23. KAPITEL
Sie hatte ihn verbrannt. Und zwar buchstäblich. Strider war von Brandblasen übersät. Oder zumindest war er es gewesen. In dem Moment, als er den Höhepunkt erreicht hatte, war auch sein Dämon gekommen. Kaia, eine starke, tüchtige Harpyie, hatte sich ihnen voll und ganz hingegeben, hatte ihnen alles von sich gegeben, und die unendliche Lust, die durch dieses Wissen ausgelöst worden war, hatte schockierende Kräfte in ihm freigesetzt. Die Blasen hatten wenige Sekunden nach ihrem Entstehen angefangen zu verheilen.
Noch nie hatte er so etwas erlebt. Und jetzt fühlte er sich … unbesiegbar. Ja, das war das richtige Wort. Er könnte alles schaffen. Könnte eine Armee umlegen, die Büchse der Pandora finden, was auch immer. Sein Dämon fühlte dasselbe, stöhnte sogar selbstvergessen, war noch immer in den Gefühlen verloren.
Irgendwann zwischen der Weile, die Strider auf seinen Knien verbracht und Kaias sensibelste Stelle verwöhnt hatte, und der Weile, die sie auf ihren Knien verbracht und seine sensibelste Stelle verwöhnt hatte, war es unwichtig geworden, ihr bester Liebhaber zu sein. Er hatte nur noch mit ihr zusammen sein wollen. Mit ihr, Kaia. Mit keiner sonst.
Sie war sein Leiden und seine Heilung geworden, als sie ihn in Höhen befördert hatte, von deren Existenz er nicht mal was geahnt hatte.
Jetzt drehte er sich auf die Seite und hielt sie fest an sich gedrückt. Er wollte sie nicht loslassen. Weder jetzt noch jemals sonst.
Kaia vergrub den Kopf in der Kuhle, die sein Hals und seine Schulter formten, und ihre seidigen Haare kitzelten auf seiner Haut. Beide waren sie schweißnass. Ihre Körpertemperatur war bislang kaum merklich gesunken. Doch was er am schönsten fand: dass sie leuchtete. Verdammt, und wie sie leuchtete. Sämtliche Regenbogenfarben leuchteten auf ihrer Haut. Sie weckte in ihm das Verlangen, noch mal von ihr zu probieren, obwohl es unmöglich hätte sein sollen, ihn zu erregen. Mindestens für ein Jahr.
Mit dem Finger zeichnete sie den Rand seines blauen Schmetterlingstattoos nach, und die Tinte schien sich ihr entgegenzubewegen, als wollte sie noch mehr von dieser Hitze. Noch mehr Verbrennen. Noch nie hatte er einer Frau gestattet, die Kennzeichnung zu liebkosen. An dieser Stelle war Niederlage in seinen Körper gefahren. Diese Stelle erinnerte ihn permanent an seine eigene Dummheit. Manchmal betrachtete er das gezackte Bild und schämte sich. Doch in diesem Moment war er froh, dass es da war. Er mochte es, wie Kaia jedes Detail seines Körpers wahrnahm.
„Du hast keine … Schmerzen, oder?“, fragte sie mit rauer Stimme.
