Teddyjacke

Fehler sind das Tor zu neuen Entdeckungen.

JAMES JOYCE

»Mama, kann ich so eine Teddyjacke haben?«, ich hielt ihr ein Bild hin, das ich aus einem Anzeigenblatt von Karstadt herausgerissen hatte. Darauf sah man ein älteres Mädchen, das eine schneeweiße, superkurze Jacke trug. Die Jacke hatte ein breites Bündchen, betonte die Taille und sah unglaublich flauschig und bauschig aus. Durch den Saum der Kapuze war ein neonfarbenes Band gezogen worden, an dessen Enden silberne Perlen baumelten. Die Jacke war traumhaft schön!

Mama sah von den Strohsternen auf, die wir gerade bastelten, und blickte auf das Foto.

»Das ist nicht dein Ernst, Janine! Das ist ja eine scheußliche Jacke!«, rief sie und verzog angewidert das Gesicht.

Mist, das würde schwierig werden.

»Aber das ist total modern, Mama! Silvia hat auch so eine Jacke. Außerdem ist sie auch sehr warm und hat eine Kapuze«, versuchte ich, Mama zu überzeugen. Vernünftige Argumente funktionierten meistens.

»Nein, Schatz, tut mir leid, aber diese Jacke werden wir nicht kaufen. Sie ist viel zu kurz, da holst du dir noch eine Nierenentzündung. Wir wollten dir doch eine schöne, warme Daunenjacke kaufen, so wie Kerstin eine hat!«

Ich war verzweifelt. Ich fand diese Jacke nicht nur wunderschön, ich liebte diese Jacke! Ich musste sie einfach haben. Ich versuchte es noch einmal:

»Ich will aber diese Teddyjacke! Die ist so cool! Bittebitte! Ich wünsche sie mir so sehr!«

»Janine, es tut mir wirklich leid, aber diese Jacke ist nicht nur unpraktisch und zu kalt, sondern auch noch wirklich scheußlich. Nächste Woche fahren wir in die Stadt und kaufen dir eine schöne Daunenjacke. Du kannst dir die Farbe und alles aussuchen. Nur nicht diese Jacke. Ende der Diskussion. Und jetzt wirf das Bild weg und bastle deinen Stern fertig!«

»Aber …«, begann ich noch einmal.

»Janine!«, Mama hatte ihren drohenden Ton angeschlagen. »Ende der Diskussion, hab ich gesagt, und das hab ich auch so gemeint. Also: Setz dich hin und gib Ruhe!«

»Oh, Mann. Nie darf ich mir mal was selber aussuchen …«, murmelte ich. Das war mal wieder alles total ungerecht. Schließlich ging es hier um eine Jacke für mich, nicht für Mama. Sie sollte sie ja gar nicht anziehen, was spielte es da für eine Rolle, ob sie ihr gefiel?

»Du solltest dich langsam fertig machen, deine Mutter und dein Vater kommen in einer halben Stunde, um dich abzuholen«, sagte Mama nach einer Weile.

»Helmut«, sagte ich. Ich hasste es immer noch, wenn jemand ihn »meinen Vater« nannte. Vor eineinhalb Jahren hatten sie meinen Blutstropfen mit seinem verglichen. Es war also schon länger bewiesen, dass er mein leiblicher Vater war. Aber ich fand ihn immer noch blöd. Vorher wollte er nichts mit mir zu tun haben. Seit wir das Ergebnis von dem Test kannten, war er plötzlich total nett zu mir. Wieso? Ich war doch die Gleiche wie vorher. Vor über einem Jahr hatten meine leiblichen Eltern geheiratet. Und jetzt musste ich immer »Vati« zu ihm sagen. Ich war in der sechsten Klasse auf dem Gymnasium und elf Jahre alt. Ich brauchte jetzt echt keinen neuen Vater mehr.

