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Dodd.eps

»Für das Ballkleid musste ich eine schwere Entscheidung treffen. Unsere kleine englische Rose hier hat eine recht blasse Haut und dunkle Haare mit kastanienroten Strähnen. Außerdem sind ihre Augen höchst ungewöhnlich. Sie wirken auf den ersten Blick haselnussbraun mit einem goldenen Funkeln – es sind die Augen einer Zauberin.«

Emma hatte die Hände um einen Bettpfosten gelegt und lauschte, während Madam Mercier sprach. Zugleich musste sie sich wirklich gut festhalten, weil Tia die Schnüre ihres Korsetts fest anzog. Sie wusste, hinter ihrem Rücken waren die Näherinnen von Madam damit beschäftigt, die raschelnden Unterröcke zu entwirren. Lady Fanchere und Aimée standen derweil am Feuer und beobachteten Madam Mercier, die persönlich Emmas Ballkleid auspackte.

Es war früher Abend und somit höchste Zeit, sich für den Ball vorzubereiten. Emma war vor Angst taub und vor Erregung außer sich. Es war, als würde sie an diesem Abend ihr Debüt in der Gesellschaft geben. Sie, Emma Chegwidden aus Freyaburn in Yorkshire. Als wäre das nicht schon genug, gab sie nicht nur ihr Debüt, sondern spionierte zudem für den Mann, den sie liebte. Den Mann, dessen Körper sie gestern Nacht gehuldigt hatte, dessen Gesicht sie aber noch nie gesehen hatte.

Sie war müde und wund, zugleich glücklich und voller Sorge.

Madam Mercier sprach weiter. »Miss Chegwiddens Augen verändern die Farbe, je nachdem, welche Farbe ihre Kleider haben. Ein blaues Baumwollkleid lässt die Augen himmelblau wirken. Ein grünes Satinkleid, und schon sind sie erbsengrün. Ich suchte also nach einem Stoff, der es ihrer ungewöhnlichen Farbgebung erlaubt, ohne störenden Einfluss zu strahlen. Darum habe ich mich für das hier entschieden.«

Emma hörte das Rascheln von Seide, und Lady Fanchere und Aimée machten andächtig Ahhh. Emma wollte sich umdrehen und das Kleid ebenfalls sehen, doch Tia zischte ihr zu, sie solle stillhalten, und drehte sie wieder so, dass sie nach vorne schaute. Die Näherinnen hielten Tia an, sie sollte sich beeilen.

»Ich schickte einen Läufer nach Madrid, der dort nach dieser außergewöhnlichen Seide fragte. Ich wusste nicht, wann der Stoff eintreffen würde. Und dann hat der plötzliche Entschluss des Fürsten, so bald einen Ball zu geben, mich vor eine Herausforderung gestellt, die über das hinausgeht, was ich unter normalen Umständen zu leisten imstande bin. Ich bezweifelte, dass es uns gelingen wird, rechtzeitig fertig zu werden. Doch dann erkannte ich etwas sehr Wichtiges. Diese üppige Seide und diese Farbe wird für gewöhnlich von Frauen getragen, die über, nun, sagen wir, Erfahrung verfügen. Miss Chegwidden jedoch ist jung und noch jungfräulich, weshalb das Kleid im Kontrast zu diesem Stoff ganz einfach sein musste. Daher waren wir in der Lage, es in der Kürze der Zeit zu schneidern.« Madam Mercier klang so zufrieden mit sich wie eine schnurrende Katze.

»Es ist perfekt«, erklärte Lady Fanchere.

Tia drehte Emma jetzt um, sodass sie zum Raum stand. Sie erhaschte einen kurzen Blick auf ein dunkles Kleid, das auf der Polsterbank vor ihrem Toilettentisch lag. Dann hob Tia ihre Arme in die Höhe, und die Näherinnen warfen die Unterröcke über ihren Kopf. Als sie sich den Weg aus dem gestärkten und raschelnden Stoffberg gekämpft hatte, hing das Kleid wieder hinter ihr, und die Damen diskutierten derweil, welchen Schmuck sie tragen sollte.

Madam Mercier verbot ihnen alles, außer ein Paar schlichte Ohrringe und einen dünnen Silberring. »Nein, nein! Schlichtheit. Vertraut mir! Ihr werdet es sehen!«

Schließlich wurde Emma in die Unterkleider eingeschnürt, und Madam Mercier schob das Kleid über ihren Kopf.

