Nur damit ich das richtig verstehe“, flüsterte Kaia wütend. „Als du gesagt hast ‚die Konkurrenz ausloten‘, hast du wirklich gemeint ‚die Konkurrenz ausloten‘, nicht wahr?“
Strider warf ihr einen kurzen Blick zu, während sie unter Zuhilfenahme ihrer Ellbogen über den von Zweigen und Schmutz bedeckten Boden robbten. Der Vollmond stand hoch am Himmel, doch wegen des dichten Blätterdachs über ihnen erreichte sein silbernes Licht sie nicht. Das war aber kein Problem, denn sein geübter Blick durchschnitt spielend die Dunkelheit, und Strider nahm nur die Details wahr, die wichtig waren.
Außer heute Nacht. Heute nahm er alle Details wahr, die unwichtig waren.
Unwichtig: Kaia sah attraktiver aus als je zuvor. Seine persönliche GI-Jane-Puppe – und zwar aus der nicht jugendfreien Edition. Sie hatte sich das Gesicht schwarz und grün angemalt, um im Dunkeln weniger aufzufallen, und trug ein schwarzes Tuch über der roten Lockenmähne. Auf den kurzen Shorts war quer über den Hintern „Booty Camp“ aufgedruckt.
Strider malte sich das heftige, unnachgiebige Training in so einem Camp aus. Die harschen Anweisungen. Die Disziplinen, die von jenen Teilnehmern absolviert werden mussten, die aus der Reihe tanzten.
Hallo, Stridey-Monster.
Na toll. Das war ja genau das, was er jetzt brauchte – sein bestes Stück war so hart wie ein Stahlrohr und hinterließ eine verräterische Spur auf dem Boden. Dieser verdammte Kuss hatte alles ruiniert. Hätte er seine Zunge in seinem Mund behalten, hätte er Kaia weiterhin einfach nur als Freundin betrachten können. Aber jetzt wollte er sie davon überzeugen, dass Blowjobs ein Pflichtteil ihres Abkommens waren.
Wag es bloß nicht, was zu sagen, ermahnte er seinen Dämon.
Stille.
Wow. „Du liegst genau richtig. Ich meinte, wir sollten die Konkurrenz ausloten“, erwiderte er schließlich. Ein spitzer Stein pikte ihm in den Bauch, und er begrüßte den Schmerz. Er half, seinen Blick zu klären. Eine Diskussion über Ziele – gut. Sexuelle Fantasien über seine Begleiterin – schlecht. So wunderbar schlecht. „Was hast du denn gedacht, was ich meinte?“
„Och, weißt du … ich dachte, du wolltest die Konkurrenz vielleicht sabotieren.“
Moment mal. „Dann ist es also in Ordnung, deinen Gegnerinnen vor einem Wettkampf die Kniescheibe zu brechen, aber es ist nicht in Ordnung, den Ersten Preis für deinen … deinen … Gemahl zu stehlen?“ Nur unter größter Anstrengung brachte er das Wort über die Lippen. Denn das ließ ihre Abmachung nicht länger vorübergehend, sondern dauerhaft erscheinen.
Sie hielt inne, um ihn anzustarren. „Ich kann nicht fassen, dass du mir gerade diese Frage gestellt hast. Gebrochene Kniescheiben werden unter meinesgleichen erwartet. Fast schon eingefordert.“
„Ich dachte, du hättest noch nie an Harpyienspielen teilgenommen.“
„Stimmt, aber ich habe meiner Mutter dabei zugesehen.“
„Na schön“, knurrte er. „Dann sabotier mal ein bisschen.“ In der Zwischenzeit würde er seinen ursprünglichen Plan verfolgen. Während sie die Anzahl ihrer Gegnerinnen reduzierte, würde er sich ein genaues Bild vom Zeltplatz der Harpyien machen. Grundriss, Positionierung der Wachposten, Reaktionszeit. „Aber benutz deine Hände. Sie mit dem Messer zu verletzen wäre dann doch etwas übertrieben.“ In Wahrheit wollte er nur nicht, dass irgendwelche Blutspuren verfolgt werden könnten.
