Janine wird mal Ärztin

Denn nur dem, der den Mut hat, den Weg zu gehen,
offenbart sich der Weg.

PAULO COELHO

Die Situation mit meiner Mutter und Helmut wurde auch nach den Sommerferien nicht besser. Mal schrien sie ins Telefon, mal waren sie supernett zu mir. Aber ich wusste nie, wann was passierte und warum. Mama ermahnte mich weiterhin, dass ich mich zusammenreißen und freundlich zu meiner Mutter sein sollte, damit sie nicht verärgert war und ihre Drohung, mich zu sich und Helmut zu holen, wahr machte. Ich verstand überhaupt nicht, wieso sie das überhaupt entscheiden konnte. Auch wenn Mama mir erklärt hatte, dass meine Mutter nach wie vor das Sorgerecht für mich hatte und meine offizielle Erziehungsberechtigte war, fühlte sich das einfach ganz anders an. Und wenn sie sich auf den Kopf stellte, ich würde niemals zu denen gehen! Eher würde ich abhauen. Wieso konnte sie über alles entscheiden und ich über nichts? Ich war doch kein kleines Kind mehr, sondern schon zwölf und in der siebten Klasse auf dem Gymnasium!

Die Schule machte mir nicht besonders viel Spaß. Vor allem Mathe, Physik und Chemie. Im Gegensatz zu Stefan. Der war zwar erst in der Fünf, aber er musste kaum lernen und hatte immer super Noten. Kerstin studierte mittlerweile sogar. Ich ging viel lieber zum Schwimmen, ins Leichtathletik-Training und ins Jazzballett als in die Schule. In der ersten Klassenarbeit in Mathe hatte ich trotzdem eine Drei geschrieben. Wenn Kerstin mir alles erklärte, war es gar nicht so schwierig, und wenn ich mich anstrengte, kam ich auch in Mathe, Physik und Chemie mit.

Was mir aber am meisten Spaß machte, war Jazzballett. Zusammen mit meiner besten Freundin Silvia, mit der ich auch im Schwimmen war, ging ich seit vier Wochen in die Gruppe von Frau Grundel. Frau Grundel war streng, aber sehr gut, wie die Tanzlehrer in den Filmen, die ich mir immer mit Kerstin im Kino ansah, Flashdance, A Chorus Line oder Footloose. Silvia war genauso alt wie ich, zwölf, aber in unserer Gruppe waren auch ein paar ältere Mädchen. Übermorgen, am Donnerstag, den 9. Oktober, hatten wir unsere erste Aufführung in einem Einkaufszentrum. Wir hatten eine Choreografie eingeübt zu einem total coolen Lied, das zuerst ganz langsam anfing mit einem Klavierteil und Gesang. Nach einer Strophe kam eine E-Gitarre dazu und es wurde plötzlich richtig rockig und schnell. Es hieß Music Was My First Love und wenn wir dazu tanzten, fühlte ich mich wie in A Chorus Line.

Mama schlug vor, dass ich meine Mutter einladen sollte zum Zugucken. Als wenn sie schon jemals zu irgendeiner Aufführung von mir gekommen wäre! Um Mama einen Gefallen zu tun, rief ich sie an und lud sie ein. Natürlich sagte sie, dass sie keine Zeit hätte. Stattdessen wollte sie mich am Freitag fürs Wochenende abholen. Am Samstag kamen irgendwelche Verwandten, da zeigte sie mich immer gerne vor. Das sagte sie natürlich nicht, aber das dachte ich mir. Ich hatte keine Lust, das Wochenende bei ihnen zu verbringen, aber ich hatte keine Wahl.

Immerhin kam Oma zu meiner Aufführung. Als wir auf die kleine Bühne traten, die neben den Rolltreppen für uns aufgebaut worden war, sah ich sie bei Mama, Papa und Stefan stehen. Stefan blätterte in einem Comic. Wahrscheinlich hatte Mama ihn dazu verdonnert, mitzukommen. Papa lächelte ganz stolz. Oma hatte sich bei Mama eingehakt. Sie sah irgendwie dünner aus als sonst.

