Donnerstag 13. Mai 2010, München, Krankenhaus Schwabing
JP brütete soeben über dem Dossier „Dr. Willibald Bucher“, Hauptgeschäftsführer des Malinger Autoteile Konzerns. Er hatte diesen Mann noch nie gemocht, obwohl er viel Respekt für seine Erfolge beim Malinger Konzern hatte. Trotz der Wirtschaftskrise im vergangenen Jahr hatte die Firma Malinger eigentlich kaum Schaden genommen. Das lag maßgebeblich an Dr. Bucher und Joseph Malinger, die das schlingernde Schiff meisterhaft durch den tobenden Sturm geleitet hatten. Malinger war aber immer menschlich fair, während Bucher nur hart und unnahbar erschien. Seine Sparmaßnahmen waren für den einzelnen Mitarbeiter sehr schmerzhaft, aber für das Unternehmen vielleicht überlebenswichtig.
Da piepte das iPhone – eine SMS ohne Absenderkennung. „Need to talk 2 u now.“ (muss sofort mit Dir sprechen) – ach FATBOY, warum bist du nur immer so derart höflich und langatmig bei deinen Mails oder SMS. „Herr Hauptkommissar, würden Sie wohl so freundlich sein und mich für ein Weilchen alleine lassen? Ich muss etwas Vertrauliches mit meiner Anwältin besprechen.“ Das war natürlich gelogen, aber sonst würde er Holzner nur schwer loswerden. „Ok, call me now.“ (Ok, ruf jetzt an) antwortete JP per SMS, sobald er alleine im Zimmer war. Ein paar Sekunden später war FATBOY am Telefon und kam mit seiner künstlich verzerrten Stimme ohne jegliche Grußformel sofort zur Sache: „This guy Fuchs is presently transferring his entire 2,7 Million Euro. The guy McGregor is also transferring approx. 500.000,- and from their ‘joint’ company bank account they have transferred 900.000,- Euro, all to the same Bank in Prague. They are sending tranches of round about 9.900,- Euro each transfer. What the hell is going on there?” (Der Mann Fuchs überweist soeben seine gesamten 2,7 Millionen Euro. Der Mann McGregor überweist auch ca. 500.000,- und von ihrem „gemeinsamen Firmenkonto“ haben sie 900.000 überwiesen, alles an dieselbe Bank in Prag. Sie überweisen jeweils Tranchen von ca. 9.900,- Euro. Was zum Teufel geht da ab?)
Tja, mein Lieber FATBOY, der gute JP ist auch kein Hellseher.... Aber diese Information war in der Tat sehr alarmierend! JP und FATBOY diskutierten noch eine Weile. JP musste nachdenken und versprach, sich später wieder zu melden. Im Moment hatte er keine Idee. Er schaltete seinen Fernseher an. Er konnte gut nachdenken, wenn der Fernseher lief. Im TV kam gerade ein Bericht über den legalen oder illegalen Zukauf von Daten über Schwarzgeldkonten in der Schweiz und Liechtenstein. Ein Mann wurde befragt und erzählte von der Wichtigkeit von polizeilichen Überwachungen und Zugriffen auf Auslandskonten bei begründeten Verdachtsmomenten etc. JP hörte nur mit halbem Ohr zu, dennoch machte es plötzlich „pling“ in seinem Hirn und die gute Idee war da.