Wo er sich am liebsten auf den Brustkorb getrommelt und vor Stolz geschrien hätte? „Das Gegenteil von Schmerzen.“
„Wirklich?“
„Wirklich.“ Das fragte sie oft. Als ob sie sich nicht traute, ihm zu glauben. „Ich habe nicht mal meinen Sicherheitssatz gebraucht.“
Sie kicherte, doch im nächsten Moment war ihre Belustigung schon wieder vorüber. Ihr Körper wurde steif und sie ernst. „Dann hat es dir also … Spaß gemacht?“
Er legte das Kinn auf sein Brustbein und sah zu ihr hinunter. Da sie aber ebenfalls nach unten schaute, konnte er nur ihre roten Haare sehen. „Fragst du das im Ernst?“
Offensichtlich aufgebracht, blaffte sie: „Hätte ich sonst gefragt?“
„Hast du mich nicht brüllen gehört? Zweimal?“
„Doch“, erwiderte sie sanft. „Habe ich.“
„Und trotzdem willst du wissen, ob ich Spaß hatte?“
„Na ja, du hast gesagt, du hättest keine Schmerzen, also weißt du schon mal, dass du mein bester Liebhaber warst. Aber ich kann es von mir unmöglich wissen, solange du es mir nicht sagst.“
Ach so. Er machte den Mund auf, um zu antworten, doch sie war gerade erst warm geworden. „Und überhaupt“, fuhr sie fort, „du hast mir solange widerstanden. Du wolltest nie mit mir zusammen sein. Du hast mir geradezu eingebläut, dass das mit uns nur vorübergehend ist.“
Vorübergehend. Das Wort setzte sich in seinem Kopf fest wie eine Bombe, die kurz vor der Explosion stand. Die Vorstellung davon, dass diese Frau mit einem anderen Mann zusammen wäre, nackt und gesättigt wie jetzt, vertraut wie jetzt … jede Zelle in seinem Körper schrie vor Protest auf. Meins.
Wenn er sich auf sie einließ, würde sie ein „Für immer und ewig“ erwarten.
Normalerweise zuckte er bei dem Wort „ewig“ zusammen. Aber jetzt schien „ewig“ nicht genügend Zeit zu sein. Nicht mit ihr. Es gab viel zu viele Dinge, über die er mit ihr reden wollte, die er mit ihr machen wollte, zu viele Möglichkeiten, sie zu nehmen und trotzdem den alten Kram zu machen.
Bedeutete das, dass er sie … liebte?
Auch bei diesem Gedanken zuckte er nicht zusammen. Aber sie zu lieben, hieße, ihre Bedürfnisse über seine zu stellen, über seine Mission, über alles. Wenn er das täte und sie dann später verlöre … sie zu verlieren, hieße, alles zu verlieren. Außerdem würde sie ihn permanent herausfordern, ob absichtlich oder nicht. Sie würde seine Aufmerksamkeit einfordern und ihn nicht einfach so davonkommen lassen.
Aber. Und das war ein GROSSES Aber. Er hatte gedacht, er würde es hassen, so zu leben. Er hatte sogar gedacht, er bräuchte eine Pause von der Herausforderung, um einfach nur zu sein, wer und was er war, weshalb er mit Paris und William Urlaub gemacht hatte. Einen Urlaub, der nicht gerade lange gedauert hatte. Nach einem Tag war ihm todlangweilig gewesen. Und er war rastloser gewesen denn je, auf der Suche nach … irgendetwas.
Was vielleicht erklärte, warum er sofort zu Kaia geeilt war, als sie ihn aus dem Gefängnis angerufen hatte. Was vielleicht seine Entscheidung erklärte, ihren Gemahl zu spielen, ohne sich auf etwas Festes einzulassen. Aber es erklärte nicht, wie er sich jetzt fühlte. Besitzgierig bis ins Mark, beschützerisch und aufgekratzt.
Unterm Strich ließ sich sagen: Er brauchte es, herausgefordert zu werden, um zu überleben. Nicht nur, weil jeder Sieg seinen Dämon nährte und den kleinen Scheißer glücklich machte, sondern auch, weil er sich so … lebendig fühlte. Und wenn er mit Kaia zusammen war, war er nicht nur lebendig. Dann knisterte er förmlich. Innerlich und äußerlich.
Er erinnerte sich daran, wie sehr er sich eines Abends nach ihr gesehnt hatte – als er ihr im Flur der Burg begegnet war. Sie hatte nur eine violette Robe getragen, ihre Haare waren unordentlich gewesen, ihre harten Brustwarzen hatten sich unter dem dünnen Stoff abgezeichnet und sie hatte nackte Füße gehabt. Sie hatte vergnügt und zugleich erregt ausgesehen, und er hatte ihre Erregung auf eine Art stillen wollen, wie es anderen Liebhabern nicht gelungen war.
