Antwort des Fachidioten
Zum »Spiegel«-Gespräch über Musik im Fernsehen
Vorweg möchte ich klarstellen, daß meine Kritik sich nicht auf Werke bezog, die aus den spezifischen Gegebenheiten des Fernsehens entwickelt worden sind wie etwa die außerordentliche »Antithèse« von Mauricio Kagel. Nachdem ich in »Die Kunst und die Künste« versucht hatte, deren ›Verfransungstendenz‹ abzuleiten, wäre ich der letzte, der der lieben Vergangenheit wegen klagen würde, wenn das Fernsehen solchen Tendenzen beisteht. Eben das aber ist seltene Ausnahme, und die herrschende Praxis kann sich einleuchtend genug auf den Mehrheitswillen des gegenwärtigen Publikums berufen.
Keineswegs betrachte ich jede Darbietung von Musikalischem im Fernsehen als unsinnig oder geschmacklos. So sah ich jüngst die Übertragung einer Probe der Berliozschen Bearbeitung des Rákóczy-Marsches unter Solti. Alle spektakulär knisternde Atmosphäre war vermieden; das Bild half wirklich dazu, die Arbeit an der Realisierung eines musikalischen Gebildes zu verdeutlichen. Der optische Blick geleitete in subtile musikalische Prozesse.
Um nichts anderes geht es mir als um die Verschandelung von Musik durch Edelkitsch. Dazu rechne ich nicht nur die ziehenden Wolken zum Brahmsischen Requiem, sondern auch die Verkopplung sogenannter Barockmusik mit kinematographischen Aufnahmen ihres angeblich authentischen Milieus. Sie bringt ein historistisch-kunstgewerbliches Element in die Sache. Diese wird ausverkauft, indem man ihr eine Aura umlegt.
Gegen das visuelle Moment braucht man nicht puritanisch sich zu verhalten. Als einmal jemand Mahler vorschlug, in einem Konzert den Saal verdunkeln zu lassen, weigerte er sich: wenn den Zuhörern bei der Aufführung nicht von selbst Hören und Sehen verginge, so sei sie nichts wert. Verdunkelter Saal und Kerzenlicht passen gar nicht schlecht zueinander. Falsch, zumindest höchst einseitig jedoch ist es, wenn Joachim-Ernst Berendt in einem »Spiegel«-Leserbrief meint, daß Musik ein »totales Phänomen, das den ganzen Menschen betraf« sei, derart, daß demgegenüber »die moderne Spaltung in Akustisches und Visuelles alle Charakteristika blutleerer Spitzfindigkeit besitzt«. Musikalische Sublimierung führt von allem Sichtbaren weg. Daß sie heute verlorenzugehen droht, scheint mir ein Regressionsphänomen. Ist es spitzfindig, nicht vielmehr gesteigerte Musikalität, wenn man ein Beethoven-Quartett liest und es besser sich vorstellt, als es stets fast gespielt wird? Im übrigen dürfte die Regel gelten, daß je komplexer eine Musik ist, desto mehr das optische Accompagnement die akustische Konzentration stört, die ein solches Werk verlangt. Als vor einigen Jahren das Westdeutsche Fernsehen die – an sich höchst verdienstvolle – Uraufführung des Jakobsleiter-Fragments von Schönberg ausstrahlte, war es selbst Hörern, die mit der Struktur solcher Musik vertraut sind, angesichts der wechselnden Bildeinstellungen, die noch dazu kaum in sinnvollem Zusammenhang mit den musikalischen Vorgängen standen, kaum möglich, diesen exakt zu folgen.
Auf die Frage, warum der Fernseh-Figaro kein Figaro sei, ist am einfachsten mit Worten aus Benjamins »Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« zu antworten: »Das Hier und Jetzt des Originals macht den Begriff seiner Echtheit aus ... Die Umstände, in die das Produkt der technischen Reproduktion des Kunstwerks gebracht werden kann, mögen im übrigen den Bestand des Kunstwerks unangetastet lassen – sie entwerten auf alle Fälle sein Hier und Jetzt.« Beanstande ich aber, daß bei der optischen Aufbereitung von Musik im Fernsehen das kulinarische Moment über das sachlich musikalische triumphiere, so darum, weil der Hörer, dem man zu Willen ist, dadurch um eben das betrogen wird, worauf er Anspruch hätte: die Sache, jene Qualitäten, denen der Figaro einmal seinen Ruhm verdankt.
Sehr ernst möchte ich »Spiegel«-Leser Reinhold Tauber entgegnen. Die Differenzen, um die es geht, sind nicht solche zwischen Intellektuellen und anderen. Trifft zu, daß, wie Tauber es konzediert, in derlei Streitigkeiten gescheite Menschen die Ergebnisse gescheiten Nachdenkens vorbringen, so ist der Maßstab dafür nicht ihre subjektive Intelligenz, sondern diese bewährt sich objektiv. Intelligent ist, wer etwas Wahres erkennt. Es auszusprechen ist kein Octroi. Viel eher beleidigt man die Menschen, indem man sie in high-, middle- und lowbrows einteilt, wie wenn das naturgegebene Kategorien wären, an denen nicht zu rütteln ist. Die Art Dummheit, die doch wohl das Gegenteil der von Tauber hervorgehobenen Gescheitheit ist, wird ihrerseits gesellschaftlich produziert und reproduziert. Von Erziehung des Publikums zu reden hat nur dann einen Sinn, wenn sie an dem sich orientiert, wozu erzogen werden soll, nicht passiv einem Bewußtseinsstand sich anpaßt, über den hinausgeführt zu werden Menschenrecht ist. Auch die rhetorische Frage »Am besten keine Musik im Fernsehen?« hat keinen Schrecken. Daß nun einmal vorhandene Kapazitäten um jeden Preis ausgenutzt werden müßten, ist schon in der materiellen Produktion fragwürdig, in der geistigen Aberglaube.
In der letzten Zuschrift ist von meinen fachidiotischen Ansichten die Rede. Fachidiotie jedoch scheint mir nicht dadurch bewiesen, daß jemand von einer Sache etwas versteht, sondern allenfalls dadurch, daß sein Verständnis, zumal angesichts sozialer Zusammenhänge, sich beschränkt. Ich wäre immerhin überrascht, wenn Herr Otto Waldeck das gerade mir vorwerfen wollte.