B. Die Transzendenz des Dinglichen und Noematischen in Husserls Phänomenologie
I. Husserls Dingtheorie
Husserl geht aus von dem »natürlichen Weltbild«: »Ich bin mir« der Welt »bewußt, das sagt vor allem: ich finde sie unmittelbar anschaulich vor, ich erfahre sie. Durch Sehen, Tasten, Hören usw., in den verschiedenen Weisen sinnlicher Wahrnehmung sind körperliche Dinge ... für mich einfach da, im wörtlichen oder bildlichen Sinne ›vorhanden‹, ob ich auf sie besonders achtsam und mit ihnen betrachtend, denkend, fühlend, wollend beschäftigt bin oder nicht.«35 Als eine Welt von Dingen also ist die »natürliche Welt« charakterisiert, als bleibendes Sein: »Die ›Wirklichkeit‹ ... finde ich als daseiende vor und nehme sie, wie sie sich gibt, auch als daseiende hin. Alle Bezweiflung und Verwerfung von Gegebenheiten der natürlichen Welt ändert nichts an der Generalthesis der natürlichen Einstellung. ›Die‹ Welt ist als Wirklichkeit immer da, sie ist höchstens hier oder dort ›anders‹ als ich vermeinte, das oder jenes ist aus ihr ... herauszustreichen, aus ihr, die ... immer daseiende Welt ist.«36 In erkenntnistheoretischer Absicht nun wird diese Einstellung radikal geändert: »Die zum Wesen der natürlichen Einstellung gehörige Generalthesis setzen wir außer Aktion, alles und jedes, was sie ... umspannt, setzen wir in Klammern: also diese ganze natürliche Welt, die beständig ›für uns da‹, ›vorhanden‹ ist, und die immerfort dableiben wird als bewußtseinsmäßige ›Wirklichkeit‹, wenn es uns auch beliebt, sie einzuklammern.«37 Dies Verfahren der »Einklammerung« heißt bei Husserl »phänomenologische epoxh«38.
Was bleibt nun – fragt Husserl – nach radikalem Vollzuge der epoxh übrig? Sie soll »eine neue, in ihrer Eigenart bisher nicht abgegrenzte Seinsregion«38a gewinnen: das »reine« – von Transzendenzen reine – Bewußtsein. Bewußtsein nennt Husserl alles Cartesianische cogito: also auch jedes »ich nehme wahr«; »zum Wesen jedes aktuellen cogito« gehöre es, »Bewußtsein von etwas zu sein«39. Den Begriff der Aktualität bestimmt Husserl durch Analyse einer Dingwahrnehmung. Wenn ich ein weißes Papier, das vor mir im Halbdunkel liegt, sehe und betaste, so ist nach Husserl »dieses wahrnehmende Sehen und Betasten des Papieres, als das volle konkrete Erlebnis von dem hier liegenden Papier, und zwar von dem genau in diesen Qualitäten gegebenen, ... eine cogitatio, ein Bewußtseinserlebnis«40; »das Papier selbst« aber »mit seinen objektiven Beschaffenheiten, ... nicht cogitatio, sondern cogitatum, nicht Wahrnehmungserlebnis, sondern Wahrgenommenes«41. Es könne, fährt Husserl in wenig einwandfreier, mehrdeutiger Ausdrucksweise fort, »Wahrgenommenes selbst sehr wohl Bewußtseinserlebnis sein, aber es« sei »evident, daß so etwas wie ein materielles Ding, z.B. dieses im Wahrnehmungserlebnis gegebene Papier, prinzipiell kein Erlebnis« sei, »sondern ein Sein von total verschiedener Seinsart«42- »Jede Dingwahrnehmung«, heißt es weiter im Sinne der bekannten James'schen Theorie, habe »einen Hof von Hintergrundsanschauungen«43, Inaktualitäten. Es lasse sich »Bewußtsein im Modus aktueller Zuwendung in Bewußtsein im Modus der Inaktualität« überführen, »und umgekehrt«44. Der »Erlebnisstrom« – d.h. der Zusammenhang des persönlichen Bewußtseins im Sinne der »Transcendentalen Systematik« – könne »nie aus lauter Aktualitäten bestehen«45. Allein die Aktualitäten »bestimmen ... in der vollzogenen Kontrastierung mit den Inaktualitäten den prägnanten Sinn des Ausdrucks ›cogito‹, ›ich habe Bewußtsein von etwas‹, ›ich vollziehe einen Bewußtseinsakt‹«46. Ganz im Sinne einer Analyse des persönlichen Bewußtseinszusammenhanges fügt Husserl bei: »Im cogito lebend, haben wir die cogitatio selbst nicht bewußt als intentionales Objekt; aber jederzeit kann sie dazu werden, zu ihrem Wesen gehört die prinzipielle Möglichkeit einer ›reflektiven‹ Blickwendung.«47 Daraus ergibt sich die Unterscheidung zwischen immanent und transzendent gerichteten Akten. »Unter immanent gerichteten Akten ... verstehen wir solche, zu deren Wesen es gehört, daß ihre intentionalen Gegenstände, wenn sie überhaupt existieren, zu demselben Erlebnisstrom gehören wie sie selbst ... Transzendent gerichtet sind intentionale Erlebnisse, für die das nicht statthat.«48 Unter »immanenter Wahrnehmung« will Husserl verstanden wissen eine solche, bei der »Wahrnehmung und Wahrgenommenes wesensmäßig eine unvermittelte Einheit, die einer einzigen konkreten cogitatio«49 bilden. Ist schon, nachdem Husserl die »schlichte« Wahrnehmung als »Bewußtsein von etwas« bezeichnet hat, der Sinn der Einschränkung »die intentionalen Gegenstände immanent gerichteter Akte ..., wenn sie überhaupt existieren«, ganz unklar, so steht vollends – wie vorweg bemerkt sei – der an diese Einschränkung angeschlossene Begriff der »immanenten Wahrnehmung« in offenem Widerspruch zu früher Gesagtem.
Die »Wesenscharakteristiken von Erlebnis und Bewußtsein«, um die Husserl sich bemühte, sind ihm »Unterstufen ... für die Gewinnung des Wesens jenes ›reinen‹ Bewußtseins«50. Um dies »reine Bewußtsein« auszusondern, will Husserl »die letzte Quelle« aufsuchen, »aus der die Generalthesis der Welt, die ich in der natürlichen Einstellung vollziehe, ihre Nahrung schöpft ... Offenbar ist diese letzte Quelle die sinnliche Erfahrung.«51 Die »sinnliche Wahrnehmung« nun spiele »unter den erfahrenden Akten in einem gewissen guten Sinne die Rolle einer Urerfahrung«52. Den Begriff des »wahrnehmenden Bewußtseins« bestimmt Husserl ausdrücklich dahin, »daß es Bewußtsein der leibhaftigen Selbstgegenwart eines individuellen Objektes«53 sei. »Sinnliche« und »dingliche« Wahrnehmung wird dabei von Husserl synonymisch gebraucht54. Im »Rahmen der schlichten Anschauung und der zu ihr gehörigen Synthesen« sei es evident, daß »Anschauung und Angeschautes, Wahrnehmung und Wahrnehmungsding zwar in ihrem Wesen aufeinander bezogen, aber in prinzipieller Notwendigkeit nicht reell und dem Wesen nach eins und verbunden«55 seien.
Das soll an einem Beispiel deutlich werden. »Immerfort diesen Tisch sehend, dabei um ihn herumgehend, meine Stellung im Raume wie immer verändernd, habe ich kontinuierlich das Bewußtsein vom leibhaftigen Dasein dieses einen und selben Tisches, und zwar desselben, in sich durchaus unverändert bleibenden.«56 »Die Tischwahrnehmung« sei »eine Kontinuität wechselnder Wahrnehmungen«57. Wenn ich die Augen schließe und wieder öffne, so kehrt »die« Wahrnehmung »unter keinen Umständen« als »individuell dieselbe« wieder58. »Nur der Tisch« sei »derselbe, als identischer bewußt im synthetischen Bewußtsein, das die neue Wahrnehmung mit der Erinnerung verknüpft. Das wahrgenommene Ding kann sein, ohne wahrgenommen, ohne auch nur potentiell bewußt zu sein ...; und es kann sein, ohne sich zu verändern. Die Wahrnehmung selbst aber ist, was sie ist, im beständigen Fluß des Bewußtseins und selbst ein beständiger Fluß: immerfort wandelt sich das Wahrnehmungs-Jetzt in das sich anschließende Bewußtsein des Soeben-Vergangenen, und zugleich leuchtet ein neues Jetzt auf.«59 Das idealgesetzliche Ergebnis seiner Beispielanalyse faßt Husserl zusammen in der These: »In Wesensnotwendigkeit gehört zu einem ›allseitigen‹, kontinuierlich einheitlich sich in sich selbst bestätigenden Erfahrungsbewußtsein vom selben Ding ein vielfältiges System von kontinuierlichen Erscheinungs- und Abschattungsmannigfaltigkeiten, in denen alle in die Wahrnehmung mit dem Charakter der leibhaften Selbstgegebenheit fallenden gegenständlichen Momente sich in bestimmten Kontinuitäten darstellen bzw. abschatten.«60 Und weiter: »Während das Ding die intentionale Einheit ist, das identisch-einheitlich Bewußte im kontinuierlich geregelten Abfluß der ineinander übergehenden Wahrnehmungsmannigfaltigkeiten, haben diese selbst immerfort ihren bestimmten deskriptiven Bestand, der wesensmäßig zugeordnet ist jener Einheit.«61 »Empfindungsdaten, die die Funktion der Farbenabschattung ... usw. üben«, seien »prinzipiell unterschieden von Farbe schlechthin ..., kurzum von allen Arten dinglicher Momente. Die Abschattung, obschon gleich benannt«, sei »prinzipiell nicht von derselben Gattung wie Abgeschattetes.«62
»Aus den durchgeführten Überlegungen«, schließt Husserl, »ergab sich die Transzendenz des Dinges gegenüber seiner Wahrnehmung und in weiterer Folge gegenüber jedem auf dasselbe bezüglichen Bewußtsein überhaupt.«63 Damit trete hervor »ein grundwesentlicher Unterschied ... zwischen Sein als Erlebnis und Sein als Ding«64. Alle Dinge seien »prinzipielle Transzendenzen«65. »Zum Dinge als solchem ... gehört wesensmäßig und ganz ›prinzipiell‹ die Unfähigkeit, immanent wahrnehmbar und somit überhaupt im Erlebniszusammenhang vorfindlich zu sein. So heißt das Ding selbst und schlechthin transzendent. Darin bekundet sich eben die prinzipielle Unterschiedenheit der Seinsweisen, die kardinalste, die es überhaupt gibt, die zwischen Bewußtsein und Realität.«66
Husserl sucht seine Auffassung von der Transzendenz des Dinglichen abzugrenzen vom metaphysischen Ding-an-sich-Begriff. Es sei »ein prinzipieller Irrtum zu meinen, es komme die Wahrnehmung ... an das Ding selbst nicht heran«67, zu meinen, es sei das Ding an sich »in seinem An-sich-sein uns nicht gegeben«, während doch »zu jedem Seienden die prinzipielle Möglichkeit gehöre, es, als was es ist, schlicht anzuschauen und speziell es wahrzunehmen in einer adäquaten, das leibhaftige Selbst ohne jede Vermittlung durch ›Erscheinungen‹ gebenden Wahrnehmung«68. Der Widersinn dieser Ansicht liege darin, daß sie in dem Glauben, es könne etwa für die postulierte göttliche Anschauung das Ding selbst Erlebnis sein, den Wesensunterschied zwischen Transzendentem und Immanentem vergesse. Möglich sei jene Theorie nur durch Supposition eines Bild- oder Zeichen-Bewußtseins, während doch »das Raumding, das wir sehen, ... bei all seiner Transzendenz Wahrgenommenes, in seiner Leibhaftigkeit bewußtseinsmäßig Gegebenes, ... nicht statt seiner ein Bild oder Zeichen gegeben«69 sei. »Die Dingwahrnehmung« vergegenwärtige »nicht ein Nichtgegenwärtiges, als wäre sie eine Erinnerung oder Phantasie; sie gegenwärtigt, sie erfaßt ein Selbst in seiner leibhaftigen Gegenwart«70.
Das Verhältnis von Abgeschattetem und Abschattung bedingt nach Husserl eine gewisse Inadäquatheit der Dingwahrnehmung. »Ein ›Ding‹« sei »notwendig in bloßen ›Erscheinungsweisen‹ gegeben, notwendig« sei »dabei ein Kern von ›wirklich Dargestelltem‹ auffassungsmäßig umgeben von einem Horizont uneigentlicher ›Mitgegebenheit‹ und mehr oder minder vager Unbestimmtheit«71. »In dieser Weise in infinitum unvollkommen zu sein, gehört zum unaufhebbaren Wesen der Korrelation Ding und Dingwahrnehmung.«72 Während es im »Wesen der Gegebenheit durch Erscheinungen« beschlossen sein soll, »daß keine die Sache als ›Absolutes‹ gibt«, liege es im »Wesen der immanenten Gegebenheit, eben ein Absolutes zu geben, das sich gar nicht in Seiten darstellen und abschatten«73 könne. Mit der Unmöglichkeit, daß eine »noch so vollkommene« Dingwahrnehmung »ein Absolutes gibt«, hänge »wesentlich zusammen, daß jede noch so weitreichende Erfahrung die Möglichkeit offen läßt, daß das Gegebene, trotz des beständigen Bewußtseins von seiner leibhaftigen Selbstgegenwart, nicht existiert«74. Das glaubt Husserl allgemein aussprechen zu dürfen in der Form: »Dingliche Existenz ist nie eine durch die Gegebenheit als notwendig geforderte, sondern in gewisser Art immer zufällige.«75 Was in der Dingwelt da sei, sei »prinzipiell nur präsumtive Wirklichkeit ...; daß hingegen Ich selbst, für den sie da ist (unter Ausschluß dessen, was ›von mir‹ der Dingwelt zurechnet), bzw. daß meine Erlebnisaktualität absolute Wirklichkeit ist, durch eine unbedingte, schlechthin unaufhebliche Setzung gegeben«76. »Der Thesis der Welt, die eine ›zufällige‹ ist«, stehe also »gegenüber die Thesis meines reinen Ich und Ichlebens, die eine ›notwendige‹, schlechthin zweifellose ist. Alles leibhaft gegebene Dingliche kann auch nicht sein, kein leibhaft gegebenes Erlebnis kann auch nicht sein.«77 Daraus folge, »daß keine aus der Erfahrungsbetrachtung der Welt geschöpften Beweise erdenklich sind, die uns mit absoluter Sicherheit der Weltexistenz vergewisserten«78.
Gegenstand phänomenologischer Forschung ist für Husserl das Dingliche allein in seiner Bezogenheit auf das Bewußtsein. »Was die Dinge sind, die Dinge, von denen wir allein Aussagen machen, über deren Sein oder Nichtsein, Sosein oder Anderssein wir allein streiten und uns vernünftig entscheiden können, das sind sie als Dinge der Erfahrung.«79 »Man darf sich ... durch die Rede von der Transzendenz des Dinges gegenüber dem Bewußtsein oder von seinem ›An-sich-sein‹ nicht täuschen lassen. Der echte Begriff der Transzendenz des Dinglichen, der das Maß aller vernünftigen Aussagen über Transzendenz ist, ist doch selbst nirgendwoher zu schöpfen, es sei denn aus dem eigenen Wesensgehalte der Wahrnehmung, bzw. der bestimmt gearteten Zusammenhänge, die wir ausweisende Erfahrung nennen.«80 »Niemals ist ein an sich seiender Gegenstand ein solcher, den Bewußtsein und Bewußtseins-Ich nichts anginge.«81 Dagegen werde »das Sein des Bewußtseins ... durch eine Vernichtung der Dingwelt zwar notwendig modifiziert, aber in seiner eigenen Existenz nicht berührt«82. Es sei also »immanentes Sein ... zweifellos in dem Sinne absolutes Sein, daß es prinzipiell nulla ›re‹ indiget ad existendum; andererseits« aber »die Welt der transzendenten ›res‹ durchaus auf Bewußtsein, und zwar nicht auf logisch erdachtes, sondern aktuelles angewiesen«83. »Zwischen Bewußtsein und Realität gähnt ein wahrer Abgrund des Sinnes. Hier ein sich abschattendes, nie absolut zu gebendes, bloß zufälliges und relatives Sein; dort ein notwendiges und absolutes Sein, prinzipiell nicht durch Abschattung und Erscheinung zu geben.«84 Damit meint Husserl gerechtfertigt das »reine Bewußtsein in seinem absoluten Eigensein« als »›phänomenologisches Residuum‹«85; zugleich meint er damit beantwortet die Frage, was denn nach radikalem Vollzuge der epoxh übrig bleibe.
