16. KAPITEL
Der Wind zerzauste Striders Haare, als er Kaia bei der Taille packte. Er war schnell, aber nicht schnell genug, und als er sie im Feuerwehrmannstil über die Schulter geworfen hatte, waren Haidees Wangen mit blutigen Kratzern übersät.
Haidee schien viel zu erschrocken zu sein, um reagieren, geschweige denn, sich verteidigen zu können. Was so gar nicht zu ihr passte. Niemand hatte solch hoch entwickelte Schutzinstinkte wie Haidee. Entweder wurde sie nachlässig, oder die Trennung von Hass hatte sie langsamer gemacht.
„Du fasst ihn nicht an. Du sprichst nicht mit ihm. Niemals!“, fauchte Kaia, und in ihrer Stimme schwangen die Schreie eines anderen Wesens, ihre eigene Wut und dunkle Schwaden der Finsternis mit.
„Verdammt, Kaia.“ Strider klopfte ihr auf den Hintern. Sie merkte es nicht. Sie versuchte sich umzudrehen und rammte ihm dabei versehentlich ein Knie in den Magen. Und zwar fest. Er atmete heftig aus und krümmte sich, wobei er sie um ein Haar losgelassen hätte. Er justierte seinen Griff neu – eine Hand auf die Rückseite ihrer Beine, die andere auf dem unteren Rücken. Mein Gott, war sie heiß! Und zwar nicht im übertragenen Sinne. Die Hitze sickerte nur so durch ihre Poren und verbrannte ihn.
Gewinnen?
Sein Dämon meldetet sich schon wieder. Na großartig! Wenigstens war sich der Bastard nicht ganz sicher, wie er sich der Harpyie gegenüber verhalten sollte. Ich habe sie doch, oder etwa nicht? Was willst du denn noch?
„Kaia“, sagte Strider. „Wenn du dich nicht beruhigst, tust du mir noch ernsthaft weh.“
Zu seiner Überraschung durchdrangen seine Worte den Nebel ihrer Wut und zeigten Wirkung. Binnen weniger Sekunden beruhigte sie sich. Sie hing noch immer über seiner Schulter, ihre flachen Hände drückten gegen seinen Rücken, ihr heißer Atem strich über sein Shirt, drang durch den Stoff und streichelte seine Haut.
Na, Stridey-Monster, auch wieder da? Den Göttern war Dank, dass ihre Beine die Beule in seiner Hose verbargen.
Gewonnen, seufzte Niederlage zufrieden, und diese Zufriedenheit durchzuckte ihn wie ein Blitz und steigerte seine Lust noch mehr. Eine Lust, die bei Weitem stärker war als alles, was er mit Haidee erlebt hatte.
In der Bar hielten sich mehrere Männer auf, die ihn und Kaia interessiert beobachteten. Er grinste dümmlich. „Frauen.“
Sie nickten verständnisvoll.
Ein finster dreinblickender Amun eilte an Haidees Seite. Haidee sagte nur: „Es ist nichts, Baby. Ehrlich.“ Dennoch nahm er ihr Gesicht vorsichtig in die Hände und warf dann Strider einen wütenden Blick zu.
Als Hüter von Geheimnisse konnte Amun die Gedanken aller lesen, die sich in seiner Nähe aufhielten. Strider hob seine mentale Sperre auf und gewährte seinem Freund Einlass. Denk nicht einmal daran, dich an ihr zu rächen. Das Ganze hätte viel schlimmer enden können, und das weißt du genau. Kaia hat ihr bloß ein paar Kratzer verpasst, sonst nichts.
Du beschützt, was dir gehört, und ich beschütze, was mir gehört, gebärdete sich Amun wütend.
Kaia. Sein. Er wollte die Freude, die sich zu der Lust gesellte, gar nicht erst analysieren. Und er brauchte es auch nicht. Sie gehörte tatsächlich ihm. Aber nur eine Zeit lang, sagte er sich.
