28. KAPITEL
Strider brachte seine Frau zu einem Höhepunkt nach dem anderen. Gnadenlos bog er ihren Körper in jede vorstellbare Position. Er saugte an ihren Brustwarzen, leckte ihren Körper von Kopf bis Fuß, neckte ihre intimsten Stellen, indem er sie langsam aber bestimmt rieb, bewegte sich in ihr – erst langsam und sanft, dann schneller, immer schneller. Seine Stöße wurden schnell und flach, dann tiefer.
Als sie auf dem Rücken lag und kaum noch Luft bekam, legte er ihre Beine auf seine Schultern. Als sie den nächsten Höhepunkt erreicht hatte, führte er ihre Beine zu seiner Taille. Nach dem nächsten Höhepunkt drehte er sie auf den Bauch und nahm sie von hinten. Die ganze Zeit über wand sie sich, stöhnte und bettelte um mehr.
Mehr. Ja, er konnte ihr mehr geben. Er könnte sie ewig so verwöhnen, trotz seines rasenden Verlangens nach einem Höhepunkt. Und dieses Verlangen baute sich immer stärker auf, verschlang ihn. Aber nie war er entschlossener gewesen, sich in ein anderes Wesen einzubrennen. Und genau das würde er. Bis jede ihrer Zellen ihn kannte und ihn nicht mehr verleugnen könnte.
So würde sie niemals vergessen, dass sie zu ihm gehörte. Würde niemals vergessen, was er mit ihr machen würde, wenn sie ihm noch einmal solche Angst machte. Auch wenn sie das nicht sonderlich abschrecken würde. Hölle noch eins, er war gerade dabei, ihr allen Grund zu geben, jeden verdammten Tag in Schwierigkeiten zu geraten. Sie brauchte nur beinahe zu sterben und bekäme den besten Sex ihres Lebens. Kein bescheuerter Ego-Alarm erforderlich, vielen Dank.
Er … Er wollte nur einfach nicht, dass dieser Moment endete. Er brauchte es. Brauchte sie.
Ihn auf Distanz zu halten, war keine Option. Ja, er hatte gewusst, wie sie reagieren würde, wenn sie erführe, dass sie ihn verbrannt hatte. Und, ja, er hatte es ihr erst gesagt, als sie unfähig gewesen war, großes Aufheben darum zu machen. Hallo? Er war schließlich clever. Aber wie er gesagt hatte: Es war ein Unfall gewesen. Was er ihr nicht gesagt hatte, sondern später mit ihr besprechen würde: Es war ein Unfall gewesen, den er provoziert hatte.
Sie war beinahe gestorben, war dabei gewesen, den berühmtberüchtigten letzten Atemzug zu tun. Er hatte genügend Menschen sterben gesehen, um zu wissen, wann der Sensenmann im Anmarsch war. Und er hatte gewusst, dass Lucien sich schon bald auf den Weg gemacht hätte. Lucien wäre dem Ruf gefolgt, egal, wie hitzig Strider protestiert hätte. Er hätte Kaias Seele ins Jenseits gebracht, genauso wie es sein Dämon Tod verlangte. Mit diesem Wissen vor Augen hatte Strider fast den Verstand verloren und dasselbe getan wie seinerzeit Gideon.
Er hatte seine Frau geheiratet.
Gideon hatte ihm mehrfach davon vorgeschwärmt, wie toll es gewesen war, sich mit einem Dolch zu ritzen, dann das Gleiche bei Scarlet zu tun und ihr beider Blut miteinander zu vermischen. Die ganz alte Art der Hochzeit. Durch das Ritual hatten sich ihre Leben und Seelen verbunden, und Gideons Kraft hatte sich auf Scarlet übertragen. Also hatte Strider es getan. Hatte erst sich geschnitten und dann Kaia. In dem Augenblick, als die Klinge in der weichen Haut zwischen ihren Brüsten versunken war, war sie ausgebrochen, hatte um sich geschlagen, war das Feuer neu entflammt.
Ein winziger Teil seiner Haut war verbrannt – ungefähr sein kompletter Oberkörper –, aber das war nur ein kleiner Preis für ihr Leben gewesen. Er war zwar schon ihr Gemahl gewesen, aber er hatte der Beziehung noch etwas mehr … Würze verliehen. Hatte sie zu Seelenverwandten gemacht. Zu Partnern. Und, Götter, dieses Wissen war beinahe zu viel für ihn.