Zum Glück hatte Paris den Kopf aus seiner Zimmertür gesteckt und Kaia ihre Puschen zugeworfen, bevor Niederlage die Herausforderung, mit ihr zu schlafen, hatte annehmen können. Jedenfalls hatte Strider das damals gedacht. Er war weggegangen und hatte alle Bilder von Kaia aus seinem Kopf verbannt. Allerdings war er von dem Moment an grantig gewesen. Niemand hatte es ihm recht machen können. Selbst seine jüngste Vernarrtheit in Haidee hatte nicht geholfen, ihn von der Harpyie abzulenken. Aber jetzt …
Seine Befriedigung war unvergleichlich. Genau wie sein Verlangen, diese Frau zu halten. Sie nie wieder gehen zu lassen. Nie wieder von ihrer Seite zu weichen.
Ja. Er liebte sie.
Die Erkenntnis erschreckte ihn nicht. Vermutlich hatte er es in seinem tiefsten Innern schon die ganze Zeit über gewusst, es sich aber nicht eingestehen wollen. Er hatte dagegen angekämpft. Kein Kämpfen mehr.
Kaia war die Richtige. Die Einzige, die er wollte, brauchte und haben musste. Sie war der Anfang und das Ende. Sie gehörte ihm. In jeder Hinsicht. Sie war seine andere Hälfte, seine benötigte Hälfte. Er hatte ihr viel zu lange widerstanden. Hatte sich eingeredet, sie wäre wie alle anderen. Aber wie sollte sie wie die anderen sein, wenn sie doch so viel mehr war, und zwar in jeder Hinsicht?
Sollte er es ihr sagen oder nicht? Würde ein Liebesgeständnis sie von den Spielen ablenken?
„Strider?“, fragte sie zögerlich, als ob sie fürchtete, ihm Angst eingejagt zu haben.
Oberflächlich betrachtet war sie eingebildet, selbstbewusst und widerspenstig. Sah man aber genauer hin, entdeckte man, wie verletzlich sie in Wahrheit war. Er hasste sich dafür, diese Verletzlichkeit nicht schon viel früher bemerkt zu haben. Wie oft und auf wie viele verschiedene Arten hatte er sie in den vergangenen Wochen verletzt?
Er drückte sie fest. „Du weißt doch, dass ich dich niemals anlügen würde, nicht wahr?“
Jetzt erstarrte sie so richtig. „Ja.“ Wie viel Angst doch in einem einzigen Wort liegen konnte.
Obwohl sie ihm leidtat, versuchte er, nicht zu grinsen. „Dann hör mir jetzt gut zu: Du warst … Mist, ich finde nicht mal Worte, um dir zu sagen, wie gut du warst. So etwas, so jemanden wie dich habe ich noch nie erlebt, und ich habe jeden verdammten Moment genossen.“
„Wirklich?“, fragte sie wieder.