Haidee schlang die Finger um den Unterarm ihres Mannes, was eine Blutspur auf seiner mokkafarbenen Haut hinterließ. „Ist schon gut. Ich bin okay.“
Kaia zeichnete etwas auf Striders Rücken, was ihn ablenkte. Ein Herz, dachte er und verspürte den Drang zu lächeln.
Amun schickte noch einen Schwall Zeichensprache zu ihm hinüber. Findest du das etwa lustig?
„Ja. Allerdings. Wenn du uns jetzt entschuldigen würdest? Wir müssen noch etwas erledigen.“ Strider trug Kaia zur Tanzfläche.
Da Sabin noch nicht eingetroffen war, gab es keinen Grund, der Versuchung zu widerstehen. Sanft ließ er Kaia von seiner Schulter gleiten, wobei sie sich fest an ihn drückte. Anstatt die Füße auf die Holzdielen zu stellen, schlang sie die Beine fest um seine Taille, sodass sie mitten auf seiner Erektion zum Sitzen kam.
Strider unterdrückte ein Stöhnen. Wenigstens war ihre Körpertemperatur gesunken, und er brauchte sich keine Sorgen mehr zu machen, dass sein bestes Stück Feuer finge. Er blickte ihr tief in die Augen, und die Welt um ihn herum verschwand. Es gab nur noch Kaia, sein Verlangen und das Bedürfnis, die Wut zu mildern, die er unabsichtlich in ihr geschürt hatte.
Er verschränkte die Arme unter ihren Oberschenkeln, damit sie nicht herunterrutschte und um das vor den Blicken seiner Freunde abzuschirmen, was sie nicht sehen sollten. Das, was ihm gehörte. Ihr Hintern gehörte auf jeden Fall ihm.
„Lass mich los“, sagte sie ohne großen Nachdruck. Er verzichtete darauf zu betonen, dass sie ihn viel fester hielt, als er sie. „Ich werde diese Schlampe umbringen.“
„Nein, Baby Doll, das wirst du nicht.“
„Oh doch.“ Doch das Schwarz verschwand aus ihren Augen und ließ das Silbergold zurück, das er so liebte.
Brrrr. Moment mal. Liebte? Zum Teufel, nein! Er mochte die Farbe, das war alles. „Wo ist denn Miss Handzahm geblieben? Die junge Frau, die ich hergefahren habe?“ Eigentlich hätte die kleine Kostprobe von Miss Handzahm für ihn der Himmel auf Erden sein müssen. Denn schließlich hatte er immer behauptet, genau das von ihr zu wollen. Doch überraschenderweise mochte er sie viel lieber so, wie sie jetzt war. Aufgebracht und wild.
Vielleicht weil die verlockende Aussicht, sie zu zähmen, sein Blut zum Kochen brachte.
Für einen kurzen Moment flackerte wieder das Schwarz auf.
„Miss Handzahm ist tot. Du hast sie umgebracht, als du mit einer anderen Frau geflirtet hast.“
„Falls du es noch nicht wusstest: Tote müssen nicht zwangsläufig für immer tot sein“, neckte er sie. „Vielleicht kann sie aus ihrem Grab wiederauferstehen.“
Sie stieß ein Keuchen aus. „Ich wusste, dass du mich so magst.“ Sie rammte ihm die Faust in die Schulter. „Ich wusste es!“
Er lachte. Er konnte seine Belustigung einfach nicht länger für sich behalten.
Sie hielt inne und sah ihn grimmig an. „Was ist so lustig?“
„Du.“ In diesem Moment war sie so herrlich unlogisch und bezaubernd – und verdammt eifersüchtig. „Am liebsten würde ich dich auffressen.“
Sie öffnete den Mund und verzog ihre Lippen in einer Mischung aus Entsetzen und Hoffnung. „Was?“
Wo er ihre Aufmerksamkeit schon mal hatte … Er legte ihr die Hände direkt unter den Po, hob sie hoch und setzte sie auf die Spitze von Stridey-Monster, der so angespannt war wie selten zuvor. „Willst du mir erklären, was da gerade los war? Mit Haidee?“
Sie starrte über seine Schulter, und ihr Gesicht verschloss sich. Dennoch knabberte sie auf ihrer Unterlippe herum, als er das Becken nach vorn schob und sich an ihr rieb. „Nein. Will ich nicht.“
„Tu es trotzdem.“
Noch eine Bewegung mit der Hüfte. Das Knabbern wurde heftiger. Das ist zu viel, dachte er. Zu viel für diesen überfüllten Raum. Er hielt sie ruhig.
