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Dornröschen bekommt ihre Chance

Mila

Wie Sam prophezeit hatte, war Reza morgens mit einem Fragezeichen im Gesicht bei mir im Bett aufgewacht. Zu meiner immensen Erleichterung hatte ihre einzige Reaktion in einem irritierten Kichern und dem hingeworfenen Satz »Träume sind schon eine verrückte Sache« bestanden.

Im Gegensatz zu Reza steckte ich die Auswirkungen der letzten Nacht allerdings nicht so locker weg. Einmal davon abgesehen, dass mir der Schock, von meiner Mutter bei einem sichtlich fortgeschrittenen Techtelmechtel erwischt zu werden, wahrscheinlich noch in den Knochen stecken würde, wenn ich schon alt und grau wäre, gab mir Sams Fähigkeit zu denken. Die Leichtigkeit, mit der er Rezas Wahrnehmung umgemünzt hatte, warf mehr Fragen auf, als in meinem schmerzenden Kopf Platz hatten. Wozu waren die Schattenschwingen wirklich imstande und was bedeuteten ihre Fähigkeiten für uns Menschen?

Als die dritte Schulstunde sich bereits dem Ende zuneigte, war ich immer noch meilenweit von einer Antwort entfernt. Aber das war auch kein Wunder, schließlich hatte ich eine komplett schlaflose Nacht hinter mir, und schon davor hatte ich mich mit Augenringen durch den Tag gequält. Dass Mathe auf dem Stundenplan stand, machte die ganze Sache nicht besser. Frau Olsens Kreidestriche an der Tafel verschwammen zu einem mystischen Einerlei und ihre ruhige Stimme ließ mich beinahe mit dem Kopf auf die Tischplatte sinken. Ich brachte gerade noch ausreichend Selbstbeherrschung auf, um nicht dem Druck meiner schweren Lider nachzugeben.

Dann bekam Frau Olsens Stimme plötzlich einen scharfen Unterton, der mich in die Gegenwart zurückholte. Zu meinem Schrecken stand sie direkt vor mir.

»Mila, die Begeisterung, mit der Sie ins neue Schuljahr stürmen, ist wirklich begrüßenswert. Aber könnten Sie beim Gähnen bitte die Hand vor den Mund halten?«

»Entschuldigung, tut mir wirklich leid«, brachte ich peinlich berührt hervor. Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, an meine aufkeimenden Mathe-Erfolge des letzten Jahres anzuschließen.

»Nicht so leid wie mir. Ihre Mandeln sind nichts, was man gesehen haben muss.« Frau Olsen sah nicht einmal ansatzweise versöhnt aus. »Was halten Sie davon, mich vorn an der Tafel zu unterstützen? Da werden Sie ganz bestimmt wach.«

Allein die Vorstellung, in der Öffentlichkeit irgendetwas tun zu müssen, das mit Rechnen zu tun hatte, verwandelte meinen Magen in einen Säurekessel. »Ich bin definitiv wach«, brachte ich verzweifelt hervor.

In Frau Olsens Augen glomm Genugtuung auf, aber sie war keineswegs bereit, mich von der Leine zu lassen. »Nun, meine Liebe?« Mit einer weit ausholenden Geste deutete sie auf die Tafel mit den komplett unleserlichen Hieroglyphen.

Okay, das hier war eindeutig schlimmer als die letzte Nacht!

Zu meiner Erleichterung läutete in diesem Augenblick die Pausenglocke und ich stieß hörbar die Luft zwischen meinen Zähnen aus. Bevor Frau Olsen auf die Idee kommen konnte, sich noch eine alternative Züchtigungsmethode wie etwa eine Strafarbeit einfallen zu lassen, war ich auch schon zur Tür hinaus. Wozu ein Adrenalinschub doch so alles gut sein konnte.