„Oh ja. Wirklich.“
„Tja.“ Sie küsste ihn auf die Brust und klang schon selbstsicherer, als sie hinzufügte: „Das liegt daran, dass ich einfach umwerfend bin.“
„Umwerfend und in fantastisch gedippt.“
„Und garniert mit überwältigend.“
„Götter, ich liebe den Geschmack von allem.“
Wieder lachte sie, warm und voll wie Wein. „Danke schön.“
„Gern geschehen. Und ich meine es auch so. Du bist eine Göttin, Kaia.“
Noch ein weicher, süßer Kuss. „Ach was, das ist nur so ein Gerücht, das einer meiner Exfreunde in die Welt gesetzt hat.“
Seine Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln. „Und?“ Mit den Fingerspitzen fuhr er über den kleinen Hügel ihrer Wirbelsäule. „Wann bist du fruchtbar?“
„Wieso? Willst du ein Baby?“
„Hölle, nein. Machst du Witze? Ich habe schon genug Angst vor dem Tag, an dem die Kleinen von Maddox und Ashlyn bei uns herumlaufen – Klein-Stridey und Klein-Stridette.“ Obwohl … Irgendwie gefiel ihm die Vorstellung von einem kleinen rothaarigen Teufelsbraten, der die Burg verwüstete und ihn wahnsinnig machte, weil er ihn jede Minute aufs Neue herausforderte. Das Wort „gefiel“ machte ihm ein bisschen Angst. „Ich frage, weil ich wissen will, wann ich mir einen Kondomvorrat zulegen muss.“
Sie biss ihm behutsam in die Brustwarze. „Besserwisser. Harpyien sind nur einmal im Jahr fruchtbar, und bis es bei mir so weit ist, dauert es noch acht Monate. Außerdem liegen die Chancen, dass du ein unsterbliches Kind mit mir bekommst, ohnehin nur bei eins zu einer Million.“
„Aber die Chancen, einen Verbrecher zu zeugen, stehen eins zu zehn.“
Sie lachte, und er genoss den sorglosen Klang.
Stolz erfüllte ihn. Ich habe sie zum Lachen gebracht. „Warum sind die Chancen so gering?“, fragte er neugierig. Falls sie glaubte, er wäre in dieser Hinsicht unfähig, würde er mit ihr zu einem Spezialisten gehen, die Sache mit dem Becher machen und ihr beweisen, was für Ausnahmetalente seine kleinen Schwimmer waren.
Ego-Alarm.
Na ja, aber so war es halt.
„Wegen meiner Erbanlagen väterlicherseits“, erklärte sie mit leichtem Zögern. „Die Phönixe haben noch nie schnell Kinder gezeugt. Deshalb sind sie auch vom Aussterben bedroht.“
„Wenn es so schwer für sie ist, sich fortzupflanzen, wie konnte deine Mutter dann Zwillinge mit einem haben?“
Ihr Leuchten wurde schwächer. „Weil sie ein Überflieger ist.“
„So wie du.“ Apropos Kinder … „Was wolltest du eigentlich werden, als du noch klein warst?“ Er stellte fest, dass er unbedingt mehr über sie und ihre Vergangenheit wissen wollte. Über ihre Hoffnungen und Träume.
Ein sehnsüchtiges Seufzen. „Ehrlich gesagt wollte ich Herrscherin über die gesamte Welt werden. Oder die Vorzeigefrau des Herrschers.“
Jetzt war er es, der lachte.
Sie hob den Kopf gerade lange genug, um ihn anzusehen. „Was?“
„Nichts. Deine Ziele gefallen mir einfach. Sie sind süß. Wie du.“
„Süß.“ Sie verdrehte die Augen. „Genau das, was eine Frau in den Augen des Mannes sein will, den sie wie ein Pferd reitet.“
Na, wer war jetzt der Besserwisser? „Es ist überhaupt nichts verkehrt daran, süß zu sein. Ich zum Beispiel bin wahnsinnig süß.“
Sie verdrehte nochmals die Augen, ehe sie sich wieder an seine Seite kuschelte. „Ich habe bestimmt schon mal erwähnt, dass ich es rührend finde, wie bescheiden du bist. Was wolltest du denn werden, als du noch klein warst?“ Sie zeichnete kleine Kreise auf seine Brust.
