14. KAPITEL

Es bestand die winzige Möglichkeit, dass William ganz vielleicht ein klitzekleines bisschen zu weit gegangen war. Natürlich wäre er der Erste, der zugäbe, dass er eventuell einen winzigen Fehler gemacht hatte. Doch ob Fehler oder nicht – größtenteils natürlich nicht – man kann mich nicht dafür verantwortlich machen, dachte er, als er sich mit Fußtritten den Weg durch das bahnte, was von Gillys Eltern übrig geblieben war.

Am Ende hatten sie darum gebettelt. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes ‚gebettelt‘. Während seiner „Arbeit“ hatte er den Song Scotty Doesn’t Know von Lustra gehört – eines seiner Lieblingslieder, denn er fand, der Text versinnbildlichte sein Leben. Er hatte seinen Opfern Adrenalinspritzen verabreicht, um zu verhindern, dass sie ohnmächtig wurden. Und natürlich hatte er ihnen die großen Blutgefäße abgebunden, damit sie nicht verbluteten.

Ohnmacht und Blutverlust waren nämlich die natürlichen Feinde einer guten Foltersitzung.

Zum Ende hin, als sie begriffen hatten, dass sie die Sache nicht überleben würden, hatten sie angefangen zu betteln. Erst als sie ihre Sünden zugegeben und ihn damit unfassbar wütend gemacht hatten, weil er erfahren musste, dass der Missbrauch, den er sich vorgestellt hatte, bei Weitem nicht an das herankam, was Gilly hatte ertragen müssen, hatte er sie getötet. Beinahe wünschte er, er hätte es nicht getan. Wäre doch nett gewesen, die Sitzung über ein paar Tage auszudehnen. Nun ja.

Jetzt musste er ein bisschen aufräumen.

William drehte sich ein Mal im Kreis, begutachtete das Schlachtfeld und versuchte sich zu entscheiden, wo er anfangen sollte. Vielleicht sollte er einfach gehen. Es gab einfach zu viel zu tun. Dann fiel ihm ein, wie gern Menschen ausflippten, wie gern Nachrichtensender Storys über ausgebrochene Psychopathen verbreiteten, und er stellte sich vor, dass Gilly von der Sache erfuhr. Nicht dass er sie über die Geschehnisse im Dunkeln lassen wollte. Er würde es ihr erzählen. Irgendwann. In ferner Zukunft. Wenn sie älter wäre. Ungefähr … fünfzig. Vielleicht.

Nach allem, was diese Leute – nein, diese Ungeheuer – ihr angetan hatten, wäre sie nicht erschüttert. Wie auch? Sie hatten ihr auf übelste Art wehgetan, als sie viel zu jung und schwach gewesen war, um sich zu schützen. Er hatte sich einfach nur revanchiert.

Dann kam ihm ein Gedanke in den Sinn, bei dem sein Magen zu rumoren begann. Vielleicht hätte sie sie gern selbst umgebracht. Um sich zu rächen, um mit der Sache abzuschließen oder so was. Oder was war, wenn er alles in den falschen Hals bekommen und Gilly gewollt hatte, dass man diese Leute in Ruhe ließe? Menschen hatten so spezielle Vorstellungen von Grenzen, die man überschreiten oder nicht überschreiten durfte. Und wehe dem, der es wagte, eine verbotene Grenze zu übertreten. Dann galt man für alle Zeit als boshaft und teuflisch.

Wie Williams früherer Kumpel Vlad der Pfähler – ein Paradebeispiel dafür, wie schnell man einen schlechten Ruf erlangen konnte. Köpfe ein paar Tausend deiner Feinde, spieße ihre Körper auf Pfähle auf, stelle sie zur Schau, sodass die ganze Welt sie sehen kann, und zack! – ist man „böse“. So etwas Lächerliches!

Für die Menschen gehörten Folter und Tod nicht zum natürlichen Kreislauf des Lebens. Folter galt als unmenschlich, und der Tod eines Angehörigen war ein Grund zu trauern. Sie verstanden nicht, dass die Seele irgendwie weiterexistierte. Dass Macht gleich Recht war. Und dass Schwäche den Zorn deiner Feinde auf sich zog.

