Freitag, 14. Mai, München / Prag
JP analysierte mit großer Sorgfalt das umfassende Dossier von Dr. Bucher, seinem Chef-Chef bei Malinger Autoteile GmbH. 265 Seiten pure Analyse! Ein gnadenloses Vergrößerungsglas. Dr. Bucher stand förmlich nackt vor JPs Augen. Er kannte nun seine Vermögenswerte, seine Vorlieben, seine Hobbies und seine Wünsche, sofern er sie irgendwo elektronisch vermerkt hatte. Er hätte diesem kalten Aal sehr gerne die Rolle des Drahtziehers und Brains (Verstandes) des Syndikats zugedacht. Es würde alles so gut passen! Eiskalt, skrupellos, ehrgeizig! Aber leider, leider war dem nicht so! Es gab absolut keinen Hinweis in dem Dossier über Bucher, dass er der Kopf des Betruges an Joseph Malinger und seiner Firma war. Nicht einmal ansatzweise ein Hinweis, dass Bucher auch nur irgendwie beteiligt war oder sich sonst hätte etwas Unrechtes zuschulden kommen lassen. Der Mann war einfach peinlich sauber!
Aber bei Dkfm. Hans-Joachim Fuchs, dem Wirtschaftsprüfer, hatte JP auch wenig bis nichts in dem Dossier gefunden und dennoch war er maßgeblich beteiligt. Wenn auch nur in seiner Position als externer Wirtschaftsprüfer, der seinen Stempel unter gefälschte Bilanzen setzte. Fuchs war eher an dem Verkauf von Firmen im Ausland beteiligt, die vorher ausgeplündert, bilanztechnisch betrügerisch manipuliert und dann teuer verscherbelt wurden. Aber das wusste JP nur durch puren Zufall von seinem Cousin, den er rein zufällig auf der Cebit getroffen hatte.
Auch wenn JP persönlich Dr. Bucher die Krätze an den Hals wünschte, so würde er niemals etwas konstruieren, nur um ihn etwa zu belasten. Zumal hinzukam, dass sein Verdacht bereits auf eine andere Person gefallen war. Zwei Dossiers waren noch ausständig, eines davon würde definitiv über das Gehirn des Syndikates sein.
JP war sich fast sicher, wer dies sein würde.
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Der unangemeldete Besuch eines Firmeneigners, und das schon um 7:00 Uhr morgens, kann die Mitarbeiter arg verwirren und verängstigen. Aber es war keine Zeit für sensibles Mitgefühl. „Doc“ forderte sofort von dem eingesetzten Geschäftsführer die Bereitstellung von 400.000,- Euro gegen die laufenden Kontokorrentkredite der Hausbanken, als Leihgabe für eine Woche, sowie die Anlieferung dieser Barsumme bis 13:00 Uhr per Geldbote an die Adresse des Firmenanwaltes in Prag. Mit dieser Anweisung war das gesamte Top-Management für den restlichen Vormittag beschäftigt.
Damit war die nötige Liquidität von 1,2 Mio. geschaffen.
Bereits um 8:44 Uhr saß „Doc“ wieder im Porsche, auf direktem Weg zum Anwalt. Da läutete sein Handy, „Doc“ sprach über die Freisprechanlage: „Guten Morgen, Herr Anwalt. Ja, ich höre!“ „Doc“ entspannte sich hinter dem Lenkrad und hörte ein paar Minuten aufmerksam zu. „Was? Verdacht auf Geldwäsche oder Bestechung? Wir wollen doch nur ein legales Geschäft machen und Firmenanteile kaufen. Shit, wie sind die bloß auf diese Transfers gekommen. Egal, das lösen wir später. Welchen Vorschlag höre ich von Ihnen zur Lösung des finanziellen Problems heute um 14:00 Uhr? Was, sie haben keine Idee? Dann hören Sie mir mal gut zu. Ich erwarte von Ihnen einen finanziellen Beitrag zu diesem Schlamassel in Höhe von 250.000,- Euro in bar bis heute 14:00 Uhr. Es ist mir scheißegal, ob Sie das Geld haben oder nicht. Leihen Sie es sich! Ich musste mir auch alles ausleihen, um nicht ganz mittellos vor Ort zu erscheinen.
