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Als ich von einem wissenschaftlichen Vortrag heimkomme, berichtet Dad meiner Mum gerade von einem wundervollen Durchbruch. Ich höre ihre erhobenen Stimmen, als ich die Haustür aufmache. Mum meint, es werde nicht funktionieren, und er sagt, sie begreife nicht, worum es gehe. Auf dem Tisch stand Wein, und er bot mir davon an.

»Trink ein Glas mit uns, es gibt etwas zu feiern, Jessielein!«

»Was denn?«

»Es gibt einen Impfstoff!«

»Aber das bringt nichts …«, warf Mum ein, und er machte »Psst!«. Sie begann zu kichern, und nach einer Weile fiel er ein. Ich mochte es nicht, wenn sie getrunken hatten, und meinte, er solle mir am nächsten Morgen berichten. Als ich nach oben ging, lachten sie wie Hyänen.

Am Morgen war er immer noch aufgekratzt. Mum war schon früh zum Theater gefahren, und er tanzte mit einem Holzlöffel durch die Küche. Er gab mir eine Schale Porridge und fragte, ob ich die gute Neuigkeit hören wolle. Man habe einen Impfstoff gegen MTS entdeckt.

»Aber was nutzt das? Sind nicht schon alle Menschen infiziert?«

»Man kann Embryos damit impfen.«

»Embryos?«

»In aller Welt sind Hunderttausende Embryos gelagert – Millionen. Und alle aus der Zeit vor dem Ausbruch des Muttertodsyndroms. Jungfräuliche, gesunde, nicht infizierte Embryos, die in Kühltruhen lagern.«

»Warum?«

»Bei der künstlichen Befruchtung bekommt die Frau Medikamente, die eine erhöhte Produktion von Eizellen zur Folge haben, sodass man mehrere gleichzeitig verwenden kann. Eizellen kann man nicht einfrieren, deshalb befruchten wir sie und setzen der Frau ein oder zwei Embryos ein. Die übrigen werden eingefroren, wenn sie in Ordnung sind. Man lagert sie für den Fall, dass eine Implantation scheitert oder später ein Geschwisterchen gewünscht wird.«

»Verstanden.«

»Da die meisten Frauen aber nur wenige befruchtete Eizellen nutzen, gibt es in den Kliniken Tiefkühltruhen voller Embryos. Seit dem Ausbruch von MTS hat sie niemand mehr angerührt.«

»Dann könnte man diese Embryos also impfen.«

»Bingo! Es gibt nur zwei Möglichkeiten, sich mit MTS anzustecken, entweder über die Plazenta oder wenn sie anfangen zu atmen; und beides schließen wir durch die Impfung aus.«

»Warum hat Mum dann gemeint, es würde nichts bringen?«

»Ach, die denkt sich doch immer alle möglichen Gegenargumente und Komplikationen aus. Aber man wird den Impfstoff bestimmt in der Klinik und an vielen anderen Orten in aller Welt testen.«

»Die Frauen, die diese Babys bekommen sollen … die ersten …«

»Ja, die haben bereits MTS. Aber sie werden für eine gute Sache sterben. Und es gibt auch noch verschiedene andere Möglichkeiten; man könnte die tiefgefrorenen Embryos in künstlichen Gebärmüttern heranreifen lassen, oder in Tieren – alle diese Alternativen sind jetzt, da wir die Embryos impfen können, von höchstem Interesse.«

»Was sind künstliche Gebärmütter?«

»Inkubatoren. Maschinen, in denen Babys heranwachsen.«

Für mich hatte das einen abstoßenden Klang.

»Noch etwas Porridge für das nussbraune Mädchen?« Er teilte den Rest zwischen uns auf. Er war glücklich. Ich hingegen konnte nicht viel Gutes darin erkennen. Ja, er war von Anfang an glücklich. Ich hatte das Gefühl, dass die Forscher sich immer mehr verstrickten. Wenn es ein Heilmittel gab, dann sollte es nicht mit tiefgefrorenen, geimpften Embryos und künstlichen Gebärmüttern oder gar Tieren zu tun haben. Am Ende würden sie noch eine neue Rasse halb menschlicher Monster erschaffen. Mir kamen die Worte der FLAME-Frauen in den Sinn: Die männlichen Wissenschaftler würden immer die Kontrolle ausüben, weil sie die Einzigen wären, die wüssten, wie es funktioniert.

Ich wollte mit Sal darüber sprechen, doch sie war nicht im College, und als ich sie ansimste, stellte sich heraus, dass sie mit ihrer Mum wieder nach Birmingham gefahren war. »Schlechte Neuigkeiten«, simste sie mir, und ich antwortete: »?«. Sie antwortete mit »sptr«. Ich war in einer düsteren, ohnmächtig aufgebrachten Stimmung. Ich konnte nichts Gutes in den Neuigkeiten sehen, die Dad verkündet hatte, und auch sonst gab es wenig Positives. Seit Sals Vergewaltigung hatte ich nicht mehr mit Baz gesprochen. Ich hatte ihm noch nicht einmal mitgeteilt, dass ich aus YOFI ausgetreten war. Ich wartete darauf, dass er sich bei mir meldete, doch das tat er nicht.