„Herr Hauptkommissar Holzner, bitte kommen Sie wieder herein und bitte schließen Sie die Tür hinter sich“, rief JP. Holzner war sofort zur Stelle. „Ja? Die Tür schließen? Santa Cruz, was steht an?“ „Ich möchte wieder mit der Privatperson Korbinian Holzner sprechen, geht das?“ „Machen Sie mich nicht neugierig, Santa Cruz, aber bevor wir beide wieder ein Ding zusammen drehen, möchte ich etwas vorher bereinigen. Ich war vor ein paar Tagen betreffend Dr. Gruber und Ihren Anmachsprüchen bei der Dame zu weit gegangen. Das steht mir nicht zu! Wir haben nicht mehr darüber gesprochen, aber ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen!“ „Schon gut Holzner, ich bin nicht nachtragend. Vergeben und vergessen! Aber dennoch nett, dass Sie es angesprochen haben!“ „Gut, wenn das vom Tisch ist! Es lag mir arg am Magen! Nun steht ihnen Korbinian Holzner als Privatperson gerne zur Verfügung. Schießen Sie los“. „Danke, Holzner. Folgendes ist passiert und wir müssen unbedingt Gegenmaßnahmen einleiten. Meine Partner haben die Kontobewegungen unserer Verdächtigen Fuchs & McGregor beobachtet. Da geht was ganz Seltsames vor!“ JP erzählte recht detailliert. Holzner machte große Augen! Er hörte still zu und schüttelte den Kopf. „Diese schlauen Hunde“, brummte Holzner, nachdem JP eine Pause einlegte – „jeweils unter 10.000,- pro Überweisung, damit fliegen sie unter dem Radar für die Geldwäscheüberwachung – verdammt.“ „Ja, ich weiß Holzner, aber ich habe eine Idee. Wir kennen das Bankkonto der Prager Bank. Es sind sehr viele Überweisungen mit annähernd demselben Betrag. Das ist doch sehr eigenartig, irgendwie auffällig, oder? Die Gesamtsumme beträgt über vier Millionen Euro! Vielleicht kommt nochmals ein hoher Betrag von dem bisher unbekannten deutschen Partner hinzu. Diese plötzlichen Überweisungen, alle zum selben Termin, das macht diese Sache doch sehr suspekt, oder? Könnten Sie nicht eine sofortige ‚Untersuchung‘ dieser Transaktionen über Interpol oder die Prager Polizei veranlassen? Konkreter Verdacht auf eine kriminelle Vereinigung, vielleicht Geldwäsche. Das ist doch was, oder? Damit würden die Gelder erst mal eingefroren werden, bis die Untersuchung beendet ist. Die überweisen doch nicht so viel Geld nur zum Spaß! Ich vermute, da ist was ganz Konkretes im Busch. Garantiert eine kurzfristige Terminsache! Wenn die Gelder erst mal eingefroren sind, dann kommen die Jungs arg ins Schwitzen. Der Deal oder wofür immer sie das Geld brauchen, könnte gefährdet sein oder gar platzen. Dann fangen die bösen Jungs an Fehler zu machen. Außerdem: Mindestens 4,1 Millionen eingefrorene Gelder kann man nicht so einfach wegstecken. Das Geld wird irgendwo fehlen. McGregor müsste dann im Moment ziemlich auf dem Trockenen sitzen und Herr Fuchs wird auch nicht mehr so viel Bares auf der hohen Kante haben. Mich würde das doch sehr nervös machen, Sie nicht, Herr Holzner?“
„Santa Cruz, Sie meinen, wir sollen jemanden anschwärzen, der im Moment noch nichts eindeutig bewiesenes Illegales gemacht hat? Wir sollen die Amtsgewalt der bayerischen Polizei missbrauchen, nur um jemanden ‚arg ins Schwitzen‘ zu bringen? Das würde mich meinen Job kosten....“ Holzner schwieg eine Weile, dann fuhr er fort: „Santa Cruz, Sie san a unglaublicher Sauhund! Aber... was für eine prima Idee! Ich bin dabei! Ich weiß allerdings nicht, wie wir es richtig anstellen sollen. Ich kenne niemanden für den ‚kleinen Dienstweg‘ bei der Prager Polizei und offiziell über das Amtshilfeverfahren können wir es glatt vergessen! Mit Osteuropa dauert das vielleicht Monate, wenn es überhaupt funktioniert. Ich habe nicht viel Erfahrung mit grenzüberschreitender Wirtschaftskriminalität...“