„Was zum Teufel hast du getan?“, hörte er plötzlich eine Männerstimme hinter sich.

William drehte sich um – und sah sich einem kreidebleichen Kane gegenüberstehen. „Was machst du denn hier? Wie bist du überhaupt hergekommen?“

Ohne den Blick von dem Massaker zu wenden, erwiderte Kane: „Ich habe die Schicksalsgöttinnen gebeten, mich zu dir zu bringen.“ Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Wie viele Leute hast du hier denn hingerichtet? Hundert?“

„Was hattest du mit den Schicksalsgöttinnen zu schaffen? Die bekommt doch nie jemand zu Gesicht. Und warum zum Teufel wolltest du ausgerechnet zu mir?“

„Sie haben mich zu sich gerufen, aber dazu später.“ Er zeigte auf irgendetwas, das auf dem Boden lag. „Was ist das denn?“

William sah nicht hin. „Ist doch egal. Schnapp dir einen Müllsack und fang an, die Sachen reinzuwerfen.“ Warum hatten die Schicksalsgöttinnen Kane zu sich bestellt? Kaum hatte William sich die Frage gestellt, verwarf er sie auch schon wieder. Es war ihm völlig schnurz. „Wir haben viel zu tun und nur wenig Zeit.“

Den Hüter von Katastrophe als Helfer zu engagieren wäre nicht gerade seine erste Wahl gewesen – erstens hatten sie noch nie viel Zeit miteinander verbracht, und zweitens zog Kane die Art von Ärger an, die er im Augenblick mit allen Mitteln zu vermeiden versuchte – aber William würde sich nicht beklagen.

„Wer sind … waren … diese Leute?“

„Namen sind so unwichtig, findest du nicht? Du brauchst nur zu wissen, dass sie mich … beleidigt haben.“

„Dich beleidigt?“, wiederholte Kane, der sich noch immer nicht rührte.

„Ja.“

Kane sah ihm fest in die Augen. „Sie heißen nicht zufällig ‚Gillys Eltern‘, oder? Denn soweit ich weiß, warst du scharf auf ein Stück von ihnen – oder auf mehrere Stücke, wie’s aussieht.“ In seinem Ton lag keine Verachtung, sondern nur Akzeptanz.

Die fehlende Verachtung spielte keine Rolle. Niemals zugeben oder leugnen, was man getan hat, sondern immer denen drohen, die einem Fragen stellten. Das war schon immer Williams Motto gewesen. „Wenn du irgendwem davon erzählst, werde ich persönlich dafür sorgen, dass deine Bauchspeicheldrüse dieselbe Behandlung erfährt.“

Kane machte sich nicht vor Angst in die Hosen, sondern schaute ihn einfach nur an.

„Warum warst du denn nun bei den Schicksalsgöttinnen?“ Es interessierte William noch immer nicht, aber er hätte sogar über so etwas Langweiliges wie das Wetter gesprochen, um das Thema zu wechseln.

Kane schüttelte den Kopf, dass die braunen, schwarzen und goldenen Locken nur so flogen. Wortlos stapfte er in die Küche und kam kurz darauf mit zwei großen Müllsäcken zurück. Einen gab er William.

„Danke.“

Eine halbe Stunde arbeiteten sie schweigend nebeneinander.

Kane brach die Stille mit einem Seufzer. „Du hast mich wegen der Schicksalsgöttinnen gefragt.“

„Und warum du ausgerechnet zu mir gekommen bist. Aber es interessiert mich schon nicht mehr.“

„Ist mir egal. Du solltest es dir nämlich lieber anhören, weil es dich und alle anderen betrifft.“

Cleverer Schachzug, ihm ein Informationshäppchen zuzuwerfen, um seine Neugier zu wecken. William benutzte oft dieselbe Taktik. „Spuck’s schon aus.“