»Nina, versprich mir, dass du keine Probleme machst am Wochenende, ja?«

»Mhm«, ich nickte, stand auf und ging in mein Zimmer, um meine Sachen fürs Wochenende zusammenzusuchen.

Eine halbe Stunde später klingelte es an der Tür. Ich machte auf und da stand meine Mutter. Sie hatte eine Bluse mit einem Muster an, das aussah wie ein Tigerfell. Aber aus ganz dünnem Stoff. Darüber ein Jackett und dazu einen kurzen, engen Rock aus schwarzem Leder und hohe Schuhe. Ihre Haare waren schon wieder länger geworden und glänzten. Sie lächelte.

»Hallo, Janine. Bist du fertig? Wollen wir los?«

Ich verabschiedete mich von Mama. Es war Freitagnachmittag, Papa würde erst in einer Stunde aus der Arbeit kommen, und Kerstin und Stefan waren oben in ihren Zimmern.

»Wir fahren heute mit dem Bus, dein Vater muss noch ein paar Erledigungen machen. Wir treffen ihn gleich zu Hause«, erklärte sie. Wir gingen los zur Bushaltestelle. Im Bus setzten wir uns nebeneinander. Als wir uns gerade hingesetzt hatten, sagte sie:

»Ach Gott, ich muss ja noch für uns stempeln! Bleib du hier sitzen, ich gehe schnell nach vorne.«

Obwohl der Bus so ruckelte, hatte Mutti überhaupt kein Problem, auf ihren hohen Schuhen zu laufen. Ich hatte es bei ihr zu Hause mal ausprobiert und konnte mir gar nicht vorstellen, wie man in hohen Schuhen so laufen konnte. Nur ganz leicht berührte sie die Haltestangen und die Sitze, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, und ich konnte ihre langen, roten Fingernägel sehen. Bei jedem Schritt wackelte ihr Po ein bisschen. Zwei Reihen vor uns saßen zwei ältere Jungen, vielleicht so alt wie Kerstin, achtzehn oder neunzehn. Der eine stieß den anderen mit dem Ellenbogen an und deutete auf meine Mutter. Sie grinsten beide. Als meine Mutter an dem Entwerter angekommen war, schüttelte sie ihre langen blonden Haare aus dem Gesicht, steckte nacheinander beide Fahrkarten in den Schlitz und drehte sich dann wieder um. Als sie an der Bank mit den beiden älteren Jungen vorbeikam, sagte der eine von ihnen etwas zu ihr. Ich konnte nicht hören, was, aber meine Mutter lächelte kurz. Auch die anderen Männer im Bus hatten ihr Blicke zugeworfen. Hoffentlich würde ich auch mal so aussehen! Hoffentlich würden die Männer mir auch mal so nachschauen! Meine Mutter war die einzige Frau, die ich kannte, die alle immer so anschauten. Wenn ich mit Mama im Bus fuhr, passierte das nie. Ich liebte Mama, aber sie war eben nicht so hübsch wie meine Mutter. Sie setzte sich wieder neben mich.

»Und, was hast du heute so gemacht?«, fragte meine Mutter.

»Wir haben Strohsterne gebastelt. Nächste Woche ist in der Kirche ja der Adventsbasar«, sagte ich. In vier Wochen war Weihnachten, und Mama, Stefan und ich bastelten schon seit einer Woche. Mama konnte sehr gut basteln. Ihre Sterne wurden auf dem Basar verkauft. Der Erlös wurde dann gespendet. Die Sterne von Stefan und mir waren nur manchmal schön genug für den Basar. Wenn wir uns sehr viel Mühe gaben und Mama ein bisschen half. Aber meistens hatten wir nicht so viel Geduld. Dann hängte Mama sie an den Adventskranz oder schenkte sie unseren Verwandten.

Meine Mutter kicherte. »Oh Mann, Strohsterne! Das ist ja schon ganz schön spießig bei euch, oder? Ist das nicht langweilig, den ganzen Tag Strohsterne basteln?«

»Ich war ja vorher noch in der Schule! Außerdem haben wir auch noch kleine Krippen aus Walnussschalen gebastelt!«

»Na dann«, sagte meine Mutter, grinste und schaute aus dem Fenster.

