7. KAPITEL
Kaia hatte das Gefühl, schon immer auf diesen Moment gewartet zu haben. Und irgendwie hatte sie das auch. Endlich lag sie in den Armen ihres Gemahls, der ihre Sehnsüchte erwiderte. Ihre wildesten, sinnlichsten Sehnsüchte. Strider presste die Lippen auf ihre. Seine heiße Zunge wanderte in ihren Mund und tanzte mit der ihren. Sein Geschmack erfüllte sie, verschlang sie. Noch nie hatte sie Zimt mehr geliebt als in diesem Moment. So süß und würzig mit einem Hauch Schärfe.
Mit seinem muskulösen Körper drückte er sie fest auf die Matratze, und die Waffen, die er am ganzen Körper trug, verursachten ihr vermutlich blaue Flecke. Aber das war ihr vollkommen egal. Was waren schon ein paar blaue Flecken, wenn Strider gerade ihren Kopf zwischen seine Hände nahm, um den Kuss noch zu vertiefen? Wenn ihre harten Brustwarzen bei jedem Atemzug an seiner Brust rieben und ihr Verlangen immer stärker wurde?
Sie spreizte die Beine, damit er sich mit dem Unterleib enger an sie schmiegen konnte. Er fühlte sich so herrlich groß an und traf sie genau an der richtigen Stelle. Sie atmete scharf ein. Heißer, heißer, noch heißer.
„Strider“, stöhnte sie.
„Kaia.“
Ihr Name auf seinen Lippen … Himmel und Hölle, süß und quälend. Ein Sirenenlied. „Mehr.“
„Wie magst du es?“
„So wie du es mir gibst.“ Ihre Fingernägel hatten sich schon in Krallen verwandelt. Versehentlich zerschnitt sie ihm T-Shirt und Haut, als sie ihm über den Rücken kratzte. Er stöhnte, und ihre Zähne schabten aneinander. Sie spürte, wie er ihr Gesicht fester hielt. „Entschuldige“, sagte sie atemlos. Mit den Knien umklammerte sie seine Hüfte, nur für den Fall, dass er vorhatte, sich wieder zurückzuziehen.
„Hör auf, dich zu entschuldigen“, erwiderte er. „Mach es einfach noch mal.“ Er saugte fest an ihrer Unterlippe, bis sie am ganzen Körper Gänsehaut hatte.
Noch nie hatte sie Worte gehört, die erotischer und befreiender gewesen wären. Als Harpyie war sie stärker und lasterhafter als die meisten anderen Unsterblichen. Sie hatte immer ihre Leidenschaft und ihr Temperament zügeln und sich beherrschen müssen. Selbst bei Paris.
Aber bei Strider bräuchte sie sich nicht zu beherrschen – und sie täte es auch nicht. Was sie auch von ihm verlangte, er käme damit zurecht. Hölle, er würde es genießen. Für alles andere war er viel zu stark und viel zu entschlossen. Er mochte wie ein Engel aussehen, aber er war bei Weitem gefährlicher als jeder andere Herr. Und zudem noch gefährlich auf die bestmögliche Art. Teuflisch gefährlich. Sanft und vorsichtig – das war nicht sein Stil.
Er hatte einen total schrägen Humor. Wenn er einen seiner Freunde an das Bett einer Frau gefesselt vorfand (hüstel, Lucien, hüstel), machte er Fotos davon und mailte sie an alle Bekannten. Wie cool war das denn, bitte?
So ein Mann würde niemals von ihr verlangen, mit dem Stehlen aufzuhören. Eher würde er sie auf ihren obligatorischen Diebeszügen begleiten und dafür sorgen, dass ihre dunkle Seite glücklich war, ohne dass sie allzu viel Schaden anrichtete. Außerdem kannte er Triumph und Niederlage besser als jeder andere. Er würde alles genießen, was sie vollbrachte, egal ob gut, schlecht oder hässlich. Er wäre der Erste, der ihr sagen würde, wenn sie versagt hätte, aber er würde sie niemals abschreiben.