Draußen auf dem Pausenhof wartete ich auf Lena, die beim Verlassen des Schulgebäudes gerade giftgrüne Kaugummiblasen produzierte. Freundlich hielt sie mir die Packung hin, aber allein der künstliche Apfelgeruch, den die Kaugummis verströmten, war schon zu viel für mich. »Nein, danke. Ansonsten nimmt mein Gesicht sofort die gleiche grüne Farbe an.«

»Was ’n los mit dir?«

»Sag mal, wie viele von den Dingern hast du eigentlich im Mund? Du klingst vollkommen verklebt.«

Anstelle einer Antwort produzierte Lena eine Riesenblase, was von Julius, der ein paar Schritte von uns entfernt mit seinen Freunden beisammenstand, mit einem schmachtenden Ausdruck bedacht wurde. Der arme Kerl durfte sich Lena während der Schulzeit nicht nähern, was ihm sichtlich zu schaffen machte. »Ich habe ein Image zu verlieren«, hatte Lena sich verteidigt, als ich ihr deshalb auf den Zahn gefühlt hatte. »Ich gebe ihm noch drei Wochen, dann verwandelt sich die Iro wieder in einen Seitenscheitel. Und wie stehe ich dann da?« Allerdings sah mir ihr Verhalten weniger nach alberner Imagepflege, sondern mehr nach Kopierzwang aus. Genauso sprang auch mein lieber Bruder mit seinen Verehrerinnen um. Egal, was mir ansonsten so durch den Kopf ging, ich musste mit Lena dringend ein Gespräch unter vier Augen über dieses Thema führen. Gut, es hatte sie viel Kraft gekostet, sich ihre Verliebtheit in Rufus abzugewöhnen, aber deshalb musste sie noch lange nicht dessen »Kalte Schulter«-Spiel bei anderen männlichen Wesen austesten.

In einem hohen Bogen entsorgte Lena ihr Kaugummi in den Müllkorb. »Also, erzählst du mir jetzt, warum du aussiehst wie auferstanden von den Toten? Nun komm schon, Mila. Wie lange willst du noch ein Geheimnis aus Mr Nachtaktiv machen?«

Ja, das war die große Frage. Zu gern hätte ich mich Lena anvertraut, aber gerade heute Morgen war ich mir nicht wirklich sicher, ob sie überhaupt in die Nähe einer Schattenschwinge kommen sollte, selbst wenn es sich um den ihr wohlbekannten Sam Bristol handelte. Bestimmt legte Lena Wert darauf, dass niemand sich an ihrer Erinnerung vergriff. Mühsam musste ich mir vor Augen halten, dass ich diejenige gewesen war, die Sam zu diesem Trick aufgefordert hatte. Und jetzt tat ich so, als hätte er meiner Mutter etwas Böses gewollt. Es war einfach nur so, dass diese Fähigkeit mich schlicht überforderte, weil ihre Auswirkungen so unabsehbar waren. Ich brauchte dringend eine Auszeit, dann sah ich die Dinge bestimmt wieder klarer.

»Erde an Mila. War das jetzt eben etwa Sekundenschlaf mit offenen Augen?«

Verwirrt sah ich Lena an, die mit ihren Händen direkt vor meinem Gesichtsfeld herumfuchtelte. Dann senkte ich den Kopf und gestand mir ein, dass das noch ein furchtbar langer Tag werden würde.

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Rufus saß mit einer Schüssel kalter Nudeln vom Vortag zwischen den Knien auf der Küchentheke und stopfte sie sich mit erstaunlichem Tempo in den Mund. Als Begrüßung mussten Lena und ich uns mit einem Gabelwedeln zufrieden geben. Zielstrebig hielt ich auf die Kaffeeautomaten zu, während Lena mit verschränkten Armen im Wohnbereich stehen blieb. Auch wenn sie noch so unnahbar dreinschaute, war es offensichtlich, dass Rufus’ Anwesenheit ihr weiterhin Probleme bereitete. Aber das war mir so lange egal, bis ich einen vierfachen Espresso intus hatte.

Nachdenklich kauend, beobachtete mich Rufus dabei, wie ich in meine Tasse blies, um die schwarze Brühe möglichst umgehend trinken zu können. »Du siehst komplett gerockt aus«, ließ er mich wissen.