Er nahm ihre Hand und küsste die Fingerspitzen, ehe er sie wieder auf seine Brust legte. „Ich war niemals klein. Deshalb habe ich auch nie darüber nachgedacht.“
„Ach ja. Das vergesse ich immer. Aber warum hast du dann einen Mongolenfleck auf dem Po?“
Er zog eine Augenbraue hoch. „Dir entgeht wirklich nichts.“
„Ich bin eben sehr aufmerksam“, erwiderte sie ernst. „Nicht dass du denkst, ich würde dich unentwegt beobachten oder dir wie eine Stalkerin folgen.“ Reizendes Mädchen. „Das ist kein Mongolenfleck, sondern ein Tattoo. Oder das, was davon übrig ist.“ Und etwas, worüber er nie sprach – außer mit Kaia. „Eine Frau hat mich mal herausgefordert, mir ihren Namen eintätowieren zu lassen. Ich habe es getan, aber vorher habe ich mit Sabin ausgemacht, es überzutätowieren, falls es sich nicht wieder entfernen ließe.“
„Die Frau hast du natürlich umgebracht.“
So blutrünstig, seine Kaia, aber das war eines der Dinge, die er so an ihr mochte. „Ich habe ihre Träume von einem glücklichen Leben mit mir bis ans Lebensende zerstört.“
Sie nickte verständig. „Und jetzt leidet sie bis in alle Ewigkeit. Gut gemacht. Aber es ist schon traurig. Dass du keine Kindheit hattest, meine ich.“
Er zuckte die Achseln. „Geht so. Man kann nicht vermissen, was man nie hatte.“
„Irgendwann demnächst werden wir zusammen baden, und dann zeige ich dir, wie man mit Quietscheentchen spielt.“ Sie ließ die Hand an seinem Bauch hinuntergleiten, umkreiste seinen Bauchnabel und legte sie ihm schließlich zwischen die Beine.
Es durchfuhr ihn wie ein Blitz. „Ich glaube, das Spiel wird mir gefallen.“
„Gut. Und weißt du was? Du hast dir endlich einen Spitznamen verdient.“
„Ach ja?“ Höher.
Sie streckte die Zunge ein Stückchen heraus und leckte solange über seine Brustwarze, bis sie hart wurde. „Ja. Bonin’ der Barbar.“
Unwillkürlich musste er schnauben. „Gefällt mir. Und es ist viel besser als der Sexorzist.“
„Viel besser.“
„Aber du hast dir auch einen neuen Spitznamen verdient, Kaia-Baby.“ Als sie ihre Hand nicht weiter nach oben bewegte, griff er nach unten und legte ihre Finger um seine immer härter werdende Erektion. Oh ja. So war es gut.
Der Ortswechsel lenkte sie vom Thema ab, wenn auch nur für ein paar Sekunden. Er konnte ihre Anspannung spüren. Spitznamen waren für sie eine schmerzhafte Sache. Das hatte er schon verstanden. Er hatte ebenfalls verstanden, dass sie ihren Titel zwar hasste, zugleich aber meinte, ihn verdient zu haben. Dabei machte jeder Fehler, und ihr hatte man wegen ihrem lange genug das Leben schwer gemacht. Teufel noch eins, sie war doch noch ein Kind gewesen. Strider konnte sich nicht mal vorstellen, welchen Ärger er gemacht hätte, wenn er vom Kind zum Mann herangewachsen wäre, statt als Erwachsener auf die Welt zu kommen.
Er hatte ja schon ohne Kindheit genug Schaden angerichtet. Hatte die Büchse der Pandora gestohlen. Die Dämonen auf eine ahnungslose Welt losgelassen. Den Tarnumhang fünf boshaften, unmoralischen Wesen überlassen.
Schluss jetzt. Er legte sich auf Kaia und hielt sie mit dem Gewicht seines muskulösen Körpers fest. Instinktiv schlang sie ihm die Arme um den Hals. Verflucht. Es passte ihm gar nicht, dass ihre Finger nicht mehr dort waren, wo er sie platziert hatte. Aber vermutlich war es besser so. Sie spreizte die Beine, öffnete sich für ihn.
Er legte ihr eine Hand unters Kinn und zwang sie, sich weiter auf sein Gesicht zu konzentrieren. „Ich will mit dir über etwas reden“, sagte er.
In seinem Kopf hörte Niederlage auf, lustvoll zu stöhnen. Vielleicht hatte er Striders Unbehagen gespürt und fürchtete sich vor einem Kampf mit der Harpyie.