Meine, dachte er jetzt. Meine Frau. Für immer.
Mit jedem Höhepunkt von Kaia bekam Niederlage ein wenig mehr Vertrauen in seine Fähigkeit, sie zu zähmen. Wurde er immer besitzergreifender. Wie Strider hatte der Bastard begriffen, dass sie ihn niemals absichtlich verletzen würde. Dass sie zu gewinnen – was vor ihnen noch kein anderer geschafft hatte – einer der größten Siege ihrer Existenz war.
Außerdem goss der Bastard Glücksgefühle in Striders Adern, und das war fast mehr, als er ertragen konnte.
„Strider“, stöhnte Kaia und wackelte mit ihrem kleinen, kurvigen Po, als er sein Tempo wieder verlangsamte. „Bitte.“
Immer weiter fiel der Schnee, ein herrlicher Sturm, den er zwar sah, aber nicht spürte. Seine Frau war einfach zu heiß. Es war eine Hitze, die er willkommen hieß, anbetete, ersehnte … Nie hätte er gedacht, dass er so eine Hitze einmal brauchen würde. Eine Hitze, die jetzt für Kaia, Lust und Befriedigung stand. Was für eine starke Kombination! Wahrscheinlich würde er den gesamten Sommer mit einem Ständer durch die Gegend laufen.
„Hast du deine Lektion gelernt?“ Er musste die Worte regelrecht herauspressen, denn vor lauter Verlangen war seine Kehle wie eingeschnürt.
„Ja.“
Er beugte sich nach unten und drückte den Brustkorb gegen ihren sengend heißen Rücken. Ihre Wirbel rieben herrlich an seiner Haut. Sie gurrte zustimmend. Doch sosehr er diesen neuen, intensiveren Kontakt auch selbst begrüßte, verharrte er nicht in der Position. Stattdessen schlang er die Arme um sie und richtete sie beide auf, sodass sie knieten. Ihre Knie ruhten zwischen seinen.
In dieser Position drang er noch tiefer in sie ein als zuvor. Sie ließ den Kopf auf seine Schulter fallen, und ihre langen Haare kitzelten zwischen ihren Körpern. Er fasste an ihre Brust, die rosa Perle lugte zwischen seinen Fingern hervor. Mit der anderen Hand glitt er zu ihrer feuchten Knospe.
„Verdammt noch mal, ich will es härter!“, befahl sie. Ihre Bewegungen waren jetzt unkoordiniert. „Und schneller.“
„Nein. Zuerst sagst du mir, was du gelernt hast“, forderte er und zwang sich, sich nicht zu bewegen. Er berührte ihre empfindlichste Stelle nicht, sondern neckte sie nur dadurch, dass seine Finger ihr ganz nah waren.
Sie knurrte. „Dass ich dich nicht verletzen kann, wenn ich beim Sex die Kontrolle verliere. Nur zu deiner Info: Das habe ich schon vor ungefähr fünf Höhepunkten gelernt, du Mistkerl.“
„Ich wusste nicht, dass du so schnell dazulernst.“
„Also, warum bewegst du dich nicht? Wenn du nicht endlich weitermachst, werde ich dich nämlich doch verletzen!“ Das Knurren wurde immer heftiger. Sie bohrte ihm die Krallen in die Oberschenkel, als sie hinzufügte: „Ich schwöre dir, dass ich mich umbringen werde und dich verrotten lasse.“
Er lachte heiser. Seine Frau war ja so ungeduldig. Den Göttern sei Dank. Anders hätte er sie auch nicht haben wollen.
„Ich liebe dich“, sagte Strider. Noch ehe sie antworten konnte, neigte er den Kopf und presste seine Lippen auf ihre. Ihre Zungen kämpften, tanzten. Er packte ihre Hüfte und zwang sie, ihn zu reiten. Er drang so fest und tief in sie ein, wie er nur konnte, nur um sich bei der nächsten Aufwärtsbewegung beinahe völlig zurückzuziehen.
Als das nicht reichte, drückte er mit dem Daumen auf den süßesten kleinen Punkt der Welt. Sie war so klein, so eng. Er wusste, dass er fast zu groß für sie war. Vielleicht hätte ihn das bremsen sollen, doch sie war stark und käme mit allem klar, was er tat. Also bewegte er sich mit harten, schnellen Stößen in ihr. Der Kuss hörte nicht auf, wurde nicht langsamer, und es gefiel ihm, dass jeder nach der Leidenschaft des anderen schmeckte.