Vielleicht aber war der Mann, den sie sich in Gedanken ausmalte, auch nur eine Fantasiegestalt. Denn der Kerl, der gerade auf ihr lag, wollte einen Tauschhandel mit ihr eingehen: sein Körper als Gegenleistung für ihre Kooperation. Und das machte sie wirklich stinkwütend – wenn auch nicht so wütend, dass sie jetzt aufhören würde, ihn zu küssen.
Er ist die Droge meiner Wahl, dachte sie, und ich bin jetzt schon süchtig nach ihm.
„Kaia! Konzentrier dich verdammt noch mal auf das, was hier gerade passiert“, knurrte er.
Mit einem Mal war sie wieder im Hier und Jetzt. Sie blinzelte ihn an. Er keuchte und schwitzte – vielleicht mehr, als er sollte –, und sein Gesicht war angespannt. Anscheinend hatte er sie schon eine ganze Weile gerufen. Und verdammt noch mal, sie hatte aufgehört, ihn zu küssen, um über seine Tugenden und Torheiten nachzusinnen. Ein Fehler, den sie umgehend wiedergutmachen würde.
„Ich bin hier.“ Sie schlang die Beine um seinen Körper und verhakte die Knöchel ineinander. Nun spürte sie seine Erregung noch deutlicher. Er fühlte sich so gut an. So hart. So perfekt. So verdammt heiß.
„Braves Mädchen.“ Seine Zunge glitt wieder in ihren Mund, und jetzt glich der wilde Tanz einem Duell um die Dominanz.
Sie ließ ihn gewinnen, unterwarf sich ihm, erlaubte ihm, die Führung zu übernehmen und sie zur völligen Befriedigung zu treiben. Oder vielleicht zum Wahnsinn. Das Verlangen vernebelte ihr den Verstand, ihr Blut begann zu kochen und ihre Harpyie trällerte Beifall.
Davon hatte sie geträumt, das hatte sie sich ausgemalt, danach hatte sie sich mit jeder Faser ihres Körpers gesehnt. Ihr Mann, der ihre Nähe genoss und sich an ihr rieb. Sie würde nie genug von ihm bekommen, würde immer mehr wollen. Immer mehr brauchen. Ihre Nervenenden fingen Feuer, die stetig wachsende Glut war beinahe zu viel, der Schmerz zwischen ihren Beinen heftig.
Sie musste diese Abmachung besiegeln. Musste ihn fast zu Tode lieben, sie aneinanderbinden und ihm nie, nie erlauben, ihr zu entfliehen. Niemals einer anderen Harpyie erlauben, sich ihm zu nähern. Er gehörte ihr. Er würde immer ihr gehören.
So darfst du nicht denken. Er ist ein Krieger, der es gewohnt ist, die Kontrolle zu haben. Wenn du versuchst, ihn an dich zu binden, wird er davonlaufen. Das hier muss eine Partnerschaft sein und keine Harpyiatorschaft. Ja, okay. Sie könnte es tun. Mit ihm arbeiten. Alles, damit er bei ihr bliebe, sie ihn wieder küssen und ihn haben könnte. Und zwar mit Haut und Haaren.
Die Frage war nur: Könnte er auch mit ihr arbeiten?