Auf dem Heimweg vom College machte ich einen kleinen Abstecher über den Parkplatz vor dem Blockbuster-Videoverleih und bemerkte, dass mich zwei Typen anstarrten. Es war einer dieser Momente, da einen jemand anschaut und man ihm zufällig in die Augen sieht und er auf einmal glaubt, er müsste irgendetwas tun. Ich bin wirklich nicht gut darin, merkwürdigen Verrückten auszuweichen, aber diesmal hatte ich es richtig vermasselt. Ich dachte, wenn ich es schaffe, zwanzig Schritte unbeirrt weiterzugehen, werden sie mich in Ruhe lassen. Ich hatte noch keine zehn Schritte zurückgelegt, da verstellten sie mir den Weg. Sie hatten sich ihr langes Haar zum Pferdeschwanz gebunden, und der Größere trug einen Rucksack. »Willste mitkomm’?«, fragte er.

»Nein.«

»Sind auch noch andere Pussys da«, meinte er und wies mit dem Kinn zur Haltestelle; auf einer Parkbucht drängten sich etwa dreißig Personen. Ansonsten war die Busstation menschenleer. Alle anderen hatten sich verdrückt.

»Nein, danke, ich will nach Hause.«

»Och! Sie will nach Hause, das ist ja reizend. Gib uns deinen Rucksack.«

»Da ist nichts Wertvolles drin …«

Er riss ihn mir von der Schulter.

»Bitte nicht! Da ist meine Kursarbeit drin …«

»Kursarbeit?« Er öffnete den Reißverschluss und drehte den Rucksack um. Der Ringhefter für Geschichte fiel heraus und sprang auf, die Blätter verteilten sich auf dem Boden. »Sie studiert!«, sagte er in erstauntem Tonfall zu dem Kleineren. »Weißte denn nich, dass alles vorbei is?« Und er fuhr sich mit der Hand über den Hals, mit der Handkante. Dann hob er meinen iPod und die Geldbörse auf, stopfte sie in den Rucksack und schulterte ihn. Dem Ringhefter versetzte er einen Tritt, sodass die Seiten durch die Luft flogen. Offenbar hatte ich geschrien, denn er wandte sich wieder mir zu und näherte sein Gesicht dem meinen, bis ich die schmutzigen Hautporen an der Seite seiner Nase erkennen konnte, und flüsterte: »Blöde Fotze!« Dann schubste er mich.

Als ich mich wieder aufgerappelt hatte, waren sie weg. Auf dem Parkplatz sammelte ich die durchnässten Blätter meiner Kursarbeit auf. Ich merkte erst dann, dass ich weinte, als eine Frau aus dem Blockbuster kam und mich in den Arm nahm. »Komm rein und wasch dich, Schätzchen. Wir haben schon vor einer halben Stunde die beschissene Polizei gerufen. Die ist nie da, wenn man sie braucht.«

Im Blockbuster waren drei Angestellte. Offenbar hatten sie abgeschlossen und das Licht ausgeschaltet, als sie die Bande an der Busstation bemerkten. Ich glaube, sie hatten ein schlechtes Gewissen, denn eine der Frauen fuhr mich nach Hause.

Hinterher hatte ich mehr Angst als in dem Moment, als es geschehen war – der Junge hätte auch ein Messer haben können. Ständig las man in der Zeitung von Mädchen, die von Banden entführt wurden. Das war eines der Dinge, denen die Straßensperren entgegenwirken sollten – Terroristen, Selbstmordbomber und Banden. Vor allem aber behinderten sie den Verkehr. Mum und Dad machten ein großes Aufheben, und ich nahm ein Bad und trank Tee, dann sah ich mit ihnen fern und nahm mir eine Wärmflasche mit ins Bett. Aber ich musste das Licht anlassen. Ich fragte mich, ob es noch schlimmer kommen könne. Ich kam mir so nutzlos vor, so ohnmächtig, als wäre ich durchsichtig.

Wie ich so an die Decke starrte, rief Sal an. Sie hatte ebenfalls schlechte Neuigkeiten zu vermelden.

»Wo bist du?«

»Wir sind noch in Birmingham. Mein Cousin Tom wurde entführt.« Tom war der Jüngste, er war gerade mal zwei. Sein Dad – Sals Onkel – wollte ihn nach der Arbeit von der Kita abholen, doch Tom war bereits abgeholt worden.

»Wer war das?«

»Das wissen wir nicht. Eine junge Frau mit rotem Haar. Sie hat gemeint, sie wäre die Freundin seines Vaters.«

»Und das haben sie nicht überprüft?«

»Sie haben ein Passwort-System. Wenn man sein Kind nicht selbst abholen will, muss man sich das Passwort des Tages geben lassen und es der betreffenden Person mitteilen.«

»Und die Frau kannte das Passwort?«

»Ja. Das wirft ein schlechtes Licht auf die Beschäftigten. Das ist schon der zweite Vorfall dieser Art.«

»Aber warum?«

»Warum? Was glaubst du? Die Leute wollen Babys haben!« Sie schimpfte über die Polizei, über die Art und Weise, wie sie die Kita-Mitarbeiter verhört und ihre Wohnungen durchsucht hatte, wobei sie so wie früher klang. Ich sagte an den passenden Stellen Ja und Nein und tut mir leid, aber ich fühlte mich benommen und müde, als hätte man mich bis zu den Augäpfeln mit grauem, matschigem Eiswasser abgefüllt, das mich von innen her erfrieren ließ. Ich war müde. Ich hatte Angst. Mir war eiskalt.