Sie hob eine Hand und bohrte ihm die Krallen in die Kopfhaut. „Strider“, rief sie stöhnend, während sie sich kurz von seinen Lippen losriss. „Ja. Ja!“
Welch süße Segnung! Seine Muskeln zitterten vor Verlangen. Seine Knochen schmerzten. Er musste … würde … verdammt! Er hatte sich so lange zurückgehalten, dass er die selbst errichtete Mauer nicht mehr durchbrechen konnte.
Seine Bewegungen wurden immer fieberhafter. Schließlich rollte er sich zusammen mit ihr auf die Seite, ohne den kalten Schnee wahrzunehmen. Er nahm ihr oberes Bein, legte es über seins und spreizte sie, so weit er konnte.
Härter … immer härter … aber die Erlösung stellte sich dennoch nicht ein. Allmählich wurde er verzweifelt. Er schwitzte so stark, dass das Eis unter ihm schmolz und sich kleine Pfützen bildeten. Er grub die Finger so fest in Kaias Hüfte, dass er wusste, am nächsten Morgen Blutergüsse an der Stelle vorzufinden.
Sie stöhnte und wimmerte. Und als sie „Ich liebe dich“ schrie, als sie kam, als sie förmlich explodierte und sich ihre Muskeln um ihn anspannten, begriff er, dass er genau darauf gewartet hatte. Dass er genau das gebraucht hatte. Ihre Liebeserklärung.
Dann kam auch er. Sein heißer Samen strömte in sie. Hinter seinen Augenlidern blitzten helle Lichter auf, und sein Brüllen hallte durch die Nacht.
Als sein Höhepunkt abebbte, sank er neben ihr nieder. Sie zitterte. Nicht vor Kälte, sondern vor Erschöpfung. Er war zu schwach, um zu lächeln und sich stolz auf die Brust zu trommeln. Seine Frau – seine Ehefrau – war glücklich.
„Hast du das ernst gemeint?“, brachte er irgendwie hervor, während der Schlaf bereits an ihm zerrte.
Sie gab erst gar nicht vor, ihn misszuverstehen. „Ja.“ Ihre Stimme klang dünn und erschöpft.
„Wurde auch langsam Zeit.“
„Halt einfach die Klappe und halt mich fest.“
Okay, ein kleines Lächeln brachte er doch noch zustande. „Du willst schlafen? Im Ernst?“
„Versuch, mich davon abzuhalten.“ Gähnend barg sie den Kopf in der Kuhle zwischen seinem Hals und seiner Schulter.
„Du vertraust mir? Dass ich dich beschütze?“
Einige Minuten verstrichen, ohne dass jemand etwas sagte.
„Kaia?“
„Was?“, murmelte sie schläfrig.
„Ist es so? Vertraust du mir? Dass ich dich beschütze?“
„Natürlich“, meinte sie. Sie hatte die Augen geschlossen, und wenige Minuten später lag sie vollkommen entspannt neben ihm und schlief tief und fest.
Natürlich, hatte sie gesagt. Als ob er während des Wartens auf ihre Antwort nicht Angst und Wasser geschwitzt hätte. Er brachte die Kraft auf, sie zurück ins Zelt zu tragen. Dort hielt er sie die ganze Nacht fest und schwor den Göttern, sie nie wieder loszulassen.
Kaia war noch immer ganz benommen von ihrer Liebesnacht mit Strider, als sie zwei Tage später bei ihren Schwestern ankamen. Die Frauen saßen über ihre Waffen gebeugt, schärften die Spitzen und bereiteten sich auf den dritten Wettkampf vor.
Sie und Strider hatten nicht noch mal miteinander geschlafen und auch nicht über ihre Gefühle füreinander gesprochen. Eine Gefälligkeit seinerseits, das wusste sie. Sie musste sich konzentrieren und ihren Fokus auf den ersten Preis richten. Leider war sie nicht in der Lage gewesen, Juliette zu entführen und zu foltern, um an Informationen über die Zweiadrige Rute zu gelangen. Die, wie Strider ihr erzählt hatte, offensichtlich waschecht und – entgegen ihrer Hoffnung – keine Fälschung war.
Und jetzt war auch keine Zeit dafür. Die Reise von Alaska nach Rom hatte ihr jegliche Chance vermasselt. Denn obwohl Juliette nun innerhalb ihrer Reichweite war, sollten die Spiele in einer halben Stunde beginnen.