Holzner grübelte ganz offensichtlich und zwirbelte nervös an seinem riesigen Schnurrbart, dann fuhr er fort: „Aber ich habe einen Cousin bei Interpol, den kann ich mal fragen. Ich werde Christoph gleich mal anrufen und privat um Rat bitten, der Junge ist sehr ehrgeizig und macht tierisch Karriere. Wenn der nur eine Chance riecht, etwas für seine Laufbahn zu tun, wird er schneller aktiv als die Nonne nach dem Beten Amen sagen kann. Aber das hier muss wirklich unter uns bleiben, Santa Cruz! Das darf der Herr Staatsanwalt Dr. Ott nicht wissen, ok? Sonst bin ich meinen Job womöglich wirklich los.“ „Wer ist Dr. Ott, Herr Holzner?“ entgegnete JP und grinste. „Ok, passt Santa Cruz! Sie san in Ordnung. Ich geh mal vor die Tür zum Telefonieren!“ „Ach, Herr Holzner, noch eins – das war doch offensichtlich ein Bombenattentat bei Malinger, können wir derzeit zu 100% terroristische Hintergründe ausschließen?“, erkundigte sich JP ganz scheinheilig. Holzner grinste und schaute ganz pfiffig.... „Ich weiß, was Sie meinen, schlau aber ganz, ganz dünnes Eis. Gefährliche Sache mit dieser Terrorismus Story“, entgegnete Holzner freundschaftlich und verließ den Raum um mit seinem Cousin zu telefonieren. JP hörte Wortfetzen vom Telefonat vor seiner Tür: „vertrauliche Ermittlungen, Bombenattentat, Verbrecher-Syndikat, möglicherweise Mafia, suspekte Überweisungen, viele Millionen Euro, Cayman Islands, möglicherweise: Geldwäsche, Bestechung, Terrorismushintergrund möglich aber nicht bestätigt, Geld einfrieren!“
Nach einiger Zeit kam Holzner wieder ans Bett von JP. Sein riesiger Schnurrbart zitterte vergnügt. Er zwinkerte JP spitzbübisch zu und streckte seinen Daumen siegessicher nach oben. „Interpol ist für so etwas zuständig. Christoph ist jetzt im Bereich internationale Wirtschaftskriminalität. Das passt wie Klitschkows Faust auf Frasers Auge. Er war mir sehr dankbar für den inoffiziellen Tipp, wird mich aber raushalten. Ich brauche nun den Banknamen und die verdächtige Kontonummer, bitte. Christoph setzt sich gleich mit einem Kollegen in Prag in Verbindung, den er wohl sehr gut kennt und dem er vertraut. Wissen Sie, ohne die richtigen Beziehungen geht rein gar nichts in diesen Ländern.... Bei uns aber auch nicht!
Wenn wir unglaubliches Glück haben, dann passiert in den nächsten zwei Wochen irgendetwas bei dieser Prager Bank. Möglicherweise werden demnächst ein paar Banker zumindest eine braune Bremsspur in ihrer weißen Unterhose haben. Christoph meldet sich in ein paar Stunden wieder bei mir. Ha, das wird ein Spaß, Santa Cruz! Gratuliere zu dieser Idee!“ Ja, dazu konnte sich JP wirklich gratulieren, wenn ihm auch alles viel, viel zu langsam voranging – in den nächsten zwei Wochen (!!) –, das machte ihm doch Sorgen, bis dahin war vielleicht alles zu spät. Er schickte einen kurzen Bericht per Mail an FATBOY, Kopie an Mosche. Die prompte Antwort von FATBOY war unglaublich ausschweifend und emotional, wie immer: Congrats, mehr stand da nicht, mit etwas gutem Willen konnte man dies als Congratulations lesen.
Holzners Cousin Christoph nahm die vorgebrachten Verdachtsmomente wirklich ernst! Schon kurz nach dem Mittagessen war er wieder am Telefon und bestätigte den Eingang der diversen Transaktionen bei der benannten Bank. Es war dies wohl ein Treuhandkonto einer renommierten Prager Anwaltskanzlei. Interpol oder wer auch immer konnte anscheinend gewisse Banktransfers überwachen und life einsehen, sie waren anscheinend auch im „Graubereich“ tätig. Jedenfalls: Dieses Anwaltsbüro stand seit ein paar Tagen unter verschärfter Beobachtung. Ein befreundeter, ausländischer Geheimdienst hatte konkrete Hinweise geliefert. Es ging um Vertuschung, Unterstützung und Förderung diverser Verbrechen. Subventionsbetrug, Bilanzfälschung, Steuerhinterziehung, Geldwäsche, illegale Beschäftigung von Schwarzarbeitern und, und, und. Die Liste war lang. Alles bei einem Mandanten, einer tschechischen Firma.