„Sag es mir“, forderte er sie auf.
Eine Pause. Dann ein schmollendes: „Du magst sie mehr als mich.“
Sie hatte einem ganzen Clan voll rachsüchtiger Harpyien gegenübergestanden, ohne sich zu beklagen, aber der Gedanke an ihn mit einer anderen war mehr, als sie ertragen konnte. Das war Balsam für sein Ego, sicher. Aber es gefiel ihm nicht, dass er ihr wehgetan hatte. „Nein, Baby Doll, das tue ich nicht.“
„Tust du wohl. Du hast es selbst gesagt.“
„Dann war ich verrückt. Und sehr, sehr dumm. Das tut mir ehrlich leid.“ Es war die Wahrheit. Er hatte nur gedacht, in Haidee verliebt zu sein. Hatte sich von der Herausforderung, das Herz eines Feindes zu gewinnen, in die Irre führen lassen.
Nach dem Sieg hätte er sie ohne Reue verlassen. Ganz leicht. Aber Kaia gegenüber hatte er sich richtig gemein verhalten – vielleicht weil er tief im Innern gespürt hatte, dass er sie nicht so einfach verlassen könnte.
„Ich mag dich. Sehr sogar.“
Sie hob das Kinn, wodurch wieder dieser liebenswerte, für sie so typische sture Ausdruck entstand. „Aber ich habe mit Paris geschlafen, und das kannst du niemals vergessen.“
Ja, das hatte er ihr immer wieder unter die Nase gerieben, nicht wahr? Wirklich dumm von ihm. Bislang hatte ihn diese Tatsache extrem gestört – weil er ein bisschen eifersüchtig und verletzt gewesen war, dass sie Paris ihm vorgezogen hatte –, aber jetzt erschien es ihm unwichtig.
Mit wie vielen Frauen war Strider in all den Jahren zusammen gewesen? Mit wie vielen, seit Kaia sich ihm erklärt hatte? Jede dieser Frauen hätte eine Freundin von ihr sein können.
„Kurze Eilmeldung“, sagte er, in der Hoffnung, die Kränkung zu mildern, die er verursacht hatte, „die Hälfte der Leute in diesem Raum hat schon mit Paris geschlafen.“
Hoffnung blühte auf, das Gold verschlang ihre Augen, überschattete sogar das Silber – nur um rasch wieder zu ersterben. „Du wirst nie darüber hinwegkommen. Jedenfalls nicht richtig. Nicht bei mir.“
Okay, da war wohl ein wenig Schadensbegrenzung angezeigt. „Bitte erlaube mir, das glattzubügeln. Bin ich eifersüchtig? Ja. Wirst du es noch einmal tun? Hölle, nein. Nicht wenn du willst, dass er weiterhin atmet. Mache ich mir seinetwegen Gedanken über unser erstes Mal? Ja. Was ist, wenn ich nicht so gut bin? Aber verurteile ich das, was geschehen ist? Nein. Du sprichst hier mit einem, der es selber ziemlich wild getrieben hat, Kaia. Als ob ich in der Position wäre, über andere zu urteilen.“
„Du bist eifersüchtig?“ Der strahlende Glanz ihrer Haut schimmerte plötzlich unter ihrem Make-up hervor, als ihre Körpertemperatur stieg.
Sein Herz nahm einen unregelmäßigen Rhythmus auf. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Einmal probieren, bald, sehr bald. Er musste sie einmal probieren. „Ja. Und ich habe noch eine Neuigkeit für dich.“ Er sprach undeutlich, als wäre er vor lauter Verlangen ganz betrunken. „Ich bin ziemlich besitzergreifend. Und das wird sich niemals ändern.“
„Ich will gar nicht, dass sich das ändert. Das gefällt mir nämlich so an dir.“
„Gut.“ Die wenigen Male, die er sich auf diese Beziehungssache eingelassen hatte, war ihm seine Besitzgier schnell zum Verhängnis geworden.