Bianka bemerkte Kaia, als sie auf der Suche nach ihrem Polierstein aufsah. „Kye!“ Grinsend sprang sie auf, sodass ihre Waffe neben dem Wassereimer zu Boden fiel. Sie eilte zu ihr und nahm Kaia fest in den Arm. „Ich hätte Strider fast umgebracht, als er mir verboten hat, dich zu sehen. Aber ich wusste, dass du es gar nicht lustig fändest, wenn er auch nur einen Kratzer hätte.“ Ein langer, tiefer Seufzer. „Zum Glück hat er mich mit täglichen Nachrichten auf dem Laufenden gehalten. Dadurch wusste ich, dass du auf dem Wege der Besserung bist. Aber dich zu sehen …“
Heiße Tränen stachen in ihren Augen. „Ja, ich weiß. Ich musste dich auch unbedingt sehen.“ Sie wusste, dass Strider ihren Schwestern nichts von der Sache mit dem Feuer erzählt hatte. Genauso wenig wie ihre Männer, die die Nachwirkungen mit eigenen Augen gesehen hatte. Nicht dass Strider ihnen irgendetwas erklärt hatte.
Diese Entscheidung hatte er ihr überlassen.
Erzählen oder nicht? Wenn sie es täte, würden ihre Schwestern nicht wollen, dass sie kämpfte. Wollen sie das denn überhaupt? Sie ignorierte die harsche innere Stimme. Wenn sie es nicht wollten, dann aus gutem Grund. Vielleicht würde sie wieder ein Feuer entfachen, vielleicht auch nicht. Wenn die Harpyien sie ärgerten, dann vermutlich schon. Und wie die Jäger würden sie sterben. Und das war gut. Es käme sogar unerwartet. Bei Wettkämpfen wie diesem wurde es begrüßt, wenn man seine Fähigkeiten einsetzte und jeden noch so kleinen Vorteil für sich nutzte.
Aber wenn sie die Kontrolle verlöre, würde sie dann auch ihrer Familie schaden?
Sie wünschte, sie hätte Zeit zu üben und die Grenzen ihrer Phönix-Seite zu testen. Waren starke Gefühle der Auslöser? Oder würde es schon reichen, wenn sie einfach nur an Feuer dachte? Selbst jetzt floss die Hitze einsatzbereit durch ihre Adern.
Sie hätte gern jemanden um Rat gefragt, doch der einzige andere Phönix, den sie kannte, war ihr Dad, und lieber verbrächte sie den Rest der Ewigkeit damit, sich Gedanken über die Wahrheit zu machen, als auch nur eine Minute mit ihm zu sprechen. Seine Boshaftigkeit, seine völliges Desinteresse am Wohlergehen anderer, am Wohlergehen seiner eigenen Töchter … Sie erschauderte. Er eignete sich nicht gerade zum Vater des Jahres.
Noch ein Grund dafür, sich aus dem Wettkampf rauszuhalten. Wenn sie Feuer finge oder jemand anderen in Brand setzte, würde sich ihre neue Fähigkeit schnell rumsprechen. Und am Ende käme noch ihr geliebter Daddy, um sie zu holen.
„Verdammt noch mal, Mädchen. Hast du Fieber?“ Bianka schwitzte, als sie die Umarmung lösten – bis auf einen Arm, den sie um Kaias Taille liegen ließ.
„Nein“, log sie. „Das liegt daran, dass ich mich so freue. Und, du brauchst es gar nicht zu sagen, weil ich es auch so weiß: Strider ist ein Glückspilz.“
„Das stimmt.“
Kaia unterdrückte die kleinen Funken der Schuld, ehe sie sich entzünden konnten – sie hasste es nämlich, ihre Zwillingsschwester zu belügen –, und sah sich um. Taliyah nickte ihr zur Begrüßung zu, ehe sie sich wieder der Aufgabe widmete, ihre Waffe zu schärfen. Gwen warf ihr einen Handkuss zu. Neeka schenkte ihr ein kleines Lächeln, und die anderen winkten.
„Dann bringt mich mal auf den neuesten Stand“, sagte sie. Bianka zog sie nach vorn. Kaias andere Hand war mit Striders verschränkt und blieb es auch bis zur letzten Sekunde. Als sie und ihre Zwillingsschwester sich auf den Boden des Team-Kaia-Zeltes setzten, sah sie, wie Sabin, Lysander und Strider sich in einer Ecke versammelten, die Köpfe zusammensteckten und leise miteinander sprachen.