»Ich bin deine Schwester, was erwartest du?«

Mit der Nudelschale in der Hand stellte Rufus sich neben mich und flüsterte mir ins Ohr, damit Lena ihn nicht verstehen konnte. »Und weil ich dein großer Bruder bin, sage ich dir eins: Heute Nacht herrscht Sam-Sperre. Dieses Doppelleben ist zu hart für dich.«

Meine erste Reaktion bestand darin, ihm aufs Heftigste widersprechen zu wollen. Dann gestand ich mir jedoch ein, dass er recht hatte: Ich war ein Wrack, ein verliebtes, verstörtes und im Augenblick vollkommen überfordertes Wrack.

Lena drängte sich mit der Schulter voran zwischen uns, wohl aus dem Bedürfnis heraus, mich vor meinem großen Bruder zu beschützen. »Solltest du nicht im Haus der Jugend sein und den Kids irgendetwas Lustiges mit Kartoffelstempeln beibringen?«, fragte sie biestig, während sie sich einen Milchkaffee machte.

»Ich habe meinen freien Nachmittag. Aber was ist mit dir? Ist heute kein Oma-Erschrecken zusammen mit deinem drollig aussehenden Freund Julius in der Einkaufspassage angesagt? Ich frag mich ansonsten ernsthaft, wozu es gut gewesen sein soll, den halben Kopf orange einzufärben.«

Ohne genau sagen zu können, wann sich dieser neue Trend eingeschlichen hatte, stand eins glasklar fest: Das Verhalten der beiden zueinander hatte sich grundlegend gewandelt. Rufus war vom Ignorieren zum Pricken übergegangen, während Lena von Schmachten auf Angriff umgestellt hatte. Ich kam mir vor, als wäre ich in eine Kriegsfront geraten, die jederzeit in eine ganz andere Art der Auseinandersetzung übergehen konnte.

Make love, no war, dachte ich, wobei mir klar wurde, dass dies eine weitere neue Situation war, mit der ich nicht wirklich umzugehen wusste.

Glücklicherweise konnte ich diese knifflige Überlegung erst einmal vertagen, denn meine Mutter kam gerade zur Tür herein, halb zusammenbrechend unter der Last eines knapp ein Meter hohen Bäumchens plus Übertopf.

»Schaut mal«, rief Reza, obwohl sie deutlich aus der Puste war. »Ist das nicht ein Schätzchen? Den habe ich im Baumarkt gefunden, ich kann mein Glück noch gar nicht fassen. Die haben da doch sonst nie etwas Besonderes.«

Rufus nahm Reza die Pflanzschale ab und stellte sie auf den Küchentisch, um den wir uns alle neugierig positionierten. Das Bäumchen hatte eine Kegelform, wodurch es ein wenig in die Breite gegangen aussah. Die zweigeteilten fächerförmigen Blätter liefen am unteren Ende zusammen.

»Ein Ginkgo«, klärte Reza uns auf. »So einen wollte ich immer schon haben. Kennt ihr das Gedicht von Goethe über das Ginkgoblatt?

Ist es ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Dass man sie als eines kennt?«

Reza seufzte. »Schön, nicht wahr? So fühlt sich Liebe an.«

»Und ich dachte immer, eins plus eins macht drei, wenn es um die Liebe geht.« Es war Rufus deutlich anzusehen, dass ihm seine Goethe zitierende Mutter nicht ganz geheuer war.

Lena und ich hingegen nickten verständnisvoll. Ich nahm sogar eins der zweigeteilten Blätter an mich und horchte den Worten meiner Mutter nach. Auch ich kannte das Gefühl, dass man glaubte, eins zu sein mit jemandem, den man liebt, oder dass man sich mit Haut und Haaren nach diesem Moment sehnt. Aber der Gedanke, dass man früher einmal eins gewesen und dann zweigeteilt worden ist, fühlte sich in Bezug auf Sam ebenso richtig an. Warum sonst wären wir einander auch über die Grenzen unserer Welten hinaus verbunden geblieben? Vorsichtig legte ich das Ginkgoblatt zwischen die Seiten meines Zeichenblocks, mir fest vornehmend, eine Zeichnung davon für Sam anzufertigen.