„Verdammt, Kaia.“ Er nahm die Hand von ihrem Gesicht, legte sie auf eine ihrer Brüste und drückte sie leicht. „Was zum Teufel geht in deinem Kopf vor?“
„Du, wir, zusammen. Ja.“ Sie stöhnte und lehnte sich in seine Berührung. Heiß, sie war so heiß, und sie wurde immer heißer. „Mehr.“
„Ja, gut. Fester?“
„Fester. Bitte.“ Sie hob das Becken, sodass die Bettfedern quietschten, und drückte sich noch fester an ihn. So erregt, wie sie war, hätte auch Dampf aus ihren Poren dringen, sie beide umhüllen und die Luft anreichern können. „Mehr. Alles.“
„Verflucht! Dein Mund ist ja der reinste Feuersturm. Er brennt. Aber gut, Baby, ich werde dir …“ Er sog angestrengt Luft ein, verkrampfte und fluchte. Er fluchte so heftig, dass sie nicht überrascht gewesen wäre, wenn ihre Ohren zu bluten angefangen hätten. „In Ordnung. Ja. Das machen wir. Du und ich. Ich gebe dir mehr, alles.“
Seine Stimme klingt irgendwie seltsam, dachte sie benommen. Nicht mehr erregt, sondern genauso steif, wie sein Körper auf einmal war, und so formal. Fast schon roboterhaft. Warum? Was hatte sich geändert? Sie bedauerte den Verlust.
Wieder legte er seinen Mund auf ihren und küsste sie weiter. Sie rieb ihre empfindsamste Stelle an seiner, konnte einfach nicht damit aufhören, und hielt ihn weiter fest umklammert. Er drückte sich an sie, seine Haut war schweißnass. Sie fiel zurück aufs Bett, doch die ganze Zeit über kämpfte sie sich durch den Nebel der Lust, der allmählich abkühlte. Sie musste unbedingt herausfinden, was mit ihm los war.
Immer wieder glitt seine Zunge in ihren Mund und wieder heraus, als hätten ihre Münder Sex. Mit der Hand drückte er ihre Brust. Gleichzeitig ließ er das Becken kreisen, sodass er ihre erregte Perle streifte. Es war ein Tanz. Jede Bewegung passte zum Rhythmus der nächsten. Seine Technik war makellos. Nicht mehr lange, und sie würde den Höhepunkt erreichen.
Technik, dachte sie als Nächstes. Ja, genau das war es. Eine Technik. Er war genau an der richtigen Stelle hart, ja, aber auch an anderen Stellen – seine Muskeln waren hart wie Stein. Kein hingebungsvolles Stöhnen. Wie auch? Jede Bewegung seiner Zunge war kalkuliert, als dächte er darüber nach, was er tun sollte, statt sich von seinem Instinkt leiten zu lassen. Als hätte er die Kontrolle über alles und wäre er meilenweit davon entfernt, sich in ihr zu verlieren.
Was bedeutete, dass er nicht genoss, was er gerade tat. Er absolvierte nur eine Vorstellung. Fachte ihr Verlangen immer weiter an und manipulierte sie. Gab ihr, was sie wollte, nahm sich aber nicht, was er brauchte.
Irgendwie hatte er es geschafft, sich mental abzukoppeln.
„Was gefällt dir?“, fragte er. „Sag es mir, und ich mache es.“
Sie hätte jede x-beliebige Frau sein können, es hätte ihn nicht interessiert. Und wenn es vorbei wäre, hätte er sie genommen, sie gehabt, aber sie wäre nur eine von tausend anderen gewesen – unwichtig und vergänglich. Ein leichter Sieg. Ein Mittel zum Zweck.
Nein. Nein! Sie würde nicht Kaia die Enttäuschung sein. Nicht bei ihm. Sie würde sich nicht mit einer vorgetäuschten Zuneigung zufriedengeben und es sich schönreden. Sie wollte alles oder nichts. Abmachungen waren etwas für Schwächlinge.
Aber sie war kein Schwächling.
Doch obwohl sie wusste, was er tat, obwohl sie – wieder – zutiefst verletzt war und obwohl sie sich inständig wünschte, von ihm erlöst zu werden, brachte sie es nicht fertig, ihm etwas anzutun. Weder eigenhändig, noch indem sie seinen Dämon benutzte. Er musste diesen Wettbewerb des Wollens gewinnen, ohne ihren Stolz noch mehr zu ersticken, als er es bereits getan hatte. Irgendwie.