„Sie haben mir gesagt … sie haben mir gesagt …“ Kane ließ eine Seite des Müllsacks los und rieb sich über das müde Gesicht. „Sie haben gesagt, ich würde die Apokalypse in Gang bringen.“

Ein freches kleines Wort. Apokalypse. William hielt inne. „Sie haben was gesagt?“

„Du hast mich schon verstanden.“ Er zupfte am Kragen seines T-Shirts. „Ich werde mich nicht wiederholen.“

„Du bist Katastrophe. Insofern ergibt die Sache schon einen Sinn. Aber du könntest auf keinen Fall …“ Plötzlich kam William ein Gedanke, und sein Körper erstarrte. „Teufel, nein. Du wirst nicht mit ihr schlafen, hast du verstanden?“

Kane zog irritiert die Augenbrauen hoch. „Nicht mit wem schlafen?“

Das konnte er so gar nicht gebrauchen. „Warum sollten die drei alten Weiber dich hierhin schicken? Zu mir?“ Ein Wort klang schärfer als das andere.

„Weil ich gehört habe, dass du einen guten Draht zu Luzifer hast oder so. Dass du die Vier Apokalyptischen Reiter erschaffen hast. Und da diese Reiter beim Weltuntergang eine große Rolle spielen, habe ich angenommen … Was? Du siehst aus, als würdest du dich gleich übergeben.“

Das war schlecht. Ganz, ganz schlecht. Wenn die Schicksalsgöttinnen Kane gesagt hatten, er würde die Apokalypse in Gang bringen, dann würde er die Apokalypse in Gang bringen. Aber die Tatsache, dass Kane sich daraufhin entschlossen hatte, William aufzusuchen … bedeutete, dass die Apokalypse womöglich eher beginnen würde, als alle dachten. „Ich habe keinen guten Draht zu Luzifer. Oder hätte mir ein Freund vielleicht den Arm ausgekugelt, als ich ihm einen Besuch in seinem kleinen Untergrund-Spa abgestattet habe? Hä? Hä? Nein!“

„Nein, aber ein Bruder vielleicht schon. Stichwort ‚Geschwisterrivalität‘ und so.“

„Er ist nicht mein Bruder!“ Die Lüge kam ihm leicht und locker über die Lippen, wie schon fast sein ganzes Leben lang. Aber das hier war ein Herr der Unterwelt. Und Herren der Unterwelt urteilten nicht. „Na schön. Er ist mein Bruder.“ Wie dieses Geständnis an ihm nagte. Geschwisterrivalität konnte nicht mal annähernd den Hass zwischen ihnen erklären. „Na und?“

Okay, einen Moment mal. Er hatte soeben etwas begriffen. Die Harpyien waren Abkömmlinge von Luzifer. Luzifer war sein Bruder. Deshalb war Williams Schwärmerei für Kaia …

Verfluchte Scheiße! Als die Worte durch seinen Kopf rasten, erschauerte er. Kaia würde also ohne die segensreiche Erfahrung leben müssen, von ihm beglückt zu werden.

Verdammt noch mal! Sein Bruder vermieste ihm aber auch jeden Spaß.

Eine Glühbirne platzte und schickte goldene Funken auf Kanes Kopf. Er beachtete sie nicht. „Nichts na und. Ich bin nur neugierig. Sind die Reiter gut oder böse? Auf unserer Seite oder nicht?“

„Keine Ahnung.“ Gelogen. Er wusste es genau.

„Also gut. Dann will ich es anders versuchen. Du hast irgendetwas von einer Frau gesagt … davon, dass ich mit ihr schlafe …“

Keine Reaktion zeigen. „Und?“

„Und – mit wem soll ich nicht schlafen, mein holder Prinz der Dunkelheit?“

Ah, er kapierte schneller, als William gedacht hätte. „Mit dem einzigen weiblichen Reiter“, grummelte er, während irgendetwas seine Brust einschnürte. „Oder der Reiterin. Egal. Da unten halten sie sich nicht mit Geschlechterfragen auf.“