Reza verschwand kurz und kehrte dann mit zwei Einkaufstaschen zurück, aus denen sie eine Tüte mit frischen Blaubeermuffins hervorholte. Es war mir schlicht ein Rätsel, wie es ihr gelungen war, die ganzen Sachen auf ihrem Drahtesel zu transportieren.

Gemeinsam setzten wir uns an den Tisch.

»Nimm dir gleich noch einen zweiten Muffin, Liebling, bevor sie alle im Magen deines Bruders verschwinden«, forderte Reza mich auf, als ich in die Tüte griff. »Du siehst aus, als könntest du eine Portion Zucker vertragen.«

Ein wenig pikiert nahm ich mir noch einen Muffin, wobei Lena mit dem Finger auf mich zeigte und sagte: »Wo deine Mutter recht hat, hat sie recht.«

Gemeinsam kauten wir eine Zeit lang vor uns hin, bis Reza sich räusperte. »Bevor ich übrigens den Ginkgo entdeckt habe, war ich noch auf einen Kaffee bei Daniel, der völlig aus dem Häuschen ist. Er hat ganz kurzfristig eine Einladung zu einem Kongress bekommen.«

»Themenschwerpunkt: ›Schleimiges Zeug aus dem Meer‹. Und über so was werden Kongresse veranstaltet, die vermutlich mehr Kohle kosten als der Unterhalt der gesamten Greenpeace-Flotte zusammen. Klasse Sache.« Wie gewöhnlich prallten sämtliche bösen Blicke an Rufus ab. So ein dickes Fell wünschte ich mir an manchen Tagen.

»Jedenfalls ist wohl ein sehr prominenter Redner ausgefallen, und nun soll Daniel einspringen. Eine wunderbare Chance für ihn, darauf hat er schon lange gehofft. Vor allem, nachdem sein Forschungsprojekt im letzten halben Jahr so tolle Fortschritte gemacht hat. Kurzum, Daniel wird für einige Tage verreisen.« Meine Mutter klaubte eine Blaubeere aus dem Teig und sah sie unschlüssig an. Ich kannte diese Geste – das Wichtigste war noch nicht gesagt.

»Wo findet der Zauber denn statt?«, lockte ich sie aus der Reserve.

»In Amsterdam. Dort haben Daniel und ich unsere Hochzeitsreise verbracht. Eigentlich hatten wir uns fest vorgenommen, jedes Jahr in diese Stadt zu fahren, aber irgendwie ist dann alles anders gekommen.« Klar, Rufus war geboren worden!

Lenas Augen strahlten. Sie war zwar nicht gerade eine Romantikerin, aber die beeindruckenden Verse über das Ginkgoblatt hatten sie noch voll im Griff. »Reza, du musst Herrn Levander unbedingt begleiten!«, stellte sie fest, nicht einmal darüber stolpernd, dass sie meinen Vater »Herrn Levander« nannte, obwohl sie ihn eigentlich duzte – Herr Levander war eben eine echte Respektsperson.

Rufus schenkte mir ein breites Grinsen. Offensichtlich ging ihm derselbe Gedanke wie mir durch den Kopf: Hier bot sich die Chance auf eine sturmfreie Bude! »Ich kann Lena nur beipflichten, Mom. Du und Herr Levander, ihr solltet euch dringend mal eine romantische Auszeit nehmen. « Diesen Seitenhieb in Richtung Lena konnte Rufus sich nicht verkneifen.