„Schon klar. Ich habe da einen hübschen blutfreien Angriff vorbereitet.“ Sie steckte eine ihrer zierlichen, eleganten Hände in ihre … Shorts? Tatsächlich. Süßer Himmel, genau das tat sie. Und zwar direkt in die Mitte, wo sie vermutlich warm und feucht war und bereit für seine Lippen. Bereit für ihn. „Ich habe hier etwas, das dir gefallen könnte.“
Allerdings hatte sie das. Im Nu wurde Stridey-Monster ziemlich ungemütlich und – richtig: hinter ihnen war definitiv eine schlangenähnliche Spur zu sehen. Im nächsten Moment zog Kaia die Hand wieder heraus und streckte sie mit der Handfläche nach oben aus. In der Mitte lag ein kleiner Silberstab.
Enttäuscht und überrascht runzelte er die Stirn. „Was ist das?“
„Schau zu.“ Sie nahm ein Ende und machte eine schnelle Bewegung mit dem Handgelenk. Klack. Die Stange wurde ein paar Zentimeter größer. Noch eine Bewegung, noch ein paar Zentimeter, bis das verfluchte Ding aussah wie ein übergroßer Polizeischlagstock. Oder wie Stridey-Monster.
„So einen will ich auch haben“, sagte er.
Ihre Augen funkelten lustvoll. „Ich weiß. Aber Finger weg, kleiner Dämon. Der hier gehört mir. Und jetzt komm.“ Sie setzte sich wieder in Bewegung.
„He. Ich bin dein Gemahl. Was dein ist, ist auch mein, kleine Harpyie.“ War es denn zu fassen? Dieses Mal war es gar nicht mehr so schwer, das G-Wort auszusprechen.
Er robbte hinter ihr her. Endlich erreichten sie den Rand des behelfsmäßigen Camps, in dessen Mitte ein Feuer knisterte. In seiner Anfangszeit auf der Erde hatte seine Jagd auf die Jäger ihn oft zu Camps wie diesem geführt. Zahlreiche Zelte, Felsen, die als Stühle dienten, und Federvieh, das über den Flammen röstete. Nur dass damals immer Soldaten Patrouille gegangen waren.
„Es ist niemand hier“, flüsterte er.
„Ich weiß“, erwiderte Kaia und seufzte niedergeschlagen.
Die Bewohner hatten das Camp eilig verlassen, das war an dem aufgewühlten Boden zu erkennen, den ihre Stiefel hinterlassen hatten. Anscheinend hatten sie sich so schnell bewegt, dass sie die Füße nicht anständig hatten heben können. Das Huhn war verbrannt, und schwarze Rauchwolken wehten durch die Luft. Eine Wasserflasche lag auf dem Boden und lief aus.
„Ich habe gehört, wie sie das sinkende Schiff verlassen haben“, fügte sie hinzu, „aber ich hatte gehofft, dass noch ein paar Nachzügler hier wären. Verteidigt heutzutage denn niemand mehr sein Hab und Gut?“
Sie hatte sie gehört? Während er, ein ausgebildeter Soldat, nicht einen Mucks wahrgenommen hatte? Ein Ego-Alarm war an dieser Stelle überflüssig. Er hatte versagt. Konzentrier dich auf die eigentliche Mission. Die Rute – und zwar nicht die in deiner Hose. „Ich werde das Lager kurz inspizieren. Du bleibst hier und gibst mir Rückendeckung.“
„Vergiss es. Ich werde das Lager inspizieren. Und du bleibst hier.“
„Verdammt, Kaia. Du solltest … arrgh.“ Er spürte, wie sich etwas Hartes um seine Knöchel schlang und zuzog. Er wurde nach hinten gezerrt. Auf halbem Weg drehte er sich um, setzte sich trotz aller Überrumplung auf und wehrte sich.
Er hörte das gequälte Grunzen einer Frau, als seine Angreiferin stolperte. Er war wieder frei.
Gewinnen, sagte Niederlage unvermittelt. Das war das erste Wort, das er sprach, seit sie das Motel verlassen hatten.
Erledigt. Jedenfalls für den Moment. Mehrere Kriegerinnen umzingelten ihn und starrten auf ihn hinunter. Alle hielten verschiedene Waffen in den Händen – von Macheten über Äxte bis zu jungsteinzeitlichen Dolchen.
