Totensonntag
Am Sonntag vor dem ersten Advent gehen viele Menschen zum Friedhof, gedenken ihrer Verstorbenen. Am Ewigkeitssonntag oder auch Totensonntag werden in unseren Gemeinden die Namen derer verlesen, die im vergangenen Jahr verstorben sind. Mehr als 800 000 Menschen sind das jedes Jahr in unserem Land. Abschiede, Trauer und Leid, die ihre Zeit brauchen und ihren Raum.
Viele verdrängen das gerne. Sie zünden lieber ganz schnell Kerzen an, besuchen irgendwelche Adventsausstellungen oder gehen auf Shoppingtour. Aber es ist gut, auch die so genannte „stille Zeit“ zu würdigen und sie auszuhalten. Es geht darum, abzuwarten, innezuhalten. Es tut uns gut, wenn wir uns den Fragen von Sterben und Tod stellen.
Für den Ewigkeitssonntag steht die Bibellesung im Buch der Offenbarung. Dort heißt es: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein. Noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein: denn das Erste ist vergangen.“ (21,4) Die Bibel drückt hier in wunderbarer Weise die Hoffnung auf Gottes Zukunft aus. Gewiss, unser Leben ist begrenzt, das müssen wir wahrnehmen. Dass Menschen sterblich sind, ist nicht nur irgendeine Wahrheit, das betrifft uns alle ganz persönlich. Aber es muss uns nicht deprimieren oder handlungsunfähig werden lassen! Wir können unseren Frieden mit unserer eigenen Sterblichkeit machen, wenn wir uns Gott anvertrauen. Dann können wir unser Sterben und das Leben, das danach kommt, getrost in Gottes Hand legen und uns jetzt und hier in Verantwortung stellen lassen.
Das ist mir wichtig: Auf Gottes Zukunft vertrauen ist gerade keine Weltflucht, sondern macht frei für die Welt. Es macht auch frei, uns den Kranken, Leidenden und Sterbenden zuzuwenden. Das habe ich gerade selbst erfahren: Wird jemand ernsthaft krank, erschrecken alle, sie wissen nicht, wie sie reagieren sollen, zucken zurück. Dabei ist das doch die Normalität für uns alle! Unser Leben ist verletzlich, wir müssen sterben. Wer aber krank wird, wer mit dem Tod konfrontiert ist, passt so gar nicht in die Welt der Leistungsträger und Durchsetzungsfähigen, der Erfolgsgewohnten und Medienhelden. Das wirkt offenbar wie eine Beleidigung des schönen Scheins, ein Makel, eine Schwäche, obwohl es doch einfach zur Normalität des Lebens gehört.
Vielleicht kann der Ewigkeitssonntag uns auch dazu bringen, offener auf Kranke und Sterbende zuzugehen. Gerade in der Begleitung von Pflegebedürftigen und auf dem letzten Weg braucht es Menschen mit Geduld und Liebe und Zeit. Genau das haben auch die Trauernden nötig. Es ist noch nicht gleich Advent für sie, sie wollen ihrer Toten gedenken an diesem Wochenende, Raum finden für ihre Trauer. Wir sollten sie ihnen lassen und mit ihnen gemeinsam diese Zeit finden. Und dann werden wir eine Adventskerze anzünden. Aber erst dann, nach der „stillen Zeit“, nach der Zeit der Trauer und des Totengedenkens, wenn wir uns vorbereiten auf die Ankunft des Gotteskindes.