„Und ich …“ Auf einmal verfinsterte sich ihr Blick, und das Leuchten ihrer Haut verblasste genauso wie zuvor die Hoffnung. „Das sagst du alles nur, weil ich die Zweiadrige Rute für dich gewinnen soll.“
Tja, dieses Misstrauen hatte er wohl verdient. Dabei lag Kaia so was von falsch. Er spürte, wie sich sein schlechtes Gewissen regte. Ganz egal, was er als Nächstes sagte, ganz gleich, ob sie ihm jetzt glaubte – wenn er diese verdammte Rute tatsächlich stähle, würde sie denken, er hätte gelogen.
Darüber kannst du dir später Gedanken machen. „Hat die Rute sexy, rote Haare und einen heißen Körper, der sich gerade an mich schmiegt?“
Sie verzog ihren sinnlichen Mund. „Nein.“
Wie zum Küssen gemacht … „Dann bin ich mir ziemlich sicher, dass ich dich um deiner selbst willen mag. Ich meine, was sollte mir an dir denn nicht gefallen?“
„Stimmt“, erwiderte sie, jedoch ohne sich zu entspannen.
„Ich bin in der Tat ziemlich toll.“
„Mehr als ziemlich.“
„Ich weiß. Und niemand wird mir je das Gegenteil einreden können. Ganz egal, wie sehr er sich auch bemüht.“ Ihre Worte trafen einen wunden Punkt, denn sie erinnerten ihn daran, wie oft er versucht hatte, ihren Stolz zu zerrütten, um sich selbst davor zu schützen, sie zu begehren.
Auch wenn das nie funktioniert hatte.
Niederlage regte sich, und Strider vertrieb ihn mental in eine dunkle Ecke. Er konnte jetzt keine Störung durch seinen Dämon gebrauchen. Das hier war eine Sache zwischen ihm und Kaia.
„Tut mir leid, dass ich jemals etwas anderes gesagt habe“, sagte er. „Ich habe ganz offensichtlich an irgendeinem Hirnschaden gelitten.“
„Hatte ich mir schon gedacht.“ Zwar entspannte sich ihre Miene, nicht aber ihr Körper. „Was gefällt dir noch an mir – abgesehen von meinen wunderschönen Haaren und meinem tollen Körper? Denn als wir das letzte Mal darüber sprachen, meintest du, ich würde dir zu viele Schwierigkeiten machen. Du hast gesagt, ich würde dich unentwegt herausfordern, und du hättest keine Lust darauf, dich andauernd mit mir auseinanderzusetzen.“
„Wirst du mir in Zukunft bei jedem Streit alles um die Ohren hauen, was ich jemals zu dir gesagt habe?“
„Auf jeden Fall.“ Sie gab es freiwillig und ohne zu zögern zu.
„Okay, ich wollt’s nur wissen.“ Und hier kam das Schockierende: Es gefiel ihm. Wer einen Kampf gewinnen wollte, musste jede erdenkliche Waffe einsetzen, und sie schwang seine zurückliegende Dummheit wie ein Samuraischwert. Sie schnitt ihn damit und zeigte ihm zugleich, wie er ihre Wunden heilen konnte.
„Und?“
„Du forderst mich in der Tat unentwegt heraus, das kann ich nicht leugnen.“ Sie erstarrte, und er beeilte sich fortzufahren: „Aber ich muss feststellen, dass es mir nichts ausmacht.“
Wut blitzte auf, ein stürmisches Silber ohne einen Hauch von Gold. „Es macht dir nichts aus? Was bin ich nur für ein Glückspilz! Falls dir eine der Exfreundinnen jemals gesagt haben sollte, dass du gut mit Worten umgehen kannst, hat sie gelogen.“
Kaia löste ihre Knöchel und nahm die Beine herunter. Doch er ließ sie nicht los, sondern zwang sie, sich weiterhin an ihn zu drücken – und sich weiter an ihm zu reiben. Mit genau dem richtigen Druck, ohne ihn zu sehr zu stimulieren.