„Ich weiß, worüber du reden willst.“ Kaia leckte sich über die Lippen, und beim Anblick ihrer rosa Zunge zuckte er kräftig. „Über Paris, stimmt’s? Tja, du musst …“
Er schüttelte den Kopf. „Mit diesem Thema sind wir durch. Ihn gibt es in deiner Erinnerung nicht mehr.“
„Natürlich nicht. Aber was ist, wenn ich ihm zufällig begegne? Wenn ich bei dir bin, wird das früher oder später passieren. Du wirst sehen, wie wir uns unterhalten, und dann wird dir wieder einfallen, dass du mir niemals vergeben kannst, dass ich …“
Ein erneutes Kopfschütteln brachte sie zum Schweigen. „Es gibt nichts zu vergeben, Baby Doll. Du und ich, wir waren damals schließlich nicht zusammen. Wir haben nicht mal miteinander geflirtet.“
Ein leuchtender Blick durchbohrte seine Seele. „Aber … aber … deshalb hast du mir doch widerstanden. Deshalb konnten wir doch nicht zusammen sein.“ Und blitzschnell fügte sie hinzu: „Nicht dass ich denke, dass wir jetzt zusammen sind.“
„Wir sind zusammen“, knurrte er, und sein harscher Ton ließ keinen Raum für Zweifel. Versuch nur abzuhauen. Dann wirst du schon sehen, was passiert.
Verblüfft öffnete sie den Mund. „Sind wir?“
„Sind wir.“
„So richtig?“
„So richtig. Ich bin dein Gemahl und du bist meine Frau. Nur meine. Muss ich einen Ring tragen oder so was? Oder du?“ Ihm fiel das Medaillon ein, das ihre Mutter und ein paar andere Harpyien getragen hatten. Ebenfalls fiel ihm ein, dass er mit ihr auch über sie hatte sprechen wollte. „Oder vielleicht ein Medaillon?“
„Nein“, krächzte sie. „Weder Ringe noch Medaillons. Die sind für Krieger, und meins wurde mir genommen, nachdem … Du weißt schon.“
Kein Wunder, dass sie so traurig gewesen war, nachdem sie gesehen hatte, dass Juliette eins trug. Nun ja – Kaia würde ihr eigenes bekommen, und das wäre das Beste . Wie ihr Gemahl. Ego-Alarm. „Dann gehen wir also offiziell miteinander?“
Enttäuschung legte sich auf ihr Gesicht, und in ihren Augen glitzerten Tränen. „Ja. Bis die Spiele vorbei sind, ich weiß.“
Ob sein Geständnis sie ablenken würde oder nicht, er musste es ihr sagen. Er konnte sie einfach nicht so im Ungewissen lassen. „Nach den Spielen auch. Und wenn es jemanden gibt, dem man vergeben muss, dann bin ich es. Weil ich dich so lange und so harsch weggestoßen habe.“ Während er sprach, wurden ihre Augen immer größer und feuchter. „Das tut mir leid, ehrlich.“ Er streichelte mit dem Daumen ihre Lippen. „Glaub mir, ich werde es für immer bereuen. Weil … verdammt, Kaia, weil ich dich liebe.“
Niederlage schien in seinem Kopf erstarrt zu sein. Er wagte nicht, sich zu rühren, während er dem Gespräch lauschte. Wenn Kaia ihm im Gegenzug kein Liebesgeständnis machte, würde sein Dämon … was?
Ist mir egal. „Du brauchst nichts zu sagen“, fuhr Strider fort. Ich werde ihr Herz gewinnen. Und er wollte es ohne den Einfluss seines Dämons schaffen. Sonst würde Kaia ihm niemals glauben, dass er wirklich so fühlte, wie er behauptete, und nicht wieder mal sein Siegeswillen aus ihm sprach. „Ich möchte sogar gar nicht, dass du jetzt irgendetwas sagst. Wir vertagen es einfach bis nach dem Turnier.“
Sie blinzelte. Sonst gab sie ihm kein Zeichen, dass sie seine Worte gehört hatte. „Vertagen? Wie eine Konferenz?“
Na klar. Sie würde ihn nie einfach so davonkommen lassen. „Du könntest dich ruhig ein bisschen über das freuen, was ich gesagt habe“, beschwerte er sich.