Es läßt sich schwerlich etwas dagegen einwenden, daß Husserls Analysen einsetzen bei dem »natürlichen Weltbild«. Die Kritik des natürlichen Weltbildes ist genetisch wenigstens die nächste Aufgabe aller Erkenntnistheorie, nur freilich die Kontrastierung der natürlichen und »reduzierten« Welt nicht eben ein neues Ergebnis der Husserlschen Phänomenologie. Das natürliche Weltbild der Kritik unterziehen aber heißt: es prüfen nach dem Maße dessen, was uns zweifelsfrei gewiß ist, verfolgen, ob es vom Zusammenhang unserer Erlebnisse notwendig gefordert wird. Husserl wendet sich zwar – wie erwähnt86 – gegen die Forderung des Rückgangs aller Begründung auf die unmittelbaren Vorfindlichkeiten; allein abgesehen davon, daß er diese Forderung durch den Vollzug der phänomenologischen selbst zu erfüllen trachtet, ist sein Einwand deutlich als gegen die naturalistische »Causalerklärung realen psychischen Geschehens«87 gerichtet zu verstehen. Auch im Sinne von Husserls Untersuchung ist somit zu fordern, daß das natürliche Weltbild letztlich in unmittelbar Bekanntem, d.h. unseren Erlebnissen und deren Zusammenhang, sich ausweise.
Die natürliche Welt ist eine Welt von Dingen. Dinge aber sind uns nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar bekannt: Dinge sind nicht Erlebnisse. Die Disjunktion von dinglichem und phänomenalem Sein in klares Licht zu rücken, ist eine der Hauptabsichten der »phänomenologischen Fundamentalbetrachtung«. Den Anspruch aber, wissenschaftlich begründete Einsichten zu gewähren, darf diese Disjunktion nur dann machen, wenn der Aufbau des dinglichen Seins auf dem Grunde des Phänomenalen analysiert wird. Diese Analyse kann sinnvoll allein vollzogen werden, wenn die Existenz von dinglichem Sein bei der Deskription der Erlebnisse nicht schon mitgesetzt ist; andernfalls begeht das Verfahren den logischen Fehler einer petitio principii, da ja das dingliche Sein gerade legitimiert werden soll. Der Vorwurf dieser petitio ist wider Husserl zu erheben. Durch den Vollzug der phänomenologischen epoxh wird daran – wie sich uns alsbald an den Sachen ergeben wird – nichts geändert. Die epoxh ist »eine gewisse Urteilsenthaltung, die sich mit der unerschütterten und ev. unerschütterlichen, weil evidenten Überzeugung von der Wahrheit verträgt«88. Ob nun im Rahmen einer solchen Urteilsenthaltung oder in naiver Meditation die Existenz von dinglichem Sein bei der Bewußtseinsanalyse mit angesetzt wird, ist zum mindesten erkenntnistheoretisch gleichgültig. Daß der unzulässige Ansatz von dinglichem Sein bei Husserl tatsächlich sich findet, sollen die folgenden Untersuchungen bestätigen.
Bewußtsein, als Thema phänomenologischer Forschung, nimmt Husserl »in einem prägnanten und sich zunächst darbietenden Sinne, den wir am einfachsten bezeichnen durch das Cartesianische cogito, das ›Ich denke‹. Bekanntlich wurde es von Descartes so weit verstanden, daß es mit umfaßt jedes ›Ich nehme wahr, Ich erinnere mich, Ich phantasiere, Ich urteile, fühle, begehre, will‹ und so alle irgend ähnlichen Icherlebnisse in den unzähligen fließenden Sondergestaltungen.«89 Die Ausdrücke »cogitatio« und »Bewußtseinserlebnis überhaupt« sind bei Husserl gleichbedeutend gebraucht. Es darf zunächst außer Betracht bleiben, daß Husserl den Sinn des Terminus »cogito« später auf »Aktualitäten« einschränkt90, denn: »Wenn wir von dem ›Wissen vom gegenwärtigen Erlebnis‹ sprechen, so drücken wir nur mit anderen Worten aus, was wir auch meinen, wo wir einfach, vom gegenwärtigen Dasein dieses Erlebnisses (als des gegenwärtigen Teiles der zeitlichen Mannigfaltigkeit) sprechen. ... Es ist also nicht etwa das Wissen von dem gegenwärtig unmittelbar gegebenen Gegenstand noch als ein besonderer Teil des Erlebnisses neben diesem Gegenstand zu unterscheiden.«91 Was Husserl nötigt, diese Scheidung in der Scheidung »aktueller« und »inaktueller« cogitationes dennoch vorzunehmen, wird sich ergeben. Einstweilen ist festzuhalten: Husserl gebraucht den Ausdruck cogitatio ebenso weit wie ihn Descartes gebraucht: als Titel für »Bewußtseinserlebnisse überhaupt«. Auch die »Teilerlebnisse der Klasse a« im Sinne der »Transcendentalen Systematik« heißen bei Husserl »cogitationes«.
Zugleich aber heißen alle cogitationes »intentionale Erlebnisse«. »Allgemein gehört es zum Wesen jedes aktuellen cogito, Bewußtsein von etwas zu sein. In ihrer Weise ist aber ... die modifizierte cogitatio« – d.h. das »inaktuelle« Erlebnis – »ebenfalls Bewußtsein, und von demselben wie die entsprechende unmodifizierte. Die allgemeine Wesenseigenschaft des Bewußtseins bleibt also in der Modifikation erhalten. Alle Erlebnisse, die diese Wesenseigenschaft gemein haben, heißen auch ›intentionale Erlebnisse‹ (Akte im weitesten Sinne der ›Logischen Untersuchungen‹); sofern sie Bewußtsein von etwas sind, heißen sie auf dieses Etwas ›intentional bezogen‹.«92 Dem widerspricht zunächst eine bald auf die angeführte folgende Stelle der »Ideen«: »Unter Erlebnissen im weitesten Sinne verstehen wir alles und jedes im Erlebnisstrom Vorfindliche; also nicht nur die intentionalen Erlebnisse, die aktuellen und potentiellen cogitationes, dieselben in ihrer vollen Konkretion genommen; sondern was irgend an reellen Momenten in diesem Strom und seinen konkreten Teilen vorfindlich ist.«93 Wenn Husserl die Erlebnisse überhaupt in aktuelle und potentielle cogitationes eingeteilt hat, alle cogitationes aber unter dem Namen »intentionale Erlebnisse« befaßt: welche Erlebnisse sollen dann nicht »intentionale Erlebnisse« sein? Eindrucksbestandteilen jedenfalls kommt nach Husserl Intentionalität zu: »Der Problemtitel, der die ganze Phänomenologie umspannt, heißt Intentionalität. Er drückt eben die Grundeigenschaft des Bewußtseins aus, alle phänomenologischen Probleme, selbst die hyletischen« – die ›stofflichen‹, also etwa die Empfindungen –, »ordnen sich ihm ein. Somit beginnt die Phänomenologie mit Problemen der Intentionalität.«94
Die Doppeldeutigkeit der »cogitatio« als »Bewußtseinserlebnis überhaupt« und als »intentionales Erlebnis« ist keine vorübergehende Ungenauigkeit der Terminologie; sie wurzelt in den Sachen. Husserl kennt überhaupt nur intentionale Erlebnisse, nur Bewußtsein von etwas; die Inhalte, die symbolische Funktion besitzen, die »Teilerlebnisse der Klasse a« im Sinne der »Transcendentalen Systematik«95, werden zwar auch von ihm als »gegenwärtiges Wissen von Gegenständen, die nicht gegenwärtige Erlebnisse sind«96, verstanden; die »Teilerlebnisse der Klasse a« jedoch als Bewußtsein von Dingen. Vergebens wehrt Husserl sich gegen die Bilder- und Zeichentheorie97: wenn es bei ihm heißt, »die Dingwahrnehmung« vergegenwärtige »nicht ein Nichtgegenwärtiges, als wäre sie eine Erinnerung oder Phantasie; sie gegenwärtigt, sie erfaßt ein Selbst in seiner leibhaftigen Gegenwart«98, so ist dagegen anzumerken, daß in Wahrheit Bewußtsein von einem Dinge sehr wohl (und notwendig) »Erinnerung« voraussetzt – oder aber die Annahme einer vom Bewußtsein unabhängigen Existenz von Dinglichem. Um den Ansatz solcher dinglicher Transzendenz handelt es sich bei Husserl in der Tat, und es gilt auch gegen Husserl, was in der »Transcendentalen Systematik« gegen Franz Brentano gesagt ist: »Zu der ... falschen Voraussetzung« – daß auch für die unmittelbar gegebenen Inhalte noch »Akte« des »Erlebens« oder »Bemerkens« neben jenen Inhalten gegeben sein müßten – »hat wohl vor allem die schwer zu überwindende Neigung geführt, alle Gegenstände sofort zu verdinglichen. Für die Erkenntnis aller dinglichen Gegenstände ist in der Tat stets ein vermittelndes Erlebnis notwendig, weil diese Gegenstände ... ihrer Natur nach nur mittelbar gegeben sein können.«99
Die Supposition von dinglichem Sein verbirgt sich in der Unklarheit des Husserlschen Wahrnehmungsbegriffs. An keiner Stelle der »Ideen« ist gesagt, ob »Wahrnehmung« »Eindrucksbestandteile« oder »Vorstellungsbestandteile« unserer Erlebnisse bezeichne; die Bestimmung der »immanenten Wahrnehmung«, in deren Falle »Wahrnehmung und Wahrgenommenes wesensmäßig eine unvermittelte Einheit«100 bilden sollen, scheint auf Eindrucksbestandteile bezogen, ebenso der allerdings recht dunkelsinnige Satz, es könne »ein Wahrgenommenes selbst sehr wohl Bewußtseinserlebnis sein«101; nur daß im Falle einer solchen »immanenten Wahrnehmung« die Scheidung von Wahrnehmung und Wahrgenommenem überhaupt überflüssiger-, ja sogar fälschlicherweise vollzogen wird, da doch Existieren und Bemerktwerden von unmittelbar Gegebenem das gleiche ist. Zudem aber stehen jene Sätze in offenbarem Widerspruch zu anderen Stellen der »Ideen«. »Die Abschattung« – d.h. die Wahrnehmung – »ist prinzipiell nicht von derselben Gattung wie Abgeschattetes« (d.h. Wahrgenommenes)102. Das könnte von »Vorstellungsbestandteilen« mit einigem Rechte gesagt sein, aber Husserl dürfte es keinesfalls allgemein von »Wahrnehmungen« sagen, denen er doch auch die Eindrucksbestandteile zuzählt. Hätte Husserl die Unterscheidung von immanenter und transzendenter Wahrnehmung konsequent durchgeführt, er wäre auf das Fundiertsein der letzteren in der ersteren gestoßen und hätte sich entschließen müssen, »Eindrucksbestandteile« und »Vorstellungsbestandteile« scharf zu sondern. Stattdessen aber koordiniert er immanente und transzendente Wahrnehmung als gleich selbständige Quellen der Erkenntnis. Dadurch macht er die Gegebenheit von Dingen, die auch nach seiner Auffassung (die fragwürdige Erweiterung des Wahrnehmungsbegriffs einmal hingenommen) nur in transzendenter Wahrnehmung, also in Erlebnisteilen der Klasse a gegeben werden, fälschlich zur unmittelbaren Gegebenheit. Bei Betrachtung von Husserls Beispielanalyse wird das völlig deutlich werden.
Das »wahrnehmende Sehen und Betasten« eines vor mir liegenden Papiers soll »das volle konkrete Erlebnis von dem hier liegenden Papier«103 sein. Was aber heißt hier »Wahrnehmen«? Nichts anderes als ein »Wiedererkennen der zweiten Kategorie«: »Der jetzige Eindruck wird als Bestandteil einer von früher her bekannten Art von successiven Complexen wiedererkannt, in welchen auf die Inhalte, die ihm im Sinne der ersten Kategorie« – d.h. ohne Rücksicht auf die Stellung der früheren Gegenstände im Zusammenhang weiterer Complexe – »ähnlich waren, noch bestimmte andere Inhalte nachgefolgt sind.«104 Wiedererkennen aber, als »Tatsache der Erkenntnis der Ähnlichkeit eines Inhalts mit früher Gegebenem«105, ist zugleich Wissen von früher Gegebenem, allgemein: »jeder Eindruck von bekannter Beschaffenheit ist ... zugleich Erinnerungserlebnis«106. Die Bedeutung der »symbolischen Funktion« für dingliches Bewußtsein wird von Husserl ganz übersehen. Setzt man sie in Rechnung, so gewinnt die Scheidung von cogitatio und cogitatum sofort einen klaren Sinn: sie wird zur Scheidung von unmittelbarem und mittelbarem Gegebensein. Cogitata können dabei sowohl »allgemeine« Gegenstände (d.h. solche, die »der Einordnung an eine bestimmte Stelle der Zeitreihe ermangeln«107) wie »individuelle« Inhalte (die »stets mit irgendwelcher zeitlichen Bestimmung, in einer zeitlichen Beziehung des vor oder nach zu bestimmten anderen individuellen Anhalten gegeben«108 sind) sein, »ideale« und »reale« Gegenstände109. Den Begriff der »cogitatio« wird man füglich einzuschränken haben auf Erlebnisteile mit symbolischer Funktion. Bezieht man jedoch, wie Husserl, »Wahrnehmung« auf »Wahrgenommenes«, ohne daß man diese Beziehung als Wissen von früheren Erlebnissen versteht, so mißversteht man diese Beziehung als Wissen von transzendenten Dingen, die doch eben durch die epoxh ausgeschaltet sein sollten.
Husserls Unterscheidung zwischen dem »reellen Bestand der Wahrnehmung« und ihrem »transzendenten Objekt«110 läßt die Supposition dinglicher Transzendenz offen hervortreten. Wenn ich »immerfort diesen Tisch sehe«, um ihn herumgehe usw. und »kontinuierlich das Bewußtsein vom leibhaftigen Dasein dieses einen und selben Tisches« habe – woher soll dies Bewußtsein anders stammen als aus dem ausweisenden Zusammenhang meines persönlichen Bewußtseinsverlaufs? Solchen Ausweis aber verachtet Husserl als »zur bloßen psychologischen Konstitution«111 des Gegenstandes gehörig, und muß doch zu eben dieser »psychologischen Konstitution« im nächsten Augenblick seine Zuflucht nehmen, da er, um die Identität des Dinges Tisch zu erklären, das »synthetische Bewußtsein, das die neue Wahrnehmung« – den neuen Eindruck – »mit der Erinnerung verknüpft«112, einzuführen sich genötigt sieht. Sogleich indessen gibt er diese Methode wieder preis: »Das wahrgenommene Ding kann sein, ohne wahrgenommen, ohne auch nur potentiell bewußt zu sein ...; und es kann sein, ohne sich zu verändern. Die Wahrnehmung selbst ist aber, was sie ist, im beständigen Fluß des Bewußtseins und selbst ein beständiger Fluß: immerfort wandelt sich das Wahrnehmungs-Jetzt in das sich anschließende Bewußtsein des Soeben-Vergangenen, und zugleich leuchtet ein neues Jetzt auf usw.«113 Allerdings: wer den Zusammenhang des persönlichen Bewußtseins als punkthaftes »Aufleuchten« von isoliertem, stets neuem Jetzt auffaßt, der muß wohl das »wahrgenommene Ding, das sein kann, ohne wahrgenommen zu werden«, jenseits dieses punktuellen Bewußtseins suchen.