„Sieh mal“, sagte er. „Du bringst mich zum Lachen. Du erregst mich. Und ich stelle fest, dass mir das, wovon ich dachte, ich würde es nicht ausstehen können, am allermeisten an dir gefällt. Außerdem weiß ich, dass ich auch nicht gerade ein Zuckerschlecken bin.“
Sie fing an, sich zu entspannen. Bei seinen letzten Worten verzog sie das Gesicht zu einer Grimasse. „Du schaufelst dir dein Grab immer tiefer, du Hornochse.“
„Komm schon, Baby Doll.“ Er spreizte die Finger und hätte dabei fast ihre intimste Stelle berührt, während er sich der aufregendsten Achterbahnfahrt der Welt entgegenneigte. „Ich bin ein Neuling auf dem Gebiet ‚Gemahl sein‘. Gib mir etwas mehr Freiraum.“
Ja, er wusste, dass es lustig war, sie um emotionalen Freiraum zu bitten, während er ihr im selben Moment jeglichen körperlichen Freiraum untersagte, aber hallo? Er war schließlich ein Kerl. Da war das doch zu erwarten. Doch als er im nächsten Augenblick begriff, was er soeben gesagt hatte, erstarrte er, und es schien ihm, als könne er nicht einmal mehr atmen.
Plötzlich strahlte sie pure Verletzlichkeit aus. „Ist das ein Zugeständnis, dass du zu mir gehörst?“, fragte sie.
War es das? „Ja“, erwiderte er, „für die nächsten Wochen werde ich dir der beste verdammte Gemahl sein, dem du je begegnet bist. Danach kann ich für nichts garantieren. Ich war noch nie der Typ für ‚bis in alle Ewigkeit‘. Wenn alles vorüber ist, müssen wir die Lage neu bewerten und sehen, wie es uns damit geht.“
Ein Gedanke blitzte in seinem Bewusstsein auf. Was, wenn sie ihm nicht verzeihen könnte, die Rute gestohlen zu haben? Was, wenn diese Tat nicht in die Kategorie „einem Gemahl verzeihen wir fast alles“ fiel? Dann gäbe es keine Neubewertung, weil sie nichts mehr mit ihm würde zu tun haben wollen. Dann wären sie fertig miteinander.
Die Panik überkam ihn. Er musste sie davon überzeugen, ihn mit Haut und Haar zu nehmen, und zwar jetzt. Dann fiele es ihr später schwerer, ihn aus ihrem Leben zu verbannen.
Auch wenn er natürlich gar nicht länger in ihrer Nähe würde bleiben wollen. Wie er gesagt hatte: Er war noch nie der Typ für „glücklich bis ans Lebensende“ gewesen. Ein paar Monate schon, aber niemals länger. Und dennoch konnte er sich im Moment nicht vorstellen, Kaia nicht zu wollen. In diesem Moment hasste er die Vorstellung, ohne sie zu sein. Und deshalb musste er sie überzeugen.
„Gib mir eine Chance“, beschwor er sie. „Bitte.“
Gewinnen? fragte Niederlage.
Zurück in deine Ecke.
Entfernt nahm er wahr, dass sich die Musik verändert hatte. Sie war jetzt härter und schneller, doch er weigerte sich, sein langsames Tempo mit Kaia zu beschleunigen.
Ihre Schultern sackten nach unten, doch statt enttäuscht davonzustapfen, weil er ihr nicht versprochen hatte, für immer zu bleiben, legte sie ihm die flachen Hände auf die Brust und flüsterte: „Das ist nicht genug. Ich wünschte, es wäre anders, aber …“
„Zum jetzigen Zeitpunkt ist es alles, was ich dir anbieten kann.“ Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und zwang sie, ihn weiter anzusehen. „Ich weiß genau, dass ich die Vorstellung von dir mit einem anderen hasse. Ich weiß, dass du die einzige Frau bist, die ich begehre.“
Sie fing wieder an, auf ihrer Unterlippe herumzukauen, und fast, fast hätte er das für sie übernommen. Aber noch nicht. Nicht bevor sie eingewilligt hatte.