JP kam das alles sehr bekannt vor und er erkannte auch sofort den Namen der betreffenden Firma. Und vor Allem: er kannte auch den Namen des „befreundeten Geheimdienstmannes“....
Diese vorliegenden Verdachtsmomente im Zusammenhang mit den vielen Überweisungen von den Cayman Islands kämen deshalb wie gerufen, da man nun konkrete Untersuchungsmaßnahmen einleiten könnte. Man hatte nach einem Grund für „offizielle“ Untersuchungen oder Überwachungen gesucht, dieser wurde nun auf dem Silbertablett serviert.
Das Prager Anwaltsbüro würde sich logischerweise vor seine Mandanten stellen und wenig bis gar keine Kooperation mit den lokalen Behörden zeigen. Damit war die konkrete Gefahr einer Vertuschung gegeben und das wäre nun die Möglichkeit, erst mal alle Gelder für jede weitere Verwendung sperren zu lassen. Eine Untersuchung über die Rechtmäßigkeit der Geldmittel könnte sich durchaus über einige Zeit hinziehen. Kurzum: Die Bank würde vielleicht heute noch Besuch von tschechischen und Interpol-Ermittlern bekommen. Holzner pfiff durch die Zähne: „Mein lieber Herr Gesangsverein, das ging aber zackig! So etwas habe ich noch nie erlebt, wenn die nicht ohnehin schon auf der Spur gewesen wären und dringend nach einem Grund zum Zuschlagen gesucht hätten, wäre da womöglich wochenlang gar nichts passiert. Ich meine, da hat der ‚befreundete ausländische Geheimdienst‘ schon sackrisch viel Vorarbeit geleistet und mitgeholfen“, meinte Holzner anerkennend und sah JP forschend an.
JP grinste und dankte im Gedanken seinem Vater Davide. Wie hatte dieser am Sonntag so schön gesagt: „Ich werde mich darum kümmern und ich werde mich einmischen – und zwar mehr als ich wollte. Pass auf: Ich werde dafür sorgen, dass Popolowsky seine Beteiligung an dieser tschechischen Firma MOTOHMOTY s.r.o in der nächsten Woche abstößt. Da sind schon ein paar unangenehme Dinge am Laufen und das müsste reichen, dass er sie fallen lässt wie eine heiße Kartoffel, sobald das bekannt wird.“ „Santa Cruz – was grinsen Sie so?“, unterbrach Holzner seine Grübeleien. „Haben Sie irgendetwas mit der Sache und mit dem Geheimdienst zu tun?“ „Nein, Herr Holzner, ICH nicht.“
„Tztztz, ich fass es nicht! Ja klar, jetzt fällt es mir wie Schuppen von der Linse. Ihr Vater ist US-Diplomat – der ist wahrscheinlich beim Geheimdienst – der mischt da irgendwie mit und hat die tschechische Polizei und Interpol auf die Fährte von diesem Anwalt gehetzt, stimmt‘s?“ „Holzner, verrennen Sie sich nicht mit Ihren vagen Vermutungen oder Weltverschwörungstheorien!“ „Nein, nein, keine Sorge. Noch was wollte ich Sie die letzten zwei Tage schon fragen: Haben Sie das gemacht, dass der McGregor vom alten Malinger fristlos vor die Tür gesetzt wurde? Ich spür´s im Urin, wenn was hinten rum getrickst wird, hä ... waren Sie´s?“
„Holzner, der Herr Malinger trifft seine Entscheidungen völlig eigenständig! Der beabsichtigt nicht im Geringsten, mich zu konsultieren oder um irgendeinen Rat zu fragen. Wie sollte er auch, er wähnt mich ja immer noch im Koma....“ „Mir können Sie nix vormachen, Santa Cruz, Sie sind ein gefährlicher und durchtriebener Mensch! Ich glaube, dass Sie uns alle manipulieren. Aber, ich bin froh, dass Sie auf unserer Seite und nicht gegen uns stehen. Also sagen Sie schon, wie haben Sie den alten Malinger dazu gebracht, seinen Schwiegersohn zu feuern? Und vor allem WARUM?