Die Aufführung klappte ziemlich gut. Zum Beginn des rockigen Teils hatte ich einen ganz kleinen Patzer, aber das merkten zum Glück nur Frau Grundel, die in der ersten Reihe stand und eine Augenbraue hochzog, und ich. Als ich Oma nach der Aufführung umarmte, fiel mir auf, dass sie wirklich dünner geworden war. Sie sah auch anders aus. Irgendwie blasser, obwohl das unter so vielen Sommersprossen ja gar nicht richtig zu sehen war.

»Warum bist du denn so dünn, Oma?«, fragte ich sie.

»Na, das schadet ja mal nicht, wenn deine dicke Oma ein bisschen abnimmt, oder?«, sagte sie und lachte. »Ich hatte nur eine hartnäckige Erkältung, sonst ist nichts, mein Schätzchen«, erklärte sie dann noch. Also hatte ich doch richtig gesehen.

Am Freitagabend war ich dann bei meiner Mutter. Sie und Helmut hatten Helmuts Freunde zu Besuch. Wir saßen um den großen Esstisch und die Erwachsenen unterhielten sich über uninteressantes Zeug, irgendwelche Lokale und Leute, von denen ich noch nie gehört hatte. Nach dem Essen stand ich auf und setzte mich ins Wohnzimmer auf die Couch. Im Zweiten kam Ich heirate eine Familie, aber das fand ich total doof. Im Ersten gab es irgendeinen amerikanischen Film. Auf dem Dritten kam eine Dokumentation über Singvögel. Na, das konnte ja ein toller Abend werden! Zum Glück gab es auch hier einen Videoschrank wie in der alten Wohnung meiner Mutter. Seit sie mit Helmut zusammen war, liehen sie sich nicht nur Videos aus, sondern nahmen auch viel aus dem Fernsehen auf. Ich entdeckte eine selbst beschriftete Videokassette, auf der stand: Ein Colt für alle Fälle, Folge 1  8. Ein Colt für alle Fälle kam immer montagabends, aber zu Hause durfte ich es nicht gucken. Wenn ich dreizehn war, sagte Mama.

»Darf ich Ein Colt für alle Fälle gucken?«, rief ich.

Meine Mutter stand vom Esstisch auf und kam ins Wohnzimmer rüber. Sie setzte sich auf die Lehne der Couch.

»Klar kannst du das gucken, aber das sind ganz alte Folgen, die kennst du bestimmt alle schon.«

»Nee, ich hab das nur einmal geguckt, als ich in den Ferien bei Silvia übernachtet hab«, sagte ich.

»Ach ja? Aber das kommt doch jeden Montag. Gefällt dir die Serie nicht? Ich finde sie eigentlich ganz cool.«

»Ich darf das erst schauen, wenn ich dreizehn bin«, sagte ich und sah an ihr vorbei. Gleich danach wünschte ich, ich hätte gelogen oder gar nicht erst mit dem Thema angefangen.

Meine Mutter verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. »Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Du darfst noch nicht mal Ein Colt für alle Fälle gucken? Das sind ganz schöne Tugendheimer da bei dir zu Hause, echt!« Sie lachte. »Wenn du bei mir wohnen würdest, das Erste, was ich machen würde, ich würde dir einen eigenen Fernseher kaufen. Man wird doch wohl ein bisschen Spaß haben dürfen, auch als Zwölfjährige, oder?« Sie grinste und strich sich die Haare aus dem Gesicht.

Ich zwang mich zu einem kurzen Lächeln, dann drehte ich mich zum Fernseher und schob die Kassette in den Videorekorder. Ich starrte auf den Fernseher, auf dem gerade ein Mann von einer Klippe sprang, ein Auto in einen fahrenden Zug raste und zwei Männer sich blutig prügelten. Irgendetwas davon hätte ich jetzt auch gerne gemacht. So wütend war ich. Aber ich riss mich zusammen. Meine Mutter hielt die Unterhaltung wohl für beendet, denn sie ging zurück zum Esstisch und zu den Gästen. Gott sei Dank. Als der Vorspann vorbei war, ging es los. Ich schaute alle acht Folgen an.

Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Amischlitten zu einer Bäckerei und kauften Kuchen für die Verwandten, die heute kommen sollten. Ich kannte sie nicht.

