Werdendes Leben
Dass ich schwanger war, habe ich immer ganz schnell gemerkt: Ziehen in der Brust, leichte Übelkeit, der Kaffee hat nicht mehr geschmeckt und Zigarettenqualm war mir widerlich. Es stimmt schon, eine Schwangerschaft ist das Normalste von der Welt. Aber trotzdem bleibt sie ein Wunder – zum Beispiel zum ersten Mal die Bewegungen des Babys im Leib zu spüren! Dass ein Mensch in einem anderen Menschen heranwächst, sich Schritt für Schritt entwickelt, darüber können wir nur staunen, das kann keine Technik der Welt nachmachen.
Jedes Jahr begehen die beiden großen Kirchen im Land die „Woche für das Leben“, im Jahr 2006 unter dem Motto „Menschsein beginnt vor der Geburt“. Und das ist ja auch wahr, das erleben Frauen in der Schwangerschaft, aber auch viele Väter: Ihr Kind entwickelt sich, bevor es geboren ist.
Mich macht sehr nachdenklich, was die vielen Untersuchungen bewirken, die inzwischen vor der Geburt möglich sind. Wenn durch eine Fruchtwasseruntersuchung in der 20. Woche eine Behinderung erkennbar wird, führt das in den meisten Fällen zu einer Spätabtreibung. Ab der 22. Woche aber kann heute ein „Frühchen“ meistens schon gerettet werden. Das führt zu grausamen Entwicklungen – wie beim „Oldenburger Baby“, das seine eigene Abtreibung überlebte. Ich denke, es ist an uns allen, daran etwas zu ändern. Wer Eltern von Kindern mit Behinderungen anschaut nach dem Motto: „So etwas muss doch heute nicht mehr sein“, stellt die Würde von Menschen mit Behinderungen in Frage. In unserer Nachbarschaft gab es einmal eine Schule für Menschen mit geistiger Behinderung. Manchen Morgen, wenn ich gesehen habe, wie die Kinder lachend zur Schule kamen, dachte ich: Wer will jetzt sagen, das sei kein erfülltes, glückliches Leben? Eltern, die sich trotz Behinderung für ihr Kind entscheiden, haben meinen allergrößten Respekt.
Die Frage ist ja überhaupt, wie wir die 130 000 Frauen, die sich jedes Jahr in unserem Land für eine Abtreibung entscheiden, ermutigen können zu einem Weg mit ihrem Kind. Dafür muss sich vieles ändern; als erstes vielleicht Einstellungen. Wenn eine Frau ihr Kind zur Adoption frei gibt, ist das doch keine Schande. Und wenn sie in ihrer Not ein Babykörbchen nutzt, auch nicht. Es muss in den Köpfen in Deutschland noch einiges geschehen, bis alle begreifen: Kinder sind uns anvertraut – von Anfang an.
Der Liederdichter Paul Gerhardt, der 1607 geboren wurde, hat dreißig Jahre Krieg erlebt, vier seiner fünf Kinder starben. Er hat in seinen Liedern tiefes Gottvertrauen mitten in Zerstörung und Angst vermittelt. Wir können sie bis heute mitsingen. In seinem Lied „Nun ruhen alle Wälder“ gibt es einen Vers, den wir als Gebet mit unseren Kindern und für alle Kinder sprechen können: „Breit aus die Flügel beide, o Jesu meine Freude, und nimm dein Küchlein ein. Will Satan mich verschlingen, so lass die Englein singen: Dies Kind soll unverletzet sein.“