Ich muss und werde diese Firmenanteile heute kaufen! Und ich will mich nicht wiederholen, Sie sind maßgeblich mit daran Schuld, dass wir alles nochmals bezahlen müssen! Ich habe mich um die knappe 1 Million gekümmert. Die 250K kommen nun von Ihnen, verstehen wir uns? Ach ja, schicken Sie niemanden zum Flughafen. Ich bin in etwa einer Stunde bei Ihnen im Büro!“ „Doc“ lauschte auf die Antwort, dann ging die Diskussion weiter, durchaus einen Zacken emotionaler. „WAS, Sie wollen mit Ihrer Einlage Anteile an MOTOHMOTY s.r.o erwerben? Nein, das denke ich nicht, dass die Partner das akzeptieren, speziell unser russischer Freund wird hier niemals mitspielen. Er will keine weiteren Partner. Über meine eigenen Anteile kann ich natürlich frei verfügen. Hören sie genau zu, ich mache Ihnen jetzt einen einmaligen Vorschlag, gültig bis heute 12:00 Uhr: Ihre 250.000,- stocken sie auf 400.000,- Euro auf, zahlbar an mich persönlich! Dafür bekommen Sie 3,6% der Anteile, die heute von McGregor auf mich übertragen werden. Im Klartext: 250.000 erwarte und brauche ich ohnehin von Ihnen und für nur 150.000,- Euro mehr bekommen sie 3,6% der Firma. Sie wissen genau, für welchen Betrag wir die MOTOHMOTY s.r.o noch in diesem Jahr an die Firma Malinger verkaufen werden und welchen Hebel Sie damit für Ihre Investition ansetzen. Sie werden Ihre Einlage verzehnfachen. Sie haben bis heute 12:00 Uhr Zeit, alles Nötige in die Wege zu leiten und die Barmittel bis 14:00 Uhr aufzutreiben. So, ich muss jetzt wichtigere Telefonate führen. Over and out.“
Das hatte Charme! „Doc“ war sich ziemlich sicher, dass sein Anwalt nun Himmel und Hölle in Bewegung setzen würde, um diese einmalige Chance für sich zu ergreifen! Gier war ja so berechenbar! Das Geld von Fuchs und McGregor war zwar im Moment eingefroren, aber es war nur eine Frage von ein paar Tagen, bis es wieder frei verfügbar wäre. Es gab ja diesmal tatsächlich keine illegale Transaktionen – es war ein ganz seriöses, normales Geschäft. Die Verdachtsmomente würden sich ganz schnell in Nichts auflösen. Dann würden die 4,1 Millionen an Doc fließen, der gemäß dem manipulierten Kaufvertrag einen viel höheren Betrag (nämlich 7,4 Millionen) für den Kauf der zusätzlichen Firmenanteile bezahlt hätte. Der Anwalt wäre ja nun freiwillig zum Partner und Mittäter geworden. Damit würde er dieses Geheimnis niemals mehr ausplaudern und er wäre auch zukünftig erpressbar. Außerdem waren durch diese hohe Kaufsumme rein rechnerisch die neuen Firmenanteile des Anwaltes auch erheblich mehr wert. „Doc“ würde somit einen Teil seiner neuen Anteile, die ihm McGregor notgedrungen übertragen musste, verkaufen, bevor er sie überhaupt besessen hatte und für die er nicht mal etwas bezahlte – genial, oder?
Die heutige Bar-Entnahme von MOTOHMOTY s.r.o würde „Doc“ gegen die quartalsweisen Gewinnentnahmen verrechnen. „Doc“ würde seinen Teil niemals zurückerstatten „Was einmal Meins, das immer Meins“, war „Docs“ Credo. Wie es die anderen lösen wollten, war „Doc“ erst mal egal.