Damit ist der letzte Grund erreicht, der Husserl zum Ansatz dinglicher Transzendenz zwingt: die Überreste einer atomistischen Psychologie sind es (Psychologie in jenem Sinne der Methode zur Feststellung idealgesetzlicher Zusammenhänge gebraucht, in dem auch Husserls Phänomenologie Psychologie genannt werden darf), die die Konstitution des Dinges an sich als des gesetzmäßigen Zusammenhanges der Erscheinungen unmöglich machen. »Wenn eine Mehrheit von Eindrücken als Ganzes wiedererkannt wird, so ist dieses Wiedererkennen des Ganzen nicht etwa auf ein solches seiner einzelnen Bestandteile zurückzuführen. In jeder Mehrheit sind vielmehr ... Beschaffenheiten gegeben, welche den einzelnen Teilen der Mehrheit nicht zukommen.«114 Diese »Gestaltqualitäten« nun haben für den Tatbestand der »Erwartung«115 fundamentale Bedeutung: die Gestaltqualitäten, durch die die Mehrheit der Teile als zum Zusammenhang eines persönlichen Bewußtseins gehörig charakterisiert wird, bezeichnen ja eben die »von früher her bekannten successiven Complexe«, in denen auf die im Sinne der ersten Kategorie ähnlichen Inhalte noch andere gefolgt waren. Vernachlässigt man diese Gestaltqualitäten, so wird die Erwartung des Eintretens bestimmter Inhalte als gesetzmäßiger Tatbestand zum Wunder, und jene Erwartung zu erklären, muß man ein transzendentes Korrelat der Eindrücke hypostasieren, die in ihrer Isoliertheit niemals einen bestimmten Erwartungszusammenhang fordern würden116.
Als Frucht atomistischer Psychologie begreift sich auch – wie beigefügt sei – Husserls Scheidung von »aktuellen« und »potentiellen« Akten, von »bemerkten« und »unbemerkten« Erlebnissen. »Unbemerkt« kann nur mittelbar Gegebenes sein; da aber mittelbar gegeben für Husserl nur unterschiedene Teilinhalte, nicht auch Komplexe sein können, so setzt er, wo es sich um ein Wissen von Komplexen durch Gestaltqualitäten handelt, ohne daß die Teile unterschieden wären, fälschlich Unbemerktheit des unmittelbar Gegebenen voraus.
Aus den durchgeführten Betrachtungen folgt zunächst eine Kritik der Husserlschen Lehre von Abschattung und Abgeschattetem. Wäre diese Scheidung als Scheidung von »realen« Gegenständen (»die stets zu irgend einer Zeit als unmittelbar gegeben zu denken sind«) und »idealen« Gegenständen (»die nur mittelbar gegeben sein können«117) gemeint, so bestünde der Satz »Abschattung ... ist prinzipiell nicht von derselben Gattung wie Abgeschattetes«118 zu vollem Recht. Allein in diesem klaren Sinn ist nicht unterschieden. Denn da ja nach Husserl die gegenständlichen Momente »in die Wahrnehmung mit dem Charakter der leibhaften Selbstgegebenheit«119 fallen, sollen sie eben doch unmittelbar gegeben sein – in der Wahrnehmung, von der sie zugleich unterschieden sind. Der Widersinn ist evident. Der hoffnungslose Versuch, die vorausgesetzte Transzendenz des Dinglichen in Phänomenalem zu legitimieren, hat ihn gezeitigt. So wenig Dinge Transzendenzen sind, so wenig sind sie Erlebnisse. Sie sind Gesetze für Erlebnisse, konstituiert einzig durch den Zusammenhang unseres persönlichen Bewußtseins.
Mußte Husserl in der Abschattungstheorie Dingliches als Erlebnis mißverstehen, so drängt ihn die Disjunktion von Sein als Erlebnis und Sein als Realität, die sich anschließt, dazu, Dingliches wieder ganz aus dem Bereich des Erlebniszusammenhanges zu verbannen. Die unklare Transzendenz des Dinglichen zu seiner Wahrnehmung wird zur dogmatischen Transzendenz des Dinges zum Bewußtsein. »Zum Dinge als solchem, zu jeder Realität in dem echten ... Sinn, gehört wesensmäßig und ganz ›prinzipiell‹ die Unfähigkeit, immanent wahrnehmbar und somit überhaupt im Erlebniszusammenhang vorfindlich zu sein.«120 Immanent wahrnehmbar? Gewiß, Dinge sind keine Erlebnisse121. Aber folgt daraus wirklich, daß sie »überhaupt im Erlebniszusammenhang« nicht »vorfindlich« sind? Keineswegs. Man muß sich nur den kritisch gereinigten Dingbegriff deutlich vergegenwärtigen. Dinge sind nicht einzelne Erlebnisse, sondern Beziehungen zwischen Erlebnissen – Gesetze für ihren Verlauf. Als solche aber sind sie dem Zusammenhang des Bewußtseins durchaus und im strengen Sinne immanent. Die Rede von der »schlechthinnigen Transzendenz« des Dinges ist somit unerlaubt; ebenso die Rede von der »prinzipiellen Unterschiedenheit der Seinsweisen«, der »kardinalsten, die es überhaupt gibt«, der »zwischen Bewußtsein und Realität«122. Was dürfte den Titel »Realität« beanspruchen, wenn nicht unsere Erlebnisse? Von welcher anderen Realität wüßten wir?
Zugleich korrigiert sich die Rede von der Zweifellosigkeit der immanenten, der Zweifelhaftigkeit der transzendenten Wahrnehmung123. Daß »ein Ding notwendig in bloßen Erscheinungsweisen«, daß es »inadäquat« gegeben sei, wird man Husserl gern einräumen. Die Unterscheidung von »Dingform« und »Erscheinungsform«124 in der »Transcendentalen Systematik« zielt auf das Gleiche, und die »objektive Existenz« des »unabhängig von dem jeweiligen Auftreten der ihm angehörigen oder unter es fallenden Erscheinungen«125 existierenden Realgesetzes bezeichnet ausdrücklich das Verhältnis von Ding und Erscheinung. Aber obwohl keine Erscheinung »die Sache als ›Absolutes‹ gibt«126, sind wir nicht berechtigt zu sagen, es sei »dingliche Existenz ... nie eine durch die Gegebenheit als notwendig geforderte, sondern in gewisser Art immer zufällige«127. Der Husserlschen These gegenüber gilt mit Schärfe: Insoweit und nur insoweit wie sie sich als durch die Gegebenheiten geforderte ausweisen kann, besteht dingliche Existenz. Alle unsere einzelnen dinglichen Urteile können falsch sein, d.h. durch den Zusammenhang unserer Erlebnisse widerlegt werden. Jedoch damit wird nicht das Bereich der Dinge toto genere der dubitatio unterworfen, sondern besteht solange zu Recht, wie unsere Auffassungen im Sinne der ersten und zweiten Kategorie eintreten. Dies aber ist eine im Kantischen Sinne transzendentale Tatsache, die notwendig immer und überall eintreten muß128. Nur eine Theorie, die das dingliche Sein als transzendent ansetzt, kann das dingliche Sein als solches bezweifeln.
Weiterhin berichtigt sich uns die metaphysische These von der »Zufälligkeit der Welt«129. Man mag es immerhin Zufall nennen, daß uns überhaupt Erlebnisse zuteil werden, obzwar damit wenig mehr denn nichts gesagt ist, da man sich einen Bewußtseinszusammenhang, der nicht auf Erlebnisse bezogen wäre, schlechterdings nicht vorstellen kann. Aber wenn uns Erlebnisse gegeben sind, dann ist eben dingliches Sein nicht zufälliges, sondern durch den Zusammenhang der Erlebnisse gefordertes. Husserls Satz: »Alles leibhaft gegebene Dingliche kann auch nicht sein, kein leibhaft gegebenes Erlebnis kann auch nicht sein«130, ist also unrichtig; abgesehen davon, daß – wie ausgeführt – Dingliches überhaupt nicht »leibhaft« gegeben sein kann, daß hingegen alle unsere Erlebnisse uns irgendwann einmal »leibhaft«, d.h. unmittelbar gegeben sein müssen, abgesehen von diesen Ungenauigkeiten verfehlt sich der Husserlsche Satz dagegen, daß stets und überall dingliches Sein sein muß, wo der Zusammenhang der Erlebnisse es fordert. Auch von der »Zufälligkeit« der Welt darf sonach nicht geredet werden. Keine kommende Erfahrung könnte widerlegen, was »Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung«131 ist. Eine solche transzendentale Bedingung aber ist es, daß wir »was in schwankender Erscheinung schwebt, in dauernden Gedanken fassen: – fassen müssen«132. So wenig das Dingliche zweifelhaft ist, so wenig ist es zufällig. Daß wir überall und immer auf dingliche Urteile verwiesen sind, berichtigt schließlich noch Husserls Antithese: »Das immanente Sein ist ... zweifellos in dem Sinne absolutes Sein, daß es prinzipiell nulla ›re‹ indiget ad existendum. Andererseits ist die Welt der transzendenten ›res‹ durchaus auf Bewußtsein, und zwar nicht logisch erdachtes, sondern aktuelles angewiesen.«133 Die »res« sind nicht transzendente Gegenstände, sondern konstituieren sich auf Grund der transzendentalen Bedingungen der Erfahrung; darum bedarf das Bewußtsein ebensosehr der »res« wie die »res« des Bewußtseins. Der »Abgrund des Sinnes« zwischen »Bewußtsein« und »Realität« ist bloßer Trug. Nicht ein der »Wirklichkeit ›kontrastiertes‹ reines Bewußtsein« ist das Forschungsgebiet der Phänomenologie: In der Deskription der Gesetze des Zusammenhanges unserer Erfahrung erfüllt sie ihre Aufgabe.
II. Die Transzendenz des Noema
Der Kontrast von »Bewußtsein« und »Realität« ist das zentrale Motiv von Husserls Erkenntnistheorie. Da Husserl die »res« auf das Bewußtsein notwendig bezogen glaubt, nicht aber das Bewußtsein auf die »res«, ist er gezwungen, im Bewußtsein selbst den Grund jenes »kardinalsten Unterschiedes der Seinsweisen« aufzusuchen, während doch eine im Bereiche des persönlichen Bewußtseinszusammenhanges gehaltene Analyse gerade die Nichtigkeit jenes Unterschiedes aufweisen muß. Die Supposition dinglicher Transzendenz stellt Husserl vor das prinzipiell unlösbare Problem einer auf Transzendenzen gerichteten Erkenntnistheorie, ein Problem, das sich sogleich als Scheinproblem enthüllt, wenn man die Einsicht gewonnen hat, daß Dinge nichts anderes sind als Regeln für Erscheinungen. Eine Erkenntnistheorie aber, die nicht im Besitze jener Einsicht ist, gerät in stets weitergreifende Widersprüche; sie meint das naturalistische Ding an sich zu eliminieren und kann doch nicht zum Begriff des »immanenten Dinges an sich« – des Begriffs der erkannten Gesetzmäßigkeiten der Erscheinungen – durchdringen; sie muß zugestehen, daß Dinge nicht unmittelbar gegeben sind und wagt es doch nicht, die Dinge als mittelbar gegeben zu begreifen. Am Begriff des Noema und seiner Problematik wird deutlich, in welcher Extension Husserls verfehlte Dingtheorie seine Erkenntnislehre beherrscht.
Es wurde oben darauf hingewiesen, daß für Husserl alles Bewußtsein »Bewußtsein von etwas« ist134; und dies »Bewußtsein von etwas« versteht Husserl nicht in dem Sinne, daß immer und überall Teilerlebnisse der Klasse a und der Klasse a unterschieden werden, sondern so vielmehr, daß alle Teilerlebnisse der Klasse a zugerechnet werden, mit anderen Worten, daß auch den Eindrucksbestandteilen symbolische Funktion zukommen soll, die dann nur als auf dingliche Transzendenzen gehend angenommen werden kann. Dies Verhältnis wird ausdrücklich als nicht naturalistisches bezeichnet, sondern soll im Rahmen der epoxh statthaben, soll auch für das reduzierte, von dinglichen Transzendenzen gereinigte Bewußtsein bestehen bleiben. Thema der Phänomenologie soll das »Bewußtsein von etwas« sein, so wie es nach Vollzug der epoxh dem Studium sich darbietet. »Die Ausschaltung hat ... den Charakter einer umwertenden Vorzeichenänderung, und mit dieser ordnet sich das Umgewertete wieder der phänomenologischen Sphäre ein. Bildlich gesprochen: Das Eingeklammerte ist nicht von der phänomenologischen Tafel weggewischt, sondern eben nur eingeklammert und dadurch mit einem Index versehen. Mit diesem aber ist es im Hauptthema der Forschung.«135 Damit ist bereits das widersinnige Postulat einer »Erkenntnistheorie von Transzendenzen« ausgesprochen; klar formuliert es Husserl in dem Satz: »Alles Transzendente, sofern es bewußtseinsmäßig zur Gegebenheit kommt, ist nicht nur nach seiten des Bewußtseins von ihm, z.B. der verschiedenen Bewußtseinsweisen, in denen es als dasselbe zur Gegebenheit kommt, Objekt phänomenologischer Untersuchung, sondern auch, obschon damit wesentlich verflochten, als das Gegebene und in den Gegebenheiten Hingenommene.«136
Der Unterschied zwischen den »Bewußtseinsweisen, in denen Transzendentes zur Gegebenheit kommt«, und den »transzendenten Gegebenheiten« selbst wird zum Kanon von Husserls Erkenntnistheorie. An ihn knüpft die Rede von »reell und intentional«137 in den Erlebnissen Beschlossenem an, ohne freilich zunächst klar bestimmt zu werden. Den Titel »Intentionalität« behält Husserl nicht streng den Erlebnissen mit »symbolischer Funktion« vor: »Die Intentionalität ist es, die Bewußtsein im prägnanten Sinne charakterisiert, und die es rechtfertigt, zugleich den ganzen Erlebnisstrom als Bewußtseinsstrom und als Einheit eines Bewußtseins zu bezeichnen.«138 In schwankender, für die sachliche Unsicherheit tief bezeichnender Terminologie schränkt Husserl den Begriff der Intentionalität, der doch nach S. 64 der »Ideen« und nach der zuletzt zitierten Stelle allen cogitationes zukommen sollte, alsbald wieder ein; man müsse »prinzipiell unterscheiden: 1. all die Erlebnisse, welche in den ›Logischen Untersuchungen‹ als ›primäre Inhalte‹ bezeichnet waren; 2. die Erlebnisse, bzw. Erlebnismomente, die das Spezifische der Intentionalität in sich tragen. Zu den ersteren gehören gewisse ... ›sensuelle‹ Erlebnisse, ›Empfindungsinhalte‹.«139
Ob »solche sensuellen Erlebnisse im Erlebnisstrom überall und notwendig irgendwelche ›beseelende Auffassung‹ tragen ..., oder, wie wir auch sagen, ob sie immer in intentionalen Funktionen stehen«140, läßt Husserl hier offen. »Jedenfalls spielt im ganzen phänomenologischen Gebiet ... diese merkwürdige Doppelheit und Einheit von sensueller ylh und intentionaler morph eine beherrschende Rolle.«141 Was nun »die Stoffe zu intentionalen Erlebnissen formt und das Spezifische der Intentionalität hereinbringt, ist eben dasselbe wie das, was der Rede vom Bewußtsein seinen« (soll heißen »ihren«) »spezifischen Sinn gibt: wonach eben Bewußtsein eo ipso auf etwas hindeutet, wovon es Bewußtsein ist.«142 Da »die Rede von Bewußtseinsmomenten, Bewußtheiten und allen ähnlichen Bildungen, und desgleichen die Rede von intentionalen Momenten durch vielfältige ... Äquivokationen ganz unbrauchbar ist, führen wir den Terminus noetisches Moment oder, kürzer gefaßt, Noese ein.«143 »Der Strom des phänomenologischen Seins hat eine stoffliche und eine noetische Schicht.«144 Die allergrößten Probleme der Phänomenologie sind nach Husserl die »funktionellen Probleme, bzw. die der ›Konstitution der Bewußtseinsgegenständlichkeiten‹«145. »In umfassendster Allgemeinheit gilt es ... zu erforschen, wie sich objektive Einheiten jeder Region und Kategorie ›bewußtseinsmäßig konstituieren‹.«146
Die allgemeinste und fundamentale Unterscheidung aber, auf die wir »hinsichtlich der Intentionalität« stoßen, ist »die Unterscheidung zwischen eigentlichen Komponenten der intentionalen Erlebnisse und ihren intentionalen Korrelaten, bzw. deren Komponenten«147. »Auf der einen Seite haben wir ... die Teile und Momente zu unterscheiden, die wir durch eine reelle Analyse des Erlebnisses finden, wobei wir das Erlebnis als Gegenstand behandeln wie irgendeinen anderen, nach seinen Stücken oder unselbständigen, ihn reell aufbauenden Momenten fragend. Andererseits ist aber das intentionale Erlebnis Bewußtsein von etwas ...; und so können wir fragen, was nach seiten dieses ›von etwas‹ wesensmäßig auszusagen ist.«148 »Jedes intentionale Erlebnis ist, dank seiner noetischen Momente, eben noetisches; es ist sein Wesen, so etwas wie einen ›Sinn‹ und ev. mehrfältigen Sinn in sich zu bergen, auf Grund dieser Sinngebungen und in eins damit weitere Leistungen zu vollziehen, die durch sie eben ›sinnvolle‹ werden.«149 »Wie sehr nun diese Reihe von exemplarischen Momenten« – der noetischen – »auf reelle Komponenten der Erlebnisse hinweist, so weist sie doch auch, nämlich durch den Titel Sinn, auf nicht reelle. Überall entspricht den mannigfaltigen Daten des reellen, noetischen Gehaltes eine Mannigfaltigkeit ... aufweisbarer Daten in einem korrelativen ›noematischen Gehalt‹, oder kurzweg im ›Noema‹.«150 »Die Wahrnehmung z.B. hat ihr Noema, zu unterst ihren Wahrnehmungssinn, d.h. das Wahrgenommene als solches. Ebenso hat die jeweilige Erinnerung ihr Erinnertes als solches eben als das ihre, genau wie es in ihr ›Gemeintes‹, ›Bewußtes‹ ist ... Überall ist das noematische Korrelat ... genau so zu nehmen, wie es im Erlebnis der Wahrnehmung ... ›immanent‹ liegt, d.h. wie es, wenn wir rein dieses Erlebnis selbst befragen, uns von ihm dargeboten wird.«151
Das soll »zu voller Klarheit durch Ausführung einer exemplarischen Analyse ... kommen«152.