Sie schluckte ein bitteres Lachen herunter. Wieder einmal würde sie einen Wettkampf ausrufen. Nur dass der Preis dieses Mal weitaus wichtiger war. Sein Körper … und sein Herz? Nein, nicht sein Herz. Das würde er niemals anbieten. Jedenfalls nicht ihr. Dieselbe Entschlossenheit, die ihn zu solch einem wilden Krieger und Liebhaber gemacht hatte, hatte ihn auch in einen emotionalen Eigenbrötler verwandelt.
Kühler … und kühler … „Strider?“
Seine Zunge streifte ihre, er drückte ihre Brust. „Sag es mir“, erwiderte er, ohne ihren Einwurf zu beachten. „Dein Mund … die Hitze ist weg.“
„Tut mir leid.“
„Muss es nicht. Ich mag beides. Aber warum ist sie weg?“
Genug jetzt. Außerdem wusste sie es nicht. Noch nie zuvor war sie so heiß geworden. „Ich glaube … Ich glaube nicht, dass du aufhören kannst.“ Götter! Nachdem sie die Worte gesagt hatte, nachdem sie kratzig durch ihre Kehle gewandert waren, zitterte sie frustriert.
Er erstarrte über ihr. Noch immer tropfte der Schweiß von ihm herunter. Sein T-Shirt war klitschnass und klebte ihm an der Brust. „Was hast du gerade gesagt?“
„Ich glaube nicht, dass du aufhören kannst, mich zu küssen und zu berühren.“
Unter einem Schwall finsterer Flüche erhob er sich blitzschnell von ihr und stieg aus dem Bett. Am Rand der Matratze blieb er stehen und starrte auf Kaia hinunter, während sie sich langsam aufsetzte. Sie kämpfte um jeden Atemzug, und in ihrer Lunge wurde es immer kälter … und kälter.
„Verdammt, Kaia!“
Sie bleckte ihre scharfen Fangzähne. „So heiße ich nicht.“
Er stutzte. „Was? Kaia? Zufällig weiß ich es besser.“
„Nein. Ich heiße nicht verdammt Kaia.“
Er kniff die Augen zusammen, während seine Mundwinkel zuckten. „Wie auch immer.“
Das war alles, was er zu sagen hatte? Nach allem, was er gerade getan hatte?
„Stiehlst du nun die Zweiadrige Rute für mich oder nicht?“, fragte er.
Offensichtlich schon.
Empfand er denn gar nichts für sie? Keinen Funken echter Leidenschaft? Sie leckte sich über die Lippen und fühlte sich ermutigt, als sie bemerkte, dass er der Bewegung mit dem Blick folgte. „Nein. Aber“, sprach sie schnell weiter, bevor sein Dämon ihn dafür bestrafen konnte, dass er es nicht geschafft hatte, sie zu überzeugen. Und, ja, sie wusste, dass dies einer der Gründe dafür war, warum er sie in dieser Sache so bedrängte. Jedenfalls hoffte sie das. Dadurch fiel es ihr leichter, ihm zu verzeihen, dass er ihren elektrisierenden Kuss auf einen Verhandlungsgegenstand reduziert hatte. „Wir werden einen Kompromiss schließen.“
Er schüttelte ein Mal den Kopf und erwiderte steif: „Nein.“
„Doch.“
„Nein.“
„Doch. Ein Kompromiss verschont dich vor körperlichen Qualen.“
Er kniff die Augen noch weiter zusammen, sodass das Blau seiner Iris nicht mehr zu sehen war. „Aber er hilft mir auch nicht.“
Sie hob das Kinn. „Willst du meinen Vorschlag hören oder nicht? Wenn nicht – da ist die Tür.“
„Allmächtige Götter, ich hasse es, wenn du das Kinn reckst.“ Er knackte mit dem Kiefer. „Schieß los.“
„Ich werde an den Spielen teilnehmen.“ Rasch fügte sie hinzu: „Falls ich irgendwann disqualifiziert werden oder das Gefühl haben sollte, dass mein Team nicht den ersten Preis holen kann, werde ich mein Leben und meine Zukunft riskieren und die Rute für dich stehlen.“
Schweigend verschränkte er die Arme vor der Brust.