Sie spitzte die Ohren, um irgendetwas aufzuschnappen, konnte jedoch nichts verstehen. Sie versuchte, ihre Lippen zu lesen, doch die Männer standen mit dem Rücken zu ihr.
Fast wäre sie aufgestanden, zu ihnen hinübergestapft, hätte ihren Mann an den Schultern gepackt und ihn geschüttelt. Am liebsten hätte sie ihn aufgefordert, ihr zu sagen, was hier vor sich ging, was sie nicht wissen sollte.
Du vertraust ihm. Du weißt, dass er dir niemals wehtun würde. Und so war es. Sie vertraute ihm blind. Ganz offensichtlich. Sonst hätte sie nämlich niemals neben ihm geschlafen.
Götter, das war vielleicht herrlich gewesen! Aufgewühlt von sinnlichen Träumen und neben sich ihren Mann spürend. In seinen starken, kräftigen Armen hatte sie sich wie in einem schützenden Kokon gefühlt. Der Schlaf hatte ihn fest im Griff gehabt, und seine Gesichtszüge waren entspannt gewesen, jungenhaft.
Nie zuvor in ihrem Leben war sie so zufrieden gewesen.
„Also … was meinst du? Bist du dabei?“, fragte Bianka und zerrte sie aus ihren Gedanken.
Mist. Sie hatte nicht ein Wort mitbekommen. „Wobei genau? Erzähl es mir noch mal. Deine Erklärung war nämlich so lahm, dass ich ganz durcheinander bin.“
Bianka kannte sie ziemlich gut und verdrehte die Augen. „Du bist so eine schlechte Lügnerin.“
Ach ja? hätte sie beinahe gefragt und selbstgefällig das Kinn gehoben. Meine letzte Lüge hast du auch nicht bemerkt. „Schließ nicht von dir auf andere. Also los.“
„Ich habe dir erzählt, dass wir uns in Rom befinden, im Kolosseum. Und stell dir vor: Es ist das alte Kolosseum. Es sieht genauso aus wie früher – nur ganz anders.“
Kaia nahm an, dass man nicht schlau zu sein brauchte, wenn man so hübsch war wie Bianka. „Bee, Süße. Du bist wirklich zauberhaft, aber auch ziemlich verwirrt. Weißt du eigentlich, wie sehr du dir gerade widersprochen hast?“
„Wovon redest du? Es macht sehr wohl Sinn, wenn man nicht jedes meiner Worte auf die Goldwaage legt. Und soll ich dir noch was sagen? Das Kolosseum ist mit den Augen eines Sterblichen nicht zu sehen. Wir sind vor den Blicken der Sterblichen geschützt, und das in einem Reich, das wir nicht durch eine Pforte betreten müssen. Hier und doch nicht hier.“
„Und wie soll das gehen?“
„Juliette hat das irgendwie hingekriegt.“
Allein beim Klang dieses Namens biss sie unwillkürlich die Zähne aufeinander. Juliette hatte sie in eine Falle gelockt, hatte einigen Sterblichen – die zufällig Striders Feinde waren – die Gelegenheit gegeben, sie zu töten. Die Schlampe musste endlich bezahlen. „Und?“
„Und wir werden wie Gladiatoren kämpfen. Was ich vorhin schon versucht habe, dir zu sagen. Aber du hast ja nicht zugehört. Na ja, egal, du kannst prima mit bloßen Händen kämpfen, und unser Team braucht dich in dieser Runde. Bist du fit dafür? Immerhin wurdest du in Alaska ziemlich übel verletzt.“
Sie brauchten sie? Obwohl sie den ersten Sieg ohne sie eingefahren hatten? Argwöhnisch sah sie ihre Schwester an und suchte nach irgendeinem Anzeichen dafür, dass sie ein falsches Spiel mit ihr trieb oder sie beschwichtigen wollte. Doch in diesen wunderschönen bernsteinfarbenen Augen lagen nur Unschuld und Vertrauen. Nur Entschlossenheit verhärtete diese roten Lippen.
Also kein Beschwichtigungsversuch. Und auch keine Schuldzuweisung wegen ihrer vergangenen Niederlagen. Bianka glaubte an sie.
Konnte sie selbst auch an sich glauben?
Ihre neue Fähigkeit könnte ihre Schwestern verletzen, ja, aber sie würde ihr definitiv helfen, einen zweiten Sieg zu holen. Einen Sieg, auf den Strider angewiesen war. Damit er überlebte.