»Angenommen, wir blicken ... in einen Garten auf einen blühenden Apfelbaum, auf das jugendfrische Grün des Rasens usw. Offenbar ist die Wahrnehmung ... nicht das zugleich Wahrgenommene ... In der natürlichen Einstellung ist uns der Apfelbaum ein Daseiendes in der transzendenten Raumwirklichkeit, und die Wahrnehmung ... ein uns, den realen Menschen zugehöriger psychischer Zustand. Zwischen dem einen und anderen Realen, dem realen Menschen, bzw. der realen Wahrnehmung, und dem realen Apfelbaum bestehen reale Verhältnisse ... Nun gehen wir in die phänomenologische Einstellung über. Die transzendente Welt erhält ihre ›Klammer‹, wir üben in Beziehung auf ihr Wirklichsein epoxh. Wir fragen nun, was im Komplex noetischer Erlebnisse der Wahrnehmung ... vorzufinden ist. Mit der ganzen physischen und psychischen Welt ist das wirkliche Bestehen des realen Verhältnisses zwischen Wahrnehmung und Wahrgenommenem ausgeschaltet; und doch ist offenbar ein Verhältnis zwischen Wahrnehmung und Wahrgenommenem ... übrig geblieben, ein Verhältnis, das zur Wesensgegebenheit in ›reiner Immanenz‹ kommt, nämlich rein auf Grund des phänomenologisch reduzierten Wahrnehmungs- ... Erlebnisses, so wie es sich dem ... Erlebnisstrom einordnet ... Auch das phänomenologisch reduzierte Wahrnehmungserlebnis ist Wahrnehmung von ›diesem blühenden Apfelbaum, in diesem Garten usw.‹ ... Der Baum hat von all den Momenten, Qualitäten, Charakteren, mit welchen er in dieser Wahrnehmung erscheinender ... war, nicht die leiseste Nuance eingebüßt.«153 Als Resultat seiner Analyse stellt Husserl die These auf: »In unserer phänomenologischen Einstellung können und müssen wir die Wesensfrage stellen: was das ›Wahrgenommene als solches‹ sei, welche Wesensmomente es in sich selbst, als dieses Wahrnehmungs-Noema, berge.«154
Es ist nun nach Husserl das Ding in der Natur grundverschieden vom reduzierten Ding. »Der Baum schlechthin, das Ding in der Natur, ist nichts weniger als dieses Baumwahrgenommene als solches, das als Wahrnehmungssinn zur Wahrnehmung und unabtrennbar gehört. Der Baum schlechthin kann abbrennen, sich in seine chemischen Elemente auflösen usw. Der Sinn aber – Sinn dieser Wahrnehmung, ein notwendig zu ihrem Wesen Gehöriges – kann nicht abbrennen, er hat keine chemischen Elemente, keine Kräfte, keine realen Eigenschaften.«155 So wenig das Noema mit dem Ding schlechthin zu verwechseln sei, so wenig dürfe es als reell im intentionalen Erlebnis beschlossen gedacht werden. Versuchten wir, das reduzierte Objekt dem Erlebnis als »immanentes« Objekt der Wahrnehmung reell einzulegen, so gerieten wir »in die Schwierigkeit«, daß nun zwei Realitäten einander gegenüberstehen sollen, während doch nur eine vorfindlich und möglich ist. »Das Ding, das Naturobjekt nehme ich wahr, den Baum dort im Garten; das und nichts anderes ist das wirkliche Objekt der wahrnehmenden ›Intention‹. Ein zweiter immanenter Baum oder auch ein ›inneres Bild‹ des wirklichen, dort draußen vor mir stehenden Baumes ist doch in keiner Weise gegeben, und dergleichen hypothetisch zu supponieren, führt nur auf Widersinn.«156 Die Supposition eines Bildbewußtseins hat Husserl bereits früher widerlegt157. »Gegenüber solchen Verirrungen« hätten wir uns »an das im reinen Erlebnis Gegebene zu halten und es im Rahmen der Klarheit genau so zu nehmen, wie es sich gibt«158. Dann »liegt eben in der Wahrnehmung auch dies, daß sie ihren noematischen Sinn, ihr ›Wahrgenommenes als solches‹ hat, ›diesen blühenden Baum dort im Raume‹ ..., eben das zum Wesen der phänomenologisch reduzierten Wahrnehmung gehörige Korrelat. Im Bilde gesprochen: Die ›Einklammerung‹, die die Wahrnehmung erfahren hat, verhindert jedes Urteil über die wahrgenommene Wirklichkeit (d.i. jedes, das in der unmodifizierten Wahrnehmung gründet, also ihre Thesis in sich aufnimmt). Sie hindert aber kein Urteil darüber, daß die Wahrnehmung Bewußtsein von einer Wirklichkeit ist (deren Thesis nun aber nicht mit ›vollzogen‹ werden darf); und sie hindert keine Beschreibung dieser wahrnehmungsmäßig erscheinenden ›Wirklichkeit als solcher‹.«159
Aus alldem folgt für Husserl, daß »zwar zum Wesen des Wahrnehmungserlebnisses in sich selbst der ›wahrgenommene Baum als solcher‹ gehört, bzw. das volle Noema, das durch die Ausschaltung der Wirklichkeit des Baumes selbst und der ganzen Welt nicht berührt wird, daß aber andererseits dieses Noema mit seinem ›Baum‹ in Anführungszeichen ebensowenig in der Wahrnehmung reell enthalten ist, wie der Baum der Wirklichkeit.«160 Damit kehrt die Betrachtung zu Früherem zurück: »Die Farbe des Baumstammes, rein als die wahrnehmungsmäßig bewußte, ist genau ›dieselbe‹ wie diejenige, die wir vor der phänomenologischen Reduktion als die des wirklichen Baumes nahmen ... Diese Farbe nun, in die Klammer gesetzt, gehört zum Noema. Nicht aber gehört sie als reelles Bestandstück zum Wahrnehmungserlebnis, obschon wir auch in ihm ›so etwas wie Farbe‹ finden: nämlich die ›Empfindungsfarbe‹, das hyletische Moment des konkreten Erlebnisses, in welchem sich die noematische, bzw. ›objektive‹ Farbe ›abschattet‹.«161 »Wir gewinnen sogar, im Vollzuge der phänomenologischen Reduktion, die generelle Wesenseinsicht, daß der Gegenstand Baum in einer Wahrnehmung überhaupt als objektiv so bestimmter, wie er in ihr erscheint, nur dann erscheinen kann, wenn die hyletischen Momente ... die sind und keine anderen.«162 »Mit alledem ist auch absolut zweifellos, daß hier ›Einheit‹ und ›Mannigfaltigkeit‹ total verschiedenen Dimensionen angehören, und zwar gehört alles Hyletische in das konkrete Erlebnis als reelles Bestandstück, dagegen das sich in ihm als Mannigfaltigem ›Darstellende‹, ›Abschattende‹ ins Noema.«163 Und weiter: »Nicht nur die hyletischen Momente (die Empfindungsfarben, -töne usw.), sondern auch die sie beseelenden Auffassungen« – Noesen –, »also beides in eins: auch das Erscheinen von der Farbe, dem Tone und so jedweder Qualität des Gegenstandes – gehört zum ›reellen‹ Bestande des Erlebnisses.«164
Husserl faßt zusammen: »Die Bezeichnung der phänomenologischen Reduktion und im gleichen der reinen Erlebnissphäre als ›transzendentaler‹ beruht gerade darauf, daß wir in dieser Reduktion eine absolute Sphäre von Stoffen und noetischen Formen finden, zu deren bestimmt gearteten Verflechtungen nach immanenter Wesensnotwendigkeit dieses wunderbare Bewußthaben eines so und so gegebenen Bestimmten oder Bestimmbaren gehört, das dem Bewußtsein selbst ein Gegenüber, ein prinzipiell Anderes, Irreelles, Transzendentes ist, und das hier die Urquelle ist für die einzig denkbare Lösung der tiefsten Erkenntnisprobleme, welche Wesen und Möglichkeit objektiv gültiger Erkenntnis von Transzendentem betreffen. Die ›transzendentale‹ Reduktion übt epoxh hinsichtlich der Wirklichkeit: aber zu dem, was sie von dieser übrig behält, gehören die Noemen mit der in ihnen selbst liegenden noematischen Einheit, und damit die Art, wie Reales im Bewußtsein selbst eben bewußt und speziell gegeben ist.«165 – Im Anschluß daran verlangt Husserl getrennte Formenlehren der Noesen und Noemata, die er in den folgenden Abschnitten der »Ideen« selbst in Angriff nimmt; diese Formenlehren sollen sich nicht »wie Spiegelbilder zueinander verhalten oder wie durch eine bloße Vorzeichenänderung ineinander übergehen; etwa so, daß wir jedem Noema N substituierten ›Bewußtsein von N‹«166. Das gehe »schon aus dem hervor, was wir oben in Hinsicht auf die Zusammengehörigkeit von einheitlichen Qualitäten im Dingnoema und ihren hyletischen Abschattungsmannigfaltigkeiten in den möglichen Dingwahrnehmungen ausgeführt haben«167.
Das Verhältnis von cogitatio und intentionalem Erlebnis, die Lehre, daß jedes Bewußtsein »Bewußtsein von etwas« sei, wurde bereits kritisch diskutiert168. Es gilt nunmehr klarzulegen, was diese Lehre speziell im Rahmen der phänomenologischen epoxh bedeutet. Unsere Frage lautet: Wenn alles Bewußtsein Bewußtsein von etwas ist, zugleich aber unsere Betrachtung auf das von allen Transzendenzen gereinigte Bewußtsein verwiesen ist – wovon ist es dann Bewußtsein? Darauf muß unsere Antwort sein: Soweit unser Bewußtsein Bewußtsein von etwas ist, ist es Bewußtsein von mittelbar gegebenen realen oder idealen Gegenständen im Sinne der »Transcendentalen Systematik«.
Daß nicht jedes Erlebnis intentionales Erlebnis ist, gesteht Husserl gelegentlich ein. Wäre jedes Erlebnis intentional, so müßte auch bei bloßen Eindrucksbestandteilen zwischen dem Erlebnis und dem, wovon es Erlebnis ist, unterschieden werden; gegen diese Unterscheidung hat Husserl sich früher durch die Identifizierung von Empfindung und Empfindungsinhalt in der fünften Logischen Untersuchung des zweiten Bandes selbst gewandt. Aber stets wieder läßt er sich dazu verleiten, Tatsachen, die er zunächst im Urteilsgebiet konstatiert hat, ohne weiteres auf alles Phänomenale zu übertragen; der Glaube an die Allmacht der »reinen Logik«, von dem noch zu reden sein wird, bringt ihn dazu. Überall aber, wo er auf Phänomenales überträgt, anstatt vom Phänomenalen auszugehen, ist er in Gefahr, die dingliche Transzendenz zu supponieren.
Wenn der Begriff »intentionales Erlebnis« nur den Erlebnisteilen der Klasse a vorbehalten bleibt, dann ist von einer Transzendenz des intentionalen Gegenstandes nicht mehr zu reden; und das Ausgeschlossensein jeder Transzendenz wäre ja auch im Sinne der epoxh gerade zu fordern. Husserls Satz: »Alles Transzendente, sofern es bewußtseinsmäßig zur Gegebenheit kommt, ist nicht nur nach seiten des Bewußtseins von ihm, z.B. der verschiedenen Bewußtseinsweisen, in denen es als dasselbe zur Gegebenheit kommt, Objekt phänomenologischer Untersuchung, sondern auch, obschon damit wesentlich verflochten, als das Gegebene und in den Gegebenheiten Hingenommene«169, – dieser Satz bedarf, wie als bisheriges Ergebnis allem Kommenden vorangestellt sei, mehrfacher Korrektur. Einmal ist im Rahmen der epoxh nicht von Transzendenzen zu reden, sondern von mittelbaren Gegebenheiten. Der Unterschied aber von »Gegebenheitsweisen« und »gegebenen Transzendenzen« wird uns zum Unterschied von Symbol und Symbolisiertem. Daß das Symbolisierte selbst noch keineswegs dinglicher Art sein muß, sondern auch Phänomenales sein kann, ist ausdrücklich festzuhalten. Alles mittelbar Gegebene aber ist zu begreifen nur so, wie es zur Gegebenheit kommt – als Gegenstand erkenntnistheoretischer Analyse, also prinzipiell unablösbar von seiner Gegebenheitsweise. Wohl ist es von ihr unterschieden – als Symbolisiertes vom Symbol. Aber von dieser Unterschiedenheit wissen wir nur eben durch das unmittelbare Gegebensein des Symbols. Die Forderung, das gegenständliche Korrelat eines Erlebnisses »genau so zu nehmen, wie es im Erlebnis ... ›immanent‹ liegt, d.h. wie es, wenn wir rein dieses Erlebnis selbst befragen, uns von ihm dargeboten wird«170, ist also weit strenger zu verstehen, als Husserl selbst sie versteht. Nicht allein wie uns das Gegebene gegeben ist, zeigt uns das Erlebnis an, sondern seine Gegebenheit selber, in Husserls Terminologie das »Was« der Gegebenheit ist allein ausgewiesen durch das Erlebnis mit symbolischer Funktion. Die Tatsache mittelbarer Gegebenheit von Gegenständen erklärt sich einzig durch das Ineinanderwirken der transzendentalen Faktoren unseres Bewußtseins.
