Migrantinnen
Migranten werden von uns meist als „Störfaktoren“ wahrgenommen. Sie sind eine diffuse Menschenmasse vor den Toren Europas, landen auf Lampedusa, kommen in Lastwagen geschmuggelt in unser Land. „Wirtschaftsflüchtlinge“ heißt es, „Schmarotzer“ sagen andere. Fast die Hälfte der weltweit 191 Millionen Migranten sind übrigens Frauen. Gerade sie werden ausgebeutet und misshandelt. Noch immer werden sie oft verschleppt; und vor Übergriffen nicht genügend geschützt. Auf der Flucht sind Frauen und Mädchen vielfältigen Gefahren ausgesetzt, sexueller Gewalt etwa. Schätzungsweise 600000 bis 800000 Menschen werden jedes Jahr über Staatsgrenzen hinweg verschleppt und verkauft. 80 Prozent von ihnen sind Frauen und Mädchen.
Da ist interessant, dass der letzte Weltbevölkerungsbericht zeigt, dass Migrantinnen nachhaltig zur Armutsbekämpfung und Entwicklung in ihren Heimatländern beitragen. Im Jahr 2005 haben Migranten schätzungsweise 232 Milliarden US-Dollar in ihre Heimatländer überwiesen. Davon flossen insgesamt 167 Milliarden US-Dollar in Entwicklungsländer. „Frauen schicken einen weitaus höheren Anteil ihres Einkommens nach Hause als Männer“, sagt Bettina Maas von der UNFPA (United Nations Fund for Population Activities). So überweisen Migrantinnen aus Bangladesch, die im Nahen Osten arbeiten, 72 Prozent ihres Einkommens an ihre Familien in der Heimat. „Der überwiegende Teil ist für die Gesundheitsversorgung und die Bildung der Kinder bestimmt. Damit leisten die Frauen einen wichtigen Beitrag zur Armutsbekämpfung und Entwicklung ihrer Länder.“
Das wirft doch noch einmal ein ganz anderes Licht auf Migration, wenn immer von Ökonomie geredet wird. Migrantinnen tragen offensichtlich zur Entwicklung ihrer Heimatländer mehr bei als institutionalisierte Entwicklungshilfe, allein schon, was die Geldsumme angeht, weil sie Geld, das sie hier verdienen, an ihre Familien überweisen.
Wenn bei uns nun davon gesprochen wird, dass wir Flüchtlinge abschieben müssen, qualifizierte Fachkräfte aber anwerben wollen, müssen wir auch sehen, dass die Abwanderung von Fachkräften die Herkunftsländer schwächt. So lockt die Nachfrage nach qualifiziertem Gesundheitspersonal in einigen Industrieländern immer mehr qualifizierte Migranten an – und stürzt ihre Heimatländer noch tiefer in die medizinische Versorgungskrise. Von den 600 Ärzten, die seit der Unabhängigkeit 1964 in Sambia ausgebildet wurden, arbeiten heute nur 50 in ihrem Heimatland. Im Jahr 2000 haben doppelt so viele Krankenschwestern Ghana verlassen, wie dort im selben Jahr ausgebildet wurden. Gerade da, wo AIDS am schlimmsten wütet, fehlt es an Ärzten und Pflegekräften.
Was können wir tun? Ich finde, wir sollten keine Fachkräfte aus Ländern des Südens abwerben, sondern in die Strukturen dort investieren. Und wir müssen genau hinschauen, wo Migrantinnen bei uns, in Privathaushalten oder an anderer Stelle, Opfer von Ausbeutung und Misshandlung werden. Es muss investiert werden in die Länder des Südens, damit Frauen dort eine Chance erhalten, ein Leben in Würde für sich und ihre Familien aufzubauen. Dass der Friedensnobelpreis 2006 an Muhammad Yunus verliehen wurde, zeigt in die richtige Richtung.
Die Geschichte von Ruth und Noomi ist die vielleicht schönste grenzübergreifende Geschichte über Migrantinnen in der Bibel. Noomi und ihr Mann kommen in das Land der Moabiter. Als Noomis Mann stirbt, heiraten beide Söhne einheimische Frauen, Orpa und Rut. Doch auch beide Söhne sterben. Noomi will zurück in ihre Heimat nach Juda. Rut aber bleibt bei ihrer Schwiegermutter und geht mit ihr in deren Heimat. Sie sagt: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehn; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da will auch ich begraben werden.“ Später wird Rut in Juda Boas heiraten und eine Familie gründen, die Noomi als ihre Familie ansieht. Grenzgängerinnen, die voller Gottvertrauen einen Ort zum leben, einen Ort zum Überleben suchen: Damals wie heute sind sie angewiesen auf Menschen, die sie, die Migrantinnen, mit offenen Armen und Respekt aufnehmen.