Ich habe vieles Unnütze aus meinem Leben verbannt, da kam Gott näher, um zu sehen, was da vor sich ging.
Christian Bobin
Ich bin nicht lange zur Schule gegangen. Meine Schwester Françoise sagt sehr schön, was die Schule für uns bedeutete: »Die Schule hat einen nur daran gehindert, in der Natur zu sein.« Vor allem bei Springflut hätten wir am liebsten ganze Tage draußen zugebracht. Ich habe dort nichts gelernt. Alles, was ich weiß, habe ich selbst entdeckt oder von meinen Vorfahren vermittelt bekommen, auch wenn sie schon lange tot sind.
Natürlich war es früher nicht besser, aber ich könnte nicht so arbeiten, wie das heute üblich ist. Die Leute haben sich immer mehr von der Erde entfernt. Wenn man eine Handvoll Erde aufnimmt, spürt man, dass der Boden lebt. Dies ist unsere Grundlage, die wir nicht zerstören dürfen. Das hat nichts mit Nostalgie und Rückwärtsgewandtheit zu tun. Die Arbeit war früher auch nicht härter. Damals war man längst nicht so verrückt wie heute, mit dem ganzen Papierkram und so. Der Körper hat gearbeitet und die Zeit hat den Takt vorgegeben. Das musste man nehmen, wie es war. Es gab ja keinen Termin oder so etwas. Das ist heute anders. Ich hatte zweiundsiebzig Felder und Wiesen im Dorf und der Umgegend! Aber für mich war das alles eins. Wir folgten der Furche, und die hing von der Bodenbeschaffenheit ab. Die jungen Bauern von heute haben keine Freiheit mehr, die sind so richtig eingekesselt zwischen Papierkram und EU-Zuschüssen. Früher hatte man noch Zeit zum Staunen. Man jätete auf Knien das Rübenfeld und sah, ob die Triebe welk waren und sie am nächsten Tag Wasser brauchen würden. Heute bewässert man sie mechanisch und Schluss! Man kommt heim, hat seine Arbeit getan, aber gesehen hat man nichts, weil man das gar nicht gelernt hat.
Ich statte meinen Pflanzen immer noch Besuche ab. Ich mag es, da und dort zu sein und mit den Kindern über das Leben zu reden.
Ich habe eigentlich keine Zeit zu sterben. Ich will dem ja nicht aus dem Weg gehen, das ist ohnehin unmöglich. Es ist eine Tatsache, dass ich irgendwann nicht mehr da sein werde, um zu erzählen, wie die Bauern früher lebten und arbeiteten. Andere, meine Besucher, werden dieses Wissen weitertragen.
Sie werden versuchen, ein wenig von Paul Bedel in ihr Leben einzubauen.
Meine Vorstellungen zu meiner Beerdigung sind recht einfach. Ein paar Lobgesänge, ein Priester, wenn es geht. Aber es muss nicht extra einer anreisen. Es ist nicht schlimm, wenn es hier keinen festen Priester mehr gibt. Da muss man mit der Zeit gehen. Wenn ein einfacher Glaubensbruder für mich das letzte Gebet spricht, so soll mir das auch recht sein. Ich verlange nicht viel, aber ich möchte nicht, dass man meinen Leichnam einfach irgendwo entsorgt wie einen toten Hund. Und verbrannt werden will ich auch nicht. Die Hitze war mir noch nie besonders sympathisch. Wenn man in meinem Garten ein Loch schaufeln und mich dort begraben würde, wäre ich der glücklichste Mensch.
Schön wäre natürlich, wenn man mich mit meinem Traktor begraben würde. Dann könnten wir uns gemeinsam auf den Weg machen.
Ich möchte ein Kreuz auf der Grabstelle haben, ein kleines, weißes Holzkreuz, das ich selbst gefertigt habe. Und zwar nicht, weil alle es so machen, sondern weil ich mein Leben lang mein Kreuz getragen habe, ohne zu klagen.
Ich habe mir ein hartes Leben ausgesucht, keines zum Faulenzen.
Dieses Kreuz habe ich mit ihm getragen, ihm, der mich seit meiner Geburt begleitet, seit meiner Kommunion, meiner ersten Begegnung mit ihm. Wer mich einst in die Erde bettet, tut das nicht aus Achtung vor mir. Ich bin nichts. Er tut das aus Achtung vor dem, der in mir wohnt. Ich möchte auch, dass man für all jene betet, die keinen Glauben haben, denn sie brauchen unsere Hilfe mehr als alle anderen. Bei nicht-kirchlichen Begräbnissen konnte ich wahrnehmen, dass die Angehörigen einen inneren Schmerz mit sich herumtragen. Sie haben keinen Ort, an den sie mit ihrer Trauer gehen können. Sie müssen sie für sich behalten. Und dürfen dem lieben Gott deshalb nicht mal böse sein.
Auf jeden Fall treten wir nackt ins Leben und verabschieden uns genauso. Man hat mehr als einmal versucht, mir das Fell abzuziehen, aber erwischt hat man es nicht. Es nützt ja nicht viel, sich mit Reichtümern zu schmücken, aber jeder tut, was er kann, damit die Hoffnung ihn nicht verlässt. Aber mir schien es immer wichtiger, etwas für die Erde zu tun und für meine Mitmenschen.