Ja, ja. Langsam stand er auf, die leeren Hände nach oben gestreckt. Er war der Inbegriff von Unschuld – und Täuschung. „Guten Abend, Ladys. Können wir irgendetwas für euch tun?“
Kaia ging in die Hocke und stieß einen Schrei aus. Es war ein Schrei, den er gut kannte. Ihre Harpyie hatte die Kontrolle übernommen. Etwa deshalb, weil er verletzt werden könnte? Oder weil eine andere Frau ihn angefasst hatte? So oder so – jetzt sah Kaia die Welt durch einen rotschwarzen Schleier, und ihre Zunge wollte Blut schmecken.
„Mein“, sagte sie mit doppelter Stimme. Das war die einzige Warnung. Danach griff sie an.
Während sie den schlanken Stock mit verblüffender Grazie und Entschlossenheit schwang, stieß Niederlage ein Wimmern aus, statt noch einmal den Sieg einzufordern. Kaia bewegte sich wie eine Tänzerin. Wie eine todbringende, psychopathische Tänzerin, die hoffte, den Rest ihres Lebens im Gefängnis zu verbringen. Meine Frau. Metall traf auf Knochen. Knochen knackten. Noch mehr Keuchen und Stöhnen.
Und dann war der Kampf in vollem Gang.
Als Kaia herumwirbelte, erhaschte er einen Blick auf ihr Gesicht. Es wirkte kalt und gnadenlos. In ihren schwarzen Augen züngelten rote … Flammen? Ja, echte knisternde Flammen. Er konnte ihre Hitze spüren, und auf seiner Haut bildeten sich Schweißperlen. Auf ihrer Haut lag ein azurblaues Leuchten. Nicht das typische regenbogenfarbene Leuchten von Harpyienhaut, sondern das blaue Leuchten heißer Flammen.
Wieder dachte er an ihren Kuss und daran, wie sie ihn verbrannt hatte. Wie heiß sie gewesen war. Ein lebender Hochofen. Es hatte ihn angetörnt und ihm das Gefühl gegeben, verdammt gut zu sein. Aber jetzt kam er ins Grübeln …
Besaß sie irgendeine besondere Macht?
Mit Krallen und Zähnen schnitt und biss sie sich durch ihre Gegnerinnen. Die Körper um sie herum bewegten sich so schnell, dass er sie mit den Augen nicht richtig verfolgen konnte, aber alle paar Sekunden wurde Kaia zurückgeworfen, als wäre jemand in sie hineingerannt. Im nächsten Augenblick heulte dieser Jemand vor Schmerzen auf – weil er oder besser sie, sich verbrannt hatte?
Gewinnen, knurrte Niederlage. Seine Angst war für den Moment vergessen.
Großartig. Einen Moment. Zuerst musste er noch etwas klären. Nämlich wie er sich in die Schlägerei einmischen sollte, ohne schnurstracks in Kaias Fäuste zu laufen.
Gewinnen!
Strider zog Jose – seine Sig Sauer – aus dem Hosenbund. Er hatte sich ebenfalls vorbereitet, denn ihm war klar gewesen, dass er jeden aus dem Weg räumen müsste, der ihm in die Quere käme. Jetzt wollte er nur noch jeden töten, der versuchte, Kaia zu „sabotieren“. So war das unter Freunden eben.
Er feuerte einen einzigen Schuss in die Luft ab. Bumm. Keuchen, das Rascheln von Kleidung, das Stampfen von Stiefeln. Dann: Stille.
„Haut verdammt noch mal ab“, knurrte er, während er die Waffe etwas tiefer hielt. „Sofort. Und bevor ihr euch die Köpfe mit der Frage zermartert, ob ich den Mumm habe, eure Gehirne in den Bäumen zu verteilen, lasst euch gesagt sein: Ja, hab ich.“
Keuchend und blutbespritzt hörte auch Kaia auf, sich zu bewegen. Blitzschnell wichen die Frauen vor ihr zurück. So schnell, wie sich diese geflügelten Viecher bewegten, hätten sie leicht versuchen können, ihn zu töten. Aber das taten sie nicht. Entweder begriffen sie, dass er – wie versprochen – einige von ihnen ausschalten würde, ehe sie ihn erreichten, oder sie hatten Angst vor seinem Dämon.
