Sonntagabend

Ich überlege ständig, was ich tun soll. Zermartere mir das Hirn, wie ich ihn durch mein Verhalten überzeugen kann. Doch es fällt mir nichts ein. Wir vertreten vollkommen gegensätzliche Positionen. Was ich auch will, er wird mir in die Quere kommen. Tag und Nacht können sich niemals begegnen.

Dann kommt er und bringt mir eine Pizza mit, obwohl ich diesen Mist nicht esse – in einem Karton mit Polystyrol-Isolierung. Und einen Karton Orangensaft. Als er nicht da war, tat er mir leid, aber jetzt, da ich ihn sehe, macht mich sein Anblick rasend. »Geh weg! Geh weg! Geh weg!« Ich fege die Pizza in hohem Bogen auf den Boden. Er wirkt überrascht.

»Ich dachte, du wärst hungrig.«

»Das esse ich nicht!«, kreische ich. »Du kannst mich nicht hier einsperren.« Ich will mich auf ihn stürzen und ihn schlagen, stolpere aber wegen der Fahrradschlösser, und als er sich bückt und mir aufhelfen will, drehe ich mich herum und beiße ihn mit aller Kraft in die Hand. Ich packe ihn bei den Armen, grabe die Fingernägel hinein und versuche, die Füße herumzuschwenken und ihn zu treten. Er schreit auf, bringt sich in Sicherheit und hält sich die Hand. »Lass mich frei!«, schreie ich. »Du kannst mich nicht gefangen halten, lass mich frei!«

»Sei still«, sagt er. »Niemand hört dich.«

»Wie lange willst du mich hier festhalten? Soll ich ewig Junkfood essen und mein Geschäft auf einem Eimer erledigen? Glaubst du, das geht?« Ich krieche so schnell ich kann zum Eimer und werfe ihn um. Die Pisse fließt über den Boden. Ich wälze mich darin, bis meine Kleidung feucht ist, und als er wieder näher kommt, presse ich die Füße zusammen und trete ihn gegen das Schienbein.

Er weicht zurück. »Ich will das nicht tun. Ich will nur, dass du zur Vernunft kommst.«

»Du kannst mich nicht zwingen. Niemals. Ich hasse dich!« Ich packe den Pizzakarton und versuche, ihn zu werfen, doch er klappt auf und fällt auf den Boden. Aber die Schachtel mit der Soße hätte ich fast getroffen. Er geht schnell weg und schließt hinter sich ab.

Wenn ich das Fenster einschlagen und mich schneiden würde, müsste er mich ins Krankenhaus bringen. Er würde mich bestimmt nicht verbluten lassen, und dann wäre er gezwungen, etwas zu unternehmen. Ich versuche gerade, mich aufzurichten, als er zurückkommt und mich packt; ich gerate aus dem Gleichgewicht, und wir fallen beide um. Ich trete und kratze ihn im Gesicht, doch er ist stärker, bekommt meinen Arm zu fassen und dreht ihn mir auf den Rücken. Ich schreie. Ich schreie weiter, doch er packt auch noch den anderen Arm, kniet sich darauf und schlingt mir etwas um die Handgelenke. Fesselt mir die Arme auf den Rücken.

»Nein, nein, nein!«, brülle ich. Er zieht den Strick an und verknotet ihn, dann richtet er sich auf und stolpert von mir weg. Ich komme nicht hoch, weil ich mich nicht abstützen kann. Ich zappele am Boden wie ein Fisch auf dem Trockenen. Er geht in die Ecke, hockt sich nieder mit dem Rücken zur Wand, legt die Hände ums Gesicht und weint.

Nach einer Weile hört er auf. Er spricht langsam und tonlos. »Ich will dich nicht fesseln. Ich würde dir gern Hände und Beine losbinden, damit du ein Bad nehmen und frische Sachen anziehen kannst.«

»Unbeaufsichtigt?«

»Natürlich.«

»Und dann darf ich gehen?«

»Nein. Dann lege ich dir wieder die Fußfesseln an.«

»Verpiss dich.«

»Das ist nur zu deinem Besten.«

»Ist es nicht.«

»Du bist irregeleitet. Du bist momentan geistig verwirrt. Ich behalte dich so lange hier, bis du wieder zur Vernunft gekommen bist.«

»Deine Definition von Vernunft setzt voraus, dass ich so denke wie du. Du bist geistig verwirrt. Man sollte dich so lange fixieren, bis du dich meinen Ansichten anschließt.«

Er schaut mich verdutzt an, dann lacht er unvermittelt. Ich liege auf der Seite in meinen pissfeuchten Klamotten, die Wange auf dem kratzigen Teppich, und Dad hockt in der Ecke und lacht mich aus. Ich breche in Tränen aus. Er kommt zu mir gekrochen und hilft mir, mich aufzusetzen.

»Es tut mir leid, Jess. Bitte, bitte mach das nicht schlimmer, als es ist. Wenn du mir versprichst, dass du brav bist, binde ich dir die Arme los.«

»Weshalb sollte ich das versprechen?«

»Es ist sinnlos, wenn du dich wehrst. Du wirst mich damit nicht umstimmen, sondern dir nur selber wehtun.«

»Wenn du von einem Vater erfahren würdest, der seine Tochter einsperrt, weil ihm ihre Ansichten nicht passen, würdest du das empörend finden.«

»Das ist es auch. Das würde ich. Aber ich weiß mir nicht anders zu helfen.«

»Lass mich gehen. Das ist mein Leben.«

»Aber du hast nicht das Recht, es wegzuwerfen.«

»Heuchler.«

»Hör auf, Jess. Möchtest du baden? Das Wasser ist heiß.«

»Heuchler! Heuchler! Heuchler!«, schreie ich.