Sie schürzte die Lippen und entspannte sie schnell wieder, als wollte sie ihm keinen Hinweis darauf geben, was sie fühlte. „Ich kann nicht.“
„Du kannst nicht?“
Niederlage grollte. Ihm gefiel ihre Antwort noch weniger als Strider.
Endlich lugten Gefühle durch Kaias ausdruckslose Maske, und er sah eine Mischung aus Angst und Hoffnung. „Ich liebe dich auch, glaube ich. Ich meine, ich habe nie zugelassen, mehr für jemanden zu empfinden als Lust, aber ich habe auch noch niemals so für jemanden gebrannt wie für dich. Aber was ist, wenn ich dich enttäusche? Wenn ich dich nicht verdiene und dich gehen lassen muss? Wenn du willst, dass ich dich gehen lasse. Was, wenn …“
Er küsste sie lange und leidenschaftlich, füllte ihren Mund mit seinem Geschmack und verlangte eine Erwiderung. Sie gab sie ihm, packte seinen Kopf und raubte ihm den Atem. Die Worte „Ich liebe dich“ zu hören, selbst mit der Unsicherheit, die sie begleitet hatte … wow. Jetzt war er noch erregter als zuvor, als er zum ersten Mal in ihr gewesen war.
Sie. Liebte. Ihn. Keine Frage. Vielleicht hatte sie es noch nicht ganz verstanden, aber sie liebte ihn, und dieses Wissen brachte ihn schier um. Brachte. Ihn. Um. Bis zu diesem Augenblick war ihm nicht klar gewesen, wie sehr er sich nach ihrer Liebe sehnte.
Er war der König der verdammten Welt, Mann.
Niederlage fing an zu stöhnen.
Strider zwang sich, den Kuss zu beenden, und legte sich auf die Seite. Kaia versuchte, auf ihn zu klettern, versuchte zu Ende zu bringen, was sie angefangen hatte, doch er hielt sie fest an seiner Seite. Sex, ja – natürlich würden sie es noch mal tun. Aber offensichtlich mussten sie noch ein paar Dinge klären.
„Du bist nicht Kaia die Enttäuschung. Hörst du? Das wollte ich dir vorhin sagen. Du bist Kaia die Mächtige. Was glaubst du, wie viele Harpyien da draußen es geschafft hätten, den härtesten Herrn der Unterwelt zu erledigen? Den Herrn, der zufällig auch der stärkste, gerissenste und erotischste ist. Und falls du Zweifel haben solltest, von wem ich spreche: Ich beschreibe mich selbst.“
„Ich weiß.“ Tränen kullerten aus ihren Augen auf seine Brust, so heiß, dass sich auf seiner Haut kleine Quaddeln bildeten. „Keine außer mir?“
„Ganz genau. Keine außer dir. Und jetzt fordere mich heraus, bei dir zu bleiben.“
Vor Wut wurde sie steif wie ein Brett. „Nein!“
„Kaia …“
„Nein. Das werde ich nicht tun. Und es ist mir egal, was du sagst. Du musst aus freien Stücken bleiben, und nicht, weil du dem grausamen Schmerz deines Dämons entgehen willst.“
Aber sie sollte nicht mit der Angst leben, dass er sie jeden Moment verlassen könnte. „Wenn du es tust, schenke ich dir noch einen Höhepunkt.“
Langsam entspannte sie sich wieder. „Na ja …“
Das Piepen ihres Handys ließ sie beide zusammenfahren. Dann piepte sein Handy. Eins hätten sie ignorieren können. Aber beide? Irgendetwas musste passiert sein. Gleichzeitig schossen sie hoch.