Niederlage summte zufrieden, und winzige Glücksfunken tanzten warm durch Striders Brust. Mehr Funken als gewöhnlich, wenn man bedachte, dass er noch gar nicht richtig gewonnen hatte. Dann erinnerte Strider sich an die allererste Herausforderung, die sein Dämon hinsichtlich Kaia und dieser Frauen angenommen hatte.
Jede, die versuchte, ihr wehzutun, müsste leiden. Nett.
„Du“, sagte er zu Kaia. „Komm näher.“
Auch sie gehorchte ihm. Mit der freien Hand strich er ihr über den Arm, um sie zu beruhigen. Doch verdammt! Es fühlte sich an, als würde er geschmolzenen Stahl berühren. Sogleich bildeten sich Brandblasen auf seinen Fingern. Aber störte ihn das? Wohl kaum. Was waren schon ein paar Schmerzen, wenn ihr Wohlbefinden auf dem Spiel stand?
Endlich ging ihr kratziger Atem ruhiger, das Schwarz wich aus ihren Augen und die züngelnden Flammen erstarben. Ihre Haut kühlte ab.
„Erstklassiges Work-out, Baby Doll“, sagte er.
„Jederzeit, Honigschnecke.“ Obwohl die Worte rau und abgehackt klangen, sprach sie mit nur einer Stimme. Ihre Harpyie war unter Kontrolle.
Strider sah sich um. Er und Kaia waren noch immer umzingelt, allerdings war der Kreis größer geworden, und er konnte einzelne Gesichter erkennen. Eine Harpyie nach der anderen starrte ihn finster an. Die Angst raste durch seine Adern, als er sich schützend vor Kaia stellte. Vermutlich ärgerte sie sich über seine Geste, doch in dieser Sache würde er sie nicht die Führung übernehmen lassen. Immerhin waren das hier ihre Leute, und wie ihre Schwester Gwen einst bewiesen hatte, war es unheimlich schwer, Artgenossen zu töten.
Strider war es noch nie schwergefallen, jemanden zu töten. Das war gewissermaßen ein Geschenk des Himmels.
Kaia stellte sich neben ihn und warf ihren Schlagstock … vor die Füße ihrer Mutter. Am liebsten hätte er laut geflucht.
„Hallo Tabitha“, sagte sie ruhig.
Die dunkelhaarige Schönheit machte einen Schritt vor. Ihr Gesichtsausdruck war leer, als sie statt ihrer Tochter ihn betrachtete. „Nimm die Waffe runter, Dämon. Wir wissen doch alle, dass du sie nicht benutzen wirst.“
Kaia stöhnte. „Das hättest du nicht sagen sollen.“
Freudestrahlend richtete Strider die Waffe aus und drückte den Abzug. Bumm. Ein schriller, ungläubiger Schrei. Er hatte die Harpyie neben Tabitha angeschossen. Blut quoll aus einer klaffenden Wunde an ihrem Oberschenkel. Die verletzte Frau hüpfte auf und ab, ehe die Kraft sie verließ und sie zu Boden fiel.
Gewinnen! kicherte Niederlage wie ein Schulmädchen.
In seiner Brust explodierten noch mehr Glücksfunken, während er eine Augenbraue hochzog. „Was hast du gesagt?“
Tabitha sah zu Kaia und fluchte. Dann verlagerte sie ihre Aufmerksamkeit auf die zitternde Verletzte und zuckte die Achseln. „Der Schuss hat sie ja nur gestreift. Wichtige Organe hast du jedenfalls nicht getroffen.“
„Tatsächlich? Dann versuche ich es besser noch einmal.“ Wieder betätigte er den Abzug. Dieses Mal schrammte die Kugel an Tabithas Oberschenkel vorbei. Sie trug eine knöchellange schwarze Hose, deren Stoff kaschierte, was er getan hatte. Allerdings konnte nichts die Kupfernote übertünchen, die plötzlich in der Luft lag.
Sie bleckte leicht die weißen Zähne. Sonst ließ sie sich nicht anmerken, dass er sie getroffen hatte.
„So ein Mist“, sagte er. „Schon wieder nicht richtig getroffen. Vielleicht muss ich einfach noch ein bisschen üben. Wer will als Nächste?“
Empörtes Schnauben.