“ „Wir haben einen Plan, Herr Holzner. Sie, der Herr Staatsanwalt Dr. Ott und ich. Erinnern Sie sich? Ich arbeite genau nach diesem Plan, mehr nicht. Wir haben zu dritt am Sonntag vereinbart, dass wir gewaltigen Druck aufbauen müssen, bis der Dampfkessel entweder seinen Inhalt zerkocht oder es den Kessel selbst zerreißt! Mein Team und ich machen nichts anderes – der Druck im Kessel wird bereits merklich höher! Diese Verbrecher werden sich entweder selbst oder gegenseitig belasten und ihr Lügengebilde wird instabil und hoffentlich in sich zusammenstürzen. Wir müssen nur den richtigen Moment abwarten und bis dahin schön im Hintergrund bleiben. Dadurch behalten wir das Steuer in der Hand und können unsere Trümpfe nach unserem Zeitplan ausspielen. Sie erinnern sich an Dr. Otts Worte, Herr Holzner. Ich zitiere: ‚Wenn uns diese Leute zu früh bezüglich unserer Ermittlungen auf die Schliche kommen, werden sie unweigerlich Gegenmaßnahmen einleiten. Damit nehmen sie uns die Kontrolle aus der Hand und es wird alles sehr, sehr viel schwieriger.‘ Dr. Ott hat absolut Recht, Holzner. Ich denke, wir belassen es für den Moment bei dieser Antwort. Vertrauen Sie mir, Holzner, ich sorge allein dafür, dass Ihre Arbeit etwas leichter wird und sicherer zum Erfolg führt. Mehr will ich nicht!“
„OK, ich respektiere, dass Sie mir nicht alles sagen wollen oder können, ich muss und will auch nicht immer wissen, wo Ihre Leute ihre Hackernase hineinstecken, aber Sie sollten auch öfter mal Korbinian Holzner mehr vertrauen. Ansonsten sind wir ein gutes Team und ich werde Ihnen weiterhin den Rücken frei und meine schützende Hand über Sie halten, solange Sie halbwegs im legalen Graubereich bleiben.“ „Danke Holzner! Ich vertraue Ihnen durchaus! Sonst hätte ich Ihnen das mit den Geldtransfers, den Kontonummern und den Kontoständen nicht im Vertrauen gesteckt. Aber was glauben Sie, wo ich diese Details her habe, genau aus diesem ‚Graubereich‘ übrigens, ein schwierig zu definierender Begriff. Jede Person wird die Grenzen davon ein bisschen anders setzen und legal und ‚Graubereich‘ passen nicht immer zusammen. Als Beweis meines Vertrauens, Holzner, will ich Ihnen nur sagen, dass McGregor sich selbst ins Aus geschossen hat. Er wollte diese Woche mit beiden Händen in den Malinger Mitarbeiterpensionsfonds greifen ... pfui, pfui, so etwas tut man nicht, schon gar nicht als Schwiegersohn des hochanständigen und erzkonservativen Joseph Malinger.
Holzner, wenn ich Ihnen nicht alles sage, will ich Sie schützen und nicht ständig in einen moralischen Zwiespalt bringen. Denn eins ist klar: Mein Team kann viel mehr als wir tatsächlich und offiziell tun dürfen, aber keine Sorge, wir werden immer versuchen sauber zu bleiben! Ich werde nur das Nötige tun, was hier getan werden muss. Denn, diese Leute müssen hinter Gitter!“
Ja, ja Korbinian Holzner – er war viel schlauer, als er aussah. Allerdings hatte JP ihn nun fast schwindelig gequatscht und fürs Erste würde er nicht weiter insistieren und sich in Vertrauen üben, aber er würde zukünftig ein besonders wachsames Auge auf den schlauen JP werfen und versuchen, die manipulativen Absichten seines Schützlings zumindest frühzeitig zu erkennen und zu durchschauen.
