Karambolagen«, sondern »Kuhrambolagen«.