Ich schaute auch aus dem Fenster.

Kurz bevor sie geheiratet hatten, waren sie und Helmut in eine neue Wohnung gezogen, die in der gleichen Gegend lag wie die, in der sie zuvor alleine gewohnt hatte. Ich war in diesem Jahr ungefähr alle zwei Monate zu Besuch gewesen. Die neue Wohnung lag in einem Wohngebiet mit vielen Mehrfamilienhäusern. In jedem Haus wohnten sechs oder sieben Familien. Die neue Wohnung war größer als die alte. Es gab jetzt zwei große Sofas und einen dazu passenden Sessel. Auf einem der Sofas schlief ich, wenn ich bei ihnen war. In der alten Wohnung hatte ich bei meiner Mutter im Bett geschlafen. Das war immer noch riesig. Aber jetzt schlief da Helmut. Zur Küche hin hatten sie eine Theke, vor der vier Barhocker standen. Das fand ich cool.

Ich sah mir im Wohnzimmer Western von gestern an, und meine Mutter telefonierte mit irgendwem im Schlafzimmer. Auf dem Couchtisch lag ein Modekatalog. Als Western von gestern vorbei war, nahm ich den Modekatalog und blätterte darin. Plötzlich sah ich ein Bild von meiner Mutter. Sie trug einen dunkelbraunen, leicht glänzenden Overall. Dazu hatte sie einen breiten schwarzen Gürtel und kurze schwarze Stiefel an. Sie saß auf einem Motorroller. Neben ihr stand eine andere Frau, die ein Kleid trug. Die beiden lächelten.

»Ja, da schaust du, was? Deine Mutti ist jetzt Model!«

Ich erschrak. Ich hatte gar nicht gehört, dass Helmut nach Hause gekommen war. Er stand hinter mir und sah mir über die Schulter.

»Weiter hinten bei den Mänteln kommt sie auch noch mal«, sagte er.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und blätterte weiter in dem Katalog. Aber ich fand sie nicht noch mal.

Helmut setzte sich auf den Sessel und fragte: »Was möchtest du denn mal werden? Auch Model?«

»Ärztin.«

Dazu fiel ihm nichts ein. Er hielt mir ein großes, flaches Päckchen hin, das in Geschenkpapier eingepackt war. Er hatte sehr große Hände und trug zwei breite Goldringe. Auf einem war ein eingeritztes Bild, ein Wappen, hatte er mir erklärt. Man konnte den Ring in Wachs drücken, dann sah man das Bild als Abdruck.

»Hier, guck mal, für dich.« Die Schleife war mit dem goldenen Aufkleber eines Geschäfts festgemacht. »Na los, pack’s aus und schau nach, was dir dein Vati mitgebracht hat!«, sagte er und wedelte mit dem Geschenk.

»Danke«, sagte ich, nahm es und wickelte das Papier ab. Es war eine Jumbotafel Schokolade mit ganzen Haselnüssen.

»Oh, danke!«, sagte ich möglichst freundlich. Meine Lieblingsschokolade war eigentlich Vollmilch.

»Dein Vati weiß doch, was seiner Tochter schmeckt!«, sagte er, beugte sich zu mir nach vorne und strubbelte mir über den Kopf.

Ich machte das Papier an einer Seite auf und brach mir eine Rippe ab.

»Aber nicht zu viel! Wir wollen ja gleich noch essen gehen!«, sagte Helmut und hob den Zeigefinger. Dabei grinste er und lehnte sich wieder zurück.

»Okay«, sagte ich und schob mir die Schokolade in den Mund. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Aber erst mal hatte ich ja auch den Mund voll. Dann fiel mir etwas ein: »Letztes Wochenende waren wir mit Mama und Papa auch essen. Mama hatte Geburtstag und Papa hat uns alle in den Försterhof eingeladen«, sagte ich.