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Bestechungs- oder Schmiergelder zu zahlen war ein notwendiges Übel, aber dennoch meist ein sehr effizienter und hilfreicher Weg zu gewissen immateriellen oder außerordentlichen Vorteilen. Meistens bekam man letztendlich viel mehr zurück, als man in barer Münze investierte. So auch in diesem Fall! Einen Betrag von über 1,2 Millionen Euro abzuheben, musste natürlich vorab angemeldet werden – keine Bank hatte so viel Bares auf Abruf. Normalerweise müsste man einen derartigen Betrag schon eine Woche im Vorhinein ankündigen. Das war in diesem Falle nicht möglich, denn das Geld musste binnen 24 Stunden verfügbar sein. Der Rest, der gerade erst von den Caymans überwiesenen 4,1 Millionen, immerhin noch grob 2,9 Millionen, würde wieder in kleinen Tranchen auf ein anderes Konto auf den Caymans (zurück)überwiesen werden. Aufgrund der außerordentlich guten geschäftlichen Beziehungen zu dem renommierten Prager Anwaltsbüro, das über diverse Treuhandkonten bei der Bank verfügte, war es allerdings ausnahmsweise doch machbar, innerhalb einer so kurzen Frist 1,2 Millionen in bar auszuzahlen.
Die geschäftliche Beziehung zu dem Anwaltsbüro in Prag ging schon lange und man hatte schon mehrmals erhebliche Transaktionen für diesen Kunden und seine Klienten getätigt. Damit war man sich über die Jahre freundschaftlich näher gekommen. Eine regelmäßige, kleine Gefälligkeit in barer Münze, die besten Eintrittskarten zu diversen Fußballspielen, Logenplätze im Theater und der eine oder andere kleine, aber feine Urlaub mit Freundin hatten diese berufliche Verbindung immer wieder angenehm am Laufen gehalten.
Kleine Geschenke erhalten eben die Freundschaft, und das war nicht nur in Italien so.
Wie unter Freunden üblich, war es eine Selbstverständlichkeit, auch noch zu später Stunde und sofort nach Beendigung des Gespräches mit den beiden Ermittlungsbeamten der Prager Polizei, die bis nach 19:59 Uhr in der Bank waren, zum Telefonhörer zu greifen und eine eindeutige Warnung auszusprechen.
De facto war das Treuhandkonto ab sofort wegen laufender Ermittlungen gesperrt – es ging kein Cent mehr davon ab. Damit war die morgige Barauszahlung von 1,2 Millionen und die anschließende Überweisung des restlichen Betrages, natürlich in kleinen Tranchen, zur Zeit leider nicht möglich. „Doc“ war gerade beim Essen in seinem Lieblingsrestaurant, als der Anruf des Prager Anwaltes den Genuss nachhaltig störte. „Ich fasse es nicht! Man hat die Gelder..... WAS – eingefroren? Und warum? WAS, das wissen Sie noch nicht? Nicht offiziell.... Was zum Teufel soll das? Darf man keine Geschäfte mehr machen und Geld auf ein Konto überweisen? Wir machen doch nichts Illegales! Kümmern Sie sich morgen darum! Ich will und muss wieder sofort an meine Gelder kommen! Rufen Sie mich gleich morgen an, nachdem Sie mit der Polizei alles geklärt haben.