Die 1,2 Millionen von den Youl-Frauen würde der Dieb Juri Corcan größtenteils – nämlich zu 85%, d. h. 1.020.000,- Euro– heute wieder „zurückstehlen“ und sie „Doc“ am Abend übergeben.
Hinzukamen die 400.000 Euro vom Firmenanwalt...Was für ein Riesencoup! Doc hätte förmlich aus Schei... Gold gemacht. Ein guter Grund, mit sich zufrieden zu sein!
Wahrlich ein Spiel in der Königsliga mit Win/Win auf allen „Doc“-Ebenen!
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Die Witwe Youl hatte irgendwie Angst vor dem Termin heute um 14:00 Uhr. Einerseits war es gut, endlich einen Strich unter die Beteiligung an der Firma Ihres verstorbenen Mannes machen zu können. Andererseits hatte sie Angst vor den anderen Firmeneignern, besonders vor „Doc Oberst“. Sie wusste nur zu gut, wie sehr Fiodr, speziell diesen Partner gefürchtet und gehasst hatte! Anhand der vielen Beweise, die ihr Mann zusammengetragen hatte, wusste sie auch, dass diese Angst gegenüber den Partnern sehr berechtigt war und diese Menschen skrupellos, gefährlich und eiskalt waren.
Mittlerweile war sie sich fast sicher, dass dieses „deutsch/russische Piraten-Pack“ auch hinter dem Überfall steckte, durch den ihr Mann beinahe im Dorfbach ertrunken und dann ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Nach dem Krankenhaus war Fiodr nicht mehr er selbst! Aber er hatte sich irgendwie zum Guten verändert, sodass sie schon Hoffnung hatte, ihre ansonsten vertrocknete Ehe doch wieder auf einen besseren Weg bringen zu können. Wahrscheinlich hatten die Ex-Partner diesen Anschlag auf sein Leben veranlasst, um ihren Mann Fiodr zum Verkauf seiner Anteile, weit unter Wert, zu zwingen. Wie Dr. Dolcon immer wieder versicherte, könnte man mit den Faktoren „Zeit und Geduld“ noch um Einiges mehr für die Firmenanteile ihres Mannes herausholen.
Aber sie hatte momentan von beidem zu wenig und wollte nur weg und einen Schlussstrich ziehen. Trotz ihrer Angst verspürte sie ein klein wenig Neugier. So wollte sie doch endlich „Doc Oberst“ in die Augen sehen und für sich selbst feststellen, ob Fiodr mit seiner Aussage: „Wenn Du „Doc Oberst“ in die Augen siehst, siehst Du nur die Kälte des gesamten Universums und böse Leere!“ stimmte.
Aber im Moment hatte sie keinerlei Vorstellung, was in Gottes Namen „die Kälte des Universums und böse Leere“ sein könnten.
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Vor der Fahrt in die Stadt Prag hatte „Doc“ noch einen kleinen Abstecher aufs Land gemacht. Der Porsche 911 parkte auf einer kleinen Anhöhe – im fernen Hintergrund konnte man Prag vage erkennen – davor erstreckte sich unbebautes Land, das nun im Mai eine herrliche grüne, landwirtschaftlich genutzte Fläche war. „Doc“ hatte nicht etwa seinen Sinn für die Schönheit der Natur entdeckt. Nein, die Motive für die versonnene Betrachtung dieser Landschaft waren anderer Art: „Doc“ hatte einige Hektar dieses Landes vor ein paar Jahren, als sie den letzten erfolgreichen Firmenverkauf an Malinger in Polen abgeschlossen hatten, gekauft. Für etwas mehr als eine Million Euro gehörte Doc seit damals ein sehr beeindruckender, sehr großer Landstrich. Die Überlegung war ganz einfach: Prag würde wachsen und „Doc“ würde irgendwann einen Bebauungsplan für einen neuen Vorort vorlegen und mit etwas Bestechung bestimmt auch genehmigt bekommen. Dann würden Reihenhäuser oder Hochhäuser an dieser Stelle gebaut werden und aus den initialen Investitionen von ein paar Millionen für die Immobilien würden sich schnell zwei- bis dreistellige Millionen-Profite machen lassen.