Emma schaute nach unten und versuchte zu ergründen, was den Damen an diesem Kleid so gut gefallen hatte.

Madam Mercier nahm den langen Zopf in ihrem Nacken und zog heftig daran. »Nicht gucken, junge Dame! Ihr dürft es Euch ja gleich anschauen. Fils, schließt alle Knöpfe. Dann werde ich ihr die Haare machen.«

Die Mädchen platzierten sie auf einem niedrigen Hocker.

Madam Mercier nahm Tia den Kamm aus der Hand und erklärte rigoros: »Ich mache das, ich war früher die Zofe einer Lady.«

Das mochte sie ja einmal gewesen sein, aber in den Jahren seitdem hatte sie jedes Geschick verloren, denn sie zerrte so heftig an Emmas Haaren, dass Emma das Gefühl hatte, ihr würden die Augenwinkel nach hinten gerissen. Sie benutzte die Haarnadeln mit einer so gekonnten Präzision, dass Emma das Gefühl hatte, sie werde aufgespießt.

Lady Fanchere wagte einen Einwand. »Vielleicht ein paar frische Blumen?«, fragte sie. Madam Mercier erwiderte rigoros: »Non! Nur Diamantenhaarnadeln, und zwar hier … hier und hier. Wie Sterne am mitternächtlichen Himmel.«

Alle Anwesenden machten andächtig ohhh.

Emma spürte die gestärkten Röcke, die sie juckten. Vor allem wurde sie aber von brennender Neugier getrieben.

Tia half Emma, in ihre Ballschuhe zu schlüpfen, dann durfte sie endlich aufstehen.

Die Näherinnen gaben bewundernde Laute von sich, während sie die langen, schmalen Ärmel glattstrichen und den tiefen Ausschnitt zurechtrückten.

Lady Fanchere und Aimée klatschten ergriffen in die Hände und betrachteten sie mit Tränen in den Augen.

»Dreht Euch, Mademoiselle. Dreht Euch!« Madam Mercier drängte Emma, damit sie sich um sich drehte. Schließlich lächelte auch sie zufrieden. »Bon!« Sie schob Emma vor den mannshohen Spiegel in der Zimmerecke.

Emma starrte in den Spiegel. Sie konnte den Blick nicht von sich lassen.

»Ihr seht, dass ich recht hatte. Bei dem Stoff handelt es sich um japanische Seide, die auf dem Kontinent ganz neu ist. Die Farbe ist ein üppiges Weinrot, das mit Silberfäden durchsetzt ist. Tagsüber würde es ordinär wirken. Abends im Kerzenlicht jedoch …« Madam Mercier küsste ihre Fingerspitzen.

Emma drehte den Kopf und betrachtete ihre Frisur. Die Haare waren im Nacken zusammengefasst, und die Diamantennadeln glitzerten zwischen den aufgesteckten Strähnen.

»Es wird Euch bestimmt nicht entgangen sein, wie die Seide bei jeder von Miss Chegwiddens Bewegung schimmert. Wahrlich ein Juwel in seiner Fassung.« Madam Merciers Stimme hüpfte fröhlich auf und ab. »Mit den Haaren, die sie aus dem Gesicht gekämmt und im Nacken zusammengefasst trägt, sieht man sehr schön ihren Haaransatz. Der spitze Haaransatz an ihrer Stirn wird vom herzförmigen Dekolleté aufgenommen. Mit dem schlichten Mieder, den schlicht gehaltenen Ärmeln und der leicht gerafften Taillierung wird jeder Mann von ihrer wunderbaren Figur bezaubert werden.«

»Still, Madam.« Lady Fanchere legte die Hand auf Emmas Ärmel und richtete das Wort an sie. »Ihr seid sehr still, meine Liebe.«

»Gefällt Euch das Kleid nicht?«, fragte Aimée sanft.

Alle Anwesenden wurden still.

Emma trat auf den Spiegel zu und berührte die Reflektion ihres Gesichts. »Ihr habt mich wunderschön gemacht.«

Madam Mercier lachte ein kleines Lachen, das plötzlich abbrach. »Non! Es war le bon dieu, der das getan hat.«

Emma schaute die Frau an, die sie stolz anstrahlte.

»Dann … dann bin ich schön?« Sie schaute wieder in den Spiegel. »Ich bin schön.«

Eine einzelne Träne rann über ihre Wange, und sie wischte sie hastig beiseite.

Sie wünschte, ihr Liebster könnte sie so sehen. Doch das würde nie passieren. Niemals würde er sie so sehen.