»Dein Onkel Hans und deine Tante Elke«, hatte Helmut gesagt.

Es waren Helmuts Bruder und seine Frau. Ich hatte echt schon genügend Onkel und Tanten! Das würde sicher total langweilig werden.

Sie kamen um drei Uhr. Nach der Begrüßung gingen wir ins Wohnzimmer. Helmut und meine Mutter setzten sich zusammen auf das große Sofa, auf dem ich immer saß, wenn ich fernsah, und auf dem ich schlief, wenn ich hier war. Onkel Hans und Tante Elke nahmen das andere, das links daneben stand. Ich setzte mich in den Sessel, dem Besuch gegenüber. Ich hatte den Couchtisch mit dem Kaffeegeschirr gedeckt. Die Servietten hatte ich zu Lilien gefaltet, wie Mama es mir gezeigt hatte.

Meine Mutter goss Kaffee ein und erzählte dabei, wie lange sie schon in dieser Wohnung wohnten. Sie hätten die Wohnung über ihre guten Beziehungen bekommen. Ich nahm mir ein Stück Kuchen und beobachtete die Erwachsenen. Onkel Hans war wohl älter als Helmut, auch wenn man ihm das nicht ansah. Aber Helmut sprach ihn immer mit »großer Bruder« an und grinste dabei. Ich verstand nicht, was daran witzig war. Im Vergleich zu Elke war meine Mutter mal wieder auffällig schön, obwohl sie heute etwas weniger sexy angezogen war als sonst: Sie trug keinen Minirock, sondern eine Karottenjeans und darüber einen weiten beigen Blazer mit Schulterpolstern. Die Pumps, die heute auch etwas niedriger waren als sonst, hatten die gleiche Farbe wie der Blazer. Die Haare trug sie wie meistens offen und musste sie sich deshalb ständig aus dem Gesicht streichen oder neu ordnen. Elke hatte eine Dauerwelle, kurze braune Haare und war ein bisschen dick.

»Wie geht’s denn meinem Neffen, dem kleinen Michael? Den hab ich ja schon ewig nicht mehr zu Gesicht bekommen«, fragte Helmut, streckte sich und nahm seine Hände hinter den Kopf, als würde er in einem Liegestuhl liegen.

Onkel Hans verzog keine Miene und Tante Elke rutschte nervös auf dem Sofa nach vorne. Nach einer Pause sagte sie: »Na so klein ist der Michi gar nicht mehr, er ist ja gerade sechzehn geworden.«

»Ach, so alt ist er schon? Jaja, aus Kindern werden Leute. Und, wie stellt er sich in der Schule an? Wird was aus ihm?«, fragte Helmut grinsend.

»Der ist jetzt im letzten Jahr auf der Hauptschule, dann wird er eine Lehre machen. Eher was Handwerkliches, für den Schreibtisch ist der nicht gemacht. Der Michi braucht den weiten Himmel über sich!«, sagte nun Onkel Hans und lächelte. Aber es sah krampfig aus.

»Und Janine, was hast du für Pläne? Was willst du denn mal werden?«, wandte sich Tante Elke nun schnell an mich.

»Ich …«, begann ich.

»Janine wird mal Ärztin!«, sagte meine Mutter und strahlte über das ganze Gesicht. Sie tätschelte meine Hand, die auf der Sessellehne lag. »Das wusste sie schon ganz früh! Schon als kleines Mädchen hat sie immer gesagt: ›Mutti, wenn ich groß bin, werde ich mal Ärztin!‹ Sie wird mal Medizin studieren und wird was ganz Großes. Sie ist ja jetzt schon in der siebten Klasse auf dem Gymnasium. Und so gut in der Schule!«

Tante Elkes Lächeln sah jetzt aus wie festgefroren. Onkel Hans nahm seinen Kuchenteller und schaute konzentriert darauf.

»Eine ganz Schlaue, unsere Janine!«, setzte nun Helmut noch dazu und grinste mich an.