Wenn jemand zu meiner Totenmesse kommt, dann soll er nicht anfangen, die Kränze zu zählen, um daraus zu schließen, ob ich geschätzt wurde oder nicht. Er soll auch nicht für mich beten, sondern für sich selbst, für sich ganz allein. Ich werde noch ein wenig da sein, um diese Gebete zu hören und sie mit mir zu nehmen. Und ich möchte auch nicht, dass jemand kommt, nur damit er sich hinterher beim Totenschmaus gütlich tun kann oder damit er gesehen wird. Ich hätte gern Blumen auf dem Altar, um meinen alten Weggenossen, unser aller Gott, zu ehren. Und Maria, unser aller Mutter. Andere Blumen will ich nicht, auch keine Porzellanplakette auf dem Kreuz. Keinen Grabstein, der dann auf meinen Rücken drückt. Ich habe genug getragen in meinem Leben. Und ich möchte, dass die, die mich überleben, ein wenig Geld übrig behalten, vor allem meine Schwestern. Ein paar Kieselsteine und Blumentöpfe, das muss reichen.
Vor allem will ich nichts davon hören, dass ich die landwirtschaftliche Verdienstmedaille bekommen habe oder bei Nicolas [Sarkozy] eingeladen war. Natürlich war an diesem Tag alles frei, aber bezahlt haben das die Steuerzahler! Ich will mich jedenfalls nicht beklagen.
Meine Nachfahren sind die Leute, die sich bei mir bedanken. Das ist eine tiefe Befriedigung für mich, auch wenn es mich nicht stolz macht. Manche kommen auch, um zu sehen, ob ich meinen Schwestern vom Fischen wirklich Schnecken mitbringe oder ob ich ein Haustyrann bin, aber darüber müssen wir zu Hause eher lachen. Das nehmen wir nicht krumm. In einer Familie teilt man eben alles miteinander, auch die Sorgen. Der Hummer, das versichere ich hiermit, wird jedenfalls redlich geteilt. Und wenn Paul nicht richtig aufräumt oder die Serviette nicht ordentlich faltet, wird er von den Frauen ausgeschimpft wie überall.
Den Stolz nimmst du mit dir ins Grab, die Zufriedenheit aber begleitet dich im Leben überallhin. Meiner Ansicht nach streben wir Menschen nicht nach Glück, sondern nach Wahrheit. Es geht nicht um Glauben. Was wir suchen, ist die Sicherheit, dass hinter dem Ganzen irgendetwas steckt. Die Wahrheit ist es, die uns beschäftigt. Das ist wie mit der Eifersucht, man denkt an nichts anderes als daran, die Wahrheit herauszufinden.
Dass ich Mesner bin, hilft mir bei der Arbeit. Ich ziehe eine lange Furche und im Lärm des Traktors hebe ich die Augen zu ihm, der über mir wohnt, den ich nicht sehe, auch wenn ich ihn in der Natur spüre.
Ich komme immer wieder auf Gott zurück.
Selbst beim Traktorfahren denke ich an die Menschen, die leiden. Nächstenliebe ist wichtig. Ich persönlich habe keine Feinde, aber trotzdem lebe ich allein mit meinen Schwestern. Ich habe all meine Vorhaben sausen lassen und aus Liebe den Hof meines Vaters übernommen. Ich habe mein eigenes Leben aufgegeben, um sein Erbe zu übernehmen und seine Arbeit fortzuführen. Vielleicht war es nicht das, was ich ursprünglich wollte, aber ganz sicher das, wofür ich mich entschieden habe.
Ich könnte noch von den Meeresvögeln erzählen, die sich der Kraft des Windes entgegenstemmen, die einfach vor dir in der Luft stehen bleiben, als wären sie auf Zelluloid gebannt, und warten, bis die Bö abflaut. Im Grunde muss man das selbst sehen. Wir haben hier Raben, die vom Wind so sehr zerzaust werden, dass ihre Flügel aussehen wie eine menschliche Hand.
Ich habe erzählt, wieso mich meine Art des Landbaus so glücklich macht. Natürlich kann man sagen, ich sei ein »altes Fossil«. Ich möchte auch nicht unbedingt andere Leute dazu ermutigen, hier zu leben. Ich würde mich nur freuen, wenn die jungen Leute hier weiter die Steine beackern. Meine Steine.
Wir haben schon unseren Dialekt verloren, die Sprache, in der sich unser Landstrich ausdrückte, unsere Ecke, ja unser Dorf, denn wir verwendeten hier Wörter, die schon im Nachbardorf nicht mehr verstanden wurden. Wir lebten für uns mit unseren Eigenarten, jeder in seiner Ecke, aber wenn wir uns trafen, dann war der Dialekt wichtig. Er zeigte, woher wir kamen, nämlich von hier, im Gegensatz zu denen, die von außerhalb kamen, zu den Politikern und den anderen Leuten, die uns mit ihren scheelen Blicken beleidigten, die wir den Umständen entsprechend hinnahmen oder auch nicht.
Paul hat sich in seinem Leben zurechtgefunden, ohne dass man ihm sagte, wie er was zu machen hatte. Aus diesem Grund weigere ich mich auch, anderen Menschen Lehren zu erteilen, weil ich es selbst nicht mochte, wenn man mich behandelte wie einen Zurückgebliebenen.
Man soll mir nicht vorwerfen können, dass ich von anderen verlange, alles genau so zu machen wie ich. Ich habe mein Leben so geführt, wie meine Vorstellung von Wahrheit und Freiheit es mir gebot. Ich habe lange Zeit nicht an mich geglaubt, doch seit einiger Zeit glaube ich an mich, und das verdanke ich Ihnen, liebe Leser und Zuschauer.
Ich bin seit jeher mit wenig zufrieden und ich brauche nichts von dem, was man kaufen kann oder was man so sieht. Ich bin glücklich mit dem Leben, das mir geschenkt wurde.