Unwort
„Entlassungsproduktivität“ – diesen Begriff haben Sprachwissenschaftler zum Unwort des Jahres 2005 gewählt. Wirklich auf den Punkt gebracht, finde ich, diesen Begriff als Unwort zu entlarven! Wenn ich entlassen werde, bin ich doch nicht mehr produktiv, sondern geschockt, sehe keine Perspektive mehr.
Für Wirtschaftsfachleute bedeutet das Unwort: Ein Betrieb entlässt Mitarbeiter und produziert danach genauso viel oder sogar mehr. Wer danach noch einen Arbeitsplatz hat, ist in der Regel stärker belastet. Und die Arbeitslosenzahl steigt. Kann das nun wirklich als ökonomisch sinnvoll oder irgendwie produktiv erscheinen?
Da geraten doch die Maßstäbe durcheinander. Da kündigt ein Unternehmen an, dass es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „frei setzt“, auf gut deutsch: zu Arbeitslosen macht – und schon steigen die Börsenkurse. Da macht ein Unternehmen Gewinne und will den Betrieb schließen – oder schöner formuliert: die Produktion nach Osteuropa verlagern.
Das erleben wir zurzeit immer wieder. Und ich habe den Eindruck, es greift nicht nur Angst um sich, sondern auch ein erhebliches Misstrauen. Ein Firmenskandal jagt den nächsten, und „denen da oben“ wird nahezu alles an Egoismus und Bereicherungsabsichten zugetraut.
Das ist eine dramatische Entwicklung. Früher waren die Unternehmer Teil des Lebens am Ort, die Menschen kannten sich. Im Gottesdienst am Sonntag saß der Chef ebenso wie der Arbeiter mit seiner Familie. Das soziale Leben war enger verbunden. Und die Leute wussten: Der „Boss“ sorgt sich um uns, dem liegt am Betriebsklima, zu dem kannst du auch mal hingehen und mit ihm reden. Ja, der weiß vielleicht sogar, was in der Familie los ist. Heute scheint es, als wird alles von irgendwelchen Mächten im Hintergrund dirigiert; die Börse bestimmt oder irgendein Konzernmanager der Firma, die das Unternehmen gekauft hat. Und der sitzt in Cincinnati oder in Sao Paulo. Es zählt anscheinend nur noch, was Gewinn abwirft.
Dabei geht das Prinzip Verantwortung verloren und auch das Gewebe, das die Gesellschaft zusammen hält. Alle diejenigen, die Arbeitsplätze in den Osten verlagern und lautstark verkünden, da werde nun mal billiger produziert, die wollen ja nicht auch selbst nach Litauen oder in die Ukraine auswandern. Nein, sie wollen hier leben in Deutschland; aber sie gefährden den sozialen Frieden.
In der Bibel steht: „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb!“ (2. Korinther 9,7) Da kann ich nur sagen: einen fröhlichen Arbeitgeber auch! Vielleicht wird ja „Einstellungsproduktivität“ einmal „Wort des Jahres“ ...