Mittwochmorgen

Ich erinnere mich noch deutlich an das Gefühl. Ich will mich nie wieder so fühlen, egal, was er tut. Nie wieder will ich alle Hoffnung verlieren, das gelobe ich. Nie wieder will ich diese Ohnmacht empfinden.

Damals war es Dad, der mich herausholte. Das ist die furchtbare Ironie bei dem Ganzen. Dad half mir, aus dem tiefen Loch zu kriechen, und zeigte mir den Lichtschimmer, dem ich folgen konnte. Dad machte mir klar, dass es doch Hoffnung gab.

Er gab mir die Freiheit zurück, und jetzt will er sie mir rauben. An einem Tag wie heute bin ich nicht zornig, sondern bedaure ihn. Ich habe solches Mitleid mit ihm und Mum, dass mir die Tränen kommen. Aber wie soll ich ihnen das klarmachen? Bei meinem letzten Versuch wurde Dad wütend. Vielleicht kann ich mehr nicht erreichen. Wenn er wütend ist, ist er wenigstens nicht traurig. Ich sagte ihm, ich habe kein Recht, zornig zu sein – und das habe ich auch nicht. Das ganze Unheil gehe von mir aus. Seine Reaktion sei nur verständlich. Dann aber sagte er, ich sei eine gläubige Idiotin, die man einer Gehirnwäsche unterzogen habe.

Als er heute erscheint, sage ich wieder: »Es tut mir leid.«

»Was tut dir leid?«

»Der ganze Ärger, den ich dir und Mum verursacht habe.«

»Wenn es dir leidtut, hör auf damit.«

»Es tut mir leid, aber ich werde es trotzdem tun.«

»Dann muss ich dich weiter einsperren.«

»Das ist sinnlos, aber ich verstehe deine Beweggründe. Ich verzeihe dir.«

»Du verzeihst mir? Für wen hältst du dich eigentlich? Für den beschissenen Jesus Christus leibhaftig?«

»Ich will damit sagen, ich weiß, dass du es gut meinst, und deshalb sollte ich dir nicht böse sein. Es tut mir leid, dass ich dich gebissen habe.«

»Jess, was soll das Geschwafel? Es tut mir leid, dass ich dich gefesselt habe – uns tut beiden leid, was wir getan haben –, aber es ist nun mal so, wir haben es getan. Weil alle anderen Methoden der Konfliktlösung versagt haben. Jetzt bleibt uns nur noch die Gewalt als letztes Mittel.«

Ich lachte. »Du kannst mich nicht ein Leben lang gefangen halten.«

»Das wird nicht nötig sein.«

Plötzlich begreife ich. Er hat tatsächlich vor, mich so lange hier festzuhalten, bis ich zu alt bin. »Das kannst du nicht machen.«

»Wieso nicht?«

»Du willst mich ein Jahr hierbehalten?«

»Warum nicht?«

»Weil du das nicht kannst.«

»Wart’s ab.«

Es gibt Dinge, die ich tun kann. In Hungerstreik treten. Mich selbst so stark verletzen, dass ich medizinisch behandelt werden muss. Beides aber birgt Risiken für meine körperliche Gesundheit, und die ist mein wertvollstes Gut. Mir schwirrt der Kopf, denn ich muss eine Möglichkeit finden, ihn zu überlisten. Ich kann, ich werde es, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Ich werde ihn besiegen, weil ich im Recht bin und er nur negative Beweggründe hat – schließlich will er nur etwas verhindern. Das ist, als wollte er einen Fluss eindämmen, um die Flut zu bezwingen. Die Macht ist bei mir, denn ich bin im Recht.

Ich schiebe den Stuhl herum, bis ich ihm den Rücken zuwende. Er sagt: »Jess?« Ich gebe keine Antwort. Nach einer Weile geht er hinaus und sperrt hinter sich ab.

Als er weg ist, bewege ich die Füße. Sie schlafen dauernd ein, obwohl die Plastikriemen nicht zu stramm sitzen. Als ich heute Nacht im Schlafsack lag, kamen sie mir riesig vor, und ich setzte mich in Panik auf, weil ich glaubte, sie wären geschwollen. Sie fühlten sich groß an, ganz weich. Aber als ich sie betrachtete, waren sie ganz normal. Ich hätte sie gern massieren lassen. Was ich mir am meisten wünschte, war, dass jemand mir die Füße streichelte.

Ständig denke ich an meine Füße, obwohl es weit wichtigere Dinge gibt, mit denen ich mich beschäftigen sollte. Doch das weiß er nicht. Ich lasse mir nicht anmerken, dass mir irgendetwas nahegeht. Ich bin stark, und er ist schwach. Nicht anders herum. Und er soll sich ja nicht einbilden, er könnte meinen Willen brechen.

Das Komische dabei ist, damals hat er versucht, mich aufzumuntern. Er wollte mich aufmuntern und hat es auch geschafft; schade, dass er mit dem Ergebnis nicht zufrieden ist.