Gegen dies Prinzip verfehlt sich Husserls Theorie von Hyle, Noesis und Noema. Es seien (wogegen keinerlei Bedenken besteht) die hyletischen Momente als Erlebnisbestandteile der Klasse a, die noetischen als solche der Klasse a bezeichnet. Dann ist zunächst zu sagen, daß das Erlebnis der Wahrnehmung eines blühenden Apfelbaumes, wie es Husserl beschreibt171, keineswegs ein »schlichtes« (was heißt übrigens exakt »schlicht«?), sondern bereits ein sehr komplexes ist; daß es a- und a-Bestandteile notwendig verflochten enthält, wie ja allgemein in den Tatsachen unseres Bewußtseins a- und a-Bestandteile notwendig verflochten und nur abstraktiv zu trennen sind, da doch die jedem gegenwärtigen Inhalt anhaftende Gestaltqualität ihn in Beziehung setzt zu früheren Inhalten. Daran denkt Husserl wohl auch, wenn er die »hyletischen« Daten dem Problemtitel der Intentionalität unterordnet; aber seine atomistische Psychologie hindert ihn daran, das Verhältnis klar zu überblicken, und darum mißt er den abstraktiv gewonnenen a-Bestandteilen fälschlich symbolische Funktion zu. Wir halten fest: in dem gegenwärtigen Erlebnis ist das Wissen von früheren Inhalten mit gegeben. Frühere Erlebnisse werden erinnert und Ähnlichkeiten mit den früheren Erlebnissen erkannt, erkannt als Glieder eines sukzessiven Komplexes, und im Sinne dieses Wiedererkennens wird das Eintreten weiterer Erlebnisse erwartet; der Erwartungszusammenhang wird sprachlich bezeichnet, der Ausdruck in identischer Bedeutung festgehalten und behauptet, daß wo immer eine Erscheinung unter den Begriff jenes Erwartungszusammenhanges falle, das Eintreten des erwarteten Erlebnisses gesetzmäßig folgen müsse. All dies gehört notwendig zur Wahrnehmung »dieses Baumes«, nicht, wie Husserl meint, als »bloße psychologische Konstitution« des Gegenstandes, sondern als sein vernünftiger Ausweis; d.h. die Rede von »diesem Baum« ist sinnlos, wenn sie nicht in dem skizzierten Zusammenhang ihr Fundament hat, und sie hat kein Fundament, es sei denn diesen Zusammenhang. Was nun Husserl das »Noema« des Wahrnehmungserlebnisses nennt, ist nichts anderes als das Individualgesetz, das unseren Erwartungszusammenhang befaßt. »Objekt« unseres Wahrnehmungserlebnisses ist dieser Erwartungszusammenhang nur insoweit, als er uns in unserem gegenwärtigen Erlebnis symbolisch gegeben ist, nicht aber als eine Transzendenz, auf die unser gegenwärtiges Erlebnis als auf ein von Bewußtsein Unabhängiges gerichtet wäre, oder gar als eine Transzendenz, die uns unmittelbar, phänomenal, »leibhaft« zuteil wird. So aber will Husserl das Noema verstanden haben. Das Verhältnis von unmittelbarer und mittelbarer Gegebenheit verkehrt sich ihm im Falle des »Noema« direkt zum Verhältnis von immanentem und transzendentem Sein. Die Unabhängigkeit des Dinges – des Gesetzes – von seiner Erscheinung wird ihm zur Unabhängigkeit des Dinges von seiner bewußtseinsmäßigen Konstitution, welch letztere er der empirischen Psychologie als Gegenstand überlassen möchte, ohne zu erkennen, daß wir im Falle der Reduktion auf den Bewußtseinszusammenhang auf eben diesen Zusammenhang und seine Gesetze als Rechtsquellen der Erkenntnis verwiesen sind. Wenn Husserl verlangt, man solle das »noematische Korrelat« genau so nehmen, »wie es im Erlebnis der Wahrnehmung ... ›immanent‹ liegt«172, so scheint er unserer Auffassung recht nahe zu stehen. Doch treten an den Sachen die Gegensätze bald schroff hervor.
Die Scheidung zwischen unreduziertem und reduziertem Ding nämlich, zwischen »Baum schlechthin« und »Baumwahrgenommenem als solchem«, hat ihren Grund letztlich in der Supposition der dinglichen Transzendenz, und der Begriff des Noema enthüllt sich als unzulänglicher Versuch, zwischen einem kraß naturalistischen Ding-an-sich-Begriff und dem Bewußtsein eine Brücke zu schlagen. Auch hier wieder ist an Husserls Beispielanalyse Einsicht zu gewinnen in die Problematik seiner Lehrmeinung. Husserl sagt: »Der Baum schlechthin kann abbrennen, sich in seine chemischen Elemente auflösen usw. Der Sinn aber – Sinn dieser Wahrnehmung, ein notwendig zu ihrem Wesen Gehöriges – kann nicht abbrennen, er hat keine chemischen Elemente, keine Kräfte, keine realen Eigenschaften.«173 Darauf ist zunächst zu fragen: Was ist der »Baum schlechthin«? Etwa die »unbekannte Ursache seiner Erscheinungen«? Dann dürfte in Wissenschaften füglich nicht wohl von ihm die Rede sein. – Oder etwa der Baum, von dem man in der »natürlichen Einstellung« spricht? Von ihm mag es immer heißen, er »könne abbrennen«. Aber wenn diese Möglichkeit als wissenschaftliche verstanden wird, wenn sie die Form gewinnt: »es ist wahr, daß dieser Baum abbrennen kann«, dann geht der »Baum schlechthin« ohne weiteres in das »Baumwahrgenommene als solches« über; denn wo anders sollte die Wahrheit jener Aussage sich legitimieren können, als im Zusammenhang unseres persönlichen Bewußtseins? – Und weiter: was heißt es, daß der »Sinn unserer Wahrnehmung«, das »Baumwahrgenommene als solches«, Sinn dieser Wahrnehmung, ein »notwendig zu ihrem Wesen Gehöriges« sei? Daß es nur Sinn »dieser Wahrnehmung« sei? Wie würde das zu der Tatsache stimmen, daß der Baum doch als Identisches bewußt ist, einer Tatsache, die eine rein im Rahmen der Gegebenheit vollzogene Deskription gewiß nicht unbeachtet lassen dürfte, wenn anders sie alles, was im Erlebnis zur Gegebenheit kommt, deskribieren will. – Schließlich aber – und das entscheidet – ist es geradezu falsch, zu sagen, das »Baumwahrgenommene als solches« könne nicht abbrennen. Nicht abbrennen kann das Wahrnehmungserlebnis – von dem dinglichen Zusammenhang, den es symbolisiert, kann jedoch sehr wohl gesagt werden, er »könne abbrennen«, d.h. sich in einen höheren gesetzmäßigen Zusammenhang einordnen, und sehr wohl kommen diesem Zusammenhang bestimmte Eigenschaften zu. Wenn Husserl das bestreitet und den Sinn der Rede vom Noema Baum an das tatsächliche Eintreten bestimmter Erscheinungen (an »diese Wahrnehmung«) gebunden glaubt, so übersieht er zunächst, daß »die Beziehung zwischen Bedingung und Bedingtem ... nur eine ideale«174 ist; daß nur, wenn ich die vom Individualgesetz geforderten Bedingungen erfülle, die erwarteten Erscheinungen eintreten müssen; darauf beruht ja gerade die »objektive Existenz« des Dinges, seine »Unabhängigkeit von der Erscheinung« im Sinne der »Transcendentalen Systematik«. Das Urteil: »dieser Baum ist nicht abgebrannt« aber besagt, daß, nachdem ich die von dem betreffenden Individualgesetz vorgezeichneten Bedingungen erfüllt habe, die erwarteten Phänomene nicht eintreten. Treten die erwarteten Phänomene nicht ein, so müssen wir suchen, die Abweichung von dem Individualgesetz ihrerseits als Fall eines gesetzmäßigen Zusammenhanges zu begreifen oder, wie die übliche Rede lautet, sie »kausal zu erklären«. Da auch diese neue Gesetzmäßigkeit wieder ausschließlich in Phänomenalem fundiert sein muß, so können wir von der Veränderung eines Dinges reden, ohne um Haaresbreite über den Zusammenhang unseres persönlichen Bewußtseins hinauszugehen. Das »Baumwahrgenommene als solches« kann also »abbrennen«, d.h. unser immanentes Ding an sich kann sich nach Maßgabe eines höheren gesetzmäßigen Zusammenhanges verändern. Dies bestreiten, heißt entweder das Ding mit seiner Erscheinung verwechseln oder den Ausdruck »abbrennen« naturalistisch mißverstehen.
Es liegt nahe, sich durch die Formulierung verwirren zu lassen, daß der »Sinn« der Wahrnehmung nicht abbrennen könne. Demgegenüber muß man sich völlig klar machen, was denn hier mit »Sinn« gemeint ist. Wir verstehen unter Sinn den dinglichen Zusammenhang, den uns das gegenwärtige Erlebnis symbolisch vermittelt: und dieser »Sinn« kann »abbrennen«, d.h. in der bezeichneten Weise sich verändern. Nur darf man nicht glauben, ein naturalistisches »psychisches Gebilde« ginge naturalistisch »in Flammen auf«. Auch der Verbalausdruck »verbrennen« empfängt selbstverständlich seine Bedeutung gemäß dem Bewußtseinszusammenhang – Husserl aber scheint an Phänomenales zu denken und dabei nach der Weise der Brentanoschen Scheidung zwischen dem unmittelbar Gegebenen und dem Akt, durch den es gegeben wird, zwischen »Aktsinn« und »Akt« zu unterscheiden. Diesen Aktsinn aber gibt es nicht. Darum kann er sich nicht verändern. – Weiter muß man sich hüten vor einem durch den sprachlichen Ausdruck leicht sich ergebenden Irrtum. Es erscheint einleuchtend, daß das »Noema« oder auch das »immanente Ding an sich« nicht »abbrennen«, nicht sich verändern könne. Aber man verwechselt bei solcher Annahme den Begriff des »Noema überhaupt«, des »immanenten Dinges an sich überhaupt« mit den unter diesen Begriff fallenden einzelnen Noemen bzw. Dingen. Der Begriff des Dinges an sich folgt notwendig aus den transzendentalen Bedingungen unseres Bewußtseins und ist darum als solcher unveränderlich. Aber die unter diesen Begriff des Dinges an sich fallenden Einzeldinge können sich sehr wohl verändern. Einzelne Dinge können abbrennen.
Die an Husserls Beispielanalyse gewonnene Einsicht von der Unzulässigkeit der Scheidung von unreduziertem und reduziertem Ding hat ihre weitreichenden erkenntnistheoretischen Konsequenzen. Wenn zwischen »Dingwahrgenommenem als solchem« und »Ding schlechthin« nicht unterschieden werden darf, welchen Sinn hat es dann, das »Dingwahrgenommene als solches« und ähnlich das »Erinnerte, Gefühlte, Geurteilte als solches« dem Begriff des Noema zuzuweisen? Wenn dies alles unter dem Titel »Noema« befaßt wird, wie werden dann mittelbar gegebene reale Inhalte von mittelbar gegebenen idealen Inhalten, wie Phänomenales von Dinglichem getrennt? Und wenn der Begriff des Noema eine solche Unterscheidung nicht in sich birgt – dürfen wir ihn dann zum Kanon der nach Husserl fundamentalen erkenntnistheoretischen Disjunktion machen? All dies wird zu prüfen sein, und die Kritik wird endlich zurückschlagen auf den Begriff der phänomenologischen epoxh selber, der für so fragwürdige Begriffe wie den der noematischen Transzendenzen Raum bietet.
Husserl versucht durch die Kontrastierung von »reellen« und »intentionalen« Erlebnisbestandteilen dem Unterschied von unmittelbar und mittelbar Gegebenem doch noch gerecht zu werden. Indessen diese Kontrastierung ist wenig glücklich. Sie ist es um so weniger, als die Undeutlichkeit des Terminus »reell« Husserl leicht dazu verführt, literarischen Gegnern Auffassungen zuzuschreiben, die jene gar nicht hegen. Husserl braucht das Wort »reell« im Gegensatz zu »real« und führt damit gleichsam zwei Realitätsbegriffe ein; das ist erstaunlich, zumal er ja gerade in seinem Kampf gegen die Bilder- und Zeichentheorie – und mit gutem Grunde – gegen die Doppelheit des Realitätsbegriffes sich wendet. In der fünften Logischen Untersuchung des zweiten Bandes findet sich eine ungemein bezeichnende Anmerkung zur Terminologie. Sie lautet: »›Real‹ würde neben ›intentional‹ sehr viel besser klingen« – als reell –, »aber es führt den Gedanken einer dinghaften Transzendenz, der gerade durch die Reduktion auf die reelle Erlebnisimmanenz ausgeschaltet werden sollte, sehr entschieden mit sich. Wir tun gut, dem Worte ›real‹ die Beziehung auf das Dinghafte vollbewußt beizumessen.«175 Das wären ja gerade die zwei Realitäten, die Husserl so heftig bekämpft: die Realität der »transzendenten Dinge« und die Realität der »immanenten Erlebnisse«. Husserl wäre aus dem Dilemma befreit, wenn er sich entschließen wollte, nicht nur den »Gedanken einer dinghaften Transzendenz«, sondern auch den Namen einer solchen auszuschalten; dann käme er mit dem Worte »real« aus, das dann alle Gegenstände unter sich befaßte, die zu »irgend einer Zeit als unmittelbar gegeben zu denken sind«176.
Wenn Husserl unsere Anschauung dahin charakterisieren will, daß wir annähmen, »im Erlebnis gegeben sei die Intention mit ihrem intentionalen Objekt, das als solches ihr unabtrennbar zugehöre, also ihr selbst reell einwohne. Es sei und bleibe ja ihr vermeintes, vorstelliges u. dgl., ob das entsprechende ›wirkliche Objekt‹ eben in der Wirklichkeit sei oder nicht sei, inzwischen vernichtet worden sei usw.«177, so ist zunächst daran zu erinnern, daß wir gerade nicht glauben, das intentionale Objekt wohne seiner Intention »reell« inne, oder, wie wir lieber sagen, es sei »real«, d.h. unmittelbar gegeben. Gegeben ist es uns mittelbar, nämlich durch das intentionale Erlebnis. Ob das Objekt selbst ein »realer« Gegenstand oder ein »idealer« Gegenstand ist, ob es irgendwann einmal selbst Erlebnis war, ist eine andere Frage – die nach Husserls allgemeinen Angaben zu schlichten unmöglich ist. – Auch daß das Objekt unser vermeintes usw. bleibe, auch wenn das »Ding in der Wirklichkeit« vernichtet worden sei, trifft nicht unsere Auffassung. Ein anderes Ding als »unser vermeintes« gibt es nicht; wird es vernichtet178, so bleibt es eben nicht dasselbe, sondern verändert sich gemäß dem höheren gesetzmäßigen Zusammenhang; hinsichtlich des Individualgesetzes wird das Existentialurteil aufgehoben. Lassen wir das Existentialurteil bestehen, so urteilen wir falsch.
Husserls Polemik gegen die Bildertheorie kann also unserer Auffassung nichts anhaben. Wir reden nicht von einem »zweiten immanenten Baum«, sagen nicht, daß »ein ›inneres Bild‹ des wirklichen, dort draußen vor mir stehenden Baumes«179 uns wie immer gegeben sei. Das immanente Ding an sich ist kein Erlebnis und kann schon darum nicht Bewußtsein von etwas anderem sein – nur Erlebnisse haben symbolische Funktion. Zum anderen aber gibt es kein transzendentes Ding, von dem es überhaupt Bewußtsein sein könnte. Bei radikalem Vollzug der epoxh fällt das naturalistische Ding ganz fort, der »intentionale Gegenstand« ist allein im Bewußtsein ausgewiesen, und nur soweit er im Bewußtsein ausgewiesen ist, zu Recht erkannt. Den Terminus »Realität« wird man allein unseren Erlebnissen vorbehalten. Dingliches Sein ist dann nicht eine dem Bewußtsein transzendente »zweite« Realität, sondern dem Bewußtsein als jeweiliges Individualgesetz für Phänomene immanent. Insofern Dinge nie Erlebnisse sind, werden wir sie nicht als »reale«, sondern als »ideale« Gegenstände zu bezeichnen haben.
Andererseits ist gegen Husserl der Vorwurf zu machen, daß er zwei Realitäten einander gegenüberstellt, Realitäten in seinem Sinne: nämlich die Dinge schlechthin und die Noemata. Allerdings ist sein Begriff des Noema weiter als unser Begriff des immanenten Dinges an sich; er enthält, wie das Beispiel des erinnerten Erlebnisses zeigt, auch mittelbar gegebene reale Inhalte (real in unserer kritisch geklärten Bedeutung genommen) in sich. Allein was nach der Disjunktion von mittelbar gegebenen realen und idealen Gegenständen nach seiten der idealen und zwar näher der dinglichen verbleibt, setzt Husserl den »Dingen schlechthin« entgegen: das »Baumwahrgenommene als solches« (das nach unserer Analyse, o. S. 46ff., als dingliches Sein zu gelten hat) dem »Baum schlechthin«. Dies Verhältnis wünscht nun zwar Husserl nicht so verstanden, als ob das »Baumwahrgenommene als solches« Bewußtsein von dem »Baum schlechthin« wäre; vielmehr ist ihm die Noesis »Baumwahrnehmung« Bewußtsein von dem Noema »Baumwahrgenommenes als solches«. Aber es bleibt doch völlig dunkel, woher wir, wenn wir in reiner Immanenz verbleiben, überhaupt zu dem Begriff des »Dinges schlechthin« kommen. Der Unterschied von »Baumwahrgenommenem als solchem« und »Baum schlechthin« soll sein der zwischen unreduziertem und reduziertem Ding. Die Frage, was uns berechtigt, diese Unterscheidung zu machen, lenkt die kritische Betrachtung auf den Begriff der phänomenologischen epoxh.