„Wieso hast du deine Meinung geändert?“, wollte sie wissen. „An meinen hervorragenden Kampfkünsten liegt es ja wahrscheinlich nicht, nachdem ich beim ersten Wettkampf mit Pauken und Trompeten untergegangen bin.“
Sein Magen brannte, als ein Bild von ihr durch seinen Kopf wehte. Ihr Körper schlaff und blutverschmiert. Ihr Gesicht geschwollen, ihre Gliedmaßen zerfetzt. Nie wieder, dachte er düster. Ich werde dich beschützen.
Gewinnen?
Diesmal versuchte er nicht, Niederlage zu verscheuchen. Was das anging: ja. Er würde jede Herausforderung annehmen.
Noch ehe er auf Kaias Frage antworten konnte, senkte sie den Blick und fügte hinzu: „Einmal habe ich für dich einen Kampf verloren. Weißt du noch? Die Nacht mit den Jägern? Ich habe dich herausgefordert, mehr Jäger zu töten als ich, und ich hätte problemlos siegen können. Doch stattdessen habe ich meine Opfer dir überlassen.“
Seine Brust zog sich zusammen, als ihn ein unbekanntes Gefühl durchbohrte. „Ja, das weiß ich noch, Baby Doll, und ich habe dir nie dafür gedankt. Das tut mir leid.“
„Dank hin oder her – ich werde so etwas nicht noch einmal tun. Ich werde nie wieder deinetwegen einen Kampf verlieren“, sagte sie in sanftem Ton.
„Da bin ich froh.“ Ihr Stolz war genauso groß wie seiner. Sie hasste es, zu verlieren, und obwohl sie dabei keine körperlichen Schmerzen erlitt, spürte sie dennoch unbeschreibliche mentale Qualen.
Ihre eigenen Leute nannten sie Kaia die Enttäuschung, verdammt. Deshalb strebte sie stets danach, sich als würdig zu erweisen. Das begriff er nun. Allein deshalb hatte sie ihn herausgefordert. Sie hatte beweisen wollen, dass sie gut genug für ihn war. Und dass sie absichtlich verloren hatte, demonstrierte, wie viel sie für ihn empfand. Auch das wurde ihm jetzt klar.
Dabei hatte sie es gar nicht nötig, irgendwem irgendetwas zu beweisen.
Trotzdem. Wie hatte er sich dafür revanchiert? Indem er sie wieder und wieder zurückgestoßen hatte. In ihm explodierte das schlechte Gewissen – eine Bombe, die er ganz allein gebaut hatte. Von nun an keine Zurückweisung mehr. Solange sie zusammen wären, würde er sie mit der Achtsamkeit und Fürsorge behandeln, die sie verdient hatte.
„Im Moment bist du zufrieden.“ Sie blinzelte ihn an, und ihr warmer, süßer Atem streichelte seinen Hals. Sein Puls wurde schneller, wollte sich keinen einzigen Atemzug entgehen lassen. „Aber wenn ich dich in irgendeiner Sache schlage, wirst du leiden.“
„Und du wirst mich küssen, damit es mir wieder besser geht. Nicht wahr?“
Sie grub ihm die Fingernägel durch sein T-Shirt in die Haut. „Ich … Ich … weiß nicht, was ich sagen soll.“
„Sag, dass du mich nicht absichtlich zu einer Sache herausfordern wirst, die ich unmöglich gewinnen kann.“
Ein Moment verstrich in Stille, während sie über seine Worte nachdachte. „Ich werde es versuchen, aber versprechen kann ich es nicht. Manchmal bringst du einfach meine schlechtesten Seiten zum Vorschein.“
Ha! Er brachte nur das Beste in ihr zum Vorschein. Da war kein Ego-Alarm nötig. Die Wahrheit blieb die Wahrheit – egal wie sehr man sie auseinandernahm. „Wie dem auch sei. Wir werden schon einen Weg finden.“
„Ja, wir werden …“ Ganz langsam kniff sie die Augen zusammen und bohrte ihm die Nägel noch tiefer ins Fleisch. „Ja, ja. Endlich lerne ich mal Mister Handzahm kennen. Wickelst du mich gerade etwa nach allen Regeln der Kunst um den Finger, damit ich Haidee in Ruhe lasse?“
Immer argwöhnisch, aber das lag eben in der Natur dieses kleinen Biests. In dieser Hinsicht waren sie sich wirklich sehr ähnlich. „Wenn du es immer noch willst, kannst du ihr ruhig etwas antun. Allerdings wird Amun dann ziemlich sauer werden und sich auf mich stürzen. Und dann werde ich ihn verletzen müssen.“
„Na schön“, erwiderte sie seufzend. „Ich mag Amun. Und deshalb werde ich Haidee in Ruhe lassen.“
„Danke“, erwiderte er zähneknirschend. Sie mochte Amun?