„Okay, jetzt bin ich verwirrt.“

William ging zu dem einzigen sauberen Lehnstuhl im Zimmer und ließ sich darauf nieder. Ein wie großes Weichei wäre er, wenn er jetzt seinen Kopf zwischen die Knie steckte? Andererseits wäre er ein noch viel größeres Weichei, wenn er anfangen würde zu hyperventilieren. „Hier kommt die schonungslose Wahrheit: Luzifer und ich haben verschiedene Mütter, aber denselben Vater. Hades.“

„Moment. Ich dachte, Hades und Luzifer wären Brüder?“

„Das denken viele, weil die beiden das Gerücht fleißig verbreiten. Aber ich habe noch eine Überraschung: Sie sind beide Lügner. Wie dem auch sei – willst du jetzt den Rest hören oder mir weiter erzählen, was du alles nicht weißt?“

Kane kniff die Augen zusammen, winkte jedoch ab.

„Dort unten hat es mir nicht besonders gut gefallen.“ Eine Untertreibung. Es war die Hölle gewesen. Ha! Nettes Wortspiel. „Ich habe es geschafft, einen Teil der Dunkelheit aus meinem Körper zu drängen, und so sind die vier Reiter entstanden.“

„Warum weiß ich das nicht? Mein Dämon hat schließlich auch da unten gelebt.“

„Hallo, Katastrophe existierte an Luzifers Seite. Wir hatten kleine Schwierigkeiten mit dem Teilen und mussten den Raum da unten in verschiedene Reiche aufgliedern. Luzi hat das Feuer und die Dämonen genommen – bla, bla, bla – und ich das Fegefeuer und die Seelen. Auch wenn sich seine Lakaien ständig zu mir geschlichen und mich bestohlen haben, aber das habe ich ihm verziehen.“ Verzeihung in Form eines Fluchs, dachte er grinsend. Und zwar einer, den Luzi niemals würde brechen können.

„Was hat das alles mit mir zu tun?“, fragte Kane.

„Dazu komme ich noch.“ Was soll ich nur sagen, was soll ich nur sagen? Hades hatte sich dafür entschieden, sich auf Luzifers Seite zu schlagen. Offensichtlich sah er in William eine peinliche Enttäuschung ohne richtig „böse“ Seele.

Erstens war das Müll. Niemand war böser als William. Man brauchte sich nur anzusehen, was er mit diesen Menschen gemacht hatte. Und es tat ihm nicht leid! Zweitens war nichts falsch daran, wenn man mit der Familientradition brach, um ein eigenständiger Mensch zu sein.

Du schweifst ab. Als die Griechen den Himmel übernehmen mussten, hatten sie die Titanen eingesperrt. Und Hades, der Zeus auf den Thron verholfen hatte, wurde für unkontrollierbar befunden und ebenfalls eingekerkert. William hatte das Durcheinander im Himmel zu seinem Vorteil genutzt und war geflohen.

Und da Luzifer nicht um den Thron der Unterwelt hatte kämpfen wollen, sondern ihn für sich allein gewollt hatte, war er sein Komplize gewesen.

Danach hatte William viele ruhmreiche Jahrhunderte verlebt, in denen er alles flachgelegt hatte, was sich bewegte. Sogar Hera, Zeus’ geliebte Königin. Natürlich hatte Zeus ihn letztlich mit heruntergelassener Hose erwischt, und noch ehe William aus einem Himmelsfenster hatte springen können, war er verflucht und mal wieder in einem Gefängnis eingesperrt worden.

Jetzt war er frei und konnte sich von einem Ort zum anderen beamen. Das Leben war herrlich!

„William?“

Er blinzelte. „Was?“

„Du wolltest mir gerade sagen, was das Ganze mit mir zu tun hat.“

„Nein, wollte ich nicht.“

„Verdammt noch mal, sag mir, warum du denkst, dass ich mit einem deiner verfluchten Abkömmlinge schlafen werde“, forderte Kane ihn auf. „Das ist nämlich echt ekelhaft. Mir kommt jetzt schon alles hoch.“

Er stützte die Ellbogen auf die Knie und schaute wütend drein. Tief einatmen. „Wenn du die Apokalypse in Gang bringen willst, musst du einen Reiter befreien. Und der einzige Grund, der mir einfällt, warum du einen dieser Bastarde befreien würdest, ist, weil du dich verliebt hast. Du stehst nicht auf Männer, weshalb nur noch mein Mädchen übrig bleibt. Und der einzige Grund, weshalb du dich in sie verlieben solltest, ist, weil du mit ihr geschlafen hat.“ Lange ausatmen.