Helmut rutschte auf seinem Sessel etwas nach vorne, sah mich an und sagte: »Vergiss mal die anderen, Janine. Ich bin jetzt dein Papa. Wir holen dich bald und dann sind wir eine Familie.« Dann stand er auf und ging in Richtung Schlafzimmer.

Was meinte er mit holen? Ich war doch schon da. Ich blätterte weiter in dem Katalog.

Eine halbe Stunde später setzten wir uns in Helmuts Amischlitten. Das Auto war wirklich cool. Die roten Ledersitze waren so weich, dass ich bei jedem Hubbel auf der Straße nach oben hüpfte. Fast wie auf einem Hüpfball. Auf der Sitzbank hinten war so viel Platz, dass mindestens noch drei Kinder neben mich gepasst hätten. Helmut machte laute Musik an. Sein Autoradio hatte auch einen Kassettenrekorder. Bei Mama und Papa im Auto hörten wir nie Musik, nur die Verkehrsnachrichten. Bei Helmut gab es immer laute Rockmusik. Obwohl ich Helmut nicht mochte, fand ich das cool. Wir fuhren in ein Restaurant, wo wir uns mit Freunden von ihnen trafen. Der Kellner begrüßte Helmut und meine Mutter, als wären sie Freunde. Er schenkte mir einen kleinen roten Lolli und zwei Kugelschreiber, auf denen der Name des Restaurants stand, und zeigte uns, wo wir saßen. Als die Freunde meiner Eltern da waren, bestellten wir. Ich aß Spaghetti Bolognese. Die Soße schmeckte allerdings nicht so gut wie die Bolognese von Mama. Während des Essens erzählte Helmut den Freunden, dass ich bald bei ihnen einziehen würde, weil wir jetzt eine Familie wären.

»Ist sie nicht eine Schönheit?«, fragte er. »Wie ihre Mutter!«

Meine Mutter lächelte. Mir war das total peinlich, aber ich lächelte auch. Zum Nachtisch durfte ich noch ein Eis bestellen. Später malte ich ein bisschen mit den Kugelschreibern, bis wir wieder nach Hause fuhren. Ich wusste nicht, was ich sonst machen sollte.

Am nächsten Tag war Samstag und meine Mutter wollte in die Stadt einkaufen gehen. Helmut fuhr uns zum Rudolfplatz, wo wir ausstiegen und in Richtung Mittelstraße gingen. Als erstes wollte meine Mutter in eine Boutique, die in einer der Seitenstraßen der Mittelstraße war und in der eine Freundin von ihr arbeitete. Es war gerade nicht viel los in der Boutique, deshalb tranken die beiden einen Kaffee und setzten sich auf zwei kleine, verzierte Eisenstühle, die in der Mitte des Verkaufsraums standen.

»Schau dir doch ein bisschen die Sachen an und probier an, was du möchtest!«, sagte Mutti. Aber die Sachen waren alle für Erwachsene und für mich zu groß. Auf einem Regal standen einige Paar Schuhe, die meisten mit hohen Absätzen. Ich probierte sie an und versuchte, damit vor dem Spiegel auf und ab zu gehen. Aber die waren viel zu groß und ich schlupfte hinten immer raus. Dann versuchte ich, mir aus den Tüchern, die in einem großen Korb lagen, einen Schleier zu binden. Als ich das letzte Mal bei meiner Mutter gewesen war, hatten wir den Film Die Bibel angeschaut. Da hatten viele Frauen Schleier um. Aber sie rutschten immer runter und irgendwann hatte ich keine Lust mehr. Meine Mutter war mittlerweile aufgestanden und schaute sich die Sachen an den Ständern an. In einer Hand hielt sie zwei Bügel mit einem Kleid und einem Rock.

»Können wir bald weitergehen?«, fragte ich meine Mutter.