Ich biss ganz fest die Zähne zusammen. Jetzt nichts sagen! Einfach nur lächeln! Aber dann sagte ich doch etwas:

»Ich mache kein Abi und werde nicht studieren. Nach diesem Jahr gehe ich auf die Realschule.«

Meine Mutter und Helmut hörten auf zu lächeln und sahen mich völlig entgeistert an. Ich wusste nicht, warum ich das gesagt hatte. Ich wollte wirklich immer Medizin studieren und Ärztin werden. Weil es mich interessierte. Aber das war ganz allein meine Entscheidung.

»Ach, das wusste ich ja noch gar nicht!«, sagte meine Mutter nun, ordnete ihre Haare und tat besorgt. »Da müssen wir aber noch mal drüber reden, Janine-Schätzchen! Noch ein Stück Kuchen, Elke?« Sie lächelte und machte einen auf perfekte Mutter. Als wenn sie sich jemals wirklich für mich interessiert hätte! Am liebsten wäre ich sofort aus der Wohnung gerannt.

Am Montag war ich wie immer nach einem Wochenende bei meiner Mutter krank. Mama kochte mir Tee und ich durfte mir etwas zu essen wünschen. Ich wünschte mir Nudelauflauf. Danach schlief ich noch mal zwei, drei Stunden. Als ich aufwachte, brachte Mama mir frischen Tee ans Bett.

»Darf ich später Ein Colt für alle Fälle schauen?«

Wenn ich krank war, durfte ich manchmal etwas mehr fernsehen als sonst, also versuchte ich mein Glück.

»Ach Schatz, das ist so eine dämliche amerikanische Serie, sie ist wirklich ganz schlimm. Wir haben doch schon öfter darüber gesprochen. Wenn es unbedingt sein muss, darfst du diesen Mist gucken, wenn du ein Teenager bist. Aber mit zwölf, das finde ich zu jung. Warte noch ein halbes Jahr, okay?«

»Aber bei denen durfte ich es auch schauen! Warum kann ich es denn dann hier nicht schauen? Das ist doch lächerlich! Wenn du es mir verbietest, guck ich mir das nächste Mal bei denen zehn Folgen hintereinander an!«, quengelte ich.

Mama seufzte. Sie seufzte oft, bevor sie streng wurde.

»Dann tu das meinetwegen. Aber in diesem Haus gelten meine Regeln. Und das weißt du auch. Du kannst dir diese Diskussionen also auch sparen, das kostet uns beide weniger Nerven.«

Ich drehte mich zur Wand. Mama sagte zuerst gar nichts, dann streichelte sie mir über den Rücken. Nach zwei Minuten war ich nicht mehr sauer und drehte mich wieder zu ihr.

»Ich muss dir noch etwas sagen: Ich werde kein Abi machen und gehe auf die Realschule.«

»Was?« Mama sah mich erschrocken an. »Das ist jetzt ein Scherz, oder?«

»Nein, das ist kein Scherz!«

»Was ist denn das für eine Schnapsidee? Wieso solltest du denn auf die Realschule gehen? Wenn du lernst, kommst du doch gut mit in der Schule! Und du wolltest doch immer Ärztin werden. Das geht nur mit Abitur.«

Ich setzte mich im Bett auf. »Ja, das weiß ich. Deshalb will ich ja auch kein Abitur mehr machen.«

Mama sagte nichts mehr. Dann fragte sie: »Wie kommst du auf die Idee? Ist am Wochenende irgendwas passiert?«

Ich erzählte ihr von dem Besuch von Onkel Hans und Tante Elke und davon, dass meine Mutter so mit mir angegeben hatte. Mir wurde ganz heiß und ich fing an zu weinen.

»Beruhige dich, Schatz, und schlaf dich erst mal gesund. Wenn du dich erholt hast, reden wir noch mal in Ruhe darüber.«

Ich schlief wieder ein.

Als ich zwei Tage später wieder in der Schule war, kam der Gedanke trotzdem zurück. Ich fragte Silvia, deren Bruder auf der Realschule war, wo die eigentlich ist und ob es da leichter wäre. Sie sagte ja, Mathe und so wäre schon leichter. Ihr Bruder musste nicht so viel lernen wie sie und machte viel Sport. Das hörte sich gut an, fand ich. Ich war eben nicht wie meine Geschwister, die immer ruhig zu Hause saßen und brav alles machten, was die Eltern sagten. Ich liebte es, zum Sportverein oder ins Tanzen zu gehen und mich nachmittags draußen rumzutreiben und mit Freunden zu treffen.