Kane schnaubte. „Wieso? Sind ihre weiblichsten Stellen etwa mit Crack übersät?“

„Im Prinzip schon“, erwiderte er monoton.

Wenigstens schaute Kane nicht mehr so zweifelnd drein. „Vorgewarnt ist gut gewappnet. Ich werde einfach nicht in die Hölle gehen. Problem gelöst.“

„Ich mag deine Gedankengänge, auch wenn sie so naiv sind wie die von einem Schulmädchen.“

„He …“

„Hör zu: Die Schicksalsgöttinnen sind nicht nett. Sie haben dich nicht etwa hier abgesetzt, weil sie so gute Herzen haben. Sie haben nämlich keine Herzen. Sie haben gesehen, dass du die Apokalypse ins Rollen bringst, und deshalb haben sie begonnen, die Dominosteine aufzustellen. Von jetzt an wirst du an jeder Ecke der Versuchung begegnen, und irgendwann werden sie dich irgendwie in die Hölle führen.“

Noch ehe Kane antworten konnte, krachte etwas durch das Fenster, zertrümmerte das Glas und rollte zwischen sie. Sie sahen zuerst das Ding an und dann einander. Eine Handgranate.

„So ein Mist“, sagte William und sprang auf.

„In Deckung!“, schrie Kane und streckte die Hand nach ihm aus.

Zu spät. Bumm!

Flammen leckten über seine Haut und Tausende Scherben aus Holz und Stein regneten auf ihn nieder, während er von einer gewaltigen Druckwelle in die Luft geschleudert wurde. Er flog hoch und höher. Und fiel tief und tiefer. Bei der Landung krachte er auf seinen Kopf und brach sich den Schädel. Kane fiel auf ihn drauf und brach ihm weitere Knochen. Der Krieger bekam keine Rückendeckung.

Verdammte Katastrophe. William wusste genau, wer Schuld an dieser Misere hatte.

„Alles … klar … Alter?“, krächzte er irgendwie.

Irgendetwas Hartes traf ihn an der Schläfe, und die Dunkelheit verschluckte ihn mit einem Bissen. Dann wusste er nichts mehr.

William … schwebte. Eine Sekunde, nachdem dieser Gedanke Gestalt angenommen hatte, spürte er etwas Hartes in seinem kaputten Rücken. Er hörte Reifen quietschen. Kleine Erschütterungen schickten heiße Flammen durch seinen Körper. Da begriff er, dass er auf einer Krankentrage lag und jemand ihn wegtrug. Nicht stöhnen. Nicht zusammenzucken.

„Der hier sieht tot aus“, sagte eine unbekannte Männerstimme. Der dazugehörige Sprecher musste um die fünfzig sein, und so kratzig, wie er sich anhörte, war er vermutlich Raucher.

„Nein Sir. Noch nicht.“ Noch ein Mann. Dieser war jung, vermutlich Anfang zwanzig. „Aber wenn Sie denken, dass der übel aussieht, sollten Sie mal den anderen sehen. Den Dämon.“

„Das reicht nicht. Ich brauche sie beide lebendig.“

„Aber Sir …“

„Frag nicht weiter, Sohn. Tu, was notwendig ist, um diese beiden Kreaturen am Leben zu halten.“

Eine Pause, ein lautes Schlucken. „Der hier ist aber kein Dämon. Wir sollten …“

„Es ist mir scheißegal, was er ist. Er war mit dem anderen da drin, mitten in diesem Blutbad. Er verdient, was er kriegen wird.“

Diesmal keine Pause. „Ja Sir. Ich stimme Ihnen zu, Sir.“

Wieder ein Ruckeln, ein größeres diesmal, und Williams Kopf wurde zum zweiten Mal getroffen. Wie zuvor riss die Dunkelheit ihn unaufhaltsam mit sich.