Sie wusste genau, was er jetzt dachte. „Zu den Regeln des Kompromisses gehört, dass du nichts unternehmen darfst, um eine Disqualifikation absichtlich herbeizuführen. Weder bei mir noch bei einem Mitglied meines Teams.“
Oh ja. Genau daran hatte er gedacht. Plötzlich begann die Wut in ihm zu brodeln und sich in winzigen Lichtblitzen von seiner Haut zu lösen. Seine Augen leuchteten rot, und kurz flackerte sein Gesicht wie ein Totenkopf auf. „Was ist, wenn es jemand anderem gelingt, sie zu stehlen, während du die Wettkämpfe absolvierst?“
Der Arme. Sein Dämon hatte die Kontrolle übernommen. Sie hatte Mitleid mit ihm, denn sie hasste es, wenn ihre Harpyie dasselbe bei ihr tat. „Unmöglich. Du könntest alle Krieger und Götter herbeirufen, die du kennst, aber keiner von ihnen wäre in der Lage, sie zu finden, geschweige denn, sie sich zu nehmen. Und, nein, das ist keine Herausforderung, sondern die Wahrheit. Wir Harpyien sind misstrauische und besitzergreifende Wesen, und wir bedienen uns radikaler Mittel, um zu bewachen, was wir als unser Eigentum betrachten. Glaub mir, Juliette wird niemanden in die Nähe der Rute lassen.“
Es vergingen mehrere Minuten, ehe er sich entspannte. Er konnte nicht gegen die Harpyien kämpfen – jedenfalls nicht mit Erfolg – und das musste er wissen. „In Ordnung. Dann haben wir eine Abmachung.“ Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch er fügte bedrohlich hinzu: „Und jetzt hör mir gut zu, kleines Mädchen.“
Kleines Mädchen. Genauso hatte Lazarus sie vor all den Jahrhunderten genannt. Schatten trübten ihren Blick. Die einzige Farbe, die sie noch sah, war das Purpurrot des Bull’s Eye auf Striders Brust. Ruhig, ganz ruhig.
Misch dich nicht ein, befahl sie ihrer Harpyie.
„Du hast behauptet, ich wäre dein Gemahl, und dass Gemahle kostbar sind. Außerdem hast du gesagt, dass du alles tun wirst, um deinen zu beschützen.“
Sie fletschte die Zähne. „Das habe ich nie gesagt.“ Jedenfalls nicht laut.
„Na schön. Vielleicht hat Gwen es mir erzählt. Fakt ist: Es stimmt.“
Und jetzt hatte er vor, sein Wissen gegen sie zu verwenden? „Tja, sieh dich an, Mr Klugscheißer.“ Sie klatschte in die Hände. „Herzlichen Glückwunsch. Du weißt, dass ich dir nichts antun kann. Aber hey – was spielt das schon für eine Rolle? Ich kann immer noch einen anderen dafür bezahlen, die Drecksarbeit für mich zu erledigen.“
An seinem unteren Augenlid zuckte ein Muskel. „Du bist bereit, ein Artefakt, das mich umbringen kann, in den Händen deiner Feindin zu belassen“, erwiderte er, ohne auf ihre Drohung einzugehen. „Diese Frau, Juliette, die mit dem Freund, von dem du mir noch immer nichts erzählt hast, wird dir die Rute nicht geben. Ob du gewinnst oder nicht, sie hasst dich und wird dich wohl kaum belohnen.“
Kaia packte die Bettdecke so fest, dass sie beinahe den Stoff zerrissen hätte. „Woher weißt du, dass sie mich hasst?“ Er hatte nur das Ende der Versammlung mitbekommen, und Juliette hatte sich nach seiner Ankunft nicht mehr direkt an sie gewandt.