»Ich probier nur noch kurz etwas an, Schatz! Guck dich doch noch ein bisschen um«, antwortete sie.

Es dauerte endlos lange, bis sie auch gehen wollte. Sie kaufte zwei Röcke und einen Pulli. Wir verabschiedeten uns von ihrer Freundin und als wir wieder auf der Straße waren, sagte sie:

»Jetzt kaufen wir dir auch was Schönes. Du darfst dir etwas wünschen. Was möchtest du denn gerne haben?«

»Egal, was?«, fragte ich.

Sie nickte und sagte: »Ja, egal, was.«

»Okay, dann wünsche ich mir eine Teddyjacke!«, antwortete ich. »Es gibt so eine bei Karstadt. Aber Mama wollte sie mir nicht kaufen.« Das sagte ich vorsichtshalber dazu. Trotzdem hatte ich ein ungutes Gefühl. Aber ich schob es schnell weg. Ich wollte diese Jacke unbedingt!

Meine Mutter lächelte: »Na, dann schauen wir uns die mal an, oder?«

Wir gingen die Breite Straße entlang bis zu Karstadt. In der Kinderabteilung fanden wir die Jacke. Ich probierte sie an und meine Mutter war total begeistert:

»Total süß, Janine! Du siehst aus wie ein kleiner Filmstar!«

Ich drehte mich vor dem Spiegel und fasste in das weiße Fell. Das sah wirklich toll aus.

»Ich versteh gar nicht, warum deiner Mama die Jacke nicht gefällt. Die sieht doch klasse aus!«

»Sie hat gesagt, sie ist hässlich und außerdem krieg ich damit eine Nierenentzündung.«

»Janine, deine Mama ist eine tolle Frau, aber manchmal finde ich ihre Ansichten echt langweilig und spießig.«

Ich wusste nicht genau, was spießig bedeutete. Und langweilig fand ich Mama eigentlich auch nicht. Ich fand es blöd, dass sie so schlecht über Mama redete, sagte aber nichts. Ich wollte, dass sie mir diese Jacke kaufte! Ich fragte Mutti, ob ich die Jacke sofort anziehen durfte.

»Ja, klar, kein Problem, dann packen wir einfach deine alte in die Tüte«, sagte sie und ich tauschte die Jacken aus. Mit der neuen Jacke fühlte ich mich supercool.

Abends durfte ich sogar bis elf Uhr Fernseh gucken. Das durfte ich zu Hause nie. Da musste ich unter der Woche um acht ins Bett und am Wochenende spätestens um neun.

Als ich am Sonntagabend nach Hause kam, stand Mama schon in der Haustür. Ich hatte die Teddyjacke an, aber Mama hatte wie immer sofort gesehen, dass es mir nicht so gut ging, und vertagte die unausweichliche Teddyjacken-Diskussion auf später.

»Über die Jacke reden wir später. Jetzt ruh dich erst mal aus«, flüsterte sie in mein Ohr, als sie mich umarmte.

Ich ging nach oben in mein Zimmer. Fünf Minuten später kam Mama und wir setzten uns auf die Kante von meinem Bett.

»Und, was habt ihr gemacht? Erzähl mal!«

Ich erzählte, dass wir essen waren und einkaufen. Dann musste ich plötzlich weinen und wusste gar nicht, warum.

Mama nahm mich in den Arm und wiegte mich hin und her.

»Mama, sie tut mir doch gar nichts, und schenkt mir doch sogar immer was!«

»Ich weiß, Schatz. Aber es ist schwierig für dich, weil deine Mutter und wir so unterschiedlich sind. Du willst keinem wehtun, und das ist manchmal schwierig. So schwierig, dass es dich traurig macht.«

Ich nickte. Ich hatte Kopfschmerzen.

»Leg dich ein bisschen hin und hör dir eine Kassette an, ja? Und dann essen wir was Leckeres und alles sieht schon wieder besser aus. Was wünschst du dir zum Essen? Lass mich raten, Spaghetti Bolognese?«

Ich nickte.