Die epoxh hat »den Charakter einer umwertenden Vorzeichenänderung, und mit dieser ordnet sich das Umgewertete wieder der phänomenologischen Sphäre ein. Bildlich gesprochen: Das Eingeklammerte ist nicht von der phänomenologischen Tafel weggewischt, sondern eben nur eingeklammert und dadurch mit einem Index versehen. Mit diesem aber ist es im Hauptthema der Forschung.«180 Was heißt das? Offenbar doch: Erkenntnistheorie hat den vernunftmäßigen Rechtsanspruch des natürlichen Weltbildes zu prüfen. Um diese Prüfung zu vollziehen, muß Erkenntnistheorie alle auf das natürliche Weltbild gerichteten Aussagen ausschalten und rekurrieren auf die unmittelbaren Gegebenheiten. Im Rahmen der unmittelbaren Gegebenheiten aber findet sie das ganze natürliche Weltbild wieder vor – nur mit der Einschränkung, daß wir nichts über seine »Wirklichkeit« (in einem von Husserl keineswegs näher bestimmten Sinne) wissen. Phänomenologie also hat die natürliche Welt so zu deskribieren, wie sie auf Grund einer Analyse des Bewußtseinszusammenhanges sich darbietet: d.h. ohne Ansehung ihrer »Wirklichkeit«. Über die Frage der »Wirklichkeit« soll dann die »rechtsprechende Vernunft« entscheiden.
Diese Argumentation hat mehrere schwache Punkte. Zunächst ist es ja gar nicht ausgemacht, daß wir nach Ausschaltung des natürlichen Weltbildes alle Strukturen dieses natürlichen Weltbildes im Zusammenhang unseres Bewußtseins wieder vorfinden. Wir können ja auch etwas ganz anderes übrig behalten: der kritisch geklärte Ding-an-sich-Begriff etwa, auf den wir bei der Diskussion der Husserlschen Wahrnehmungsanalyse zu sprechen kamen, hat mit dem naiven Dingbegriff so gut wie nichts zu tun. Gesetzt aber selbst, es verhielte sich so, wie Husserl meint: dann ließe sich doch die Deskription des Vorgefundenen gar nicht von der Frage nach seinem »Wirklichsein«, oder vielmehr, wie wir sagen müssen, nach seinem zweifelsfreien Begründetsein in den unmittelbaren Vorfindlichkeiten, abtrennen. Sonst geraten wir in den Zirkel, daß wir, um den Rechtsanspruch des natürlichen Weltbildes zu prüfen, auf die bloße Deskription dieses Weltbildes verwiesen wären. Oder wir müßten deskribieren, ohne das Deskribierte prüfen zu wollen. Daran jedoch könnte uns wenig gelegen sein; uns beschäftigt nicht die Frage, wie das natürliche Weltbild aussieht – zu ihrer Beantwortung bedürften wir keiner Phänomenologie und keiner Reduktionen –, sondern wie es sich legitimiert. Indem Husserl diese Frage von der Diskription der Bewußtseinstatbestände und ihres Zusammenhanges absondert, hypostasiert er ein Kriterium für die Legitimität der »natürlichen Welt«, das unabhängig vom Rekurs auf die unmittelbaren Vorfindlichkeiten gilt. Damit wird ihm die epoxh zu einem bloß heuristischen Mittel, die Beziehung zwischen dem Bewußtsein und einer ihm transzendenten »Wirklichkeit« klarzustellen. Wir können nach Husserl die epoxh vollziehen, wir können sie auch nicht vollziehen, an der »Wirklichkeit« wird dadurch nichts geändert.
Demgegenüber versichern wir uns, daß der Rekurs auf die unmittelbaren Gegebenheiten und die Prüfung des Rechtsanspruches der natürlichen Welt ein und dasselbe ist. Den vagen Begriff der »Wirklichkeit«, mit dem Husserl operiert, und der letztlich in der Annahme einer transzendenten Dingwelt gründet, verwerfen wir. Die Korrelation von »Wirklichsein« und »Vernünftig-ausweisbar-sein«, von der Husserl redet, hat für uns den klaren Sinn, daß wir alles Dingliche zu prüfen haben als gesetzmäßigen Zusammenhang der Phänomene, so wie er in reiner Deskription der Phänomene sich uns darstellt. Um zu exemplifizieren: nicht verhindert »die ›Einklammerung‹, die die Wahrnehmung erfahren hat, ... jedes Urteil über die wahrgenommene Wirklichkeit«181, sondern allein in der »Einklammerung«, d.h. in reiner Gegebenheit, konstituieren sich die Dinge, und die Entscheidung über die Wahrheit eines dinglichen Urteils (so und nicht von einer bewußtseinsunabhängigen »Wirklichkeit der Dinge« haben wir zu reden) hängt davon ab, ob bei Erfüllung der vom Individualgesetz verlangten Bedingungen die erwarteten Erlebnisse eintreten oder nicht. Unser Begriff der epoxh – wenn wir einen solchen anwenden wollten – wäre also weit radikaler als der Husserlsche; uns handelt es sich nicht um ein heuristisches Mittel, Einblick in die Beziehung von »Wirklichkeit« und »Bewußtsein« zu erlangen, sondern um den allein möglichen Rechtsausweis dinglicher Erkenntnisse. Da uns der Rekurs auf die Bewußtseinsvorfindlichkeiten nicht die Ausklammerung der Dingwelt, sondern vielmehr die Begründung der Dingwelt bedeutet, bedürfen wir nicht einmal des Namens der »epoxh« und der »Reduktionen«. Alle Aussagen, die den Anspruch auf wissenschaftliche Gültigkeit machen, d.h. bei denen die Frage nach der Wahrheit sinnvoll gestellt werden kann, haben ihr letztes Kriterium im Zusammenhang unseres persönlichen Bewußtseins.
Die Unzulässigkeit der Unterscheidung von reduziertem und unreduziertem Ding hat sich uns unter einem neuen, allgemeineren Gesichtspunkt bestätigt. Hatten wir oben182 das dingliche Noema mit unserem immanenten Ding an sich konfrontiert und dabei die Einsicht gewonnen, daß beide rechtmäßigerweise nicht zu trennen sind, so hat unsere Kritik der Husserlschen epoxh uns zu der Erkenntnis gebracht, daß die Rede von einer natürlichen »Wirklichkeit«, der die dinglichen Noemata entgegengesetzt sein sollen, einer »Wirklichkeit«, die unabhängig vom Bewußtseinszusammenhang besteht, unstatthaft ist. Nur historischer, nicht systematischer Forschung ist es erlaubt, die »natürliche Einstellung« hinzunehmen; der systematischen Forschung wird sie notwendig Gegenstand der Kritik. Versucht man wie Husserl, die Deskription und die Frage nach der Wirklichkeit der natürlichen Welt zu trennen, so entgeht man bloß scheinbar der kritischen Aufgabe: die »Realität eines Individualgesetzes«183, also die Wirklichkeit der Dinge (Wirklichkeit streng in dem Sinne verstanden, den »Realität« an der angeführten Stelle der »Transcendentalen Systematik« hat) legitimiert sich bloß im Zusammenhang des persönlichen Bewußtseins, dessen Deskription Aufgabe der Phänomenologie ist.
Das Verhältnis des dinglichen Noema und des immanenten Dinges an sich ist unablösbar verbunden mit dem Problem der angeblichen dinglichen Transzendenz und mußte darum auch hier verflochten mit jenem behandelt werden. Indem erkannt wird, daß »Ding schlechthin« und dingliches Noema das gleiche ist, kann auch nach einem transzendenten Ding nicht mehr gefragt werden.
Husserls Begriff des Noema hat sich uns völlig zersetzt. Da das Noema weder dem Bewußtsein immanent, noch ihm transzendent sein soll, weiß man nicht, wo man es überhaupt zu suchen hat. Da es keine dinglichen Transzendenzen gibt, kann das Noema solchen auch nicht kontrastiert werden und ist auch als Kontrastbegriff ganz überflüssig. Aber nicht einmal als ein anderer Ausdruck für unser »immanentes Ding an sich« kann das Noema angenommen werden, da der Terminus bei Husserl ja gelegentlich für alle mittelbaren Gegebenheiten, für alle »Inhalte intentionaler Erlebnisse« angewandt wird. Will man alles mittelbar Gegebene, ohne Rücksicht darauf, ob es selbst einmal Erlebnis war oder nicht, Noema nennen, so mag man das immerhin tun. Nur muß man sich klar darüber sein, daß mit der Unterscheidung dieser Noemata von den Noesen, den intentionalen Erlebnissen, keineswegs die fundamentale erkenntnistheoretische Disjunktion gewonnen ist, und muß sich wohl hüten, ihr die Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz zu gesellen, wie es Husserls letzte Absicht ist. Von einem »wunderbaren Bewußthaben« mittelbarer Gegebenheiten kann keine Rede sein; das Bewußthaben von mittelbar Gegebenem gründet einsichtigerweise in den transzendentalen Bedingungen unseres persönlichen Bewußtseins.
Es ist evident, daß der Gegensatz von Noema und Noesis nicht zum Leitprinzip der Erkenntnistheorie gemacht werden darf; dies Leitprinzip ist vielmehr der Gegensatz von dinglichem und phänomenalem Sein. Von »Noemen« in dem Sinne, in dem wir das Wort allenfalls anwenden dürfen, als Inbegriff aller mittelbaren Gegebenheiten, wissen wir nur durch die intentionalen Erlebnisse, in denen sie zur Gegebenheit kommen; die Noesen und Noemata sind unablösbar. Wir aber können für den Rest unserer Untersuchung den Begriff »Noema« ganz entbehren.
Auch Husserls Forderung nach getrennten Formenlehren der Noemen und Noesen kann uns nicht beirren. Husserl begründet seine Forderung damit, daß diese Formenlehren sich nicht »wie Spiegelbilder zueinander«184 verhielten; das gehe schon aus dem hervor, was in Hinsicht auf die Zusammengehörigkeit von einheitlichen Qualitäten im Dingnoema und ihren hyletischen Abschattungsmannigfaltigkeiten in den möglichen Dingwahrnehmungen ausgeführt worden sei. Allein in dieser Begründung rächt sich die Mehrdeutigkeit von Husserls Noema-Begriff, in dem zwischen mittelbar gegebenen realen und idealen Inhalten nicht unterschieden wird. Die Unterscheidung von Abgeschattetem und Abschattung ist die von Ding und Erlebnis. Und daraus, daß der Einheit des individualgesetzlichen Zusammenhanges die Vielheit der Phänomene gegenübersteht, folgt keineswegs, daß unmittelbares und mittelbares Gegebensein sich inadäquat zueinander verhielte. Will man die mittelbaren Gegebenheiten systematisieren, so hat man dabei nach dem unmittelbar Gegebenen und seinem Zusammenhang sich zu richten. Denn alles mittelbar Gegebene, von dem wir mit dem Anspruch auf Wahrheit reden dürfen, hat seine Begründung letztlich in den Phänomenen und muß sich auf sie zurückführen lassen.
III. Das Ding und die
»Rechtsprechung der Vernunft«
Das erste Kapitel verfolgte kritisch den Ansatz dinglicher Transzendenzen in Husserls Phänomenologie. Im zweiten ergaben sich die Konsequenzen jenes Ansatzes für den Begriff des Noema und schließlich der phänomenologischen epoxh. Dabei mußten wir zeigen, wie Husserl dazu kommt, die Analyse der transzendentalen Bedingungen des Bewußtseins von der Frage nach der erkenntnistheoretischen Legitimität der Dingwelt zu trennen, und mußten diese Trennung als unrechtmäßig zurückweisen. Es bleibt übrig, zu betrachten, wie Husserl nun seinerseits die Legitimität der Dingwelt zu begründen strebt. Da er als Richterin über die »Wirklichkeit« von Dingen oder, wie wir sagen müssen, über den Wahrheitsanspruch dinglicher Urteile die Vernunft anruft – die gleiche Vernunft, deren Bereich er die dinglichen »Transzendenzen« entheben wollte –, so werden sich manche Irrtümer seiner Dingtheorie und seiner Lehre von der noetisch-noematischen Struktur berichtigen; der Systemgedanke seiner »Vernunfttheorie« ist denn auch, wie sich herausstellen wird, dem Ansatz dinglicher Transzendenzen genau entgegen. Allein dadurch, daß Husserl die »Rechtsprechung der Vernunft« von der Strukturanalyse des persönlichen Bewußtseinszusammenhanges trennt, bleiben trotzdem viele jener Irrtümer erhalten und werden verhängnisvoll für Husserls »Vernunfttheorie«.
Daß Husserl der Lehre von den noetisch-noematischen Strukturen eine eigene »Phänomenologie der Vernunft« folgen läßt, darin prägt sich methodisch jene Trennung aus. Hatte er in der »Phänomenologischen Fundamentalbetrachtung« und in den Erörterungen »Zur Methodik und Problematik der reinen Phänomenologie« das Verhältnis von »Vernunft« und »Wirklichkeit« als fundamentale Disjunktion herauszuarbeiten gesucht, so stellt er jetzt die Frage: Welches Recht haben wir, jene »Wirklichkeit« anzusetzen? Der Zirkel, in den er gerät, indem er die Beantwortung dieser Frage von der Vernunft erwartet, bestätigt ungewollt, aber zwingend die Ausführungen, mit denen wir das Problem von »Vernunft« und »Wirklichkeit« als Scheinproblem zu enthüllen trachteten. Doch kommt es uns zunächst nicht auf diesen Zirkel an. Vielmehr soll untersucht werden, wie nun im Lichte von Husserls »Phänomenologie der Vernunft« und der ihr zugehörigen Kapitel der »Ideen« die Transzendenz des Dinglichen sich darstellt.
»Das phänomenologische Problem der Beziehung des Bewußtseins auf eine Gegenständlichkeit«185 also will Husserl lösen, das Problem jenes »wunderbaren Bewußthabens von Transzendentem«, das nach unserer Auffassung nichts Wunderbares in sich hat, auf dessen Lösung wir stets hindeuteten, bzw. das wir als Scheinproblem charakterisierten. Die Frage, »wie der Bewußtseins-›Sinn‹ an den ›Gegenstand‹, der der seine ist, und der in mannigfachen Akten sehr verschiedenen noematischen Gehalts186 ›derselbe‹ sein kann, herankomme«187, führt Husserl »schließlich auf die Frage, was die ›Prätention‹ des Bewußtseins, sich wirklich auf ein Gegenständliches zu ›beziehen‹, ›triftiges‹ zu sein, eigentlich besage, wie sich ›gültige‹ und ›ungültige‹ gegenständliche Beziehung phänomenologisch nach Noesis und Noema aufkläre; und damit stehen wir vor den großen Problemen der Vernunft, deren Klarlegung auf dem transzendentalen Boden, deren Formulierung als phänomenologische Probleme«188 Husserl sich vornimmt.
Unsere Darstellung des Husserlschen Gedankenganges hat sich auf das zu beschränken, was zum Verständnis seiner »vernunfttheoretischen« Lösung des Dingproblems zu wissen unumgänglich notwendig ist.
Die laxe Weite des Begriffes »Noema«, die zu konstatieren wir nicht umhin konnten, nötigt Husserl zu der Frage, was nun eigentlich alles im »Noema« enthalten sei. Dabei stößt ihm das Problem auf, wie man einen noematischen Sachverhalt zu beschreiben habe. Solche Beschreibung entfalte sich in »bestimmter Umgrenzung ..., nämlich in einer solchen, die als Beschreibung des ›vermeinten Gegenständlichen, so wie es vermeint ist‹, alle ›subjektiven‹ Ausdrücke vermeidet«189. Mithin sollen ausgeschlossen sein alle Ausdrücke »wie ›wahrnehmungsmäßig‹, ›erinnerungsmäßig‹, ›klaranschaulich‹, ›denkmäßig‹ ›gegeben‹ – sie gehören zu einer anderen Dimension von Beschreibungen, nicht zu dem Gegenständlichen, das bewußt, sondern zu der Weise, wie es bewußt ist«190. Damit soll »ein ganz fester Gehalt in jedem Noema abgegrenzt« sein. »Jedes Bewußtsein hat sein Was und jedes vermeint ›sein‹ Gegenständliches; es ist evident, daß wir bei jedem Bewußtsein eine solche noematische Beschreibung desselben, ›genau so, wie es vermeintes ist‹, ... müssen vollziehen können; wir gewinnen durch Explikation und begriffliche Fassung einen geschlossenen Inbegriff von ... ›Prädikaten‹, und diese in ihrer modifizierten Bedeutung bestimmen den ›Inhalt‹ des in Rede stehenden Gegenstandskernes des Noema.«191
Bei einer solchen Beschreibung nun »scheidet sich als zentrales noematisches Moment aus: der ›Gegenstand‹, das ›Objekt‹, das ›Identische‹, das ›bestimmbare Subjekt seiner möglichen Prädikate‹ – das pure X in Abstraktion von allen Prädikaten – und es scheidet sich ab von diesen Prädikaten, oder genauer, von den Prädikatnoemen«192.