Tabitha hob die Hand und bat um Stille. Selbst die Nachtvögel gehorchten. Ihr Gezwitscher löste sich auf wie Dunst in der Morgensonne. „Natürlich bist du diejenige, die auf den alten Lagerfeuertrick hereinfällt“, sagte sie zu Kaia. „Das überrascht mich überhaupt nicht.“
„Da sind wir schon zwei. Du bist nämlich auf den alten ‚Dein Feind ist auf den alten Lagerfeuertrick hereingefallen‘-Trick hereingefallen.“ Sie steckte zwei Finger in den Mund und pfiff laut und schrill.
Auf einmal raschelten die Blätter über ihnen. Strider machte große Augen, als er sah, wie Sabin, Lysander, Taliyah, Bianka, die Harpyie namens Neeka und noch ein paar andere, unbekannte Frauen zum Vorschein kamen. Sie saßen hoch oben in den Bäumen und zielten mit Pfeilen auf die Konkurrenz.
Niederlage fing wieder zu summen an.
Worüber freust du dich denn so? Sie waren die ganze Zeit hier gewesen, und er hatte es nicht gewusst. Sie hätten ihn abmurksen können, ehe er überhaupt gemerkt hätte, dass er angegriffen wurde. Und er hatte sich für so tüchtig und … unbesiegbar gehalten. Tja, heute würde er wohl keinen Ego-Alarm mehr ausrufen müssen. Er hatte mehr als versagt. Es war zum Kotzen.
Allerdings trug er daran keine Schuld. Kaia und ihr Booty Camp hatten seine Konzentration ruiniert.
„Das ist neu“, zischelte Tabitha. Rings um sie vermischten sich gemurmelte Kommentare der Bewunderung mit ungläubigem Schnauben und wütendem Prusten. „Jetzt bin ich wirklich überrascht.“
„Wie?“ Sein rauer Ton passte zu dem ihrer Mutter.
Kaia wusste sofort, was er meinte. „Ich habe ihnen eine Nachricht geschickt, bevor wir das Motel verlassen haben.“
Gute Idee, doch selbst das hatte er nicht mitbekommen. Allmählich wurde es richtig peinlich für ihn. „Und du hättest mich nicht einweihen können?“
„Nein.“ Kurz und knapp, als hätte sie nicht einmal an diese Möglichkeit gedacht. „Und, geliebte Mutter“, sagte sie und blendete ihn aus. „Bereust du es, deine Töchter aus deinem Team geworfen zu haben?“
„Nein“, erwiderte Tabitha, ohne zu zögern.
Autsch. Für einen kurzen Augenblick erstarrte Kaia. Strider wagte es nicht, sie anzusehen, wagte nicht, einen Arm um ihre Taille zu legen, um sie zu ermutigen. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Aber später … ja, später. Trotz seiner tosenden Bedürfnisse und der Gefahr, die das für seine Selbstkontrolle bedeutete. Sie zu ermutigen gehörte zu seinen Pflichten als Gemahl, und für die nächsten vier Wochen war er ihr Gemahl in allem, was wichtig war.
Sex war nicht wichtig.
Jedenfalls würde er sich das einreden. Immer und immer wieder, bis er es glaubte. Oder bis ihn ein Spermarückstau vergiftete und umbrächte. Natürlich könnte er sich für den einen oder anderen One-Night-Stand davonschleichen, doch das würde er nicht tun. Und zwar nicht nur, weil Kaia jede Frau töten würde, mit der er auch nur flirtete, sondern weil er, na ja, keine andere wollte.
Er hatte Kaias Lieblichkeit geschmeckt, hatte ihre sündhaften Kurven gespürt und wusste, dass keine sterbliche Frau mit ihr mithalten könnte. Aber er würde über diese Schwärmerei hinwegkommen, dessen war er sich sicher. Selbst Haidee hatte seine Aufmerksamkeit nicht lange fesseln können.
Haidee. Ha! Heute hatte er kaum an sie gedacht, obwohl sie seine Gedanken über Wochen belagert hatte. Typisch Strider. Über die Jahrhunderte hatte er viele Male die Liste der Kandidaten mit der kürzesten Aufmerksamkeitsspanne der Welt angeführt.
„Denkst du wirklich, du kannst die Spiele gewinnen?“, wollte Tabitha von Kaia wissen.
„Ja.“
„Gegen mich?“
„Ich hasse es zwar, mich zu wiederholen, aber: ja.“
Das ist mein Mädchen. Also, natürlich nur vorübergehend.