Helfen Sie mit Barem nach, falls nötig! Ich fliege um 10:10 Uhr mit der Lufthansa ab München. Lassen Sie mich am Flughafen in Prag abholen. Ich komme direkt zu Ihnen ins Büro. Bis dahin haben Sie eine Lösung gefunden, verstehen Sie! Ich muss um 14:00 Uhr diese Firmenanteile kaufen und kann und werde auf keinen Fall einen Rückzieher machen! Unser russischer Freund hat keinerlei Geduld mit uns! Ihr Vertragsfehler mit diesem Youl kostet mich jetzt diese 1,2 Millionen. Das wissen Sie ganz genau! Machen Sie hier nicht wieder einen dummen Fehler! Ich werde kein Versagen akzeptieren, verstehen Sie! Also, ich will morgen ein paar Ideen hören, wie wir das finanzielle Problem bis 14:00 Uhr lösen und zwar, bevor ich in den Flieger steige.“
Das Abendessen war damit gelaufen. So wunderbar hätte die Begleitung nicht sein, das Essen Sterneniveau haben oder der Wein mehr als 95 Parkerpunkte vorweisen können, als dass jetzt noch irgendetwas geschmeckt hätte oder angenehm gewesen wäre. Verdammt! Wie konnte Derartiges passieren? Es hing sicherlich mit McGregor zusammen, diese Pechsträhne von ihm zog förmlich das Unglück an. Aber, sich auf die Ideen anderer zu verlassen, das war nicht „Doc`s“ Art.
Als Erstes musste „Doc“ jetzt nach Hause, Bestandsaufnahme und Kassensturz machen! Die Safetür im privaten Büro stand offen. Es lagen genau 600.000,- Euro in bar im oberen Fach. Das war der ständig vorrätige „Notgroschen“ für eine zwingend notwendige Flucht. Im unteren Fach lagen nochmals 200.000,- Euro – Geld vom Syndikat – gedacht für diverse Barzahlungen, wie z. B. die Dienste des Russen Victor Ivan oder Bestechungen. Nach dem Drama mit der Explosion bei Malinger hatte Doc auf die Aufstockung dieses ständig paraten Bargeldes des Syndikats bestanden. Der Russe hätte ihn vor zwei Wochen sicherlich liquidiert, wenn er ihm nicht sofort die zusätzlich geforderten 100.000,- Euro gegeben hätte.
Auch wenn die Sache bei Malinger ganz und gar nicht so geplant war, hatte der Russe letztendlich nur gemacht, was in dem Moment absolut notwendig und richtig gewesen war! Und er hatte, wie ein guter Offizier und Soldat, seinen Befehl professionell und konsequent ausgeführt. Aufräumen konnte man immer noch. Auch wenn es die Firma Malinger hätte finanziell ruinieren können. Aber wirtschaftliche Konsequenzen zu vermeiden war nicht Teil seines Auftrages. Zum Glück war die wirtschaftliche Seite bei Malinger nicht nachhaltig geschädigt. Jedenfalls, ohne diese brutale Aktion von Victor Ivan wären mittlerweile sowohl „Doc“ wie auch die Partner längst im Gefängnis. Insofern waren die zusätzlichen 100K gerechtfertigt und gut investiert.
Also: 800.000,- Euro in bar würden „Doc“ auf jeden Fall nach Prag begleiten! War es aber nicht zu riskant zu fliegen, um womöglich bei einem Gepäckröntgen gehörig in Schwierigkeiten zu kommen? So viel Bares im Handgepäck?! Nein, das war keine gute Idee. Doc hatte nun den festen Entschluss gefasst! Der Porsche 911 würde es in knapp vier Stunden nach Prag schaffen. Nun ein paar Stunden schlafen, sehr früh losfahren und um spätestens 7:00 Uhr auf dem Werksgelände der Firma MOTOHMOTY s.r.o einfahren. Die fehlenden 400.000,- Euro mussten aus der Liquidität der Firma des Konsortiums aufgebracht und zwischenfinanziert werden. Wie die Hausbank diesen Betrag so schnell in bar auszahlen würde können, war noch unklar. Aber es würde eine Lösung geben. Dies war ja schließlich eine Filiale der Deutschen Bank, und man würde von allen Prager Filialen doch wohl irgendwie diesen Betrag binnen sechs Stunden zusammenkratzen können.
Niemand legte Doc Steine in den Weg! NIEMAND. Jedes Hindernis war überwindbar!