Trotz der Begeisterung am Tisch sah Reza unschlüssig drein. »Es ist ja nicht so, dass ich keine Lust hätte. Aber wir haben als Familie einige harte Monate hinter uns und ich möchte jetzt, wo sich gerade alles einigermaßen beruhigt hat, nichts unnötig durcheinanderwirbeln.«

»Mama«, sagte ich streng. »Rufus und ich können doch mal ein paar Tage allein auf uns aufpassen. Das wird spaßig!«

Dieses Argument war dumm, das erkannte ich in der Sekunde, in der ich es ausgesprochen hatte. Der Blick, mit dem Reza Rufus bedachte, sprach Bände. »Ich mag unser Haus«, bestätigte sie meine Ahnung. »Ich möchte nicht, dass es eine Komplettsanierung benötigt, nur weil hier die Party des Jahres gestiegen ist. Außerdem haben wir jetzt September, da geht die Gartenarbeit erst richtig los. Da kann ich mich doch nicht einfach absetzen.«

»Gartenzeit«, sagte Lena betont langsam und deutlich, als sei damit das entscheidende Zauberwort ausgesprochen. »Ich wette, in Amsterdam und Umgebung gibt es eine Menge spannender Gärten anzusehen. Ich meine, kommen nicht sämtliche Tulpen in den Supermärkten aus den Niederlanden? Und wer weiß, was die alten Holländer da noch so alles Spannendes in ihren Gärten angepflanzt haben.«

»Da fällt mir spontan meine Lieblingspflanze aus dieser Ecke ein. Macht optisch nicht viel her, hat aber eine sehr entspannende Wirkung. Davon könnten Daniel und du ruhig etwas in getrockneter Form mitbringen. Ich stelle mich gern freiwillig für Experimente hinsichtlich ihrer Wirkung zur Verfügung«, fuhr Rufus ihr in die Parade.

Reza ließ daraufhin nur ein trockenes »Aha« hören, und wechselte dann das Thema. Beim Abendessen verkündete sie dann gemeinschaftlich mit meinem sichtlich glücklichen Vater, dass sie tatsächlich mit zur Konferenz reisen würde und dass sie beide abschließend noch ein paar Tage dranhängen wollten, um auf alten Pfaden durch Amsterdam zu wandeln. Augenblicklich lebte ich auf. Gut eine Woche elternfreie Zone war so ungefähr das Großartigste, was uns zur Zeit überhaupt passieren konnte.

Prompt versuchte Rufus die Lorbeeren dafür einzuheimsen, als wir später den Tisch abdeckten: »Habe ich mir doch gedacht, dass ich unsere alte Hippie-Dame mit dem passenden Grünzeug rankriege.«

»Sag mal, gibt es in deinem Leben eigentlich auch Momente, in denen sich wenigstens ansatzweise Selbstzweifel einschleichen, oder sind die bei dir im genetischen Programm schlicht nicht vorgesehen?«, fragte Lena gereizt.

»Nein«, erwiderte Rufus grinsend. »Die Selbstzweifel und der damit verbundene schlechte Geschmack sind in Milas Genpool gelandet. Deshalb traut sie sich auch mit dir und der Farbexplosion auf deinem Kopf zusammen in die Öffentlichkeit, du Reihenhaus-Punkerin.«

Normalerweise hätte ich Rufus für solche Kommentare über Lena angemacht, aber ich hatte den Verdacht, dass sie nicht wirklich beleidigt war. Auch wenn sie über Rufus hinweg war, so schmeichelte ihr jedwede Form seiner Aufmerksamkeit.

»Macht dir nichts draus, dass ist Rufus’ Art zu flirten«, erklärte ich ihr vorsichtshalber. »Falls du willst, dass er dich um ein Date bittet, musst du ihm jetzt einfach die Saftreste aus dem Krug über den Kopf gießen.«

Lena warf einen nachdenklichen Blick auf den Krug in ihren Händen. »Ach nöö, den Saft zu trinken macht bestimmt mehr Spaß, als sich mit deinem unter den Mädels in St. Martin weit herumgereichten Bruder in der Öffentlichkeit blicken zu lassen. Ein bisschen Exklusivität muss schon sein.«

Autsch, das saß. Da konnte Rufus noch so tapfer grinsen. Ohne eine Spur von Mitleid, begann ich den Geschirrspüler einzuräumen und mir dabei auszumalen, wie wundervoll die elternfreien Tage sein würden. Eine Überdosis Sam würde genau das Richtige für meine strapazierten Nerven sein … vor allem, wenn ich ganz sichergehen konnte, dass nicht mit einem Mal Reza in der Tür stand.