Sie nahm eine Hand von seiner Brust und warf sich die Haare über die Schulter. „Also, was gefällt dir an mir? Das hast du noch nicht gesagt. Du kannst ruhig bildhaft sprechen und vielleicht hier und da etwas Poesie einflechten. Oder vielleicht einen dieser kleinen Limericks, die du neulich erwähnt hast.“
Sie wollte es ihm wohl schwer machen, hm? Obwohl sie sich schon längst entschieden hatte, ihm zu geben, was er wollte. Alle Privilegien eines Gemahls, die unsichere Zukunft hin oder her. Sicher, das hatte sie so noch nicht gesagt, aber das brauchte sie auch nicht. Er wusste es einfach. Sie war hier, in seinen Armen, und wollte, dass er sie umwarb.
Typisch Kaia. Niemals langweilig, sondern immer ein Heidenspaß. Zu alledem beherrschte sie die Kunst, Niederlage zu erfreuen, beinahe perfekt. Hier und da bot sie ihm kleine Herausforderungen an, um ihn zu nähren. Herausforderungen, die Strider ohne Probleme gewinnen konnte.
Gewinnen.
Aha. Sie hatte es schon wieder getan; sie hatte ihn zu etwas Leichtem herausgefordert. Aber würde er in der Disziplin „Poesie“ den Sieg nach Hause tragen? Götter, nein. „Na ja, mal sehen“, begann er heiser. „Ich mag deinen klugen Mund. Ich mag deinen schmollenden Mund. Ich mag deinen verrückten Mund. Ich mag deinen schreienden Mund. Ich mag …“
„Meinen Mund“, unterbrach sie ihn trocken und verdrehte die Augen. Doch in ihren Augen funkelte Erregung. Sie drückte sich an den harten Beweis seiner Lust und rieb ihn genau so, wie er es mochte. „Sag mir, warum.“
„Nein. Ich zeige es dir.“ Er legte ihr eine Hand in den Nacken und zog ihren Kopf auch das letzte Stückchen zu sich heran. Ihre Lippen trafen aufeinander, öffneten sich, ihre Zungen begrüßten einander. Sie schmeckte nach Minze und Kirsche, und er erkor diese Mischung zu seinem neuen Lieblingsgeschmack.
Sie zerwühlte ihm die Haare, grub ihre Krallen in seine Kopfhaut. Lust zirkulierte in seinen Adern, die reine, pure Lust, die alles andere ausblendete. Die Leute um sie herum, die Umstände, die Konsequenzen. Er hielt das Feuer in seinen Armen und sehnte sich danach, von den Flammen verbrannt zu werden.
Und er wollte auch sie verbrennen. Wollte sein Wesen in jeden Teil von ihr brennen und sie als seine Frau neu erschaffen. Jeder, der sie ansähe, der sich ihr näherte, wüsste, wem sie gehörte.
Mir, sie gehört mir. Verflucht, sie erregte ihn. Ihre Zungen duellierten sich, selbst das war ein Kampf. So ein köstlicher Kampf. Er gewann die Oberhand und machte ihren Mund zu seinem Territorium. Er spürte ihre harten Perlen an seiner Brust und hätte am liebsten hineingezwickt. Wäre am liebsten mit den Fingern tief in sie eingedrungen, um sie zum Höhepunkt der Lust zu tragen.