„Ich wette, der Wettkampf ist zu Ende. Meine Götter, meine Schwestern! Wie habe ich sie bloß vergessen können?“ Sie krabbelte zu ihren Klamotten und durchwühlte die Taschen ihrer Shorts.
Er fand sein Handy, und sie blickten gleichzeitig auf die Displays. Sie keuchte. Er schnaubte. Dann sahen sie einander schweigend an.
„Du zuerst“, sagte er.
„Sie haben gewonnen.“ Sie klang benommen und verunsichert. „Sie haben den ersten Platz belegt. Sie sind verletzt, aber am Leben, und sie erholen sich schon wieder. Außerdem ist es ihnen gelungen, dass die Skyhawks disqualifiziert wurden. Was bedeutet, dass wir uns jetzt auf Augenhöhe mit meiner Mutter befinden.“
„Das ist toll.“ Er zog die Augenbrauen hoch, als er die neue Tränenflut sah, die ihre Wangen hinunterfloss. „Oder nicht?“
„Doch.“ Ein entschlossenes Nicken. „Meine Familie lebt, und sie haben den Sieg geholt, den wir brauchten. Ich bin so glücklich, dass ich platzen könnte.“
„Aber?“
Sie ließ die Schultern fallen. „Aber sie haben es ohne mich geschafft“, flüsterte sie gequält. „Ich habe nichts dazu beigetragen. Sie brauchen mich nicht. Ich bin ihnen nur im Weg. Sie verlieren, wenn ich helfe, und gewinnen, wenn ich es nicht tue.“
Seine Brust zog sich zusammen. „Baby Doll, nur weil sie ohne dich gewonnen haben, heißt das noch lange nicht, dass du ihnen im Weg bist. Es bedeutet lediglich, dass sie auf diese Runde besser vorbereitet waren.“
Schweigend zog sie sich an. Seufzend tat er es ihr gleich.
„Sabin und die Engel haben Rhea gefunden“, sagte er, obwohl sie nicht gefragt hatte. „Oder vielmehr: Sie haben den Ort gefunden, an dem sich die Göttin eigentlich aufhalten sollte. Sie gehen davon aus, dass Rhea Hals über Kopf abgehauen ist, und das schon vor mehreren Tagen oder gar Wochen. Ihre Kleidung lag überall verstreut, auf dem Boden lagen weiße Federn und alles war staubig.“
„Federn. Galen?“
Er nickte. „Sabin meint, es gibt keinerlei Spuren, weshalb es unmöglich ist, einen von beiden von dort aus zu verfolgen. Sie müssen sich irgendwo hingebeamt haben.“
„Aber … warum sollte sie den Wettkampf hier abhalten, wenn sie nicht zusehen kann?“
„Vielleicht hat sie nicht mit ihrer Abwesenheit gerechnet. Vielleicht hatte sie vor, hier zu sein, aber dann hat sie irgendetwas daran gehindert.“
„Und die Jäger?“
„Vielleicht hat sie die Befehle, dich zu töten, schon vor ihrer Abreise erteilt. Oder jemand anderes hat sie angeführt.“
Kaia straffte die Schultern, sah ihm in die Augen und neigte den Kopf zur Seite, während sie nachdachte. „Ich kenne nur eine Person, die mich genug hasst, um …“ Ihr Blick verfinsterte sich. Sie hatte zwei Schritte auf ihn zu gemacht, aber jetzt blieb sie abrupt stehen und starrte auf ihre Füße. „Ich klebe fest. Strider, ich klebe fest!“
Er versuchte, zu ihr zu gehen – doch es ging nicht. Wie ihre klebten auch seine Füße am Boden fest. Er blickte ebenfalls nach unten. Der Höhlenboden wurde … dünner? Ja, genau das geschah. Er wurde dünner, weicher und verwandelte sich in … Nebel.
Von dem Wunsch besessen, seine Frau festzuhalten, streckte er die Hand nach ihr aus. Kurz bevor er sie berührte, fielen sie gleichzeitig um und stürzten hinab … und weiter hinab …
Hinab.