Das war der Plan für den Rückzug aus dem operativen Geschäftsleben.
Das Handy klingelte – unterdrückte Rufnummer. „Ja?“ „Oil hier!“ Die Partner des Konsortiums benannten sich gegenseitig häufig mit ihren Decknamen. „Vladimir, was gibt‘s“, entgegnete Doc um Leichtigkeit in der Stimme bemüht. Er wusste, dass das Handy seines Partners absolut abhörsicher war. „Doc, ich weiß, dass Du auf dem Weg zu unserem Anwalt in Prag bist und ich gehe davon aus, dass Du die Sache mit diesen Erben von Fiodr heute mit Geld in Ordnung bringst.... Gut! Aber ich rufe Dich wegen einer anderen Sache an. Du stehst gerade auf Deinem Land südlich von Prag, ich kann fast dein Gesicht auf meinem Bildschirm erkennen – ich habe einen eigenen Satelliten gekauft – die Dinger und ihre Kameras werden immer besser...“, klang es gut gelaunt aus „Docs“ Handy. „Doc“ war fassungslos! „Pass auf, ich will Dir ein gutes Geschäft vorschlagen: Du hast damals für diesen Acker etwas über eine Million bezahlt. Ich habe mir den Kaufvertrag besorgt. Ich tausche meine gesamten 28% der Firmenanteile an MOTOHMOTY s.r.o komplett gegen Deinen Acker!“ „Nein, Vlad ich bin nicht interessiert.“ „Das solltest Du aber sein, „Doc“. Du weißt, was meine Firmenanteile wert sind und wie viel bei dem Verkauf dieser Firma an Malinger Autoteile für Dich rausspringt. Du wärst mit einem Schlag, bei weitem Mehrheitseigner und kannst vielleicht sogar „MM“ noch los werden. Ich weiß, welche Probleme er hat. Er ist nicht mehr von Nutzen“. „Vlad ich kann mir selbst meine Vorteile ausrechnen, nein, ich bin nicht interessiert.“ „Doc“, ich mache keine Angebote nur so zum Spaß! Ich habe mittlerweile alle Ländereien rund um Deinen Acker gekauft. Und ich werde dort die modernste Satellitenstadt Europas errichten lassen. Meine Partner sind Großinvestoren und sehr hochrangige Politiker in Tschechien. Ich bekomme immer, was ich will...“ „Vlad, ich will als Partner dabei sein und bringe mein Land mit ein.“ „Hör zu „Doc“, wir kennen uns seit wir – ich beim KGB und Du bei der Stasi – zusammengearbeitet haben. Ich mag Dich, aber in diesem Projekt kannst Du nicht Partner sein! Es geht einfach nicht! Ich musste Anteile an sehr einflussreiche Leute abgeben und es ist kein Fitzelchen an Shares mehr übrig! Verkaufe, bzw. tausche und wir trennen uns als Freunde und machen ein anderes Projekt mal wieder zusammen!“ „Und wenn ich mich weigere?“ „Docs“ Stimme klang geringfügig verunsichert.
„Ich wiederhole mich, „Doc“ – Vladimir Popolowsky bekommt IMMER, was er will!! Fordere mich nicht heraus, „Doc“! Meine Partner und ich haben die Macht, Deinen Acker zum Natur- oder Landschaftsschutzgebiet oder zum zukünftigen Stadtpark umzuwidmen, wir können Dich enteignen oder wir können Dich mit roher Gewalt gefügig machen lassen...Aber ich will das alles nicht, Doc, wegen unserer langen Freundschaft. Willige ein und nichts Unangenehmes wird passieren. Du hast ja jetzt die nächste Stunde im Auto gut Zeit dafür – ruf‘ mich an, wenn Du bei unserem Anwalt bist. Dann kann die Überschreibung des jeweiligen Eigentums gleich im Anschluss an Deinen Termin um 14:00 Uhr erfolgen. Übrigens: Du hast soeben ein leere Tüte auf den Boden fallen lassen. Du wirst doch nicht MEINEN schönen Acker verschmutzen wollen?“
Die Alternativen waren offensichtlich eingeengt. Aber was soll‘s, „Doc“ würde dennoch einen gewaltigen Profit im Vergleich zu seiner Einlage machen. Der Wertzuwachs von MOTOHMOTY s.r.o war ungleich grösser!