Sie sah zu ihm hinüber. Er stand noch immer mit seinen Freunden im Kreis, doch jetzt sah er sie an. Seine blonden Haare waren zerzaust, seine Wange gerötet. In ihrer Nähe waren sie immer gerötet, als wäre er permanent erregt. Das gefiel ihr.
Seine langen Wimpern bogen sich nach oben. Sie bildeten wirklich den perfekten Rahmen für diese verwegenen blauen Augen. Seine Lippen waren geschwollen und köstlich rot. Sie mochten nicht noch mal miteinander geschlafen haben, aber geküsst hatten sie sich sehr wohl. Oft. Und lange. Bei jeder Gelegenheit hatte sie an seiner Zunge gesaugt.
Sie war süchtig nach ihm, keine Frage.
Sie musterte ihn intensiver. An Fingern und Handflächen hatte er Schnittverletzungen. Dieselben Verletzungen hatte er vorher schon gehabt, doch sie waren verheilt. Oder nicht? Ihr Blick verfinsterte sich. Es gefiel ihr gar nicht, dass er schon wieder verletzt war. Und noch weniger gefiel ihr, dass sie nicht wusste, warum oder wie das geschehen war. War sie dafür verantwortlich?
Bei diesem Gedanken verkrampfte sich ihr Magen. Sie, nun ja, sie liebte ihn einfach so sehr, verdammt. Bevor sie die Worte herausgeschrien hatte, war sie sich nicht sicher gewesen, aber jetzt wusste sie es. Er war die personifizierte Stärke. Er war teuflisch. Er war witzig und charmant und hatte ein vorlautes Mundwerk, dem sie nicht widerstehen konnte. Er brachte sie zum Lachen. Er reizte sie bis aufs Blut, weil er wusste, dass sie es aushalten konnte. Er neckte sie, hatte keine Angst vor ihr. Er kannte sie, verstand sie, war manchmal zärtlich und manchmal harsch. Er sorgte sich um sie und vertraute ihr.
Er hatte sie sogar miteinander verheiratet.
Als sie davon erfahren hatte, war sie zutiefst erschrocken. Ja, er dachte, das wäre immer noch sein kleines Geheimnis, aber sie war ihm auf die Schliche gekommen. Sie war sich nicht sicher, warum er es noch nicht zugegeben hatte, geschweige denn, warum er es überhaupt getan hatte, aber ihre Sturheit verlangte von ihr, dass sie wartete, bis er mit der Sprache herausrückte. Und weil sie so verschlagen war, würde sie ihn solange reizen, bis er endlich Klartext redete.
Aber unterm Strich mochte sie seine Methoden.
Genauso wie es ihr gefiel, zu wissen, dass sie genauso ihm gehörte wie er ihr. Und daher wusste sie auch, dass er es getan hatte. Sie fühlte ihn. Er war Teil ihrer Gedanken, war in ihrem Blut, in ihrer Seele, in ihrem Herzen. Die tiefe Verbindung zwischen ihnen war stärker als alles, was sie je erfahren hatte.
Seit sie in seinen Armen erwacht war, wusste sie, dass sich zwischen ihnen irgendetwas verändert hatte. Und sie hatte unzählige Stunden damit verbracht herauszufinden, was es war. Die Erinnerung war in kleinen Blitzen gekommen und gegangen – das Glitzern einer Klinge, Blutstropfen, der Druck von Striders Haut, sein flüsternder Atem. Die Worte: „Du bist mein, und ich bin dein. Wir sind eins. Von diesem Moment an sind wir eins.“
Oh ja. Sie waren verheiratet, und Kaia war nie glücklicher gewesen. Sie verdankte diesem Mann so schrecklich viel.
Sie sah ihm dabei zu, wie er ein Päckchen Red Hots aus der hinteren Hosentasche zog und den Inhalt in seinen Mund kippte. Er kaute, sein starker Kiefer arbeitete. Er war so sinnlich, dass sich ihre Brust zusammenzog.
Anscheinend hatte er ihre Blicke gespürt, denn er sah zu ihr herüber und zwinkerte ihr zu. Sie musste ihn beschützen. Was das auch mit sich brächte, sie musste ihn beschützen.
Sie musste diese Rute beschaffen.
Schließlich widmete sie ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer Schwester und hob das Kinn. „Ich werde kämpfen“, sagte sie.