Piep, piep, piep.

Das langsame, rhythmische Piepen vermischte sich mit dem Geräusch hastiger Schritte und schweren Atmens. William öffnete die Augen einen Spaltweit – Götter, tat das weh. Es war, als steckten Holzsplitter unter seinen Lidern, die seine Hornhaut zerkratzten. Als er endlich klar sah, war er irritiert.

Eine dicke Schicht Folie bedeckte den Raum und alle, die sich darin aufhielten. Rings um ihn herum eilten Leute hin und her, doch er konnte ihre Gesichter nicht erkennen.

„Wir verlieren ihn!“, rief jemand – eine Frau.

„Sein Dämon …“

„Ich weiß! Ich tue, was ich kann, aber vielleicht reicht es nicht.“

Sie sprachen von Kane. Davon, ihn zu … William versuchte, die Arme zu heben. Er wollte helfen, den Krieger zu retten. Nur waren seine Handgelenke am Bett festgebunden, und er hatte nicht die Kraft, sich loszureißen.

Was zum Teufel war hier los?

„Herr Doktor, der hier wacht auf.“

„Verdammt noch mal, ich bin noch nicht so weit. Geben Sie ihm noch mal zehn Milliliter. Das sollte reichen, bis ich den hier außer Gefahr gebracht habe.“

Etwas Scharfes wurde ihm in die Schulter gerammt, und auf einmal zerfielen seine Gedanken in tausend Stücke. „… in Ordnung, Junge?“

William kämpfte sich seinen Weg aus der Dunkelheit und bereute es augenblicklich. Dieser Schmerz! Am ganzen Körper. Seine Haut fühlte sich verbrannt an, und seine Knochen waren so weich wie Pudding.

„Gut so. Nur noch ein bisschen.“

Er öffnete die Augen. Einen Moment lang drehte sich die Welt. Doch schon bald klärte sich sein Blick, und er erblickte eine hübsche Frau. Vor lauter Erschöpfung waren ihre feinen Gesichtszüge gespannt. Sie trug einen weißen Laborkittel und um den Hals ein Stethoskop. Die blonden Haare waren zum Pferdeschwanz zusammengebunden, und auf ihrer Nase saß eine schlichte Brille.

„Du fragst dich bestimmt, wer ich bin und wo du bist.“

Das konnte er nur bejahen, obwohl er sich die Antwort schon denken konnte. Die Jäger hatten zum nächsten Schlag ausgeholt. Er erinnerte sich an den Hass in den Stimmen von „Sir“ und seinem jungen Gefährten, als sie über die Dämonen gesprochen hatten.

William sah zu seinen gefesselten Hand- und Fußgelenken. Sie hatten sich nicht auf robustes Seil verlassen, sondern dicke, schwere Ketten benutzt. Als Nächstes begutachtete er seine Verletzungen und begriff, dass ihn einzig ein Wunder zusammenhielt. Er fühlte sich wie eine Schachtel voll verhedderter Geschenkbänder mit der zerfledderten Haut und den ebenso zerfetzten Muskeln.

„Also?“, drängte die Frau.

„Mir egal.“ Um die Worte herauszubringen, musste er seinen Kiefer förmlich entriegeln, wodurch es hinter seinen Schläfen zu schmerzen begann. „Der Mann …“ Mehr wollte einfach nicht durch seine raue Kehle kommen.

„Er lebt“, erwiderte sie wissend.

Den Göttern war Dank. Erleichterung machte sich breit. Was sie nun auch sagen würde, er käme damit klar.

„Eigentlich wollte ich nicht diejenige sein, die dir diese Nachricht überbringt, aber du hast ein Recht darauf, es zu wissen. Dein Freund … Er wird in diesem Augenblick in die tiefsten Höhlen der Hölle gebracht.“

Außer damit.