Man musste flexibel auf Veränderungen des Lebens reagieren! So ist Business nun mal.
Cleverness und Flexibilität waren definitiv der Starr- und Sturheit vorzuziehen...
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Fiodr Youl hatte völlig recht! Seine Witwe hatte sie gesehen, „die Kälte des gesamten Universums und die böse Leere“! Genau das konnte sie in diesen Augen sehen. Die Neugier war befriedigt, die Angst bestätigt.
Es war ein eigenartiger Termin bei diesem Anwalt: Sie, ihre beiden Töchter und Dr. Dolcon saßen dem gegnerischen Anwalt gegenüber und besprachen den neuen Kaufvertrag. Die bisherigen Partner von Fiodr waren zuerst nicht anwesend. Keiner! Beim Unterzeichnen der Verträge bestand die Witwe Youl darauf, dass auch zumindest 1 Ex-Partner ihres Mannes zusammen mit ihr unterzeichnen sollte – sie hatte „Doc Oberst“ bei ihrer Ankunft in einem Nebenraum sitzen und telefonieren sehen. Dann wurde das Geld aus einer Art Sporttasche auf den Tisch gelegt. Dr. Dolcon zählte nach und sie und ihre beiden Töchter quittierten den Empfang. Mit offensichtlichem Unwillen kam „Doc Oberst“ ins Büro, grüßte kaum und unterzeichnete wortlos seinen Teil der Kaufverträge. Als alles ordnungsgemäß und von allen Parteien unterschrieben war, bemerkte Dr. Dolcon, dass der Geldbote seiner Bank mit dem gepanzerten Fahrzeug unten vor der Kanzlei wartete und nun das Bargeld abholen wollte. Dabei konnte die Witwe den kalten Blick von Doc Oberst sehen und verstand ...!
Kälte und Leere! Vielleicht aber auch gewaltiger Zorn. Ihr Fiodr hätte diese Augen nicht treffender beschreiben können! Dieser böse Blick würde sie noch monatelang verfolgen und sie sah nur einen Ausweg, um sich irgendwie davon zu befreien: Räumliche Distanz! Sie musste weg aus diesem Land, heute noch! Das Geld wurde inzwischen in ihr Schließfach in der Bank gebracht – Dr. Dolcon erledigte das, zusammen mit ihren Töchtern – und Sie würde nun auf direktem Wege ihre Schwester in Wien besuchen fahren.
Den blauen Ordner mit Fiodrs Beweisen über „Doc Oberst“ und seine Partner hatte sie bereits in ihrem Auto. Sorgfältig verpackt als Paket, das sie heute noch per Post, direkt an die Abteilung Wirtschaftskriminalität schicken würde. Den Namen des richtigen Ansprechpartners hatte ihr ein Verwandter mittlerweile ermittelt. Ein Frösteln durchlief ihren Körper!
Kälte, Leere und Zorn funkelten sie in ihren Gedanken aus blauen Augen an, als sie am Postschalter stand und ihr Paket per Einschreiben Express verschickte.
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Freitagabende hatte JP immer gemocht. Sie waren der fast schon „rituelle“ Auftakt für zwei Tage Freizeit. Am Wochenende vielleicht ein bisschen länger schlafen, vielleicht ein bisschen fischen gehen oder vielleicht mit Freunden was unternehmen. Hier im Krankenhaus Schwabing war dem nicht so. Es war im Prinzip immer der gleiche Trott – wochentags wie am Wochenende. Der einzige Vorteil war, dass JP inzwischen problemlos aufstehen, ein bisschen spazieren gehen und sich zu diversen Polizisten und Ermittlern in den Nachbarräumen setzen durfte.