„Ich habe Augen im Kopf, Kaia. Jedes Mal, wenn sie dich angesehen hat, hätte sie dir mit ihrem Dolch am liebsten das Gesicht zerkratzt. Was hast du ihr angetan? Und erzähl mir jetzt nicht, dass sie dir einfach nur nicht vergeben hat, was die Clans durch deine Schuld erlitten haben. Das mit euch ist etwas Persönliches. Keine andere hat dich so angesehen wie sie.“
Unsicher sah sie zu ihm hoch. Seine Beobachtungsgabe war besser, als gut für ihn war. „Wieso denkst du, dass ich ihr etwas angetan habe?“
„Komm schon. Du musst mich wirklich für total bescheuert halten, wenn du meine Frage mit einer Gegenfrage beantwortest und denkst, ich würde es nicht merken und die Sache auf sich beruhen lassen.“
„Na ja, jetzt, wo du es sagst …“
„Sehr witzig.“ Er streckte die Hand aus und lockte mit dem Finger. „Komm her.“
Da sie es nicht zulassen konnte, die Gelegenheit, ihn zu berühren, ungenutzt verstreichen zu lassen, nahm sie seine Hand. In dem Augenblick, als sie sich berührten, zog er sie auf die Füße und so dicht an sich heran, dass kein Blatt mehr zwischen sie gepasst hätte. Er sah auf sie hinunter. Seine Wärme wand sich wie eine Boa um ihren Körper.
Zwischen ihnen knisterte eine Spannung, die so heiß war, dass Kaia meinte, die Flammen zu spüren. Striders Lippen waren geschwollen, rot und noch immer feucht von ihrem Kuss. Seine Augen waren halb geschlossen, als befände er sich in einem Traum, aus dem er nicht aufwachen wollte.
Wenn er angetörnt schon so lecker aussah, wie würde er erst aussehen, wenn er satt und befriedigt wäre?
Verstand, komm raus. Das war offensichtlich ein weiterer Versuch, sie abzulenken und auf seine Seite zu ziehen. Sie musste stark bleiben. „Also?“
„Hast du dich an ihren Mann herangemacht?“, fragte er zielsicher. O-kay. Anscheinend war er doch aus dem Traum aufgewacht.
Ihr tiefes Erröten war Antwort genug.
Er ließ sie los und rieb sich mit der Hand übers Gesicht. „Verdammt, Kaia.“
Ohne seine Berührung kühlte ihre Haut ab. Sie würde ihre eigene Dummheit gewiss nicht zugeben, selbst wenn es schon so lange her war. Sie würde nicht zugeben, dass sie sich einer Mutter als würdig hatte erweisen wollen, von der sie nie geliebt worden war, und dabei in jeder Hinsicht versagt hatte.
„Ich habe ihn gesehen, gewollt und ihn mir genommen. Ende der Geschichte.“ Das war die Wahrheit – zumindest so, wie sie sich nach Striders Vermutungen ungefähr anhören würde. Er würde nie verstehen, was wirklich geschehen war, das war auch ganz gut so.
„Und sie hat es herausgefunden?“ Seine Stimme knallte wie ein Peitschenhieb.
Hah. Sie hatte ihn genau da, wo sie ihn durch das Auslassen wichtiger Details der Geschichte hatte haben wollen. „Genau.“ Kaia nickte. „Stimmt genau.“
Sie riss die Augen auf. Warum beließ er es nicht dabei? „Wie bitte?“
„Wie hat sie es herausgefunden?“
„Ach so, äh, sie hat uns zufällig erwischt“, schwindelte Kaia und sah dabei zu Boden. Als ihr klar wurde, was sie getan hatte, zwang sie sich, den Blick wieder zu heben. Es gab nämlich zwei Dinge, die eine Frau beachten musste, wenn sie log. Erstens: Selbstvertrauen ausstrahlen. Man konnte jeden von allem überzeugen, solange man nur selbst daran glaubte. Zweitens: Einzelheiten preisgeben. Je mehr Details man lieferte, desto glaubhafter war die Geschichte. „Wir waren gerade voll dabei. Und ich kann dir sagen: Es war ziemlich heiß. Bei ihm war ich kein bisschen abgelenkt.“
Strider schwieg für einen Moment. Dann sagte er mit weicher Stimme. „Tatsächlich?“
Vielleicht tappte er doch nicht so sehr im Dunkeln, wie sie gedacht hatte. Wodurch hatte sie sich verraten? Na ja, das spielte eigentlich keine Rolle. Er konnte solange Vermutungen über die eigentliche Wahrheit anstellen, wie er wollte, aber er könnte sich niemals sicher sein. Und, zum Teufel, vielleicht gab es ja noch einen anderen Weg, ihn von ihrer Version zu überzeugen.