„Juliette mag bei den letzten acht Spielen gesiegt haben, aber nur, weil ich gesperrt war. Wie du weißt, habe ich noch nie verloren“, meinte Tabitha und streichelte das Medaillon, das um ihren Hals hing.
Wieder erstarrte Kaia, als ob sie vom Schmerz gepackt würde. Doch sie schüttelte das ungute Gefühl schnell ab. Hatte diese Kette irgendeine Bedeutung? Strider nahm sich vor, Gwen zu fragen, da Kaia ihm gewiss keine Antwort geben würde. Das tat sie nie.
„Es gibt einen Grund, warum du nie verloren hast. Weil du nie gegen mich gekämpft hast“, konterte Kaia überheblich.
Sie wird sterben.
Die Frauenstimme hallte in seinem Kopf. Tabithas Stimme. Dieselbe Stimme, die er während der Einführungsveranstaltung gehört hatte. Zwar hatte Tabitha ihre Aufmerksamkeit nicht auf ihn verlagert, aber er wusste es. „Von wegen“, murmelte er.
Kaia warf ihm einen ungläubigen, verletzten Blick zu. „Aber so ist es.“
„Das weiß ich, Baby Doll. Ich habe nicht mit dir gesprochen.“
„Ach so. Okay.“
Gewinnen! Die Stimme von Niederlage zitterte leicht, doch der kleine Bastard würde nicht klein beigeben. Sie hatten beschlossen, Kaia zu helfen, und das täten sie auch. Sie würde nicht sterben.
Sie wird sterben – und du kannst nichts tun, um sie davor zu bewahren.
„Schluss damit“, befahl er und sah der Frau, die für die stummen Drohungen verantwortlich war, fest in die Augen.
Tabitha blinzelte unschuldig. „Warum spricht dein Gemahl zu mir, ohne dass ich ihn zuerst angesprochen habe?“, fragte sie Kaia. „Hast du ihm nicht beigebracht, wie man sich angemessen benimmt?“
Dem kleinen Mann war es also nicht gestattet, ohne Aufforderung mit dem Weibsvolk zu sprechen? Nicht mit ihm. „Halt dich einfach aus meinen Kopf fern, Harpyie, sonst wirst du es bereuen. Wie geht es eigentlich deinem Bein?“
Sie schnappte mit den Zähnen nach ihm.
Gewinnen!
Ich weiß, versicherte Strider seinem Dämon, ich habe es dir doch gesagt: Ich werde nicht zulassen, dass Kaia etwas zustößt.
Kaia blinzelte und wirkte ein wenig erschrocken. Dennoch stellte sie ihrer Mutter keine Fragen, und er überlegte, ob sie schwieg, weil sie wusste, dass ihre Mutter ihr keine Antwort gäbe, oder weil sie durch eine Frage ihre Unwissenheit preisgegeben hätte und ihr diese Unwissenheit als Schwäche ausgelegt worden wäre?
Harpyien … Anscheinend war das Leben für sie eine einzige große Schachpartie. Absurd, wenn man ihn fragte. Er war sich der Ironie seiner Gedanken durchaus bewusst. Aber er konnte nicht anders, als alles, was er tat, in einen Wettstreit um Verstand und Macht zu verwandeln. Sie nicht. Und sie litten im Nachhinein auch nicht. Sie machten das aus purem Spaß an der Sache.
„Zerbrich dir nicht den Kopf über meinen Mann“, erwiderte Kaia schließlich und reckte das Kinn.
Mein Mann. Irgendwie gefiel ihm der Klang dieser Worte.
Er biss die Zähne aufeinander. Das war nur Show, und er durfte auf keinen Fall Show mit Realität verwechseln.
„Ich bin überrascht, dass du dir einen furchterregenden Herrn der Unterwelt geangelt hast“, sagte Tabitha.
„Ich nicht“, entgegnete Kaia und zuckte die Achseln. „Ich bin doch selbst ziemlich furchterregend.“
Noch immer flackerte nicht das kleinste Gefühl auf Tabithas Gesicht auf. Weder Stolz noch Enttäuschung. „Ich schätze, morgen werden wir ganz genau erfahren, was du bist – wenn die Spiele richtig beginnen.“