Aber er durfte seinen abgegrenzten Flurbereich leider nicht verlassen – Gefahr eines Anschlages – und das hatte er sich selbst zuzuschreiben. Die Polizei wäre nicht auf diese Idee gekommen, dass sein Leben womöglich gefährdet sei, das war auf seinen eigenen Mist gewachsen. Seine Coverstory war inzwischen, auch nach Außen, abgemildert worden und nun war er offiziell „über den Berg und auf dem Weg der Besserung“.
Sein iPhone, das er immer auf stumm geschaltet hatte, vibrierte. Die Rufnummer wurde unterdrückt. Das konnte nur FATBOY sein und so ging JP ans Telefon. „Hallo Herr Santa Cruz! Dr. Elisabeth Drager hier”, säuselte ihm eine wohlbekannte Stimme ins Ohr. JP war so dermaßen erschrocken, dass er beinahe sein Telefon fallen ließ. „Ich habe gehört, Ihnen geht es inzwischen ein bisschen besser, schön, dass Sie Ihr Telefon einschalten dürfen, ich hoffe ich störe nicht? Wie geht es Ihnen, Herr Santa Cruz? In welchem Krankenhaus sind Sie denn? Noch im Schwabinger? Welche Station, welche Zimmernummer? Darf man Sie besuchen kommen?“ JP war völlig überrumpelt. „Frau Dr. Drager! Was für eine freudige Überraschung. Ja, ich bin inzwischen über den Berg, aber noch sehr schwach und bettlägerig. Schläuche und Gips überall. Danke, dass Sie anrufen. Ui, ui, jetzt muss ich aber leider Schluss machen, ich darf nämlich hier im Krankenzimmer nicht telefonieren und die Schwester kommt gerade zur Tür herein und schaut ganz böse. Ich melde mich nächste Woche mal bei Ihnen. Schönes Wochenende, Dr. Drager!“
Und schon hatte er das Gespräch unterbrochen und sein Handy ausgeschaltet. Uiuiui, das war knapp!! Danke an den Geistesblitz mit der guten Ausrede! JP schwitzte am ganzen Körper. Er würde sich unbedingt eine neue Telefonchipkarte und Telefonnummer geben lassen. So etwas konnte jederzeit wieder passieren. Holzner hatte ihn sorgfältig beobachtet und sah ihn nun interessiert an: „WER hat Sie angerufen? Die Personalchefin Dr. Drager? Eine unserer Hauptverdächtigen? Das ist eine Katastrophe für Ihre Tarnung! Ja, Sie bekommen gleich morgen eine neue Chipkarte für ihr Telefon. Inzwischen müssen Sie mit Ihren Ermittlern einen Anruf-Auflegen-Code vereinbaren! So etwas kann das Projekt gefährden und vor allem Ihre Sicherheit!“ Usw. usw... Holzner machte sich eben wirklich Sorgen um JPs Sicherheit und das aus gutem Grunde!
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„Doc“ hatte wirklich einen erfolgreichen Freitag in Prag! Der Safe würde wieder mit dem „Notgroschen zum Abhauen“ gefüllt werden und Doc war mit 66% Mehrheitseigner bei MOTOHMOTY s.r.o – und das im Tausch gegen einen (noch) wertlosen, großen Acker südlich von Prag. Der „Notgroschen“ war leider nicht so viel wie vorher in der Theorie errechnet, aber es waren immerhin 400.000,- Euro, das Geld seines Anwalts, der nun für 4,1 % (natürlich wurde nachverhandelt und man einigte sich dann auf diese 4,1%) Anteile an MOTOHMOTY s.r.o von „Doc“ erworben hatte.