Sie hielt mir zwei verschiedene Drei-Fragezeichen-Kassetten hin, die ich besonders gerne mochte, und ich entschied mich für Die drei Fragezeichen und der Zauberspiegel. Ich war so froh, dass ich wieder zu Hause war.

Ich stand noch einmal zum Essen auf, dann ging ich ins Bett. Am nächsten Morgen konnte ich nicht in die Schule gehen, weil ich immer noch Kopfschmerzen hatte und gleichzeitig fror und schwitzte. Mama sagte, ich habe Fieber. Ich wusste nicht, warum, und ich wusste auch nicht, was ich dagegen machen sollte: Wenn ich bei meiner Mutter war, war ich danach immer mindestens zwei Tage krank. In der Schule waren sie dann am Mittwoch immer alle nett zu mir.

Am nächsten Samstag sagte Mama beim Frühstück: »Janine, ich wollte dich nicht unnötig aufregen, als du krank warst. Aber jetzt geht’s dir wieder gut und wir haben noch ein Hühnchen miteinander zu rupfen. Du weißt, dass ich mit dieser Teddyjacke nicht einverstanden bin. Darüber haben wir ja schon gesprochen. Ich weiß, dass du sie sehr gerne magst, aber ich finde es nicht okay, dass du dich meiner Entscheidung einfach so widersetzt. Dass du zwei Mütter hast, heißt nicht, dass du sie gegeneinander ausspielen kannst. Du brauchst für diesen Winter eine anständige, warme Jacke. In diesem Teddy-Ding wirst du bloß krank. Deshalb gehen wir heute in die Stadt. Du kannst dir eine schöne Daunenjacke aussuchen. Mit deiner Mutter habe ich schon gesprochen. Die Teddyjacke bringen wir wieder zurück.«

»Nein! Ich will sie behalten! Das ist meine Jacke, du darfst sie mir nicht wegnehmen!«

»Wir haben doch schon darüber gesprochen. Es hat sich nichts daran geändert, was ich gesagt habe: Ich will nicht, dass du mit dieser Jacke rumläufst. Ich finde diese Teddyjacke fürchterlich und es ist mir egal, ob deine Mutter sie gekauft hat. Es geht mir dabei nicht ums Geld, ich hätte sie dir auch kaufen können. Stefan und Kerstin haben schöne Daunenjacken. Du bekommst jetzt auch eine und die Teddyjacke bringen wir zurück.«

»Das ist meine Jacke! Du bist blöd!«, rief ich. Ich war so wütend.

Sie trat einen Schritt zurück und sagte: »Wir wissen beide, dass du das nicht so meinst. Niemand ist blöd. Du nicht, ich nicht und deine Mutter auch nicht. Auch wenn es kurze Zeit deine Jacke war und du dich auf den Kopf stellst: Wir bringen die Teddyjacke heute zurück. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.« Jetzt war sie auch wütend. Ich machte mich los und rannte die Treppe rauf in mein Zimmer.

Ich war nicht lange wütend. Später fuhren wir in die Stadt und brachten die Teddyjacke wieder zurück. Es tat mir total leid um die Jacke, aber irgendwie war ich auch erleichtert, dass sie wieder weg war. Ich hatte sie die restliche Woche, als ich wieder in die Schule ging, gar nicht angezogen, obwohl Mama nichts gesagt hatte. Ich fand sie immer noch schön, aber es hätte sich falsch angefühlt.

Ich bekam eine blaue Daunenjacke. Am Sonntag, als Mama gerade das Mittagessen kochte, schlich ich mich in den Flur, zog die neue Daunenjacke noch einmal an und schaute in den Spiegel. Mama hatte recht. Sie war auch schön. Nicht so auffällig, aber dafür erwachsener. Sie sah aus wie die von Kerstin. Und passte irgendwie auch sehr gut zu mir.