„Strider“, hauchte sie.
„Baby Doll.“
„Nicht aufhören.“
Gewonnen, sagte Niederlage seufzend und pumpte noch mehr von dem Glücksgefühl durch Striders Körper – wodurch sein Verlangen noch stärker wurde.
Strider schob sie vor sich her. Bei jedem knarrenden Schritt wurde die Reibung zwischen ihnen stärker. Als sie den nächsten Tisch erreicht hatten, beugte er sich nach vorn, fegte mit dem Arm sämtliche Bierflaschen herunter und hörte sie in der Ferne auf dem Boden zersplittern. Er drückte Kaia auf das Holz.
Er wollte Sachen mit ihr anstellen. Böse Sachen. Nein, gute Sachen, korrigierte er sich. Er musste gute Sachen mit ihr anstellen. Musste ihr Bester sein. Aber vielleicht würde er sie zu einigen dieser schlechten Sachen drängen, sie dazu bringen, alles zu nehmen, was er zu geben hatte. Sie dazu bringen zu betteln, ihn zu brauchen, sich nach ihm zu sehnen wie nach einer Droge.
„Woo-hoo! Yeah, Baby, yeah!“, rief Anya, die Halbgöttin der Anarchie, und ihre Stimme zerrte ihn gewaltsam aus dem Nebel der Lust. „Reiß ihm die Kleider vom Leib, Kaia. Zeig uns, was er zu bieten hat!“
Knurrend richtete Strider sich auf. Er ließ den Blick durch den Raum schweifen, während seine Gedanken rasten. Vernichte die Leute, und mach weiter damit, Kaia zu küssen. Als er begriff, dass jede einzelne Person in der Bar sie beobachtete, kühlte seine innerliche Hitze ab. Einige beobachteten sie grinsend, andere verblüfft und wieder andere – nämlich die Menschen – lüstern.
Die Hitze kehrte zurück, wenn auch aus einem völlig anderen Grund. Wut, unsägliche Wut überschattete seine Lust. Er wollte nicht, dass irgendwer Kaia so sah – verloren und gierig, wild auf ihn. Das konnte er nicht zulassen. Und das würde er auch nicht zulassen.
Er packte sie am Arm, zog sie auf die Füße und strich ihr das Kleid glatt. Seine Bewegungen waren steif und abgehackt. Wie hatte er ihr Publikum auch nur für eine einzige Sekunde vergessen können? Jemand hätte ihn angreifen können. Ihn überwältigen. Wie hatte er vergessen können, was mit ihm geschähe, wenn er nicht Kaias Bester war? Ihr bester Küsser. Der Beste in ihrem Bett. Er wäre zerstört, zu schwach, um in seiner Mission erfolgreich zu sein, und ihr in den bevorstehenden Wettkämpfen keine Hilfe.
Allerdings … wurde er momentan nicht vom Schmerz in die Knie gezwungen, weshalb er ganz offensichtlich ihr bester Küsser gewesen war. Wieder mal. Bei dieser Erkenntnis blähte sich seine Brust vor Stolz auf. Natürlich war er der Beste gewesen und … Ego-Alarm.
Er hatte Besseres zu tun, als seine Einzigartigkeit zu loben. Wie zum Beispiel sie den Jungs zu übergeben, die sie für den nächsten Wettkampf fit machen wollten, und sie dann zurück ins Motel zu bringen.
Gewonnen, gewonnen, gewonnen, sagte Niederlage seufzend, und noch mehr Glücksgefühle machten sich in Strider breit.
Ich habe nie daran gezweifelt. Mit düsterem Blick sah er seine Freunde an. „Genug herumgespielt“, sagte er knapp, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder Kaia widmete. „Schnapp dir die Jungs, und geh mit ihnen nach draußen. Tu das, wozu ich dich hergebracht habe.“
Sie sah ihn überrascht an. „Du kommst nicht mit?“
„Nein.“ Er gab ihr einen sanften Schubs. „Und jetzt geh.“