Leider musste der Überfall auf die Witwe Youl durch den Schergen Juri Corcan kurzfristig gestoppt werden. Da hatte der clevere Anwalt Dr. Dolcon mit dem unerwarteten Geldtransporter gehörig die Suppe versalzen. „Doc“ war kurzfristig unglaublich verärgert. Aber was soll´s! Es war alles in allem ein sehr gutes Geschäft! Die „Was-Wäre-Wenn-Frage“ den Acker südlich Prag betreffend, wurde von „Doc“ einfach nicht mehr gestellt. Viel, viel mehr bekommen, als dafür bezahlt, nur das zählte letztendlich bei guten Kaufleuten! Die Sache war damit erledigt und abgehakt.
Popolowsky hatte ohnehin viel zu viel Einfluss und verbreitete immer enorme Furcht durch seine unglaubliche Brutalität und Härte und durch seinen unermesslichen Reichtum. In der momentanen Projektphase war er ohnehin nicht mehr von Nöten und sein freiwilliger Ausstieg aus diesem Projekt war das Beste, das passieren konnte.
Schon wieder auf dem Weg nach München, kam ein Anruf von Herbert Alfons, dem Chef einer Firma mit IT-Consultants, die als externe Fachleute auf Basis eines (saftigen) Tageshonorars von Malinger Autoteile hinzugezogen wurden, um die IT-Systeme wieder irgendwie zum Laufen zu bringen. Die eigene, deutsche IT-Truppe war ja durch die Explosion im Rechenzentrum fast zur Gänze und immer noch, ausgefallen.
Die allermeisten Systeme waren nun wieder „up and running“ und Herr Alfons wollte eine Abschlussbesprechung zu den erledigten Arbeiten vereinbaren. Da die Termine sowohl bei „Doc“ als auch bei Herrn Alfons sehr knapp waren, vereinbarte man morgen, Samstag, in „Docs“ Büro im Malinger Werk. „Gut, dass es am Wochenende ist, Doktor! Meinen Leuten ist da nämlich etwas, sagen wir, Eigenartiges aufgefallen, das ich gerne ungestört und möglichst vertraulich mit Ihnen besprechen will“, meinte Albrecht abschließend.
Na, das machte doch neugierig. Doc fuhr sofort die Radarsensoren aus und hakte nach. „Halt, halt, Herr Alfons, lassen Sie mich nicht so halbfertig hängen. WAS genau ist Ihren Leuten aufgefallen?“, entgegnete Doc. „Ach, wissen sie, Doktor, vielleicht haben wir uns ja geirrt, ich würde es Ihnen lieber auf dem Rechner zeigen“, entgegnete Alfons. „Nein, nein, nix da! Ich muss schon jetzt auf diese Information bestehen – zumindest die grobe Richtung.“ „Ok, ok, wir haben den unbestätigten Verdacht, dass auf ihren Maschinen jemand herumschnüffelt. Jemand sehr geschicktes, zweifelsohne, aber meine Leute sind auch sehr, sehr gut, denen entgeht nichts, möglicherweise hackt sich irgendjemand in die Systeme der Firma Malinger ein.“ „Danke, Herr Alfons! Das ist sehr alarmierend. Bringen Sie morgen Ihren besten Mann mit!! Ich buche ihn für die nächsten zwei Wochen fest, zum vereinbarten Tagessatz! Ich will so schnell als möglich wissen, was da los ist! Besonders interessiert mich, welche Dateien gehackt werden und ob es ein interner oder externer Hackerangriff ist! Das gibt eventuell einen Rückschluss auf Motive eines möglichen Täters. Morgen ab 10:00 Uhr bin ich im Büro! Ich sage beim Pförtner Bescheid, dass man Sie sofort zu mir bringt. Ach und noch was, Herr Alfons. Sie reden mit NIEMANDEM über diese Sache, klar? Auch nicht mit dem Senior Chef oder sonst jemanden aus der Firma! Gut. Dann verstehen wir uns! Noch einen guten Abend, Herr Alfons.“
Nachtigall ich hör Dir trapsen..... da war doch eindeutig Gefahr im Anmarsch...