Die Sache mit Gott

Wegen deines Glaubens zum Tod verurteilt – das ist in Afghanistan noch im Jahr 2006 wieder passiert. Unvorstellbar für uns hier in Deutschland! Da geht es eher etwas lässig und nach dem Motto: Was glaubst du denn so? Bist du in der Kirche oder bist du nicht in der Kirche?

Vielleicht macht uns der Vorgang um Abdul Rahmanin Afghanistan, an den wir uns erinnern, ja ganz bewusst dankbar dafür, dass wir in unserem Land ein durch das Grundgesetz verbrieftes Recht auf Freiheit des Glaubens haben. Das ist ein hohes Gut! Aber nutzen wir diese Freiheit überhaupt? Ich habe oft den Eindruck, vielen Menschen ist die Sache mit Gott völlig egal. Sie denken gar nicht darüber nach, was sie glauben, für welche Überzeugungen und Werte sie einstehen. Und doch imponiert auch ihnen dieser Mann, der sich nicht für „verrückt“ erklären lassen wollte, der auch nach dem Freispruch mit dem Tod durch Lynchjustiz bedroht ist und nach einem Land sucht, das ihm Asyl gibt. Das muss uns auch nachdenklich machen mit Blick auf Menschen, die bei uns Zuflucht suchen. Wird Religionsfreiheit eigentlich ernst genug genommen bei Abschiebungen? Und was sagt all das über die Situation in Afghanistan? Hieß es nicht, dort sei Freiheit eingekehrt?

Auch in Deutschland haben wir erlebt, wie die Glaubensfreiheit brutal unterdrückt wurde. Das galt für Jüdinnen und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus. Millionen von Menschen wurde brutal ermordet, weil sie jüdischen Glaubens waren oder auch nur dem Judentum zugeordnet wurden von einer rassistischen Ideologie. Und auch etliche Christinnen und Christen, die für die Freiheit und für Nächstenliebe eintraten, mussten für ihre Glaubensüberzeugungen sterben. So lange ist das noch gar nicht her. Es ist wichtig, sich zu erinnern, um die Glaubensfreiheit wertzuschätzen.

Als Christin finde ich Freiheit im Glauben. Freiheit auch, den Glauben anderer zu respektieren, die Religionsfreiheit aller zu bejahen. Das müssen wir aufrecht erhalten in unserem Land und dafür sollten wir energisch eintreten in allen Ländern. Im Dialog der Religionen sollten wir gemeinsam betonen: Es ist gut und wichtig, ja großartig, dass es Religionsfreiheit in Deutschland gibt. Lasst uns gemeinsam dafür eintreten, dass das überall auf der Welt gilt. Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht, das verteidigt werden muss. Da können nicht unterschiedliche Maßstäbe gelten.

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen.“ (Galater 5,1)

Mir ist wichtig, dass die Freiheit zum Unterscheiden der Geister dient. Welcher Geist wirkt, das ist an der Freiheit zu spüren. So mancher Zeitgeist heute ist ein Geist des Lamento, der Zukunftssorge, des Klammerns an Bestehendes. Da wirkt nicht der Geist Gottes! Das ist ein Geist der Anpassung, der Angst, der Enge. Wer sich innerlich frei weiß vom Urteil anderer, von Zeitströmungen, von kurzfristigem Applaus, hat Mut zur Zukunft, Lust am Gestalten, Freude am Leben.

Der Gedanke der Freiheit war und ist für die Kirche der Reformation von zentraler Bedeutung. In seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ hat Martin Luther das bis heute auf bemerkenswerte und anregende Weise ausgeführt. Die Spannung zwischen seinem Satz „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan“, und dem anderen, „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“ ist dabei wegweisend. Die Freiheit eines Christenmenschen ist also einerseits ganz ohne Voraussetzung. Schlicht geschenkte Freiheit. Und doch ist sie nicht ohne Folgen. Diese Freiheit berührt zuallererst Glaubensfragen, jeder Zwang wird hier abgewehrt. Daraus entsteht die Freiheit des Gewissens, die sich dann als verantwortliche Freiheit im persönlichen und öffentlichen Leben umsetzt.

Freiheit im evangelischen Sinne ist deshalb nie der Libertinismus, mit dem Freiheit heute allzu oft verwechselt wird, sie ist nie die Banalisierung und Trivialisierung von Werten und Standpunkten. Nein, um Verantwortung geht es und um Bindung an Gottes Wort. Freiheit im evangelischen Sinne ist deshalb auch nicht liberal im Hinblick auf absolute Individualität; sie weiß sich vielmehr bezogen auf Gemeinschaft.

Mehr als fromme Wuensche
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