Donnerstagabend
Als er den Eimer ausgeleert hat, sagte er: »Du miefst, Jess. Du brauchst ein Bad.«
»Ich kann mich nicht riechen.«
»Nach dem Baden würdest du dich wohler fühlen. Ich verstehe dich nicht.«
»Stimmt.«
»Hab doch um Himmels willen ein Einsehen. Oder willst du krank werden?«
»Warum nicht? Ich glaube, ich trete in Hungerstreik.«
»Das bezweifle ich.«
»Du bezweifelst es. Du glaubst immer noch, ich wäre ein verfressenes kleines Kind. Du glaubst immer noch, du würdest mich kennen, hab ich recht? Du glaubst immer noch, du wüsstest alles über mich.«
»Ich kenne dich besser als irgendjemand sonst. Deshalb weiß ich, dass du im Begriff bist, einen Fehler zu machen. Und dass du zur Besinnung kommen und mir am Ende dankbar sein wirst.«
»Das weißt du nicht. Es gibt Millionen Sachen, die du nicht über mich weißt!«
»Ich lasse jetzt ein Bad ein.«
»Ich steige nicht rein.«
Er geht raus, und ich höre, wie er den Stöpsel einsetzt, das leise Quietschen des Wasserhahns, das Rauschen des Wassers, das durch die alten Rohre strömt. Ich höre, wie er kaltes Wasser zulaufen lässt und das warme abstellt. Schließlich sind beide Hähne ruhig, und er kommt zurück. »Du kannst jetzt baden.«
Ich rühre mich nicht vom Fleck. Der Hahn tropft.
»Ich nehme dir im Bad die Fesseln ab und schließe dich ein. Dann kannst du dich in Ruhe ausziehen und dich waschen. Anschließend bringe ich dir saubere Sachen.«
Wie freundlich von ihm. Ich rühre mich nicht.
»Komm schon, Jess.«
»Tut mir leid, aber da ist nichts zu machen.«
»Komm doch einfach mal mit, und wirf einen Blick ins Bad – dann wirst du merken, wie sehr du es dir wünschst.«
Ich rühre mich nicht.
»Muss ich dich tragen?«
Ich zucke mit den Schultern.
»Um Himmels willen, Jess, welches Spiel spielst du jetzt wieder?«
»Passiver Widerstand.« Du selbst hast mich das gelehrt, weißt du noch? Erinnerst du dich noch, dass du mir von Mahatma Gandhi erzählt hast?
»Hör auf mit den Dummheiten.«
Ich glaube, er hat es vergessen.
»Ich gehe jetzt nach unten. Dein Bad wird kalt. Ruf mich, wenn du’s dir anders überlegst.«
Wenn du’s dir anders überlegst. Er glaubt, ich muss nach seiner Pfeife tanzen – nicht falls, sondern wenn. »Ich bin nicht deine Puppe!«, schreie ich.
Seine Schritte stocken auf der Treppe, dann geht er weiter.
Ich bin ihm nichts schuldig. Genug ist genug. Er hat Pläne gegen mich geschmiedet, hat mich schikaniert, mir wehgetan. Er hält mich schon seit Samstag hier gefangen! Und er glaubt immer noch, er wüsste, was gut für mich ist, er lässt sich einfach nicht beirren. Ich sollte alle Mittel einsetzen. Ich sollte tun, was immer nötig ist, um meinen Willen durchzusetzen – lügen, kämpfen, toben –, alle Mittel nutzen.
Er hat nicht gezögert, Gewalt einzusetzen. Und was ist mit dem Karton? Das war am ersten Tag, als er mich am Boden gefesselt hat. Er geht raus zum Wagen und schleppt einen Karton herein. Mit Werkzeug. Es sind Hammer und Bohrer und Schraubenzieher drin, und er geht nach oben, und ich höre, wie er ein Loch in den Türrahmen bohrt und das Ding montiert, an dem er das Vorhängeschloss anbringt, wenn er mich einsperrt. Er hat alles geplant. In unserem Haus, in unserer Garage, hat er das Werkzeug rausgesucht und in den Karton getan, zusammen mit zwei neuen Fahrradschlössern, dem Strick und dem Knebeltuch, und hat dabei gedacht: »Das brauche ich für Jessie.« Wie konnte er es wagen?
Ich werd’s ihm zeigen. Er wird schon sehen, ob er mich kontrollieren kann. Ich bin so wütend, dass ich vor Hunger zitterte. »Ich will ESSEN!«
Er kommt die Treppe hochgestürmt.
»Essen! Essen!«
»Ich mache dir was zu essen, wenn du gebadet hast.«
»ESSEN!«
Er geht nach unten und schließt die Tür.
Ich kämpfe gegen Tränen an. Ich will hier nicht wieder weinen. Er hat unrecht, und ich habe recht, und es ist an der Zeit, alles zu tun, um es zu beweisen.
Aber ich bin so hungrig, dass ich nicht nachdenken kann. Wie lange ist es her, dass er mir etwas zu essen gegeben hat? Zu Mittag gab es Rührei und vegetarische Würstchen. Eigentlich dürfte ich nicht so hungrig sein. Ich versuche, das meinem Magen mitzuteilen, doch der hört nicht auf mich. Der kleine Gehirnpickel will den großen, verfressenen Körper herumkommandieren, auf dem er sitzt. Wenn sie mein Gehirn einschläfern, wird das übrig bleiben: ein großer, verfressener Körper.
Nein. Nein. Ganz ruhig. Einatmen. Ausatmen. Ruhig. Ich denke an die zischenden Beatmungsmaschinen.
Mein Körper ist schlau. Er hat seinen eigenen Rhythmus, seine Geheimnisse und Kräfte, die nichts mit meinem Bewusstsein zu tun haben. Mein Körper wird die Kontrolle übernehmen und ein perfektes Wesen ausbrüten. Und mein dummes, plapperndes Bewusstsein wird schweigen.
Ich konzentriere mich auf den grauen Himmelsausschnitt, den ich durchs Fenster sehen kann. Es ist nicht vollständig dunkel. Es wird alles gut. Ich sitze am längeren Hebel. Ich spüre, dass ich stärker werde. Das alles habe ich nicht durchgemacht, um mein Vorhaben von ihm vereiteln zu lassen.
Ich werde dich besiegen, Dad.