Sie sah ihm in die Augen. „Ja, tatsächlich. Er lag auf mehreren Fellen auf dem Rücken.“ Sie stellte sich Strider in derselben Position vor. Sogleich entfachte ihr Verlangen von Neuem, und ihre Stimme bekam eine rauchige Note. „Er war nackt … und ich auch. Ich saß auf ihm und, Götter, er war so wunderschön. Er hatte sich voll und ganz in der Leidenschaft verloren. Und in mir.“
Strider wirbelte herum, als könnte er ihren Anblick nicht länger ertragen. So. Geschafft, dachte sie. Sie hatte ihn vollends von ihrer liederlichen Natur überzeugt. Ihre Schultern sackten ein Stück nach unten. Ein Teil von ihr wünschte, er hätte sich weiterhin geweigert, ihr zu glauben.
Es ist besser so, sagte sie sich. Sexuell freizügig war sie in seinen Augen ohnehin schon gewesen. Hätte sie sich nun noch schwach und dumm in die Gleichung eingefügt, hätte das jeglichen Fortschritt mit ihm nur erschwert.
Auch wenn sie heute nicht gerade von einem Fortschritt sprechen konnte.
Sie lügt, dachte Strider und musste auf einmal alle Kraft aufbringen, um nicht zu grinsen. Und sie war noch zehn Mal anziehender, während sie ihr Lügennetz spann. Vielleicht weil sie ihn fast gehabt hätte. Aber dann hatte sie auf den Boden geschaut, und dieser Blick hatte sie verraten. Wenn Kaia an etwas glaubte, glänzte ihr Selbstvertrauen wie ein heller Stern.
Niederlage gefiel es, dass sie ihr Spiel durchschaut hatten, und er schickte kleine Glücksfunken durch seine Blutbahn. Es war ein unvorhergesehener Sieg, aber dennoch so köstlich wie mit Ambrosia versetzter Wein. Und fast so köstlich wie Kaias Kuss.
Daran darfst du jetzt nicht denken.
Er konnte nicht anders. Heiliges Höllenfeuer, dieser Kuss … Die Frau war die Leidenschaft in Person und so sinnlich, dass er sie bis in alle Ewigkeit hätte küssen und streicheln können und trotzdem noch mehr gewollt hätte. Sie hatte die Zunge genau richtig bewegt, ihn mit den Fingernägeln genau richtig gekratzt und die Beine mehr als genau richtig um ihn geschlungen.
Sie hatte einfach … zu ihm gepasst. Perfekt zu seinem Körper gepasst. Jede Kurve, jede Vertiefung. Wie zwei zueinanderpassende Puzzleteile. Und das, obwohl sie beide noch angezogen gewesen waren! Falls er sie jemals ausziehen sollte, würde er … Nein. Nein, nein, nein. In diese Richtung durfte er gar nicht weiterdenken. Der Kuss war ein Fehler gewesen. Ein verdammt köstlicher Fehler, aber einer, der seiner Sache ernsthaft hätte schaden können.
Sie hatte seinen Verstand schon völlig eingelullt.