Dieser »Gegenstand« wird für Husserl zum Ansatz seines »vernunfttheoretischen« Problems. »Wie jedes intentionale Erlebnis ein Noema und darin einen Sinn hat, durch den es sich auf den Gegenstand bezieht, so ist umgekehrt alles, was wir Gegenstand nennen, wovon wir reden, was wir als Wirklichkeit vor Augen haben, für möglich oder wahrscheinlich halten, uns noch so unbestimmt denken, eben damit schon Gegenstand des Bewußtseins; und das sagt, daß, was immer Welt und Wirklichkeit überhaupt sein und heißen mag, im Rahmen wirklichen und möglichen Bewußtseins vertreten sein muß durch entsprechende mit mehr oder minder anschaulichem Gehalt erfüllte Sinne, bzw. Sätze«193 (Urteile). Damit glaubt Husserl die letzte Begründung gegeben dafür, daß alles Ausgeschaltete mit »Vorzeichenänderung« in das Bereich der Phänomenologie gehöre194. Denn »die realen und idealen Wirklichkeiten, die der Ausschaltung verfallen, sind in der phänomenologischen Sphäre vertreten durch die ihnen entsprechenden Gesamtmannigfaltigkeiten von Sinnen und Sätzen«195. Z.B. soll sein »jedes wirkliche Ding der Natur vertreten durch all die Sinne und wechselnd erfüllten Sätze, in denen es, als so und so bestimmtes und weiter zu bestimmendes, das Korrelat möglicher intentionaler Erlebnisse ist; also vertreten durch die Mannigfaltigkeiten ›voller Kerne‹, oder, was hier dasselbe besagt, aller möglichen ›subjektiven Erscheinungsweisen‹, in denen es als identisches noematisch konstituiert sein kann«196. Der Einheit dieses Dinges »steht« – entsprechend der Theorie von Abgeschattetem und Abschattung – »gegenüber eine unendliche ideale Mannigfaltigkeit noetischer Erlebnisse eines ganz bestimmten und trotz der Unendlichkeit übersehbaren Wesensgehaltes, alle darin einig, Bewußtsein von ›demselben‹ zu sein. Diese Einigkeit kommt in der Bewußtseinssphäre selbst zur Gegebenheit, in Erlebnissen, die ihrerseits wieder zu der Gruppe mitgehören«197, die Husserl als Gruppe der Noesen abgegrenzt hat. Der Gegenstand, »das X in den verschiedenen Akten, bzw. Aktnoemen mit verschiedenem ›Bestimmungsgehalt‹ ausgestattet, ist notwendig bewußt als dasselbe. Aber ist es wirklich dasselbe? Und ist der Gegenstand selbst ›wirklich‹? Könnte er nicht unwirklich sein, während doch die mannigfaltigen einstimmigen und sogar anschauungserfüllten Sätze ... bewußtseinsmäßig abliefen?«198
Den Weg zur Lösung meint Husserl zu zeigen in den Sätzen: »Das Bewußtsein, bzw. Bewußtseinssubjekt selbst, urteilt über Wirklichkeit, fragt nach ihr, vermutet, bezweifelt sie, entscheidet den Zweifel und vollzieht dabei ›Rechtsprechungen der Vernunft‹. Muß sich nicht im Wesenszusammenhang des transzendentalen Bewußtseins, also rein phänomenologisch, das Wesen dieses Rechtes und korrelativ das Wesen der ›Wirklichkeit‹ – bezogen auf alle Arten von Gegenständen ... – zur Klarheit bringen lassen?«199 »Die Frage ist also, wie in phänomenologischer Wissenschaftlichkeit all die Bewußtseinszusammenhänge noetisch bzw. noematisch zu beschreiben sind, die einen Gegenstand schlechthin (was im Sinne der gewöhnlichen Rede immer einen wirklichen Gegenstand besagt), eben in seiner Wirklichkeit notwendig machen.«200
Mit dieser Frage kehrt Husserl zum Ausgangsgrunde seiner Phänomenologie zurück; zum Ausgangsgrunde auch unserer Kritik, zum Begriff der unmittelbaren Gegebenheit, der »originär gebenden Anschauung«; freilich in einer von unserer Auffassung wesentlich abweichenden Gestalt: »Was immer man ... von den Gegenständen ausspricht – spricht man vernünftig – so muß sich das dabei wie Gemeinte so Ausgesagte ›begründen‹, ›ausweisen‹, direkt ›sehen‹ oder mittelbar ›einsehen‹ lassen. Prinzipiell stehen ... ›wahrhaft-‹ oder ›wirklich-sein‹ und ›vernünftig ausweisbar-sein‹ in Korrelation.«201 »Ein spezifischer Vernunftcharakter ist ... dem Setzungscharakter zu eigen« – in unserer Sprache: ein Urteil ist wahr – »als eine Auszeichnung, die ihm wesensmäßig dann und nur dann zukommt, wenn er Setzung auf Grund eines ... originär gebenden Sinnes ... ist.«202 »Die Setzung hat in der originären Gegebenheit ihren ursprünglichen Rechtsgrund.«203 »Für jede durch eine Motivationsbeziehung auf die Originarität der Gegebenheit charakterisierte Vernunftthesis« – in unserer Sprache: für jedes in unmittelbar Gegebenem fundierte Urteil – wählt Husserl den Ausdruck »originäre Evidenz«204.
Dem Unterschied von »realen« und »idealen« mittelbaren Gegebenheiten im Sinne der »Transcendentalen Systematik«, der in der Lehre vom Noema nicht scharf hervortrat und fälschlich in die »Kontrastierung von noetischen und noematischen Formenlehren« mitaufgenommen wurde – diesem Unterschied sucht Husserl gerecht zu werden durch die Unterscheidung von adäquater und inadäquater Evidenz. »Die Setzung auf Grund der leibhaftigen Erscheinung des Dinges ist zwar eine vernünftige, aber die Erscheinung ist immer nur eine einseitige, ›unvollkommene‹ Erscheinung; als leibhaft bewußt steht nicht nur das ›eigentlich‹ Erscheinende da, sondern einfach dieses Ding selbst, das Ganze gemäß dem gesamten, obschon nur einseitig anschaulichen und zudem vielfältig unbestimmten Sinn. Hierbei ist das ›eigentlich‹ Erscheinende vom Dinge nicht etwa als ein Ding für sich abzutrennen«205, vielmehr sei es bloß ein unselbständiger Teil des Bewußtseins vom Dinge, das seinerseits notwendig relativ unbestimmt sei.
Daraus folgert Husserl – und darin liegt eine teilweise Rektifizierung seiner im ersten Kapitel abgehandelten Dingtheorie –: »Prinzipiell kann ein Dingreales ... nur ›inadäquat‹ erscheinen. Damit hängt wesensmäßig zusammen, daß keine auf solch einer inadäquat gehenden Erscheinung beruhende Vernunftsetzung ›endgültig‹, keine ›unüberwindlich‹ sein kann; daß keine in ihrer Vereinzelung gleichwertig ist mit dem schlechthinigen: ›Das Ding ist wirklich‹, sondern nur gleichwertig ist mit dem: ›Es ist wirklich‹ – vorausgesetzt, daß der Fortgang der Erfahrung nicht ›stärkere Vernunftmotive‹ herbeibringt, welche die ursprüngliche Setzung als eine in dem weiteren Zusammenhang ›durchzustreichende‹ herausstellen.«206
Es soll nun entsprechen »jedem ›wahrhaft seienden‹ Gegenstand die Idee eines möglichen Bewußtseins, in welchem der Gegenstand selbst originär und dabei vollkommen adäquat erfaßbar ist«207. Dem steht entgegen die Behauptung, es gebe »prinzipiell nur inadäquat erscheinende (also auch nur inadäquat wahrnehmbare) Gegenstände«208. Doch sei der Widerspruch bloßer Schein: »Wir sagten, inadäquat wahrnehmbar in abgeschlossener Erscheinung. Es gibt Gegenstände – und alle transzendenten Gegenstände, alle ›Realitäten‹, die der Titel Natur oder Welt umspannt, gehören hierher – die in keinem abgeschlossenen Bewußtsein in vollständiger Bestimmtheit und in ebenso vollständiger Anschaulichkeit gegeben sein können. – Aber als ›Idee‹ (im Kantischen Sinne) ist gleichwohl die vollkommene Gegebenheit vorgezeichnet – als ein in seinem Wesenstypus absolut bestimmtes System endloser Prozesse kontinuierlichen Erscheinens, bzw. als Feld dieser Prozesse ein a priori bestimmtes Kontinuum von Erscheinungen mit verschiedenen aber bestimmten Dimensionen.«209 Denn: »Die Idee einer wesensmäßig motivierten Unendlichkeit ist nicht selbst eine Unendlichkeit; die Einsicht, daß diese Unendlichkeit prinzipiell nicht gegeben sein kann, schließt nicht aus, sondern fordert vielmehr die einsichtige Gegebenheit der Idee dieser Unendlichkeit.«210
Ist »Wahrhaft-sein korrelativ gleichwertig mit ... Adäquatgegeben- und Evident-setzbar-sein«, so ist also nach Husserl solche adäquate Gegebenheit möglich »im Sinn endlicher Gegebenheit oder Gegebenheit in Form einer Idee«211. Die Termini »immanent« und »transzendent« werden nunmehr von Husserl gemäß dieser letzten Disjunktion verstanden: »In einem Falle ist das Sein ›immanentes‹ Sein, Sein als abgeschlossenes Erlebnis oder noematisches Erlebniskorrelat; im anderen Falle transzendentes Sein, d.i. Sein, dessen ›Transzendenz‹ eben in der Unendlichkeit des noematischen Korrelats ... gelegen ist.«212
»Das Problem der allgemeinen ›Konstitution‹ der Gegenständlichkeiten der Region Ding im transzendentalen Bewußtsein«213 oder, wie wir sagen dürfen, die allgemeine erkenntnistheoretische Konstitution der Dinge wird Husserl zum Leitfaden für die Behandlung des Problems der Konstitution von »Gegenständen überhaupt«. »Die Idee des Dinges ... ist ... bewußtseinsmäßig vertreten durch den begrifflichen Gedanken ›Ding‹ mit einem gewissen noematischen Bestand.«214 Dabei ist, meint Husserl, zu beachten, »daß hierbei zwar das Wesen ›Ding‹ originär gegeben ist, daß aber diese Gegebenheit prinzipiell keine adäquate sein kann. Zur adäquaten Gegebenheit können wir uns das Noema oder den Ding-Sinn bringen; aber die mannigfaltigen Dingsinne ... enthalten nicht als einen ihnen immanenten originär-anschaulichen Bestand das regionale Wesen Ding.«215 Nun sei »es aber eine generelle Wesenseinsicht, daß jede unvollkommene Gegebenheit (jedes inadäquat gebende Noema) eine Regel in sich birgt für die ideale Möglichkeit ihrer Vervollkommnung«216. Es schreibe »die inadäquat gegebene Region ›Ding‹ für den Gang möglicher Anschauungen ... Regeln vor«217. Das »besage phänomenologisch«: »Zum Wesen eines solchen Dingnoema gehören, und absolut einsichtig, ideale Möglichkeiten der ›Grenzenlosigkeit im Fortgange‹ 218 einstimmiger Anschauungen, und zwar nach typisch bestimmt vorgezeichneten Richtungen.«219 Die »Transzendenz« des Dinges »drückt sich in jenen Grenzenlosigkeiten im Fortgang der Anschauungen von ihm aus«220. »Es ist eine Wesenseinsicht, daß jede Wahrnehmung und Wahrnehmungsmannigfaltigkeit erweiterungsfähig, der Prozeß also ein endloser ist; demgemäß kann keine ... Erfassung des Dingwesens so vollständig sein, daß eine weitere Wahrnehmung ihr nicht noematisch Neues beifügen könnte. – Andererseits erfassen wir doch mit Evidenz und adäquat die ›Idee‹ Ding.«221 »Auf Grund des exemplarischen Bewußtseins« der Grenzenlosigkeit »erfassen wir ferner die ›Idee‹ der bestimmten Unendlichkeitsrichtungen ... Wieder erfassen wir die regionale ›Idee‹ des Dinges überhaupt als des Identischen, sich in so gearteten bestimmten Unendlichkeiten des Ablaufs durchhaltend und in den zugehörigen ... Unendlichkeitsreihen von Noemen sich bekundend.«222
Husserl fragt abschließend: »Wie sind die zur Einheit des anschaulich vorstellenden Dingbewußtseins gehörigen Noesen und Noemen systematisch zu beschreiben?«223 Seine Antwort lautet: »Die regionale Idee des Dinges, sein identisches X mit dem bestimmenden Sinnesgehalt, als seiend gesetzt – schreibt Mannigfaltigkeiten von Erscheinungen Regeln vor. Das sagt: es sind nicht überhaupt Mannigfaltigkeiten zufällig zusammenkommende, wie ja schon daraus hervorgeht, daß sie in sich selbst, rein wesensmäßig, Beziehung auf das Ding, das bestimmte Ding, haben. Die Idee der Region« – die Idee »Ding überhaupt« – »schreibt ganz bestimmte, bestimmt geordnete, in infinitum fortschreitende, als ideale Gesamtheit genommen fest abgeschlossene Erscheinungsreihen vor, eine bestimmte innere Organisation ihrer Verläufe, die wesensmäßig und erforschbar zusammenhängt mit den Partialideen, die in der regionalen Dingidee als ihre Komponenten allgemein gezeichnet sind.«224
Das positive Ergebnis der im Umriß wiedergegebenen Theorie wird man in der Korrektur zu sehen haben, die der Begriff des transzendenten Dinges an sich teilweise wenigstens erfahren hat. Wenn Husserl »transzendentes Sein« definiert als solches, »dessen ›Transzendenz‹ eben in der Unendlichkeit des noematischen Korrelats ... gelegen ist«225, wenn er mithin Dingliches nicht als unabhängig vom Bewußtsein, sondern als unausschöpflich im Bewußtsein verstanden wissen will, so scheint er in weitgehender Übereinstimmung mit den Resultaten der »Transcendentalen Systematik« sich zu befinden; auch durch deren abschließende Überlegungen »werden ... die Dinge an sich abermals zu – wenigstens teilweise – unbekannten Gegenständen: insofern nämlich, als die Möglichkeit neuer Erfahrungen stets die Erkenntnis neuer Eigenschaften der Dinge in Aussicht stellt. Da wir die unbegrenzten Möglichkeiten solcher Erfahrungen nicht vorauszusehen imstande sind, bleiben die Dinge uns immer teilweis fremd – eine Fremdheit, die sich bis ins Gespensterhafte steigern kann.«226 Indessen soweit diese Übereinstimmung reichen mag, sie hat ihre bestimmten Grenzen. Vom Ansatz einer transzendenten Dingwelt nämlich macht sich Husserl trotz allem nicht frei; allein die Loslösung seiner vernunfttheoretischen Begründung des Dingbegriffs von der eigentlich phänomenologischen Deskription zeugt dafür. Das transzendente Ding an sich bleibt bei Husserl erhalten – allerdings ähnlich wie in der Marburger Kantschule zum bloßen Grenzbegriff verdünnt. Bei der Kritik dieser Auffassung sollen uns die Sätze leiten, die in der »Transcendentalen Systematik« der Rede von der teilweisen Unbekanntheit der Gegenstände ergänzend beigefügt sind: »Die naturalistische Gewohnheit, die Dinge mit allen ihren Eigenschaften als fertig gegebene Wesen vorauszusetzen, würde dazu führen, diese unendliche Fülle der Möglichkeiten als im Ding vollendet gegeben zu betrachten; d.h. sie würde zu einem logischen Widerspruch führen, weil das Unendliche eben seinem Begriffe nach dasjenige ist, was niemals als vollendet gegeben gedacht werden kann. Unbegrenzte Möglichkeiten zu umspannen gelingt nur in Form des Gesetzes, das nicht den Begriff der vollendeten Unendlichkeit in sich schließt.«227 Bevor wir jedoch dem Sinn des Unterschiedes uns zuwenden, der darin liegt, daß für Husserl die Idee des Dinges vollendet gegeben, das Ding unendlich aufgegeben ist, während in der »Transcendentalen Systematik« die Idee des Dinges und das Ding nicht getrennt werden (es sei denn, man trenne den Begriff der Dinge überhaupt und die ihm unterstehenden Einzeldinge) – bevor wir diesem Unterschied uns zuwenden und seine Konsequenzen streifen, muß Husserls Versuch einer »vernunfttheoretischen Konstitution der Region Ding« von seinen Ansätzen aus kritisch verfolgt werden.