Der Gedanke, etwas zu tun, das sowohl Mama und Papa als auch meine Mutter und Helmut richtig Scheiße fanden, gab mir ein gutes Gefühl. Ich würde mir da nicht reinreden lassen. Vor allem nicht von meiner Mutter, die so schlimm egoistisch war, dass ich sie am liebsten nie wiedersehen wollte. Immer entschied sie alles nur so, wie es für sie am besten war. Ich würde jetzt endlich mal etwas selbst bestimmen. Wie es für mich am besten war. Ich würde nie so werden, wie meine Mutter es wollte. Sogar Mama konnte mich nicht dazu zwingen, weiter aufs Gymnasium zu gehen! Sie war ja sowieso nicht meine Erziehungsberechtigte.

Mama hatte zuerst gedacht, ich würde meine Meinung noch einmal ändern. Wir führten endlos lange Gespräche. Sie sagte ganz oft:

»Aber Janine, damit gibst du dich doch erst recht geschlagen. Wenn du jetzt wegen ihr etwas nicht machst, was du dein ganzes Leben machen wolltest, dann hat sie doch gewonnen!«

Doch das sagte sie nur, damit ich auf dem Gymnasium blieb, meine Mutter sich nicht aufregen und Mama keinen Vorwurf machen konnte. Und damit die vom Jugendamt nicht motzten.

Papa redete auf mich ein: »Du bist noch so jung. Verbau dir doch jetzt nicht alle Chancen. Das ist doch dumm! Und so unnötig.«

Kerstin ging extra mit mir alleine in ein Café und lud mich zu einem Kakao ein, um mir zu erzählen, wie toll sie ihr Studium fand.

Ich kämpfte weiter und versuchte, die ganze Zeit ruhig zu bleiben. Meistens schaffte ich das auch. Manchmal nicht, dann schrien alle rum und ich knallte meine Zimmertür zu. Kurz vor Weihnachten kam ich aus der Schule nach Hause, warf meinen Schulranzen in den Flur und sagte zu Mama:

»Wenn du mich da weiter hinschickst, gehe ich einfach nicht mehr hin. Ich setze da keinen Fuß mehr rein.« Ich wusste, dass das heftig war. Aber ich wusste auch, dass ich das, was ich wollte, mit wirklich allen Mitteln durchboxen musste. Schließlich waren vier Erwachsene und das Jugendamt gegen mich.

»Wenn du das wirklich willst, unterstütze ich dich. Aber mach mir später niemals Vorwürfe, dass wir dich vom Gymnasium genommen haben. Mach mir niemals Vorwürfe, dass wir dir Chancen verbaut hätten oder nicht versucht hätten, dich zur Vernunft zu bringen«, sagte Mama. Sie war traurig, aber das war mir jetzt egal.

Ich hatte es geschafft!

Im Januar gab es noch ein Gespräch mit dem Direktor des Gymnasiums. Ich musste dort zusammen mit Mama hin. Er sagte zu ihr:

»Frau Kunze, wie können Sie das Kind jetzt von der Schule nehmen? Das ist doch überhaupt nicht nötig! Die Noten sind doch passabel und aufgeweckt, wie Janine ist, sehe ich da viele Möglichkeiten!«

Meine Mutter nickte und erklärte, dass ich unbedingt auf die Realschule wollte. Ich nickte und sagte: »Ich möchte kein Abitur machen!«

Der Direktor schüttelte den Kopf.

Das erste Halbjahr der siebten Klasse musste ich noch auf dem Gymnasium fertigmachen. Ab Mitte Februar 1987 ging ich auf die Realschule. Und im März wurde ich endlich dreizehn und konnte jeden Montag Ein Colt für alle Fälle gucken.

Oma hatte bei der Aufführung von Music Was My First Love keine hartnäckige Erkältung gehabt, sondern einen Gehirntumor. Aber das erfuhr ich erst eineinhalb Jahre später.