Und leider konnte er das diesmal nicht auf ihre Haut schieben. Denn das bisschen, das aus der Kleidung herausschaute, hatte sie mit Make-up abgedeckt, sodass sie wie ein Mensch aussah. Nein, nicht ganz. Sie sah nie wie ein Mensch aus, ganz gleich, was sie tat. Dazu waren ihre Gesichtszüge zu blendend, zu makellos.
Sie küsste auch nicht wie ein Mensch. Dazu war sie viel zu mutig, sinnlich und hingebungsvoll.
Zu sehr die Seine, hatte er mittendrin gedacht, als er ihr alles hatte geben wollen – so wie sie es verlangt hatte. Erst in dem Moment hatte er begriffen, wie verloren er war. Er hatte ihr Zusammensein einfach nur genossen und sich nicht künstlich bemüht, ihr Lust zu verschaffen. Er hatte einfach genommen, gegeben und noch etwas mehr genommen. Dabei gab es für ihn nichts Gefährlicheres. Er musste ihr mehr Lust verschaffen, als Paris es getan hatte, sonst würde er schrecklich leiden.
Sein Verlangen im Zaum zu halten war der schwierigste Kampf seines Lebens gewesen, aber er hatte es geschafft. Er hatte gewonnen. Und Niederlage hatte ihn dafür geliebt und dasselbe Glücksgefühl durch seinen Körper geschickt, das ihn in diesem Moment erfüllte. Was es umso schwerer gemacht hatte, sich zurückzuhalten und jede seiner Liebkosungen wohl zu dosieren.
Ganz verstand er es immer noch nicht. Erst hatte sie ihn gewollt, und er war bereit gewesen, ihr alles zu geben, sie auf den Gipfel der Lust zu tragen. Und dann hatte er plötzlich aufhören sollen. Er erkannte eine Herausforderung sofort, und „Ich glaube nicht, dass du aufhören kannst“ war hundertprozentig eine gewesen.
Was er aber immer noch nicht kapierte, war, warum sie es getan hatte.
Ist auch egal, dachte er. Was geschehen war, war geschehen, und es gab keinen Weg zurück. Er musste den Kuss vergessen und sich auf die bevorstehende Reise konzentrieren. Auf die Spiele, die Rute und den endgültigen Sieg. Er musste die Farbe vergessen, die ihr in die Wangen gestiegen war, den Atem, der scharf durch ihre Nase geflossen war, die Funken der Wut, die bei jedem seiner Worte in ihren Augen explodiert waren. Musste vergessen, dass sie umwerfend war, wenn die Gefühle in ihr tobten, dass sie wie ein Feuerwerkskörper zu leuchten anfing und er sich sehnlichst wünschte, sich an ihr zu verbrennen.
Kaia räusperte sich. „Strider“, setzte sie an.
Er hob abwehrend eine Hand. „Hör zu, es ist doch so: Du vertraust mir nicht, und ich vertraue dir nicht, aber wir werden trotzdem zusammenarbeiten. Deshalb wirst du mir von dem morgigen Kampf erzählen, und anschließend werden wir die Konkurrenz ausloten.“
Oder besser: sie würde sie ausloten. Er würde nach der Rute suchen. Sosehr er ihre Misere und ihren Schmerz auch verstand – es änderte nichts an den Tatsachen. Kein Artefakt, keine Büchse.
Und deshalb würde er die Rute auch finden und stehlen. Selbst auf Kosten von Kaias Stolz. Zwar würde er sich danach mit Sicherheit nicht mehr mögen – denn immerhin erforderte sein Sieg, dass er ihr Vertrauen missbrauchte –, aber nichts würde ihn von seinem Kurs abbringen.
„Verstanden?“, hakte er nach. Schon jetzt musste er das aufkeimende Schuldgefühl unterdrücken.
Eine unsichere Pause. Dann flüsterte sie: „Ja. In Ordnung. Wir arbeiten zusammen.“
„Gut.“ Er setzte ein neutrales Gesicht auf, drehte sich zu ihr herum und schaute ihr direkt in die Augen. „Und jetzt erzähl.“