Nachdem wir die Unhaltbarkeit von Husserls Begriff des Noema einsehen mußten, verliert auch seine Forderung, bei der Beschreibung noematischer Sachverhalte alle »subjektiven Ausdrücke zu vermeiden«, ihre Berechtigung. Der Zusammenhang des Gegebenen konstituiert sich durch die Einheit des persönlichen Bewußtseins und wird eben dadurch als »subjektiver« charakterisiert. Wohl haben wir zu unterscheiden zwischen unseren Erlebnissen und den mittelbaren Gegebenheiten, aber dieser Unterschied ist keineswegs der von »subjektiv« und »objektiv«; denn auch das mittelbar Gegebene bestimmt sich allein durch seine Stellung im Zusammenhang des persönlichen Bewußtseins. Das »Was« jedes Bewußtseins, das nach Husserl »rein dargestellt« werden kann, läßt sich nur als mittelbar Gegebenes und in seiner mittelbaren Gegebenheit darstellen und ist also von dem »Wie«, in dem es auftritt, nur so weit abzutrennen, wie es im Erlebnis von jenem unterschieden wird; die erkenntnistheoretische Betrachtung ist zur Legitimierung des mittelbar Gegebenen auf das intentionale Erlebnis verwiesen. Wenn Husserl als das »zentrale noematische Moment« das »Identische« bezeichnet228, so mag daran gerade die Unmöglichkeit, »das, was bewußt« ist, von »der Weise, wie es bewußt« ist, zu sondern, deutlich werden. Denn die Rede von der Identität eines Dinges hat doch nur dann Sinn, wenn das Ding in einer Mehrheit von Erlebnissen als dasselbe bewußt ist; nur in bezug auf eine Mehrheit von Vorkommnissen kann man überhaupt von der Identität eines Gegenstandes reden, und die Mehrheit von Vorkommnissen, in denen die Identität des Dinges zutage tritt, sind eben die Tatsachen unseres Bewußtseins. Es gehören also die Erlebnisse keineswegs nur zur »psychologischen Konstitution« der Dinge, sondern diese psychologische Konstitution ist es allein, die der Rede vom Ding einen vernünftigen Sinn verleiht. Als Husserls Meinung darf (ohne daß es in den »Ideen« offen ausgesprochen wäre) wohl angenommen werden, daß die formal-logischen Formen der Systematisierung der Noemata zugrunde gelegt werden sollen. Allein in dieser Absicht übersieht Husserl, daß jene Sätze, die herkömmlicherweise der »formalen Logik« zugerechnet werden, ausnahmslos (der Satz des Widerspruchs und der Satz vom ausgeschlossenen Dritten eingerechnet) ihren Sinn gewinnen durch die Gesetze des Zusammenhangs unseres persönlichen Bewußtseins, daß die logischen Axiome nichts anderes sind als »synthetische Urteile a priori, die in allgemeinen phänomenologischen Erkenntnissen ihre Begründung finden«229. Wenngleich Husserl um die »phänomenologische Klärung der reinen Logik« hartnäckig gerungen hat, vermochte er doch nie sich von der Gegenüberstellung der »psychologischen Zusammenhänge des Denkens« und der »logischen Einheit des Denkinhaltes«230 ganz frei zu machen; die kausal-theoretisierende Psychologie, mit der er zu tun hatte, trägt mit Schuld daran. Eine von naturalistischen Setzungen gereinigte Psychologie oder, wie wir sagen dürfen, Phänomenologie ist aber die alleinige Rechtsquelle auch der »formalen Logik«. Darum schon ist die Entgegenstellung noetischer und noematischer Deskriptionen verfehlt; auch die letzteren müßten, selbst wenn sie sich (was wir bestreiten) abgelöst von den ersteren durchführen ließen, ihre Begründung in den Gesetzen des Zusammenhanges unserer Erfahrung finden.
Die Wechselseitigkeit der Beziehung von »jedem Noema auf ein intentionales Erlebnis« und »jedem Bewußtsein auf ein gegenständliches« kann für uns, die wir das »Wie« von dem »Was« der Erkenntnis zu trennen uns weigern, kein Problem sein, das isolierte Erledigung fordert, wie wir ja auch das Problem der »Beziehung von Bewußtsein und Realität« nicht als das »Zentralproblem der Erkenntnistheorie« ansehen konnten. Darauf zielten wir bereits, als wir die »vernunfttheoretische« Lösung des Dingproblems von vornherein abwiesen. Denn hier setzt ja das »vernunfttheoretische« Problem an. Durch die Loslösung des mittelbar Gegebenen von seiner Gegebenheitsweise ist die Frage nach der »Wirklichkeit« überhaupt erst möglich. Wird die Wahrheit eines dinglichen Urteils danach bemessen, ob bei Erfüllung der vom Urteil geforderten Bedingungen die gesetzmäßig erwarteten und behaupteten Erscheinungen eintreten oder nicht, dann knüpfen wir eben die Wahrheit des Urteils an die Stellung, die sein Inhalt im Bewußtseinszusammenhang einnimmt – also nach Husserl an das »Wie der Gegebenheitsweise«. Husserl aber meint über die Wahrheit eines Urteils etwas ausmachen zu können ohne Rücksicht auf seine Stellung im Bewußtseinszusammenhang; und da es sich ja auch bei Husserls Dingnoema nicht um das naturalistische Ding an sich, sondern um ein »Gedankending« im Sinne der »Transcendentalen Systematik« handeln soll, so wird für Husserl die Wahrheit dinglicher Urteile zu einem Problem, das, paradox genug, unabhängig vom Bewußtseinszusammenhang erwachsen und doch auf Grund des Bewußtseinszusammenhanges gelöst werden soll. Diesen Widersinn klar zu erkennen ist not.
Husserls Frage: Ist das als identisch bewußte Ding »wirklich dasselbe und ist der Gegenstand selbst ›wirklich‹?«231, könnte also von uns gar nicht gestellt werden. Nicht bloß die naturalistische Redeweise schreckt uns. Was würde es denn für uns heißen, daß ein als identisch bewußtes Ding nicht dasselbe sei? Vorausgesetzt, daß der behauptete individualgesetzliche Zusammenhang einmal zu Recht erkannt wurde oder, wie wir dafür sagen können, daß das Ding existierte, so bedeutete es doch nur, daß jetzt bei Erfüllung der geforderten Bedingungen die erwarteten Erscheinungen nicht eintreten, daß das Ding eine »veränderte Eigenschaft« im Sinne der »Transcendentalen Systematik« aufweist, die es gesetzmäßig zu begreifen gilt232. Die kausale Gesetzlichkeit aber ist auch ihrerseits wieder nur aus dem Zusammenhang des Gegebenen zu erklären. Wenn also, wie Husserl sagt, der Gegenstand notwendig bewußt ist als derselbe, d.h. wenn die im Rahmen des Individualgesetzes erwarteten Erscheinungen eintreten, dann ist er auch derselbe. Wenn das Individualgesetz gilt, dann ist das Ding auch »wirklich« – wenn anders man es nicht vorzieht, wie wir, das Wort »real« allein den unmittelbaren Gegebenheiten vorzubehalten. Jede Rede von der »Wirklichkeit« des Dinges, die sich nicht im Zusammenhang des Gegebenen ausweist, ist metaphysische Spekulation oder naturalistisches Vorurteil.
Wir wären demnach nicht eigentlich gehalten, Husserls Lösung des »Realitätsproblems« einer besonderen Kritik zu unterziehen. Allein das zirkelschlüssige Verfahren, das Husserl die Konstitution von »Transzendenzen« im Bewußtsein untersuchen läßt, korrigiert zum Teil den Ansatz dieser Transzendenzen, ein Fehler hebt gewissermaßen den anderen auf. Darum ist seiner Lösung selbst in Kürze nachzugehen.
Es wurde bereits angedeutet, daß Husserls Begriff der originär gebenden Anschauung, den er der »Rechtsprechung der Vernunft« zugrunde legt, nicht ohne weiteres gleichzusetzen ist unserem Begriff des unmittelbar Gegebenen. Husserl nennt etwa ein Erinnerungserlebnis »nicht originär gebend«233; wir würden das Erinnerungserlebnis »unmittelbar gegeben«, das Erinnerte »mittelbar gegeben« nennen. Husserls Unterscheidung geht in anderer Richtung als die unsere: er möchte nur die »Eindrucksbestandteile« (Erlebnisteile der Klasse a) als originär gegeben bezeichnen; da ihm aber – wie eingangs erörtert – auch die Eindrucksbestandteile »Bewußtsein von etwas« sind, so heißen sie nicht »originär gegeben«, sondern »originär gebend«. Diese scheinbar geringfügige Abweichung von der »Transcendentalen Systematik« hat die weitestgehenden Folgen. Sie kommen am Problem der »Unbestimmtheit des mittelbar Gegebenen« sogleich zutage. Denn die in »primitiven Begriffen«234 gegebenen Gegenstände können nur mittelbar gegeben sein; da aber Husserl anstelle des unmittelbaren Gegebenseins der Erlebnisse nur die originäre Gegebenheit von Eindrucksbestandteilen kennt, so kann er die in primitiven Begriffen gegebenen Gegenstände (die prinzipiell nur als intentionale Inhalte von a-Erlebnissen sich finden) auf Grund seines Begriffes der »originären Gegebenheit« schlechterdings nicht bestimmen. Er sieht sich darum zur Einführung des Begriffspaars von adäquater und inadäquater Evidenz genötigt, eines Begriffspaars, dessen wir nicht bedürfen, da wir in vollständiger Disjunktion die mittelbar gegebenen Gegenstände in reale und ideale eingeteilt haben.
Die Scheidung von adäquater und inadäquater Evidenz aber kann Husserl nur gewinnen, indem er wiederum dingliches Sein supponiert, das sich in »einseitiger, unvollkommener Erscheinung« abschatte, während doch das Verhältnis des Dinges zu seinen Phänomenen einzig auf Grund des Phänomenalen bestimmt werden kann. Man wird Husserls Satz, daß »keine auf solch einer inadäquat gebenden Erscheinung beruhende Vernunftsetzung ›endgültig‹«235 sei, d.h. daß »die Möglichkeit neuer Erfahrungen stets die Erkenntnis neuer Eigenschaften der Dinge in Aussicht stellt«236, willig anerkennen; in ihm gerade ist eine wesentliche Korrektur verschiedener Irrtümer enthalten; so der Auffassung, daß Dinge »leibhaft«, d.h. unmittelbar gegeben sein könnten; der trügerische »Abgrund des Sinnes« zwischen »Bewußtsein« und »Realität« scheint überwunden in dem Augenblick, da das Ding als Regel der Erscheinungen erkannt wird. Aber wir vermögen Husserl nicht zu folgen, wenn er lehrt, es entspreche »jedem ›wahrhaft seienden‹ Gegenstand die Idee eines möglichen Bewußtseins, in welchem der Gegenstand selbst originär und dabei vollkommen adäquat erfaßbar ist«237. Originär kann ein Ding überhaupt nicht gegeben sein, sondern stets nur mittelbar, oft genug weist Husserl selbst darauf hin, am nachdrücklichsten mit den Worten: »Es zeigt sich ..., daß so etwas wie Raumdingliches nicht bloß für uns Menschen, sondern auch für Gott – als den idealen Repräsentanten der absoluten Erkenntnis – nur anschaubar ist durch Erscheinungen, in denen es ›perspektivisch‹ in mannigfaltigen aber bestimmten Weisen wechselnd und dabei in wechselnden ›Orientierungen‹ gegeben ist und gegeben sein muß.«238 Und wie steht es mit der »Adäquatheit«? Wir hatten des Begriffs der adäquaten Evidenz überhaupt nicht bedurft; Husserl mußte ihn nur einführen, weil sein Begriff der originär gebenden Anschauung nicht zulangte. Wenn – nach Husserls eigenen Worten – auch für den »idealen Repräsentanten der absoluten Erkenntnis« Raumdingliches »nur anschaubar ist durch Erscheinungen«, so besagt das doch zugleich, daß es nicht adäquat gegeben sein kann. Wie aber kommt man zur »Idee eines originären und adäquaten Bewußtseins von Dingen«, wenn man solches Bewußtsein dem »idealen Repräsentanten vollkommener Erkenntnis« bestreitet? Indessen sind wir nicht darauf angewiesen, uns auf den Widerspruch in Husserls Theorie zu stützen. Husserl glaubt den Widerspruch (den er übrigens nicht in ganzer Schärfe sieht) dadurch beseitigt, daß er lehrt, trotzdem jedes Bewußtsein von Dinglichem inadäquat sei, sei als »Idee« im Kantischen Sinne gleichwohl die vollkommene Gegebenheit vorgezeichnet. Diese »Idee« aber ist möglich nur auf Grund der Voraussetzung eines vollendet gegebenen Unendlichen – das eben nicht vollendet gegeben gedacht werden kann. Hier tritt bei Husserl die Supposition dinglicher Transzendenz nochmals zutage. Denn nur wenn das Ding vorausgesetzt wird – wenngleich als nie in seiner Erscheinung als vollendet gegeben – läßt sich die vollendete Gegebenheit des Dinges als Aufgabe fordern, als »Idee« aufstellen; für eine vom Phänomenalen ausgehende Betrachtung ist das Ding (das Individualgesetz) selbst »ideal«, das Ding und die »Idee des Dinges« sind dasselbe. Der Unterschied der Auffassung, auf den wir hier stoßen, ist der gleiche, der zwischen der »Transcendentalen Systematik« und Kants Lehre vom »transzendentalen Gegenstand als Regel für die Erscheinungen« besteht. Wie für Kant ist für Husserl »das transzendentale Objekt ein X«239; für Husserl ist die »Idee« des Dinges ein von dem erkannten Individualgesetz verschiedenes, die selbst unbekannte Regel der Erscheinungen, bewußtseinsunabhängig und im transzendenten Ding vollendet gegeben. Für uns aber gibt es keine »Idee des Dinges« in Husserls Sinn; das Ding ist ideal, das gleiche wie das erkannte Individualgesetz, erkannt als Regel der Erscheinungen, bewußtseinsimmanent und der Korrektur unterworfen. Husserls Satz: »In einem Falle ist das Sein ›immanentes‹ Sein, Sein als abgeschlossenes Erlebnis oder noematisches Erlebniskorrelat; im anderen Falle transzendentes Sein, d.i. Sein, dessen ›Transzendenz‹ eben in der Unendlichkeit des noematischen Korrelats, das es als Seins›materie‹ fordert, gelegen ist«240 – diesen Satz können wir nicht akzeptieren. Sein Widersinn kommt zum Vorschein in der Konsequenz, daß die »Idee« des Dinges adäquat gegeben sein soll im Gegensatz zum Ding selbst. Denn was sollte diese »Idee« anders sein als das Ding, die Regel für die Erscheinungen? Diese Regel aber ist nie vollständig bekannt.
Einerseits also halten wir fest: nicht die Idee des Dinges schreibt Mannigfaltigkeiten von Erscheinungen Regeln vor, sondern das Ding selbst ist die ideale Regel für den Zusammenhang der Erscheinungen. Als solches aber ist es »nicht, wie der Kant'sche Begriff der ›Regel der Erscheinungen‹, nur ein X, sondern ein sehr bestimmt nach seinen verschiedenen Merkmalen zu erkennender Gegenstand«241. Keine unendlich aufgegebene Transzendenz steht uns hinter den Erscheinungen; ihre Regel konstituiert sich einzig nach den Gesetzen des Zusammenhangs unseres Bewußtseins.
Andererseits aber sind uns diese immanenten Gesetze niemals vollkommen bekannt, und schon der Begriff ihres »adäquaten Gegebenseins« bedeutet ein »Ausschweifen in intelligible Welten«. Denn da der Begriff eines vollendet gegebenen Unendlichen notwendig widerspruchsvoll ist, muß auch jeder aus ihm abgeleitete Begriff widerspruchsvoll sein; und die Idee der adäquaten Gegebenheit des Dinges ist aus ihm abgeleitet. Ihr Widerspruch liegt darin, daß das immanente Ding an sich, um vollkommen bekannt sein zu können, dem Bewußtsein transzendent sein müßte. Umgekehrt macht es nur die Voraussetzung eines transzendenten Dinges möglich, die Idee des vollendet gegebenen Dinges zu konzipieren. Dies Verhältnis wollten unsere letzten Untersuchungen beleuchten.